Fruchtbare Tage

«Gebenedeit sei die Frucht deines Leibes.» Dieser Satz war mir ein Rätsel. Eines einer ganzen Litanei rätselhafter Kopfnüsse, die einem als katholischer Knabe verpasst werden.

Natürlich habe ich versucht, den Sinn zu entschlüsseln. Welche Frucht? Die einzige Frucht, die damit gemeint sein konnte, so kombinierte ich als frühpubertierender Ministrant, waren wohl die Melonen Marias. Aber dann hätte es ja die Früchte geheissen. Höllisch falsch!

Sofort verbot ich mir diese Gedanken und versuchte mit Vollgas wieder aus dieser geistigen Sackgasse zu stieben. Meistens mit Hilfe einer Täuschung. Die sah so aus, dass ich gedanklich aus mir herausschritt und dann als halb transparente Kopie meiner selbst neben meiner Gestalt stand und (zu Gott) sagte (also dachte): «Das hat er gesagt, nicht ich!» Wie in diesen Film-Animationen, in denen Teufelchen-Ich und Engelchen-Ich sich streiten.

Solcherart verunsichert war auch mein Verhältnis zur Frucht namens Kaki – recht dissonant. Kaki liegt klanglich sehr nahe am Schweizerdeutschen „Gaggi“, zu Deutsch „Kacka“. Wie konnte ich nur, ohne mich lächerlich zu machen, eine Frucht essen, die Scheisse heisst?

Man verliert vieles, wenn man seine Kindheit verliert. Und das ist das Gute daran!

Jetzt ist wieder Kaki-Saison und der Genuss dieser „göttlichen Birne“, so der griechische Gattungsname „Diospyros“, hochwillkommen.

Bei Zeus! Diese honigsüssen Früchtchen, das sei hier in aller Deutlichkeit festgehalten, die sind genau richtig, so wie sie sind. Ich meine, da muss nichts Verrücktes damit angestellt werden, um sie geniessen zu können.

Als Beispiel: Die Quitte ist für den Rohverzehr nicht geeignet. Deshalb muss sie gekocht und verarbeitet werden. Wie zu Marmelade, Kompott, Mus, Gelee oder einem schönen Schnaps.

Das kann man sich bei der Kaki sparen. Am köstlichsten schmeckt sie, wenn man sie einfach in der Mitte durchschneidet und auslöffelt wie eine Kiwi.

Zugegeben, sie ist etwas kurios, die Kaki. Allein der fragile Aggregatzustand. Halb flüssig, halb fest. Eine Art zuckersüsses Gel, das geschmacklich irgendwo zwischen überreifen Susine und Physalis liegt. Himmlisch. Ihre feste Schwester Sharon ist dagegen todlangweilig.

Wer dennoch etwas Kreatives damit anstellen will, findet Rezepte für Cremen, Kuchen, Marmelladen oder Dessertkreationen für die nächste Eighties-Party.

Spannender wäre es, sich mit Rezepten aus Japan und China, wo die Frucht ursprünglich als eine der ältesten Kulturpflanzen herkommt, zu beschäftigen.

Neugierig wurde ich auch bei Jutta, die in ihrem Blog nicht nur beeindruckend puristische und traditionelle italienische Rezepte zusammenträgt, sondern auch Gerichte, die ausserhalb des Landes wenig bekannt sind.

Ihre Spaghettini Lacrima musste ich, leicht abgewandelt, nachkochen:

Olivenöl in einer Schwenkpfanne erwärmen. Knoblauch und Peperoncino sanft darin anziehen. Kaki-Fruchtfleisch dazugeben (etwa eine pro Person). Wenig Wasser angiessen, damit die Sauce nicht gleich am Topfboden anhockt. Leicht einköcheln, bis der grösste Teil vom Fruchtfleisch zerfällt. Dezent salzen.

Dazwischen Spaghettini al dente kochen und für die Garnitur Würfel aus einer Kaki und Brunoise aus einem Peperoncino schneiden.

Spaghettini abseihen, zur Sauce geben und gut mischen. Mit der Garnitur und zusätzlichem Olivenöl extra vergine anrichten. Auf den Parmesan darf man aus meiner Sicht verzichten.

Die Sauce könnte ich mir auch als Raviolifüllung vorstellen (vielleicht mit wenig Ricotta und Rosinen, oder für Cappellacci di Zucca aus der Emilia-Romagna anstelle der Kürbisfüllung), auch als Saucenspiegel zu einem kurz gebratenen Fischfilet oder als milde Sauce zu Wild (Ente, Reh, Fasan, Rebhuhn).

Aber eben. Am liebsten löffle ich Kakis, gut gekühlt und gereift, einfach nur aus.


21 Kommentare zu Fruchtbare Tage

  1. Freundin des guten Geschmacks am 26. November 2010 at 17:01:

    Ich habe die „Diospiro“ wie sie in der Azorenbucht heißen eigentlich erst in diesem Jahr richtig schätzen gelernt. Wir hatten sie im Garten des Ferienhauses und durften uns reichlich bedienen.
    Das Rezept von Jutta werde ich mir gleich abspeichern, liest sich sehr gut und schmeckt bestimmt interessant.

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  2. Shoko am 26. November 2010 at 17:07:

    Kaki-Frucht schmeckt am Besten, wenn sie noch fest ist aber schon sehr süß ist.
    Einige Europäer haben keine Ahnung, deshalb verkaufen sie auch bittere Kaki-Sorten, die in Asien nie unbehaldelt verkauft werden. Die bitteren Kaki-Sorten werden geschält und getrocknet, ansonsten sind sie ungenießbar.
    Aus Versehen habe ich auch bittere Kasis kaufen müssen. Aber als ich diese Kakis Gästen angeboten habe, die Kaki-Frucht noch nicht kannten, haben gesagt, „Es war ziemlich bitter aber schmeckt gut!“. Lügner!!!!!!
    Sag einfach, dass Ihr noch nie Kaki gegessen habt und es widerlich schmeckt.
    Lieber Leser dieses Blogs, ich möchte Euch fragen, wie Ihr mit den bitteren Kaki-Sorten umgeht. (Bis jetzt habe ich sie einfach weggeworfen.)

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  3. Claudio am 27. November 2010 at 11:04:

    Hört sich an wie ein Garten Eden, Freundin! Shoko, toll dass du dich meldest! Ich wollte dich eigentlich anfragen, bevor ich diesen Text schreibe, frage ich halt jetzt: Welche Kakis werden in Japan gegessen und wie? Und wo bekommt man allenfalls Rezepte? Ich bevorzuge eigentlich die sehr weichen Kakis, die mehrheitlich in der Emilia-Romagna angebaut werden. Die holzigen Sorten wie Vanille Persimon oder Sharon mag ich gar nicht – zu konsumentenfreundlich. Da esse ich lieber einen Apfel oder eine knackige Birne.

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  4. Alex am 27. November 2010 at 11:40:

    Hallo Claudio, ich hab die Dinger zum ersten mal vor 10 Jahren auf dem Markt in Frankreich gesichtet. Irgendwie konnte mir der Verkäufer auch nicht sagen was man damit machen könne. Ich hab sie einfach probiert und war etwas irritiert ob der intensiven (penetranten) honigsüsse. Für mich ist nun bis heute die Geschmacksnote „überreif“ mit dieser Frucht behaftet (so wie manch ein Wein überreife marmeladige Frucht aufweisen kann). Muss wohl warten bis ich sie im Restaurant mal als Offenbarung serviert bekomme. Deine Pasta sehen zum Beispiel schon mal ganz gut aus! :=) Gruss!

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  5. Arthurs Tochter am 27. November 2010 at 15:24:

    Ach, Du drehst die Nudeln auch zu so schönen Türmchen!
    Ich bin schon gefragt worden, wie ich das mache.
    Mit ´ner Bratengabel – und Du?

    Einer Deiner schönsten, amüsantesten Posts seit langem!
    Was die anderen nicht schmälern soll, natürlich! 😉

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  6. Frenk am 27. November 2010 at 20:56:

    Ach ich liebe diese Früchtchen! Wahrscheinlich auch, weil sie bei uns in den Läden so selten sind. Dadurch finden sich nur ein paar wenige, die genau auf dem Punkt sind zum genüsslichen Verzehr. Einen Tag zu früh (pelzig) oder zu spät (überreif) und aus ist’s mit dem Vergnügen.

    So gepflegt mit aufschneiden und auslöffeln habe ich sie allerdings noch nie gegessen. Ich poliere die Schale vorsichtig mit einem Tuch und dann wird herzhaft reingebissen, gewühlt und geschlurft. Erst so entwickelt sich die paradiesische Lust mit honigzarten Aromen. Dabei ergibt sich eine haptische Assoziation, die an die gebenedeite Frucht ihres Leibes erinnert. Aber es sind nicht die Melonen…

    Vielleicht mögen deshalb meine drei Frauen keine Kakis?

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  7. alex am 27. November 2010 at 23:22:

    Ich pflege die kaki ebenfalls nur pur zu essen. Die Geschmacksrichtung dieser Frucjt entspricht exakt meinem Geschmack, so dass ich auch die festere Variante (Persimon oder Sharon) sehr mag. Meiner Schwester sind die ebenfalls zu süss/überreif. Um dem entgegenzuwirken pürier‘ ich für sie ein wenig Mascarpone dazu. Ist dann zwar fast ein Dessert, schmeckt jedoch ebenfalls sehr gut.

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  8. Claudio am 28. November 2010 at 10:47:

    Alex, zu meiner Kindheit gehören Kaki wie das Christkind zur unbefleckten Jungfrau. Astrid, Gedankenübertragung! Aber dein Türmchen ist viel schöner, ein richtiger kleiner Skyscraper. Ich nehme eine normale Gabel, wickle die Spaghettini aber mit einem grossen Löffel(!) auf. Mann, Mann, Mann, Frenk, wenn das Schwester Agnes liest!!! Kaki-Creme scheint ein beliebter Einstieg zu dieser Frucht zu sein, Alex, da finden sich hunderte Rezepte im Netz.

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  9. Shoko am 29. November 2010 at 03:01:

    Lieber Claudio,

    ich erinnere mich, dass ich in meiner Kindheit nur feste und süße Kakis gegessen habe. Gibt es jemanden, der bevorzugt, nicht harte, sondern weichgewordene Birnen mit Löffel zu essen? Ich kann jetzt Kakis mit Birnen vergleichen………

    Es gibt vermutlicherweise mehr als 1000 Kaki-Sorten auf der Welt. Kakis aus Italien sind süß. Kakis aus Israel (Sharon) sind manchmal sehr bitter.

    Es gibt nicht sehr viele Rezepte mit frischen Kakis. Wenn ich einiges nennen soll, würde ich sagen, dass man weißen Rettich, feste und süße Kakis und Möhren in dünne Streifen schneidet und mit Salz, Pfeffer, Essig, Sojasoße und eventuell ein wenig Chilpulver anmacht. Man kann auch Kakis leicht einfrieren und als Sorbet essen.

    Wir, Japaner, fügen Gewürze und Kräuter in Speisen wenig wie möglich zu. Ich wundere mich, dass Europäer sehr fantasievoll sind und sehr viele neue Speisen kreieren.

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  10. Christa merz am 29. November 2010 at 16:25:

    Ich lebe in Lugano und habe einen wunderschoenen Kakibaum, der im Sommer der beste Sonnenschirm ist und im Winter sammeln wir die Kakis und machen Schnaps. Wirklich empfehlenswert.
    Christa

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  11. queenofsoup am 29. November 2010 at 19:50:

    du hast mich inspiriert, heute eine kaki vom naschmarkt mitzunehmen – honigsüß, mittelfest, löffelweich, mmmh. ich hab ja bis zum vorigen jahr geglaubt, dass die unbeding von weitweitweg sein müssen – bis ich im winterlichen friaul viele wunderschöne orangerote kugeln in kahlen bäumen hängen sehen habe… bei uns wachsen die aber meines wissens nicht, dafür sind die winter in österreich doch zu kalt.

    lg qos

    ps mein kakibeitrag aus dem vorjahr: http://esszimmer.wordpress.com/2009/12/14/sonne-im-dezember-kakis/

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  12. Claudio am 30. November 2010 at 01:14:

    Interessanter Ansatz mit den Birnen, Shoko. Obwohl – die weichen italienischen Kakisorten sind ungeniessbar, wenn sie nicht weich/reif genug sind: zu stark sind die Tannine. Davon bekommst du eine pelzige Zunge. Ich versuche mal dein Rezept, wenn ich entsprechende Kakis finde. Diese Zurückhaltung im Würzen und Kombinieren in der japanischen Küche gefällt mir ausgesprochen gut. Ich finde es teilweise auch albern, wie weit der Kombinationskarneval bei uns getrieben wird. Das Schlimmste ist dann wohl Crossover Asiatisch/Mediterran! Davon bekomm ich Magenkrämpfe. Christa, schmeckt der Schnaps denn tatsächlich nach Kaki? Ich weiss, Queen, im herbstlichen Pisa entdeckt man auch solche kahle, kakibekugelte Bäumchen in kleinen Vorgärten – die stehen irgendwie ebenso schräg in der Landschaft, wie der schiefe Turm in der Nähe.

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  13. Christa merz am 30. November 2010 at 16:32:

    an Claudio: Ja der Schnaps schmeck tatsaechlich nach Kaki. Sehr erstaunlich aber super. Kann Dir gerne mal ein Flaeschchen zukommen lassen.

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  14. greentomate am 1. Dezember 2010 at 14:06:

    Hört sich ja echt lecker an!
    Ich bin gleich am nächsten Tag in den Obstladen und hab eine „essreife“ Kaki gekauft. Leider hat sich das beschriebene pelzige Gefühl im Mund breit gemacht.
    Woran erkennt man denn, ob die Kaki bereit zum Verzehr ist?

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  15. Shoko am 1. Dezember 2010 at 16:47:

    Lieber Greentomate,

    bei mir in Japan war so, dass Kakis in einer flachen Form süß waren und die in einer spizen (ovalen) Form bitter waren. Aber es war damals, und jetzt kann man es von Äußeren nicht mehr erkennen, weil sehr viele Kakisorten vermarktet werden.
    Ich finde es Unverschämtheit, dass man bittere und pelzige Kakis in Obstläden und Supermärkten verkauft. Europäer sparen Mühe, die bitteren Kakis zu trocknen.
    Ich bin aber froh, dass es noch Niemanden gibt, der versucht, normale Kastanien als Esskastanien (Maronen) zu verkaufen.

    Liebe Grüße
    Shoko

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  16. Claudio am 1. Dezember 2010 at 17:13:

    Wenn du magst, sehr gerne, Christa. Selbstverständlich mit anschliessender Verkostungsnotiz hier auf dem Blog. greentomate, das ist tatsächlich nicht ganz einfach – und deshalb verkommt die Kaki wohl bei vielen zur Frust-Frucht. Die weiche italienische Kaki muss wirklich so weich sein, dass man sie sprichwörtlich nur mit Samthandschuhen anfassen darf, da sie sonst aufplatzen. Auch bei anderen Sorten muss die Frucht auf Fingerdruck deutlich nachgeben. Denk an Kiwi oder Avocado zum Vergleich! Shoko, du wirst es nicht glauben, aber ein Schweizer hat bereits eine Kaki-Bank gegründet: http://bank-of-kaki.meraggia.ch/

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  17. Magdi am 2. Dezember 2010 at 08:36:

    Ich auch!

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  18. Claudio am 2. Dezember 2010 at 10:09:

    Du hast auch eine Kaki-Bank gegründet, Magdi?

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  19. Finkus Bripp am 2. Dezember 2010 at 21:00:

    Ue, le ti li Kak a la cas‘ a l’abruzz? Quand‘ m’piac fresch.

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  20. Claudio am 6. Dezember 2010 at 09:25:

    Macchè, loc‘ adav’t addò stim‘ nu fa tropp‘ fridd‘, c‘ nasc‘ sule robba amara 😉

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  21. anette am 6. Dezember 2010 at 10:59:

    nur die norditalienischen kakis…
    ganzganzGANZ weich und zimmertemperiert….pur und in längsrichtung aufgeschnitten…
    sind das beste !
    seit 40 jahren schon auf meinem spätherbstspeiseplan…
    unglaublich! damals konnte man sie schon in oberstdorf im allgäu erwerben…
    anno dazumals noch mit 2-4 kernen…
    die wohl inzwischen weggezüchtet wurden…

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