Schlicht ist perfekt genug

Noch vor dem Frühstück diese Film-Delikatesse dank einem Post von Shoko Kono auf Facebook angeschaut und jetzt für den Rest des Tages magisch angetan.

Abgesehen von der Hingabe, der Freude und der Demut, mit der hier Essen zubereitet und eingenommen wird, beeindruckt mich einmal mehr, dass viele Japaner anscheinend wie niemand sonst es verstehen, sich auf einen einzigen Bissen zu konzentrieren.

Die ganze Aufmerksamkeit auf dem Teller gebührt diesem einen, einzelnen Gang. Nicht nur bei Sushi. Mit oft nur einem Bissen oder einer Hauptzutat auf dem Teller. Nichts soll davon ablenken. Keine Beilagen. Keine unnötige Garnitur.

Die verschiedenen Zutaten werden nicht einfach wie es gerade kommt oder beliebt untereinander gemischt, sondern einzeln aufgetragen. Oder ganz präzise aufeinander abgestimmt. Aus einer handwerklichen Tradition. Aus einer regionalen Verwurzelung. Und zurückhaltend gewürzt. Oft nur mit einem Hauptaroma. Nichts wird in Sauce ertränkt.

Und irgendwie muss ich dabei auch immer an westliche Spitzengastronomie denken und Vergleiche dazu anstellen. Obwohl mir das gar nicht ansteht. Ich bin nicht berufen, das zu beurteilen. Und ich will die Leistung und Kreativität auch keinesfalls misswürdigen.

Und doch. Wie albern und streberhaft kommen mir dabei gewisse Kompositionen vor. Diese essbaren Landschaften mit den unausweichlichen Kresseblättchen (viele davon kommen alle vom selben Produzenten – aus Holland).

Diese babylonischen Türmchenbauten auf den Tellern. Dieses hoch kompetitive Abzielen auf noch komplexere, noch kompliziertere und noch krasser kontrastierende Gerichte.

Warum dieses Obsessive bei jedem Gang? Müssen wirklich alle nur erdenklichen Texturen unbedingt in jedem Gang abgebildet werden? Alle diametral maximal auseinanderliegende Aromen, Säuren und Süssen „harmonisch“ aufeinander abgestimmt werden?

Sind wir denn wirklich so hyperkinetisch essgestört, dass uns Essen langweilt, weil es all diese Spitzen nicht hat? Weil es, wie es der Erzähler im Film beschreibt, einfach nur im Mund schmilzt. Muss denn wirklich jeder Bissen im Mund explodieren, damit er nicht als banal abgetan wird? Kann nicht auch einfach nur die Perfektion der Schlichtheit kulinarisch überzeugen?

Und dann diese angesagten Gastronomiekonzepte – die ich zwar sehr liebe, ich gebe es zu, weil ich die Reduktion liebe und nun mal leider nicht einfach so schnell nach Japan zum Essen reisen kann kann – wie zum Beispiel das Dos Palillos in Barcelona. Aber die ja im Grunde nur die japanische Kultur nachäffen.

Mit ihren Dashis, Sashimis, Tatakis und Ponzus. Würde mich nicht wundern, wenn die Japaner sich darüber nerven oder ihren von schlichten Köstlichekeiten gefüllten Bauch vor Lachen halten müssen.

Und dann denke ich wieder, sei doch einfach froh, dass die kulinarische Welt zusammenwächst. Dass sich Esskulturen ergänzen und bereichern. Dass wir lernen, Wert auf gutes Essen und sorgfältige Zubereitung zu legen und dabei auch Neues und Spannendes entsteht. Dass kulinarisches Wissen geteilt und zugänglich gemacht wird.

Hashtag: Wieder mal aufgewühlt und ratlos in Sachen Esskultur.


8 Kommentare zu Schlicht ist perfekt genug

  1. Claus am 14. Dezember 2013 at 17:32:

    „Hashtag: Wieder mal aufgewühlt und ratlos in Sachen Esskultur.“ !!! Geht mir ständig so. Die Opern-Teller sind überhaupt nicht mehr meins. Vielleicht kapier ich das aber alles auch nicht…

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  2. Claudio am 14. Dezember 2013 at 21:26:

    Danke, Claus, ich geh jetzt ein Bier trinken. Magst mit?

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  3. lieberlecker am 14. Dezember 2013 at 22:23:

    Wenn die Japaner etwas richtig machen, dann machen sie es extrem richtig!
    Auf youtube findet sich auch ein Documentary über „Jiro“ dreams of sushi – Unbedingt anschauen!!!
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

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  4. lamiacucina am 15. Dezember 2013 at 06:48:

    wie wahr ! mit dem aktuellen Trend, jeden Gang in einem Menu mit Aromen, Farben und Texturen und Kresse vollzupacken, bewirken die Köche das Gegenteil von dem, was sie beabsichtigen: Auf jedem Teller dieselbe Langeweile. Hübsch arrangiertes Kuddelmuddel. Mehr nicht.
    Spannung über ein ganzes Menu lässt sich nur erzielen, wenn man sich bei jedem Gang auf das Wesentliche konzentriert: ein Produkt, eine Machart, ein vorherrschendes Aroma mit maximal 2 zusätzlichen, unterstützenden Aromen. Früher war eben doch alles noch besser 😉

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  5. Claudio am 15. Dezember 2013 at 11:39:

    Mein kulinarischer Lieblingsfilm, Andy! Hast du gesehen, wie geduldig der über 50-jährige Sohn die Noriblätter räuchert? Und wie er, obwohl er bei seinem Vater arbeitet, seit er 16 ist, behauptet, er sei noch lange nicht soweit, das Restaurant zu übernehmen? Robert, ist es nicht auch so, dass neben den wirklich herausragenden Spitzengastronomen es die ganz einfachen Restaurants sind, die sich so auf Schlichtheit konzentrieren? Das Gros in der Mitte ist eigentlich der grosse Haufen, der sich in Mittelmässigkeit verzettelt.

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  6. Simon am 15. Dezember 2013 at 22:09:

    Anregend. Danke.

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  7. capitan am 17. Dezember 2013 at 12:53:

    der westen hat sich auch schon übers sushi hergemacht und es eingemeindet. in Hamburg finden sich nur noch wenige die keine soßen, remouladen und ähnliches drüberkippen und es im einerlei ersäufen. schrecklich.

    aber wo ich schonmal hier bin: thunfisch gehört vom teller! der ist nämlich dank der westlichen und vor allem östlichen fress- und genusssucht beinahe ausgerottet.

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  8. Greg am 10. Januar 2014 at 15:13:

    Sehr schön erleben kann man die japanische Esskultur auch im Sala of Tokio in Zürich (leider teuer). Früher oder später muss ich aber mal hin, ins Ursprungsland, nach Japan. Davor bräuchte ich dann aber noch ein paar Tipps, wo-was-essen im Land der aufgehenden Sonne. Wer war schon mal dort?

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