Den Sonntag suchen und zulassen.

Wer keine Familie hat, die sonntags konsistent kocht, sucht sich eben seine eigene.

Im Mai habe ich schon über diesen Hot Spot alla Milanese geschrieben. Heute habe ich im «Aromando Bistrot» in Mailand das zu einer neuen Tradition erkorene traditionelle Sonntagsmenü genossen.

Für 38 Euro gibt es einen vorzüglichen Viergänger inklusive Wasser und Caffè:

Zum Auftakt werden auserlesene Salumi serviert. Heute waren dies eine zwei Jahre gereifte Pancetta – ein Bauchspeck von unglaublich schmelzig-würziger Konsistenz, der es locker mit feinstem Lardo aufnehmen kann.

Dazu reinste Schweinefleisch-Salami, die über eineinhalb Jahre reifen durfte.

Sommelier Savio Bina ist ein perfekter Gastgeber mit wohldosiertem Charme. Seine Stärke ist aber seine narrative Seite, die er gerne und durchaus handfest auslebt, wenn man ihn in die Richtung anschubst.

Bei einem wissenshungrigen Gast wie mir kann das leicht ausufern und meine Familie auf eine harte Geduldsprobe stellen.

Gut, dass sie sich mit der wahrscheinlich besten Mortadella, die uns je serviert wurde, ablenken können.

Handwerklich und nach einem traditionellen Rezept hergestellt. Und so gar nicht mit grossen Fettaugen gespickt, wie industriell hergestellte Mortadella. Und vor allem ohne Pistazien «che non c’entra niente, il pistacchio!» die nichts verloren haben da drin.

Es folgen die unumschiffbaren Cappelletti in Brodo. Eine gehaltvolle Brühe mit frischer Pasta ist der Anker jeder italienischen Sonntagsküche. Hier in Perfektion in der grossen Suppenschüssel, zum selber Nachschöpfen, aufgetischt – und zum Eintauchen in Kindheitserinnerungen, Tradition und tröstlicher Zufriedenheit.

Die Grundlage der komplexen Bouillon – die zusammen gekochten Fleischsorten – werden sodann zum Hauptgang als Bollito misto auf einer Platte mit Suppengemüse, Mostarda, Salsa Verde, Mayonnaise und Schalottenjus aufgetragen.

«Was haben wir denn da alles Schönes ?» frage ich, und rate: «Perlhuhn, Hühnchen, Cotechino-Wurst, Rippe, Zunge und Bäckchen vom Rind und vermutlich Kalb?»

«Kalb?» wiederholt er mit verstörtem Blick. «Kalb? Absolutes Nein! Kalbfleisch verwenden wir  niemals! Aus Prinzip nicht. Dieses Tier hat kaum gelebt, das Fleisch kaum Kraft und dann soll man es schlachten? Nein, dagegen verwehren wir uns also wirklich entschieden.»

Auf die Gefahr hin, dass ich mich hier wiederhole: Ich liebe Gastronomen mit einer dezidierten Haltung!

Seine Frau Cristina eröffnete unseren Söhnen bei der Getränkebestellung milde aber bestimmt, dass sie keine Süssgetränke von ihr bekommen.

«Wir unterstützen keine industrielle Getränkeindustrie. Wollt ihr stattdessen einen frisch gepressten Fruchtsaft?»

Ihren hausgemachten Apfelkuchen, von dem man sich selbst schneiden darf, lieben wir alle.

Den erfüllenden Sonntagslunch lassen wir uns gute vier Stunden gefallen.

Ich entlocke dem Vintage-Porzellan-Aficionado Savio Einkaufstipps in Milano und unterhalte mich über Produzenten, Tischkultur oder Kochbücher und frage ihn beiläufig: «Welches deiner Olivenöle schmeckt dir nun besser, das sizilianische oder das apulische?»

«Hm, darüber habe ich gerade letzte Nacht mit meiner Frau gesprochen …» «Moment, Moment!» werfe ich ein, «du unterhälst dich nachts echt mit deiner Frau über Olivenöl?»

«Mein Gott, hab ich das wirklich gesagt?» entfährt es ihm. «Ich bin wirklich ein Spinner!» lacht er.

Ja, ich auch. Da haben sich wohl zwei gefunden. Wir sind zwar nicht verwandt. Aber irgendwie gehören wir derselben Familie an!


8 Kommentare zu Den Sonntag suchen und zulassen.

  1. Andreas Gradert am 4. November 2013 at 02:28:

    Nicht verwandt – aber die selbe Therapiegruppe – ich kenne das Gefühl. 🙂

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  2. patrick am 4. November 2013 at 09:01:

    Allein schon die Einrichtung, das Geschirr-Patchwork … einfach herrlich!!!

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  3. Gregi's Bistro am 4. November 2013 at 20:39:

    Es gibt in fremden Städten wohl nichts schöneres, als ein solches Lokal entdecken zu dürfen. Weder Gault Milliau noch Yelp können dieses Erlebnis bieten. Mit offenen Augen und mit ein wenig Glück kriegt man auf dem Teller ganz viel Glück zurück. So ist es mir in Berlin ergangen, wo ich zwei wundervolle Frühstückskneipen entdecken durfte (http://gregisbistro.wordpress.com/2012/11/01/fruhstuck-in-berlin-ii-bistro-bar-bateau-ivre/ oder http://gregisbistro.wordpress.com/2012/10/31/fruhstuck-in-berlin-cafe-bistro-1900/)

    Jetzt bin ich mal wieder so crazy, dass ich direkt in meine Geburtsstadt reisen will. Milano, ich komme 🙂

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  4. Claudio am 4. November 2013 at 23:53:

    Hat nebst den komischen Nebenwirkungen ja auch unheimlich Tröstendes, nicht, Andreas? Patty, du würdest während dem Essen ganze Bände an Skizzenbüchern füllen! Weil jeder entdeckt es auf seine eigene Art, Gregi, das liebe ich ja besonders – und das kann dir kein Restaurantführer vorwegnehmen, wie du richtig bemerkst.

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  5. Hesting am 7. November 2013 at 14:31:

    Das liest sich wirklich wie ein Traum.
    Apfelkuchen in der Gugelhupfform kommt mir mutig vor, ich fürchte, das muss ich nachmachen.
    Und Suppenschüsseln – oh Kindheitserinnerung! – meine Einkaufsliste für die nächste Dult ist gerade gewachsen. (München hat Wetter wie im Mai, aber es sind trotzdem noch 7 Monate.)

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  6. capitan am 8. November 2013 at 22:25:

    NEID! Purer Neid!

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  7. stefan am 10. November 2013 at 12:21:

    Ahhh, mit der Frau nachts über Ölivenöl diskutieren… Ich bin ehrlich sowas von neidisch 😉
    Und und diese Salumi! Zum Glück geh ich schon bald in die lombardische Hauptstadt.

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  8. Claudio am 10. November 2013 at 21:52:

    Neid bringt euch nicht weiter, Jungs. Holt euch das Flugticket nach Milano! Es ist in der Tat traumhaft, Hesting.

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