Essen oder Antifaltencreme?

Da ich voraussichtlich am 15. Dezember zum zweiten Mal Vater werde, habe ich mir Gedanken über eine Urban-Legend gemacht: Die Plazentasuppe

Menschenteile zu essen, gehört ja eher zur Natur der Kannibalen. Wenn sich also mein Kind vom Mutterkuchen ernährt, ist es dann per se ein Kannibale, mein Kind?

Darf ich mich guten Gewissens und mit dem Einverständnis meiner Freundin nach der Geburt des Mutterkuchens bedienen, als wäre es ein wunderbares Stück Rindsfilet aus Argentinien? Darf ich es essen? Muss ich mir Spezielles dabei denken, oder ist es einfach ein Stück Fleisch wie jedes andere?

Wenn ich ein eigenes Rind aufziehen würde, nennen wir es Georg, und ich hätte täglich Kontakt zu ihm. Müsste ich dann ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich ihm als netten Fleischspender in die großen Augen schaue würde?

Immerhin kann ich mein Gewissen mit dem Gedanken beruhigen, dass kein Tier sterben musste. Das hier ist ein sehr schöner Text zu dieser Thematik: kulturindustrie.com/struebelundpassig

Und die Haltung vom Fleischproduzenten des Mutterkuchens war ja genial: biologisch, sauber, nur vom Feinsten. Den Fleischproduzent (entschuldige mich, meine liebste Sibylle, ich versuche mich sachlich an die Sache ran zu tasten) hab ich ja selbst gefüttert!

Mit wunderbaren Lasagnen von Marcella Hasan, beste Penne al dente mit in Butter geschwenkten Salbeiblättern, gegrillten Hähnchen à la Bourdain, eingekochte verdickte Saucen, ja, sogar vegetarisches etc. Das meiste Geld gebe ich sowieso ohne schlechtes Gewissen für gutes Essen aus.

So frage ich mich: darf, soll oder muss ich sogar die Plazenta kulinarisch verwerten? Bin ich dann Hannibal Lektor oder ein armseliger Schlucker, der kein Geld für Fleisch hat? Oder ein Ritual-Fuzzi, der es braucht, um ein höheren Wesen zu werden? Oder am Ende wie Tom Cruise?

Wie dem auch sei, ich habe heimlich nach Rezepten gesucht. Sie sind meist trivial, nicht sonderlich ansprechend. Rein theoretisch könnte ich ja ein neues erfinden. Die Plazenta sieht recht durchzogen aus, ein bisschen wie eine durchzogene Leber. Eventuell grillen? Ich könnts mir mit einer guten Marinade aus Olivenöl, Knoblauch und Rosmarin vorstellen. Oder in Scheiben, mit einer gut reduzierten Cognacsauce.

Von der Vorstellung her ist dieses Fleischstück, also der Mutterkuchen, für mich eher wie Kutteln. Also etwas, das Mut braucht.

Rein ethisch ist es doch vertretbar. Oder soll damit lieber eine Antifaltencrème produziert werden?

Dann doch lieber im Garten unter den Baum (die Plazenta von meinem ersten Kind liegt unter einem Olivenbaum).

Ich bin hin und her gerissen.


14 Kommentare zu Essen oder Antifaltencreme?

  1. Mike Seeger am 20. November 2007 at 02:50:

    Mein lieber Comenius,
    ich gratuliere Deiner Freundin und Dir zu Eurem zweiten Kind, in der Hoffnung, dass Du
    1. Deiner Freundin diesen Beitrag nicht gezeigt hast (es sei denn, sie hat ein Übermaß an Verständnis für skurrilen Humor)
    2. ein Carpaccio von der Plazenta in Erwägung ziehst (vorher leicht anfrieren und mit der Aufschnittmaschine hauchdünn schneiden, Limone, Knoblauch, Salz, Pfeffer und reichlich Olivenöl, mit etwas Peccorino und gehobelten Wintertrüffeln und Kotztüte – aber nur von Alitalia – servierst)
    3. vielleicht doch in Richtung Antifaltencreme tendierst, wie seinerzeit Marika Rökk mit Placentubex C

    Zu Deiner Bemerkung, „Da der menschliche Körper außer Popel nicht viel Essbares produziert, ist das schon irgendwie beeindruckend und dürfte Splatter-Freundinnen wie Bioladenkundinnen gleichermaßen überzeugen.“, möchte ich Dir widersprechend den Rat des Lebensmittelchemikers Udo Pollmer zur ultimativen Ernährung entgegen setzen: „Goutieren Sie doch mal die offiziellen Ratschläge. Die empfehlen eine Kost, die kalorien-, zucker- und fettarm ist, dafür viele Ballaststoffe und Vitamine, sowie hochwertiges Eiweiß enthält. Es gibt ein Produkt, dass diesen Ansprüchen in jeder Hinsicht gerecht wird: Es ist exakt das, was wir jeden Morgen auf der Toilette hinterlassen. Die genannten guten Gaben verdanken wir der ausgeschiedenen Darmflora. Mahlzeit!“

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  2. Claudio am 20. November 2007 at 03:40:

    Hach, ist das wieder ein Thema hier!
    Wollte mich grad bei Google durch die 11’900 Einträge zum Thema lesen. Hab dann aber schon nach dem Ersten abgebrochen: http://www.poppen.de/forum/showthread-t_63585.html
    Mir gehen auch so Sachen durch den Kopf wie Sperma schlucken, Eigenurin trinken zur Stärkung der Abwehrkräfte, die Tatsache, dass die meisten Tiere die Plazenta essen, Kinder oder Beamte, die ihren Popel oder Ohrenschmalz essen – das Übliche halt.
    Irgendwo hab ich auch noch ein Manuskript für einen Roman, den ich mal schreiben wollte. Die Hauptfigur wäre ein Sternekoch, der den selbstgefälligen Ansprüchen seiner Gäste so überdrüssig wird, dass er anfängt herum zu experimentieren und allerlei Greuelzutaten ins Essen panscht und sich so an seiner Macht labt. Dann plagt ihn aber wieder das schlechte Gewissen und sein Berufsstolz, wenn er wieder einmal seine Fingernägel aufgelöst, geliert und anschliessend unter das Dessert gehoben hat. Ich glaub nicht, dass dieses Buch ein Bestseller würde. Wobei, wie war das mit Patrick Süsskinds «Das Parfüm»? Menschen mögen Gruseliges. Und sie tun ja auch viel Abscheuliches. Und da find ich dann Plazenta essen wieder eher so was wie Muttermilch probieren, wenn man seiner Frau nach der Schwangerschaft die Brüste ausreibt. Also etwas völlig Natürliches. Ich kann nichts Kannibalisches darin finden. Vielleicht sollt ich jetzt auch schlafen gehen und morgen einen gescheiteren Kommentar dazu abgeben. Ich bin auch hin- und hergerissen, Comenius.

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  3. comenius am 20. November 2007 at 04:03:

    lieber mike.

    vielen dank für die gratulation, es ist es wert. ich freu mich wie ein kleines kind.

    1. natürlich kennt die schöne dame den eintrag, sonst könnte ich ja nicht darüber laut nachdenken, ob ich es bei der antifaltencreme lassen sollte oder für mich gebrauchen dürfte.
    sie selbst, die dame meines herzens, würde nicht davon kosten wollen, was ich absurderweise nachvollziehen kann. und eben, im ernst, weswegen schwarzer, skuriler humor ? ist es wirklich abwägig den mutterkuchen zu kosten? that’s triple-bio!, wenn nicht mehr!. eine grosse mehrheit der männer wollen ja auch unbedingt, dass frauen sperma schlucken. schaden tuts mit grösster wahrscheinlichkeit nicht, aber in jedem porno ist es der money-shot.
    2. boah, wenn es nicht die plazenta meiner freundinn wäre, würde ich dem rezept vollkommen beiplichten!.
    (ich heirate morgen ein rind!(nur vorübergehend)) es wäre doch wahrscheinlich eine beleidigung, wenn ich mit einer alitalia-kotztüte den mutterkuchen essen würde, oder ? ich weiss es immernoch nicht. es bleiben mir ja laut frauenarzt noch knappe 3 wochen bis zur entscheidung.
    3. leider ist der von dir beschriebene kommentar nicht von mir. aber ich werde die antwort an die frau weiterleiten welche den text verfasst hat.
    4. alles hat zwei seiten. wer weiss, vieleicht werde ich ja stammkunde im tibits wenn ich es wirklich koche und esse. aber wenn ich dann vegetarier werde, dürft ihr mich mit meiner erlaubnis erschiessen. mit dem kann ich nicht leben.
    ps: mein schlechtes gewissen plagt mich. ich hatte mir letzthin eine antifaltencreme für männer gekauft.
    ja, ich habe sie ohne ergebnis auch benutzt. gedacht habe ich mir dabei aber nicht so viel, sie riecht ja nicht wie ein stück ungekochtes kaltes fleisch, sondern nach frischer, voller blumenduft erfüllter creme mit einem heillos schönem mann auf der verpackung. ich merke, ich bin noch kein stück weiter als ich gedacht habe.
    bonap
    ps: ich habe heute lioner-wurst verspiesen. ist das jetzt besser, gleich oder schlechter als die plazenta meiner zukünftigen frau? vom inhalt her und ethisch gesehen. ich glaube herrn kartes wäre das egal. bitte stelle deine lautsprecher auf laut wenn du den link kopierst.
    http://www.bernhard-kartes-metzgerei.de/Warensortiment/warensortiment.html
    auch mahlzeit, morgen koche ich ragout di manzo. mit kartoffelstock. so wie es sich gehört, halb kartoffel, halb butter.

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  4. comenius am 20. November 2007 at 04:17:

    claudio. ich sehe es ählich wie du, vieleicht sollte ich aber auch an der zeit gemessen mir langsam einen schönheitsschlaf gönnen (ohne antifaltencreme, ich will doch maria’s plazenta nicht im gesicht, nicht heute)
    morgen habe ich ja auch noch zeit (gute 3 wochen) mir gedanken über dieses thema zu machen.
    ps: ich werde dein buch kaufen, der inhalt ist mir für das eine mal egal. aber es ist sicherlich artgerecht und ich weiss, bio oder nicht, es wird gut. das leben macht spass mit demie-glace.
    darf ich je die absurde geschichte mit der muttermilch, welches eigentlich mein erstes kind trinken sollte, veröffentlichen oder nicht ?
    definitiv immer noch hin- und hergerissen.

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  5. Boris Zatko am 20. November 2007 at 10:03:

    Kinder, Kinder. Ich bin erstaunt über die Nichtigkeit dieser Diskussion. Das Ganze ist sehr einfach: Solange man auf etwas Lust hast, das erwiesenermassen keinen Zweiten verletzt, erniedrigt oder sonst wie Schaden zufügt, soll man es doch probieren. Wenn einen die Neugier treibt, dann ran an den Speck/Sperma/Urin/Kot etc. Hinterher weiss man dann, ob’s was taugt. Aber den Bericht darüber nicht vergessen, gell!

    Viele liebe Grüsse

    Boris

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  6. Mike Seeger am 20. November 2007 at 11:31:

    Lieber Comenius!
    Drei Wochen Zeit? Wenn Du Dich da mal nicht täuscht. Das kann jederzeit losgehen.
    Zu Deiner Lyoner: Ist in jedem Fall schlechter! Hier mal die Inhaltsstoffe einer Paprika-Lyoner von Lidl:
    87% Schweinefleisch
    Trinkwasser
    Kochsalz
    Würze
    Stabilisator: Natriumcitrate
    Würze
    Dextrose
    Maltodextrin
    Antioxidationsmittel: Ascorbinsäure
    Konservierungststoff: Natriumnitrit

    Da die Inhaltsstoffe nach Menge in absteigender Reihenfolge aufgelistet werden müssen, ist wohl eine Menge Salz darin. Natriumcitrate ist ein Säurungsmittel aus Citronensäure, greift die Zähne stark an. Hinter der Würze verbergen sich Geschmacksverstärker (E 600er Nummern), Dextrose ist einfach Zucker, Maltodextrin dient andernorts der Gewichtszunahme, da eigentlich auch Zucker, nur nicht mehr süß, Ascorbinsäure soll unter anderem verhindern, dass sich aus dem Natriumnitrit giftige Nitrosamine bilden.
    Da hat die Plazenta doch mit ihren vielen natürlich vorkommenden Hormonen, Vitaminen und Mineralstoffen einen höheren Nährwert. Weil das wohl einige erkannt haben, gibt es auch Plazenta-Partys.
    Zu Deinem Schlachter/Metzger: In Erwartung quieckender Schweine, blökender Rinder und heimeliger Schlachtgeräusche, drehte ich die Boxen voll auf (Dolby Surround), kippte mit dem Schreibtischsessel um: Beule! Wie Du das wohl wieder gut machen willst???

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  7. Claudio am 20. November 2007 at 12:33:

    Na super, Mike. Danke! Ich hab den Clip grade noch rechtzeitig gestoppt, ich möchte nachher schliesslich entspannt mittagessen. Heute hat meine Frau Kartoffelsuppe mit Wiener Würsten gemacht. Ich versuchs dann nochmal so gegen 16 Uhr. Mahlzeit!

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  8. Mike Seeger am 20. November 2007 at 13:54:

    😀 😀 😀 😀 😀 😀 😀 😀 😀

    P.S. Nicht vergessen, einen Schuss kräftiges Olivenöl über die Suppe zu geben!
    Guten Appetit!

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  9. Claudio am 20. November 2007 at 17:27:

    Okay, everybody. 16.15 Uhr, ich hab den Film angeschaut: Schöne Trouvaille, Mike! Das blöde Getue hat mich aber mehr gewürgt, als die Tatsache, dass da eine Plazenta verbraten wird (schon nur wie die blöd herumrührt während des Anbratens und die Pfanne so nervös hin- und herschaukelt – ekelhaft!). Und dann die aufdringliche Verköstigung als Paté, phuu, definitiv nicht mein Ding! Okay, Comenius, ich würds so machen: Schalotten, Butter, Weisswein. Das Ganze am Tisch, in einer wunderschönen Kupfersautoir auf einem Rechaud zubereitet. Nur ihr zwei, Kerzenlicht, ein klassisches Klavierkonzert. Dazu eine Flasche Sassicaia, oder Grattamacco. Stunden vorher schon entkorkt. Perfekt! Sieht schwer nach Hannibal Lecter aus, ich weiss, aber das hat einfach Klasse.

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  10. Boris Zatko am 20. November 2007 at 17:45:

    NEIN! … Claudio! Nicht Hannibal Lektor in Zusammenhang mit Comenius nennen. Bei dieser Szene hatte er Mühe. Nun, ich für meinen Teil kann gut auf solch ein Menü verzichten. Wie die Sybille aber einen Teil ihrer selbst verzehren kann, dass könnte sogar schon ins leicht ins Philosophische kippen. Auf den Bericht bin ich immer gespannter!
    Beim Film finde ich das Britische schon Kult. Wie ein Monty Python Sketch.

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  11. Anonyme Köche » Archiv » caesars «plazenta» zum fruehstueck am 24. November 2007 at 02:09:

    […] noch einmal auf Comenius zurück zu kommen: Also ich hab schon mal eine Plazenta […]

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  12. Anonyme Köche » Archiv » Plazenta happens am 20. Februar 2008 at 10:09:

    […] nachgerutscht. Und ich wurde für einen einsamen Augenblick mit diesem Nebenprodukt und meinen Gedanken an eine potentielle Delikatesse

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  13. Philip am 9. August 2009 at 17:49:

    Jungs… und Mädchen, es ist ja nett wie aufgeschlossen ihr seid.
    Aber mit dieser Diskussion, die bei mir anfangs zumindest auf Mischung aus Grusel und Interesse stieß, habt ihr mich echt so ein paar Essensbröckchen wieder hochwürgen lassen. Spätestens mit dem beigetragenen Video.
    uaaargl

    Ein Hoch auf die Weiterverwertung

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  14. Rudegirl am 7. September 2009 at 22:11:

    Hab jetzt nicht alles gelesen und ist eh ein uralter Blog, aber die eine Sache wollt ich noch klarstellen: Die Plazenta ist mitnichten die Deiner Sybille, sondern besteht aus kindlichem Gewebe. Macht das die Sache anders? Stellt Dich damit das Plazenta-essen auf eine Stufe wie Kronos oder meinetwegen den Frischling-verzehrenden Wildsau-Papa?

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