Schmetterlinge im Bauch.

Melissa Kelly

Lebt ihren «Farm-to-Table»-Traum: Melissa Kelly aus Rockland, Maine.

Das Thema «Discover THE Best from the West» steht beim St. Moritz Gourmet Festival 2017 im Zentrum. Zehn Spitzenköche aus den Vereinigten Staaten präsentieren eine Woche lang ihre herausragenden Kochstile und zeigen vielfältige Facetten der nordamerikanischen Küche. Vom New Yorker Superstar mit Schweizer Wurzeln Daniel Humm aus dem Dreisternerestaurant Eleven Madison Park bis zur Spitzenköchin Melissa Kelly, die im kleinen Ort Rockland im Bundesstaat Maine das Primo Restaurant und die dazugehörende Farm mit grossem Gemüseanbau und vielen Tieren betreibt.

Auf ihre Gerichte und Kochphilosophie habe ich mich besonders gefreut. Alleine das Videoportrait auf ihrer Website ist so berührend, dass man sofort die Koffer packen und zu ihr reisen möchte.

Die zweifache Gewinnerin des James Beard Awards «Best Chef: Northeast» ist in Long Island aufgewachsen. Ihren ersten Kochunterricht erhielt sie in der Küche ihrer italienischen Grossmutter. Von ihr hat sie die liebevolle Zubereitung frischer Zutaten aus dem eigenen Garten übernommen. Prägend war auch ihr beruflicher Werdegang in namhaften Restaurants. Besonders die Zusammenarbeit mit Reed Heron im Restaurant Lulu und mit der legendären Alice Waters im Chez Panisse: «Ich hatte meinen eigenen Stil noch nicht gefunden, als ich dort anfing. Aber hinterher wusste ich, was für mich wichtig war: Einfachheit, Saisonalität und Frische». Melissa Kelly und ihr Partner Price Kushner haben während der letzten 13 Jahre den Hof des Primo auf viereinhalb Morgen erweitert. Was mit einem Gewächshaus, einem zwei Morgen grossen Biogarten und zwei Schweinen begann, umfasst heute Masthähnchen und Haushühner, Enten, Perlhühner und neun Schweine. Während der Hauptsaison kommen rund 80 Prozent aller Zutaten, die in der Primo-Küche verwertet werden, vom eigenen Hof.

Im Nira Alpina konnte ich einige ihren Signature Dishes geniessen. Darunter ihre Version von «Saltimbocca», dem Lieblingsgericht ihres Grossvaters, das sie ihm immer zubereitet hat. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, was ihre Passion antreibt und woher sie die Energie nimmt, gleichzeitig Farmerin und Spitzenköchin zu sein.

Du hast italienische Vorfahren.
Ja! Aus Bologna. Mein Grossvater kommt aus Bologna.

Primo?
Ja, das ist sein Vorname. Er war Metzger und liebte es, gut zu essen. Ich habe mein Restaurant nach ihm benannt: Primo Restaurant.

Ich habe gelesen, dass du in Bologna in einem Restaurant gegessen hast, das „Quanto basta“ heisst. Weisst du, was das bedeutet?
Ich bin mir nicht sicher, ist es eine Mengenangabe?

Genau, es ist meine liebste Mengenangabe, es bedeutet: So viel wie nötig. Wenn man eine italienische Nonna fragt, wie viel Mehl nimmst du für die Pasta? wird sie antworten, ich weiss nicht, so viel wie es halt braucht. Wie weisst du, wie viel von was nötig ist?
Tja, also, weisst du, meine Art zu kochen ist Farm-to-Table. Ich betreibe eine kleine Farm mit Tieren, viel Gemüse, Kräutern, Bienen. Ich denke mal … wie viel ist nötig? Meine Antwort darauf ist, so viel wie du schaffen kannst! Für meinen Teil zumindest. Weil es immer so busy ist. Es gibt immer so viel zu tun: Vom Anpflanzen, über die Pflege bis zur Ernte und was wir dann aus den frischen Zutaten tatsächlich zubereiten wollen. Das entscheiden wir immer sehr kurzfristig, täglich, damit wir das Beste aus dem machen können, das gerade verfügbar ist. Ich lebe in Maine, das Wetter ist dem hier ähnlich. Da kommt es auch immer darauf an, wie die Jahreszeit sich entwickelt, wenn es schon früh Schnee gibt, vielleicht im November, dann wird es im Garten schwierig.

Seid ihr alle im Farmbetrieb involviert?
Wir haben ein dediziertes Gartenteam, aber die Küche ist natürlich auch miteinbezogen, es ist nicht deren Priorität, aber wir sind alle täglich involviert.

Das führt zur unvermeidlichen Frage, woher nimmst du die Energie? Ich meine, du kümmerst dich sprichwörtlich um jedes Detail und dann reist du auch noch in die Schweiz um zu kochen!
Das stimmt, ich versuche wirklich alle Details abzustimmen. Es ist einfach pure Leidenschaft die mich vorantreibt, mein Restaurant, unsere Lebenseinstellung. Ich bilde viele junge Köche aus und ich liebe einfach was ich tue. Ich koche seit 30 Jahren und ich liebe es noch immer täglich zu kochen. Ich glaube, die Produkte inspirieren mich. Meine Studenten, meine Kinder …

Du hast Kinder?
Oh, nein, ich meine, meine Kinder in der Küche, ich nenne meine Auszubildenden Kids, sie sind wie Kinder!

Viele empfinden die kulinarische Welt als immer lauter – du bist eher das Gegenteil.
Ich bin diesbezüglich definitiv old fashioned, ich meine, so wie ich die Dinge angehe. Diese ganze Celebrity-Seite an meinem Beruf ist mir persönlich nicht so wichtig. Es ist natürlich fantastisch, an Events wie diesen hier in St. Moritz teilzunehmen, all die grossartigen Köche zu treffen – besonders auch die Schweizer Köche, die uns hier vor Ort unterstützen, sind unglaublich. Dann trifft man auch Freunde, mit denen man schon zusammengearbeitet hat, freut sich über das Widersehen und man schliesst neue Freundschaften. Es ist auch sehr schön, wenn die eigene Arbeit ausgezeichnet wird. Auf der anderen Seite muss man hart daran arbeiten, um die eigene Reputation aufrecht zu erhalten. Schlussendlich jedoch gilt meine Priorität meiner Farm, meiner Küche, meinen Gästen. Ich versuche fokussiert zu bleiben, zu wachsen, zu lernen, weil; es ist endlos, Food und Wein und Reisen sind endlos. Es gibt noch so viel zu entdecken. Das fordert mich heraus, das begeistert mich – mir ist jedenfalls nie langweilig!

Du hast einmal über die italienische Sensibilität zu Kochen gesprochen und wie diese dich anspricht. Wie definierst du die?
Ich würde mal so sagen: Auf den Punkt saisonal, auf die Region lokal. Wenn man in Italien von Ort zu Ort fährt, merkt man sehr schnell, wie sich die Gerichte und Zutaten verändern. Dieselbe Käsesorte schmeckt da ein bisschen anders als dort, die Pastaform ist vielleicht traditionell in dieser Stadt aber nicht in der nächsten, die Zubereitung der Gerichte variieren je nach Region. Ich schätze das sehr. Diese Verwurzelung mit der Region. Auch wie sie über Essen denken, wie etwas zelebriert wird, ein Gericht oder ein Produkt, weil gerade die Jahreszeit dafür ist. Man erzwingt es nicht, mit Zutaten zu kochen, die gerade nicht verfügbar sind. Weisst du, wenn Tomaten da sind, super, dann essen sie Tomaten. Ich mag das, generell im Leben, wenn man die Dinge zu nehmen und zu schätzen weiss, wenn die Zeit, der Moment reif ist dafür. In USA läuft das anders, und ich denke hier ist es ähnlich, weil wir ja Food rund um den Globus schippern, wir sind heute sehr verwöhnt. Ich kann Trüffel aus Frankreich bekommen, Olivenöl aus Sizilien, wenn ich ein spezielles Gewürz aus Marokko wollte, könnte ich einen Anruf machen und am nächsten Tag hab ich das Gewürz. Es kostet was, aber es ist möglich. Und was dann passiert ist, wenn man an einen Ort reist, hat man nicht mehr das authentische Essen, das eigentlich mit dieser Region verwurzelt ist. Ich lebe in Maine, am Meer. Und von da werden unheimlich viele Krustentiere und Fische exportiert. Jakobsmuscheln gehen nach Las Vegas. Maine Heilbutt geht nach L.A. oder Chicago und dann kann es sein, dass ich keine Jakobsmuscheln aus Maine mehr erhalte, weil sie ausverkauft sind, und obwohl ich vor Ort lebe hat es nicht genug für uns, das ist zuweilen absurd.

Die andere Lautsein in der kulinarischen Welt ist, dass jeder behauptet, ich weiss was gutes, gesundes, zeitgemässes und so weiter Essen ist. Was ist für dich gutes Essen?
Ich persönlich bevorzuge sehr simples Essen. Nummer eins ist die Qualität der Zutat. Technik, also das Handwerk, ist sehr wichtig, dass man die Dinge richtig und gekonnt verarbeitet und zubereitet. Dass der Geschmack stimmt, dass die Balance beim Würzen und Abschmecken stimmt. Aber … und natürlich soll es nett angerichtet sein. Weil, wenn ein Gericht gut aussieht, bekommt man Appetit bevor man überhaupt davon gekostet hat. Aber für mich ist es nicht wichtig, etwas zu kreieren im Sinne von dekonstruieren und neu interpretieren. Ich mag klassische Gerichte, denen ich eine persönliche Handschrift mitgebe. Deshalb ist Molekulargastronomie nie mein Ding gewesen. Ich mag Lebensmittel nicht zu sehr verändern, man soll erkennen, was man isst. Wenn du schöne Produkte hast, lass sie für sich selbst sprechen.

Es gibt diese Einstellung im Video auf eurer Website, wo ihr ganze Fische in diesen riesigen Holzofen schiebt, Brot, Fleisch, das sieht sehr archaisch und wahnsinnig sinnlich aus.
Ja, wir lieben es mit Holz zu feuern und mit Feuer zu kochen. Wir haben ja unsere eigenen Hühner und schlachten die auch selbst, wir holen jeden Tag frische Eier aus unserem Hühnerstall und das kann man schmecken, wie frisch die sind …

Aber gewisse Dinge bereitet ihr doch bestimmt auch sous-vide im Wasserbad zu?
Ja, definitiv. Ich versuche aufgeschlossen zu sein gegenüber neuen Kochtechniken. Wenn es für mich Sinn macht, setze ich sie auch ein. Wenn du am Ende ein besseres Produkt hast, okay. Ich muss zugeben, ich hab mich am Anfang etwas geziert, sous-vide zu kochen, weil es mich störte, Lebensmittel in einem Plastikbeutel zu garen. Aber ein junger Sous-Chef hat es letztendlich – er war ziemlich hartnäckig, muss ich sagen – geschafft, mich zu überzeugen und das Resultat war denn auch sehr überzeugend. Weil Textur und Geschmack wirklich besser waren. Wir machen zum Beispiel unsere Wurstwaren selbst, wie Mortadella, und die bereiten wir sous-vide zu, weil dadurch kein Fett verloren geht, das macht sie saftig und delikat.

War es eine grosse Herausforderung, ohne deine eigenen Produkte hier am Festival zu kochen?
Es macht einen Unterschied, ja. Es gibt gewisse Dinge, die für mich ungewohnt sind, aber Florian Mainzger, der Küchenchef im Nira Alpina hat einen super Job gemacht, alle Zutaten zu beschaffen, die ich brauche. Und es war so lustig, weil unsere Korrespondenz umfasst so viele E-Mails, er schickte mir zum Beispiel Bilder von Shrimps, um sicher zu gehen, ist das die richtige Grösse? Farbe? Form? Das ging hin und her für jede einzelne Zutat. Und ich sagte ihm, ich möchte so viele Zutaten wie möglich aus der Region verwenden, weil wir ja bei uns auch so arbeiten, und er fand dann dieses grossartige Fleisch von Weideschweinen aus dem Engadin und so weiter – er hat seine Hausaufgaben wirklich gemacht!

Was macht einen guten Küchenchef aus?
Das wichtigste ist, du musst Feuer und Flamme sein für deinen Beruf. Weil es sind unheimlich lange Tage und du arbeitest zu komplett anderen Zeiten als deine Freunde, bis in die Nacht und auch am Wochenende. Das kann manchmal schwer sein. Mein Arbeitstag dauert im Schnitt 16 Stunden. Sechs Tage die Woche. Da gibt man manchmal gewisse Dinge auf. Muss. Das macht es schwierig, heute Leute zu finden, die bereit sind, mitzuarbeiten. Die Kids, die heute ab der Schule kommen, sehen diese Starköche im Fernsehen und denken sich, cool! das will ich auch, ich werde auch ein Superstar. Aber sie wollen nicht dafür arbeiten. Sie wollen den Beruf nicht lernen. Sie schauen sich ein paar Videos auf dem Smartphone an und denken, sie wissen Bescheid. Also, zu meiner Zeit musste man 15 Jahre in der Küche arbeiten, und ich meine: arbeiten, kiloweise Kartoffeln schälen und so, bevor man irgendeinen Status hatte. Man musste den erfahrenen Köchen zuschauen und von ihnen lernen. Diese Fertigkeiten kann man sich nicht anlesen. Du musst etwas mit deinen Händen tun. Hundert mal. Bis jeder Handgriff sitzt.

«Melissa spricht es nicht aus. Aber mit ihrer Haltung, selbst anzupacken, hart zu arbeiten, Freude an Produkten und am Kochen zu haben, ist sie ein grosses Vorbild für uns. Sie inspiriert uns und reisst alle im Team mit, geht voraus und lebt den anderen vor, was einen guten Chef ausmacht». So formuliert es Jenna Sprafkin, langjährige Köchin bei Melissa, die mit ihr in St. Moritz kocht und uns am Tisch begrüsst.

Was ist Liebe?
Was ist Liebe? Aufs Essen bezogen oder generell?

Deine persönliche Definition.
Liebe macht dir Schmetterlinge im Bauch. Macht dich glücklich. Erregt dich. Liebe ist etwas, wofür du alles tun würdest. Ob es jetzt um jemanden geht oder um etwas, das du liebst, das dir Vergnügen bereitet. Das kann Food sein, das kann eine Person sein, das kann ein Sonnenuntergang sein, einfach etwas, das dir ein warmes Glücksgefühl gibt.

Den Auftakt bei Melissa Kelly’s Gourmet Dîner machen herzhafte Rillettes, ein Aufstrich aus Schweinefleisch, das mich an elsässische Landgasthäuser denken lässt. Dazu gibt es warmes, unheimlich luftiges «French Bread», was in Wahrheit ein zarter Windbeutel ist.

Danach folgt ein Salat mit leicht bitterem Chicorée, frischen und karamellisierten Feigen, kandierten Orangen, die gleichzeitig süss und bitter schmecken, Mandeln und knusprig gebratene Pancetta. Das Ganze angerichtet auf einer Gorgonzolacreme. Wir merken: Das ist geschmackvoll, reichhaltig und alles andere als Pinzettengastronomie.

Der nächste Gang mit bretonischer Jakobsmuschel wird begleitet von Kaviar, rohem Blumenkohl, einer Blumenkohl-Pannacotta und einem intensivem Kräuterschaum.

Rund und geschmeidig schmecken die mit Sepiatinte gefärbten Linguine mit scharfem Tomatensugo, Broccolicreme und gegrilltem Calamaro.

Im Hauptgang dann die berühmten Saltimbocca, Nonno Primo’s Leibspeise. Kelly verwendet dafür am liebsten Schnitzel vom Schweinerücken. Sie serviert die kurz gebratenen Scaloppine mit einem Purée aus Kartoffeln und geröstetem Knoblauch, gedämpftem Spinat, Prosciutto und einer intensiven Reduktion aus Madeira und Pilzen. Grossartig.

Als Dessert – sehr italienisch im Weinglas serviert – ein korpulenter Karamellpudding mit Rosmarinbuttergebäck und frischen Krapfen.

Leider kann ich keine guten Bilder vom Essen zeigen. Es war schlicht zu dunkel. Dafür gibts ein blendendes Selfie mit mir und der reizenden Spitzenköchin.

Melissa Kelly Claudio Del Principe


Ein Kommentar zu Schmetterlinge im Bauch.

  1. Das Rezept - Splendido Magazin am 20. Februar 2017 at 17:41:

    […] Geheimformel für das Gelingen einer Sache angeben, als: Mach so, wie es dir gefällt? Sowohl bei Claudio del Principe von Anonyme Köche, als auch auf der Seite einer Bloggerin namens Peppinella las ich von dem Ausdruck Quanto basta […]

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