Abrechnung auf Italienisch

Es ist der Moment, der die Stimmung eines ganzen Abends trüben kann.

Man wurde jovial bedient. Man hat vorzüglich gegessen. Und man hat sich blendend unterhalten (mit seiner Begleitung am Tisch und über die theaterreife Darstellung der anderen Gäste).

Und dann ist es gut und man möchte sich einfach nur erheben und zufrieden in die Nacht hinaus schreiten. Jetzt. Gleich. Noch rasch die Rechnung begleichen und los.

Aber da geht nichts. Weil der Service den Moment verpasst hat zu fragen, ob alle zufrieden sind, oder wünschen Sie noch was? weil sonst bringe ich Ihnen die Rechnung, wenn es recht ist.

Weil die Bedienung wie vom Erdboden verschluckt ist. Oder der Wink, ehm, die Rechnung bitte, nur von einem anderen Gast mit einem indifferenten Augenaufschlag quittiert wird, nicht aber vom Kellner. Wo ist er denn nur?

Ah, jetzt kommt er. Er kommt und sein Blick fliegt stoisch an einem vorbei, als wäre man eine ausgetrunkene Weinflasche, die man auch später abräumen kann.

Er ignoriert uns also. Bitte. Ist ja sein Trinkgeld das im Countdown dahinschmilzt, wenn das hier noch lange so weitergeht. Und das tut es. Nichts dauert so lange wie die unnütze Zeit, die man damit verbringt, endlich die Rechnung bestellen zu dürfen (beglichen ist sie ja damit noch lange nicht).

Darum liebe ich es so in Italien. In den meisten Osterie, Trattorie oder Ristoranti ist es Habitus «vorne» zu bezahlen. «Vorne», das ist Eingang-Ausgang-Bar-und-Kasse in einem. Und «vorne» kassiert der Chef. Niemals, die Person, die einen bedient hat.

Oft sitzt da auch die Besitzerin oder der Besitzer des Lokals. Oder das älteste Mitglied der Wirtsfamilie. Auf jeden Fall der Mensch, dessen Talent mehr in den Zahlen liegt, als am Herd.

Und sie wachen dort über die Kasse und das dicke Reservationsbuch und über die Bestellzettel, die der Service für jeden Tisch schon nach «vorne« gebracht hat, bevor man überhaupt den Gedanken ans Zahlen gedacht hat.

Und dann wird das letzte Kapitel des Restaurantbesuchs aufgeschlagen. Konzentriert und unterhaltsam zugleich. Der Chef widmet sich dem Besucher seines Hauses und erkundigt sich, ob alles recht war.

Heute nennt man das vermutlich, eine Beziehung zum Gast aufbauen oder ihm eine Wertschätzung, ein Erlebnis entgegen bringen. Aber eigentlich ist es nur das natürliche Interesse für sein Business, dass er schon seit einem halben Leben mit Leidenschaft betreibt.

Und dann lässt man die Bestellungen gemeinsam Revue passieren, kontrolliert Belege, als wäre man im selben Buchhaltungsteam. Natürlich schwadroniert man sogleich über Zubereitungsarten und Rezepte und lobt die eine oder andere Vorspeise. Orakelt, was orginale und tradizionale ist und schon immer war, und was Schnickschack.

Dann bekommt man, je nach Sympathie oder Höhe der Rechnung, ich weiss es nicht, noch einen auf den Weg. Limoncello für die Signora? Grappa der Herr? Der hier ist sehr schön. Nein? Lieber nicht Barrique. Dann der!

Jetzt ist noch Zeit, die Wand unter die Lupe zu nehmen. Ist das wirklich ein italienisches Phänomen? Diese Foto-Fan-Galerie an Prominenz, die mal den rotwangigen Besitzer, mal die strahlend hübsche Kellnerin umarmt?

Das bleibt natürlich nicht unbemerkt. Und der Besitzer kann jetzt noch beiläufig einflechten, dass er schon über zwanzig Jahre für den FC Milan kocht. Ja, sicher! Ich bin der Mannschaftskoch von Milan, glauben Sie nicht? Da, da und da! Er deutet auf Beweisfotos wie ein Commissario, der seinen Carabinieri das Mitgliedergeflecht einer Mafiafamilie erklärt.

Grosszügig werden auch gerne touristische Tipps gegeben. Oder – ganz selbstlos – verraten, wo man sonst noch gut essen kann in der Gegend. Und manchmal, da wird man sogar noch handfest beschenkt.

Wisst ihr was? Nehmt doch den Limoncello gleich mit, doch, Signora, der hat Ihnen doch so gut geschmeckt! Oder man bekommt ein kleines Kännchen Olivenöl, das der Schwager selbst produziert oder so ähnlich.

Und wieder hat man das Gefühl, hier sass niemand vor zwei Monaten mit dem Personal zusammen und hat sich eine Marketingaktion ausgedacht, wie man bei den Gästen besser in Erinnerung bleiben könnte. Nein, das passiert spontan. Einfach so.

Und da stehe ich drauf. Ach was, nicht auf die Geschenke. Auf das ganze Gebaren. Das ist so unnachahmlich Italien. Und vermittelt Grandezza. Weil, man kann mit der ganzen Gruppe zahlen gehen. Einer saldiert «il conto» und die anderen schauen sich Delikatessen, kulinarische Magazine oder Veranstaltungsflyer an während die anderen schon nach draussen gehen, um zu rauchen.

Man kann aber auch alleine «schon mal nach vorne zahlen» gehen, während Madame sich jede Zeit für den stilvollen Abgang nehmen kann.

Zahlen, wenn man bereit für den Aufbruch ist, und nicht, wenn der Kellner eine freie Minute hat. Und dann noch ein wenig parlieren und Sympathien – und nicht etwa lieblos hingeworfene Abschiedsfloskeln– austauschen.

Das ist ein Luxus, den ich gerne auch hier in Anspruch nehmen würde – und den Gastronomen als Massnahme zur Kundenbindung ans Herz lege.


15 Kommentare zu Abrechnung auf Italienisch

  1. Freundin des guten Geschmacks am 20. August 2013 at 09:34:

    Schöner Bericht und unglaublich wahr. Das ist auch mein Italien!
    Saluti Monika.

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  2. Theresa - where cooking meets lifestyle am 20. August 2013 at 10:44:

    Lieber Claudio,

    dein Bericht ist mal wieder wunderbar geschrieben und herrlich aus dem Leben gegriffen!

    Viele liebe Grüße, Theresa

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  3. Eva am 20. August 2013 at 12:43:

    Ja, es ist ein Jammer, dass es hier so lausig zugeht – ich gehe deshalb nur noch sehr ungern essen…

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  4. Andrea am 20. August 2013 at 14:35:

    Noch schlimmer, wenn man vom Bedienpersonal behandelt wird, als sei man eine lästige Fliege, und das in einem Restaurant, wo eine Vorspeise schon 20 Euro kostet. Da hilft nur aufstehen und gehen.

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  5. Julia am 20. August 2013 at 14:58:

    So true, Claudio.
    Und je greller das Neon-Licht, desto besser das Essen und herzlicher die Besitzer. Und jetzt hab ich Lust auf ein Bistecca.

    Herzliche Grüße,
    Julia

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  6. Magdi am 21. August 2013 at 09:59:

    Und habt ihr, wie fast alle Touristen, alle brav separat bezahlt? Das ist etwas das ich an den Italienern liebe. Es gibt ein „conto totale“ dann wird geteilt. Ganz egal wie viel jeder getrunken und gegessen hat. Einmal zahlst du mehr und einmal weniger. Es hält sich sowieso die Waage. Aber dich zähle ich nicht zu den Touris:)

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  7. Frenk am 21. August 2013 at 10:17:

    Genau so muss es sein.
    Ich zähle mich auch nicht unbedingt zu den typischen Touristen, aber mit der mancia (Trinkgeld) habe ich auch schon Mühe gahabt. In Rom etwa, bei der Fontana di Trevi, war das coperto schon 20 Euro, die Rechnung noch mehr gesalzen. Der cameriere mit weissem Hemd, schwarzem Gilet und Serviette um den Unterarm nahm das Trinkgeld (man will ja nicht kleinlich sein) – wohl durch die zahlreichen nordischen Besucher schon verdorben – mit stoischer Ruhe und einem etwas abschätzigen Ausdruck um die Augen (er gehörte definitiv nicht zur Besitzerfamilie).
    In Verona hingegen wurden wir im Il pompiere nach allen Regeln der kulinarischen Kunst verwöhnt. Ich war von dieser ausserordentlichen Bedienung derart angetan, dass ich beim Zahlen an der Theke eben mal 20 Euro für das Personal springen liess. Der verdutzte padrone schaute mich bloss entgeistert an und stammelte: „Ma perché, non capisco…
    Seitdem begleitet mich immer einwenig die Angst, eine brutta figura zu machen und mich als (wie peinlich) reichen Schweizer Touristen zu outen…;-)

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  8. Gabor am 21. August 2013 at 16:36:

    Super geschrieben, Claudio.

    Zu Magdi wollt ich noch sagen: Musste etwas grinsen, denn ich hab aufgrund der Meldung vermutet, dass Du, Magdi, aus Österreich bist mit diesem Statement.

    Mir scheint, es ist ein sehr österreichisches Phänomen, dass jeder ständig einzeln zahlen will und in Getränkebar-Gruppen nicht einfach mal Runden ausgegeben werden, die sich dann schon irgendwie ausgleichen.

    Die angesprochene Grandezza erlebe ich keineswegs nur in Italien. Der kleinliche Einzelrechnungsgeist dagegen scheint tatsächlich eine österreichische Eigenheit.

    😉

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  9. Claudio am 21. August 2013 at 17:24:

    Schöne Bestätigung einer Kennerin, danke, Monika. Grazie, Theresa, keep going! Ich sehe junge, auf Qualität fokussierte Gastronomen am Horizont, Eva. Oder man tut so, als hätte man Tourette, Andrea. Stimmt, Julia, die Qualität der Inneneinrichtung und die des Essens sind oft diametral entgegengesetzt. Also in der Schweiz, liebe Magdi und lieber Gabor, sind wir, glaub ich, Weltmeister im rappengenauen separat Zahlen. Hehe, Frenk, vielleicht hängen sie jetzt im Pompiere ein Bild von dir an die Promifoto-Wand!

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  10. Magdi am 21. August 2013 at 18:47:

    Lieber Gabor, ich bin eine Italienerin, zwar an der Grenze lebend, aber ich fühle mich der italienischen Kultur vielstärker verbunden, als sonst einer:)

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  11. queenofsoup am 26. August 2013 at 00:17:

    wenn der wirt behauptet, für den FC milan zu kochen, ist er selbstverständlich sofort als hochstapler zu entlarven. entweder AC milan oder inter mailand 😉

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  12. Andi am 27. August 2013 at 18:49:

    ciao claudio
    so nebenbei.. es gibt einen präzedenzfall: innerhalb von 20 minuten 3 mal beim service hörbar die rechnung verlangt… nix geht?… danke für’s gratis essen!

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  13. Claudio am 3. September 2013 at 23:56:

    Scharf hingeschaut, queenofsoup! Mein (Tipp)fehler, AC Milan. Und das ist sein Restaurant. Echt wahr, Andi? Chapeau!

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  14. Christian am 6. September 2013 at 08:50:

    So schön! Ich würde am Liebsten gleich wieder nach Italien fahren. In diesem Sommer war Frankreich dran, aber nach dem Artikel würde ich am Liebsten gleich durch den Gotthard nach Süden fahren!

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  15. Gunnar am 16. Oktober 2013 at 15:36:

    Bisher habe ich nur gute Erfahrungen in Italien gemacht. Aber warum gleich nach Italien fahren. In Deutschland gibt es auch top Restaurants. Hab hier eine Liste gefunden, wo die besten Restaurants mit mindestens 3 Michelin Sternen zu finden sind. Ich glaube nicht, dass man dort schlechte Erfahrungen macht.

    http://www.kurzurlaub.de/von-unseren-reise-experten/infografik-koch-duell-der-fernsehkoeche.html

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