Reif für die Fleisch-Insel

Es ist wie mit dem halb leeren oder halb vollen Glas. Man kann Irland so oder so sehen – als immer graue oder immergrüne Insel. Je nachdem, ob der Blick nach oben oder nach unten geht.

Aber eines ist sicher – der Regen ist ein Segen. So sehr die Iren mit ihrem Regenwetter hadern, so froh sind sie im Grunde darum. Viel Regen bedeutet nämlich viel Gras. Richtig gutes, saftiges Gras.

Stellt man da Rinder und Schafe drauf, hat man schon vieles richtig gemacht, um richtig gutes Fleisch zu produzieren. Denn füttern braucht man die frei weidenden Tiere nicht. Abgesehen von den paar Winterwochen, wenn das Wetter gar zu garstig wird und man sie reinnehmen muss.

Die Angus-Boys lieben den Auftritt vor Publikum.

Ansonsten sind die Tiere dank mildem Golfstrom und gemässigtem Klima praktisch das ganze Jahr hindurch draussen. Und fressen nichts als dieses natürlich gewachsene Gras. Kost und Logis kosten den Farmer somit nahezu null.

Das ist nicht nur praktisch, das ist auch nachhaltig. Weil die Tiere nicht mit Getreide gefüttert werden, das man zuvor mit entsprechendem Energieaufwand anbauen muss. Mit anderen Worten: Dieses Vieh frisst niemandem das Essen weg. Die natürliche Weidekost führt dazu noch zu einem hoch aromatischen Fleisch.

Es ist eindrücklich. Dieses von einer Krise zur nächsten gebeutelte Land lebt zu einem grossen Teil vom Fleischexport. Rund 90% der Produktion geht ins Ausland. Und wir reden hier von einem Family-Business. 50% der Farmen sind Familienbetriebe mit durchschnittlich gerade mal 150 Tieren.

Die Gummistiefel borgen wir uns vom Farmer (der mit dem Houndstooth Cap). An die Krawatte für den Gang auf die Weide hätten wir selbst denken müssen.

Und ich? Ich darf mir das alles vor Ort anschauen. Ein Stubenhocker auf Studienreise quasi. Inmitten von Fleischprofis, vom Importeur Delicarna (den ich kommunikativ betreue) zum Grosshändler bis zum Feinkostmetzger, sind wir als Gruppe unterwegs zu Produzenten und Verarbeiter. Was bin ich für ein Glückspilz!

Das Programm ist allerdings nichts für Warmduscher. Wir landen spät abends in Dublin, kippen im Flughafenhotel ein paar Pints Kilkenny und stellen den Wecker auf Nullsechshundert. Am frühen Morgen geht es nach Waterford  in den Schlacht- und Zerlegebetrieb des führenden Fleischproduzenten abp.

Übrigens, Kilkenny Bier heisst eigentlich nur für den Export Kilkenny. In Irland heisst das Bier Smithwicks. Aber sprich das mal auf Deutsch aus. Eben.

Nach einer kurzen Firmenpräsentation folgt eine peinlich genaue Prozedur mit dem Ausfüllen von Gesundheitsfragen. Gefolgt von akribischen Sicherheits- und Sauberkeitsmassnahmen, bevor man uns weiss bekittelt, behelmt und gummibestiefelt in die gekühlten Hallen schleust. Ich fühle mich wie Jesse Pinkman auf dem Weg in die Welt der wirklich echten Profis.

Der Zerlegebetrieb ist ein perfekt strukturierter Ameisenbau. Das Tempo der hoch konzentriert arbeitenden Männer, die im Kettenschurz entbeinen und zuschneiden, ist respekteinflössend.

Dann beobachte ich einen, der sein Messer abzieht. Er stellt seinen Wetzstahl senkrecht auf die Arbeitsplatte und geht so nahe heran, als wolle er es auf Beschädigungen inspizieren. Aber dann setzt er das Messer an und zieht die säbelartig gekrümmte Schneide ab. Ganz, ganz langsam. Links, rechts. Links, rechts. Andächtig. Ein Samurai? Da kommt ihm das nächste Fleischstück auf dem Band entgegen und schni-schna-schnipp! ist das Ding pariert.

Ich hätte gerne ein paar Bilder veröffentlicht. Von den Karkassen. Von dem Typen auf dem Lift mit der verblendeten Riesensäge (einer der Wichtigsten, weil er die Karkasse exakt der Länge nach teilen muss). Oder der bösen, überdimensionierten Schere, mit denen man die Rinderhälften in Vorder- und Hinterviertel teilt.

Ich halte mich aber zurück. Nicht jeder mag, wie ich, darin die rohe Ästhetik sehen, wie sie andere in, sagen wir mal, Stahlwerken sehen. Hier werden schon mal Assoziationen an blutige Operninszenierungen von Skandalregisseur Calixto Bieito geweckt. Bloss, das hier ist keine Show. Und obwohl es zu unserer Kultur gehört, will es praktisch niemand sehen.

Ein wenig ziehe ich innerlich auch über die die Menschen her, deretwegen ich die Bilder zurückhalte. Ich meine diese heuchlerischen Susies, die schon beim Anblick von Tatar oder Markbein hysterisch kreischen. Die aber zu blöd oder zu blind sind zu fragen, woher ihr eingeschweisstes Schnitzel in der Selbstbedienung kommt. So viel sei verraten: Es wächst nicht auf Bäumen.

Die Iren haben die Hausaufgaben gemacht. Und sie haben eine Mission: Sie wollen eine Fleischerzeugung mit höchstmöglichen Standards in Punkto Nachhaltigkeit und Qualität.

Rib Eye – ein Hohrücken für höchstes Entzücken – ziehe ich jedem Entrecôte vor.

Dass sie auf gutem Weg sind, bezeugen zahlreiche internationale Auszeichnungen und Prämierungen oder das Nachhaltigkeitsprogramm Origin Green vom Lebensmittelverband Bord Bia, Irish Food Board. Auch die Spitzengastronomie schwört auf Irish Beef, wie man auf der Chef Sache gesehen hat, beim Bocuse d’Or 2013 noch sehen wird, oder beim Chefs‘ Irish Beef Club, der demnächst auch in der Schweiz gegründet wird.

Eine Besonderheit hat das Fleisch von abp, die andere nicht haben. Ihr Ultra Tender Beef hängt nach einem eigens entwickelten Verfahren ab: Der Stretching-Methode. Dabei wird die Rinderhälfte nicht am Fersbein, sondern am Schlossbein aufgehängt und gestreckt. Dadurch werden die Muskelfasern gedehnt und das Fleisch wird nachweislich zarter.

Leider konnten wir diese Zartheit in den wenigen Restaurants und Pubs in denen wir essen gingen, nicht geniessen. Diese Barbaren braten das Fleisch schlicht zu Tode. Denen wünsche ich einen übel gelaunten, bös verkaterten Gordon Ramsay an den Hals!

In Camolin gab es Einblick in den erstklassigen Betrieb von Irish Country Meats. Ein Spezialist für bestes Irisches Lamm. Darunter auch Bio-Zertifiziertes.

Die meisten Farmer haben übrigens weniger als eine Stunde Fahrtweg zu ihrem Schlachtbetrieb. Und es gibt auch so manche Familie mit etwas Land, die sich einfach so nebenher Rinder oder Schafe halten.

Im ländlichen Strassenbild sind deshalb immer wieder gewöhnliche Personenwagen zu sehen, die in einem kleinen Anhänger zwei bis drei Tiere zum Schlachthof fahren.

Wenn der Nordwind um die Ohren pfeifft, wärmt man sich am besten mit einem kühlen Guinness.

Die Reise war intensiv und lehrreich. Die irischen Erzeuger machen einen extrem reifen, verantwortungsvollen Eindruck. Man kann verstehen, dass sie stolz auf ihre Erzeugnisse sind. Und wer einmal in ein perfektes Dry Aged Côte de Boeuf beisst, weiss was ich meine.

Ich stehe ja schon seit Jahren darauf. Jetzt weiss ich auch, warum.

Hätte nicht gedacht, dass ich als erwachsener Mann noch Mal ein Gesicht machen würde wie ein Junge, der soeben ein feuerrotes Feuerwehrauto zu Weihnachten geschenkt bekommen hat.


19 Kommentare zu Reif für die Fleisch-Insel

  1. nata am 26. Oktober 2012 at 18:52:

    Gegen Ende der Geschichte musste ich fast weinen. Wie hält man das aus? Tagelang im Regen rumlaufen, dann halten sie einem ständig das feinste Fleisch unter die Nase, und schließlich servieren sie es durchgebraten?

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  2. Irene am 26. Oktober 2012 at 20:48:

    Spannend und auch ehrenvoll das zu besichtigen. Ich härmtet gerne das eine oder andere Bild gesehen, schon alleine weil die Instrumente speziell sind!
    Liebs Grüessli Irene

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  3. Wilde Henne am 26. Oktober 2012 at 22:40:

    Dein Gesichtsausdruck ist echt der Hammer. Dieser verklärte, überglückliche Blick – Du siehst echt aus, als hättest Du Weihnachten und Geburi zusammen. 😉
    Hätte ich wahrscheinlich auch mit dem Kotelettestück in der Hand.

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  4. lieberlecker am 26. Oktober 2012 at 23:26:

    Chef’s Irish Beef Club? Könnten die nicht den Beef Club in Zürich wiederaufleben lassen mit Deinem Lieblings Beef Stücken, natürlich inkl. Dry Aged bitte! Das wär bestimmt ein Erfolg.
    Aber anyway, schöner Beitrag – danke.
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

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  5. Mike am 27. Oktober 2012 at 01:01:

    Claudio. ich wartete ja schon auf den Beitrag. Mal ehrlich, solch Fleisch für die Schweiz? Für die paar „Hanseln“? Das muss doch nach Deutschland, am besten zu mir. Ich habe den Geschmack noch auf der Zunge, von damals, als es genau das Fleisch nur über den Umweg über Rungis Express gab. Das Filet haben wir mit dem Löffel gegessen, das Roastbeef mit dem Fischmesser. Aus Spaß, und weil es so richtig geil geschmeckt hat und an Zartheit kaum zu überbieten war. Dein Gesichtsausdruck ist mehr als angemessen.

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  6. Heike am 27. Oktober 2012 at 08:14:

    Mit der Krawatte auf der Kuhweide und Superfleisch durchbraten. Die verstehe wer will, die Iren…
    Vor kurzem war ich dabei, wie mein (deutscher) Metzger dry aged Rücken geschnitten hat. Der hat dabei ähnlich gestrahlt wie du. Und war auch ohne Krawatte 🙂

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  7. Magdi am 27. Oktober 2012 at 10:37:

    Gscheiter hätten sie dir eine Pfanne in die Hand gedrückt, dann wäre das Fleisch auch richtig gebraten worden:)Wir essen wenig Fleisch und das fast ausschließlich südtiroler Fleisch, vom Bauern den ich persönlich kenne, der ist auch froh, wenn ich ihm was abkaufe. Wenn ich jetzt ein irisches serviert bekäme, würde ich aber auch nicht nein sagen.

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  8. Claudio am 27. Oktober 2012 at 10:54:

    Nata, es war echt zum heulen. Auf der anderen Seite, Irene; kein Bild der Welt kann den Eindruck vermitteln wie es wirklich ist. Ich wollte es ja im Ärmel verschwinden lassen und rausschmuggeln, Wilde Henne, aber sie haben mich ertappt. Das Goodman in Zürich ist immerhin schon mal eine Alternative, oder das OX in Interlaken, das möcht ich demnächst gerne mal testen, Andy. Ach, die Schweiz isst euch doch das Fleisch nicht vom Teller, lieber Mike; Deutschland ist Importweltmeister von Irish Beef, frag mal den Metzger deines Vertrauens, der kann das bestimmt ordern. Und wenn sie dann noch Gälisch sprechen, ist eh Feierabend, Heike. Magdi, ich hatte dafür vorzügliche Sardinen, Fischsuppe und Seezunge in Irland ; hätte ich auch nicht erwartet.

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  9. Claus am 27. Oktober 2012 at 11:53:

    Ja wie jetzt? Durftest du nicht, oder wolltest du nicht? Das mit den Bildern mein´ ich. Deine Leser können dat schon ab…

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  10. Sebastian am 27. Oktober 2012 at 12:12:

    Ich würde auch die Bilder gerne mal sehen. Eine Irlandreise habe ich mir für nächstes Jahr auch vorgenommen; Unter anderem will ich dabei auch einen Freund besuchen, der seit etwa 6 Jahren dort einen kleinen Familienbetrieb (Schafe) übernommen hat…

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  11. Frenk am 27. Oktober 2012 at 15:02:

    „In Dublin’s fair city, where the girls are so pretty, I once set an eye on sweet Molly Malone…“
    Tja, mein lieber Claudio, da haben wir uns glatt um zwei Wochen verpasst. Schade.
    Colin hat uns dafür in eine typische Touristenknille geführt. Das Bier war super, der Live Sound auch. Aber der Food, na ja…
    Uncle Arthur’s Casserole war noch währschaft, aber das Fillet Steak war irgendwie aussen Brikett mit Schuhsohle innen. Da hat’s der emigrierte Italiener um die Ecke deutlich besser hingekriegt.
    Da wir dieses Jahr auch noch das gemeinsame Grillen verpasst haben, können wir uns ja zu einem herbstlichen Ossobuco vom Angus Boy verabreden.
    Cheers!

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  12. Claudio am 27. Oktober 2012 at 15:26:

    Ist ne Mischung aus Beidem, Claus und Sebastian: Sie haben mich fotografieren lassen, aber gebeten, verantwortungsvoll damit umzugehen – ich respektiere das und mein Gefühl sagt mir: Setze den Fokus woanders. Word Frenk! Das trifft den Nagel auf den Kopf: Aussen Brikett. Holy Mother of God, legen die das halb gefrorene Steak direkt auf Campingbriketts? Ossobuco klingt gut!

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  13. Alex am 28. Oktober 2012 at 14:03:

    Toller Bericht! Mal wieder absolut lesenswert. Auch ich würde ein Rib-eye dem Entrecôte bevorzugen. Oft bevorzuge ich ein Entrecôte sogar dem Filet, wenn es ein Entrecôte von hoher Güte ist. Im PLV ist das dann zusätzlich eine Wonne! VG
    Alex

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  14. Claudio am 28. Oktober 2012 at 18:20:

    Danke, Alex! Ich musste PLV googeln und bin auf so lustige Dinge gekommen wie PrimarlehrerInnen Verein Aargau oder publicité sur le lieu de vente. Welches von beiden meinst du?

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  15. jürg am 29. Oktober 2012 at 10:46:

    super claudio! . . . aber die bilder würde ich schon gerne sehen, markbeinverabscheuerInnen und heulsusen hin oder her!

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  16. Gabor am 1. November 2012 at 11:53:

    Find ich richtig, dass Du das ansprichst, Claudio

    Ich meine auch, dass da ziemlich viel geheuchelt wird; bzw. weggesehen, wo man täglich viel Ärgeres verantwortet.

    Weisst Du, was ich übrigens als Gipfel der Heuelei in Sachen Viehhaltung und -tod sehe?

    Diese vergifteten Stierkampfgegner, die glauben, dass sie dies aufgrund ihrer Tierliebe zu postulieren hätten.

    Während wohl kaum ein anderes Rind in ganz Europa traumhaftere Lebensbedingungen geniessen kann: Die DÜRFEN sich ja nicht an Menschen gewöhnen! Die müssen in ihren endlosen andalusischen Hügellandschaften ausschliesslich unter ihresgleichen weilen, weil sie sonst für die Arena „verdorben“ würden. Weiden und Abhängen mit der Clique ein Leben lang!

    Im Zuge der Corrida erwartet sie ein grausamer Tod. Sicher. Und auch nicht unbedingt meins, so ein Stierkampf. Im Gegensatz zu Schlachthof hat der Stier allerdings eine – wenn auch verschwindend kleine – Chance zu überleben; begnadigt zu werden und den Rest seines Lebens mit dem Begatten von Kühen zu zu bringen.

    Wieso da ein Leben im Mäst-Viehstall, samt krönendem Abschluss einer höchst unkomfortablen Schlachthof-Gruppenreise, besser sein soll („humaner“ ist als Wort in diesem Zusammenhang jeweils der dümmste Fehlgriff!), ist mir persönlich ein Rätsel.

    Da denk ich mir dann immer: Wie stellen sich diese Menschen den Lebensabend eines urtümmlichen Rindes vor? – Kartenspielen im Rinderklub? Und am Schluss begleitetes Sterben, mit ner philippinischen Krankenschwester, die dem Viecherl den Huf drückt?

    Also mich hätt der Schlachthof von innen interessiert.

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  17. Ragdoll am 11. Februar 2013 at 20:20:

    Toller Artikel. Ich hab sehr wiel gelernt.

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  18. Susanne am 3. Juli 2013 at 14:19:

    Lieber Claudio,

    unter all den Heulsusen und heuchlerischen Susies gibt es auch jene Namensträger, die sich ausschließlich vegetarisch ernähren und sich darüber im Klaren sind, woher die eingeschweissten Schnitzelpackungen der unaufgeklärten Fleischkonsumgesellschaft stammen. Daher würde ich dich bitten, u.a. meinen Namen gerade hier nicht stellvertretend für ignorante Hähnchen-Diät-Fanatikerinnen zu nennen – ich finde das haben alle tiefgründigen Susis nicht verdient 🙂

    Ich bin heute erstmals auf deinen Blog aufmerksam geworden und begeistert. Du hast eine wunderbare Sprache und die Kompetenz diese hier so einzusetzen, dass man nicht mehr davon ablassen kann deine liebevoll geschilderten Anekdoten zu lesen. Toll!
    Bin grad auf Internet-Recherche, da wir für unseren Kulinarischen Zirkel auch einen Blog erstellen wollen…

    Liebe Grüße,
    Susanne (Susi)

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  19. Irish Beef – dry aged Rib Eye | lieberlecker am 22. Mai 2016 at 06:02:

    […] Claudio mich anfragte, ob ich mitmachen möchte … habe ich allfälligen Widerstand gleich aufgegeben […]

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