Wer schön sein will, muss leiden. Wobei einem Leid oft von aussen zugefügt wird.

Martin Suter bittet zu Tisch. Gesitzt wird allerdings auf Kissen und gegessen mit den Händen. Man darf gespannt sein: Es gibt aphrodisischen «Love Food» – molekularfrisiert.

Natürlich ist sein neuester Roman «Der Koch» (Diogenes) Pflicht. Keine Frage. Schliesslich träumt man als Werbetexter davon, dem ehemaligen Werbetexter Suter nachzueifern und eines Tages ebenfalls einen Roman zu veröffentlichen.

Und dann erst noch mit einem Koch als Titelfigur!

Dieser Koch, der tamilische Asylbewerber Maravan, arbeitet vorerst unter seinem Niveau als Tellerwäscher in einem Zürcher Sternelokal. Als er gechasst wird, bahnt sich Kraft seiner befreiten Begabung so etwas wie eine glanzvolle Tellerwäscherkarriere an.

Aber obwohl das Catering für Liebesmenüs, das seine ehemalige Arbeitskollegin Andrea mit ihm aufzieht, boomt, will so partout kein Glanz aufkommen.

Daran sind aber nicht Maravans verwegene wie geniale Rezepte Schuld, sondern äussere Umstände. Und genau dort setzt Suter seine stärksten Instrumente an: Seziert Statusdünkel, demaskiert Dekadenz und legt Befindlichkeiten bloss. Für diese Gabe muss man ihn lieben.

Kritiker monieren, Suter verzettle sich im Roman mit der Verstrickung von Finanzkrise, Waffenhandel und Bürgerkrieg in Sri Lanka oder der Anspielung auf allerlei Aktualitäten. Dem kann man entgegenhalten: Ja, wir verzetteln uns doch auch. Seit die Finanzmarktkrise, einem schwarzen Loch gleich, alles zu schlucken scheint, was nicht niet- und nagelfest ist.

Statt sich auf das eigene Leben zu konzentrieren, inhalieren wir, gelähmt wie der Hase vor der Schlange, die täglichen Hiobsbotschaften und verknüpfen sie mit dem eigenen Schicksal. Da eine Pandemie, hier ein Beben, dort Entlassungen, Skandal rechts, Blamage links. Wir kommen einfach nicht vom Fleck. Alle und alles ist immer gegen uns.

So sind auch die Romanfiguren auf unangenehmste Weise irgendwie voneinander abhängig. Und machtlos, die Dinge so zu beeinflussen, wie sie sie gerne hätten. Dieser nüchterne Blick auf den Lauf der Welt stellt Suter wie eine trübe Tasse hin und lässt uns Bitterkeit schlürfen.

Dafür nippen wir da und dort an seinem trockenen Humor und geniessen die präzisen (teils sehr helvetischen) Bilder, die Suter einmal mehr zeichnet (Kritiker sagen, Suter bediene Klischees, anstatt Figuren herauszuschälen. Sagen wir, Suter braucht dazu keine seitenlange Texte – ein treffender Satz reicht).

Aber was wird eigentlich gekocht? Suter liebt offensichtlich exotische Rezepte und ist fasziniert von der Molekularküche. So lässt er Maravan die Kochkunst Sri Lankas, in die ihn seine Grosstante eingeweiht hat, wirkungsvoll in die angesagte Präsentationsform übersetzen.

Durchaus leidenschaftlich und fundiert. Die Rezepte basieren unter anderem auf den Büchern von Heiko Antoniewicz und sind als Anhang zum Roman für Experimentierfreudige aufgelistet.

Maravan nimmt man Handwerk und Aufrichtigkeit ab. Auch wenn einem so manches aus der Molekularküche als ziemlich aufgeblasener Modegag vorkommt. Ungefähr so wie diese T-Shirts mit Schulterpolstern, die jetzt wieder in sind.

Und selbst Suter macht sich einen Spass daraus, die überkandidelten Kreationen Huwylers, dem ehemaligen Arbeitgeber Maravans, implodieren zu lassen:

[„Mariniertes Makrelenfilet auf seinem Fenchelherzbett mit Bärlauchsabayon“, verkündete sie. Keiner der beiden Herren blickte auf seinen Teller, beide hatten nur Augen für die Frau, die sie gebracht hatte. Nur Huwyler starrte auf die Bärlauchsabayon, die als grüner Schleim den ganzen Tellerboden bedeckte.]


14 Kommentare zu Gelesen: Martin Suter, Der Koch

  1. Eline am 10. März 2010 at 14:24:

    „Der grüne Schleim“ am Anfang des Romanes hat mir auch gut gefallen, hatte ich diesen in ähnlicher Form ja auch schon auf manchem Restaurantteller. Später im Roman ist der Blick auf die molekulare Küche etwas distanzlos begeistert. Ich kann mich mit den beschriebenen Gerichten nicht anfreunden, gerade weil ich tamilische Küche sehr liebe. Kalten gelierten Curry möchte ich nicht essen müssen! Suter schreibt wie Suter und das gefällt manchen Literatur-Hochnasen nicht, er ist ihnen zu sehr Werbetexter und Journalist. Ich mag das. Und die Hintergrundinformationen zu Sri Lanka ist rund um die tamilische Gemeinde in Zürich gut angeordnet. Da ich einen tamilischen Freund habe, der in der Gastronomie arbeitet, war ich von der Figur Maravans besonders berührt. Für mich einer der besten Suter.

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  2. Claudio am 10. März 2010 at 15:16:

    Geht mir auch so, Eline. Das Bild des aufrichtigen, freundlich-emsigen tamilischen Arbeiters in der Schweiz hat er haargenau getroffen. Ich sehe nur noch Maravans, wenn ich durch die Stadt gehe! Ja und dank der Hegemann relativieren wir die Meinungen der Literatur-Hochnasen doch recht entschieden, nicht wahr?

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  3. Filuzi am 10. März 2010 at 15:27:

    „Statt sich auf das eigene Leben zu konzentrieren, inhalieren wir, gelähmt wie der Hase vor der Schlange, die täglichen Hiobsbotschaften und verknüpfen sie mit dem eigenen Schicksal. Da eine Pandemie, hier ein Beben, dort Entlassungen, Skandal rechts, Blamage links. Wir kommen einfach nicht vom Fleck. Alle und alles ist immer gegen uns.“

    Danke- würd ich mir am liebsten in Kreuzstich gestickt über den Schreibtisch hängen 🙂

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  4. fressack am 10. März 2010 at 15:32:

    Dann lest meinen Bibelspruch des Tages.
    Ihr werdet getröstet werden.

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  5. Herr Paulsen am 10. März 2010 at 16:54:

    Ah, sehr schön Claudio danke, die Schweizer Sicht auf das Buch hat mich schon sehr interessiert!

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  6. Claudio am 10. März 2010 at 20:25:

    Gerne, Filuzi. Wäre ich des Kreuzstich-Stickens mächtig, würde ich mich jetzt vielleicht an die Produktion von Weihnachtsgeschenken machen. Vielleicht auch mit diesen Bibelsprüchen, mehr davon, fressack! Hoffe, die Erkenntnisse sind aufschlussreich, Stevan, deine Rezension ist wieder einmal vom Feinsten!

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  7. mipi am 10. März 2010 at 21:39:

    Molekularküche ist zwar nicht so mein Fall. Deine Rezension macht dennoch Lust auf das Buch.

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  8. Magdi am 11. März 2010 at 08:30:

    Ich habe fast jedes Buch von Suter gelesen und war von allen begeistert. Leider hatte sein Film „Giulias Verschwinden“ bei den schweizer Filmpreisen einen Durchhänger. Wer weiss warum?
    In mein momentanen Buch „Die Eleganz des Igels“ wird die französische Küche durch den Fleischwolf gedreht.I

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  9. Kirsten am 11. März 2010 at 12:47:

    Ich kenne den Roman nicht, finde aber Deine Rezension höchst interessant. Auch wenn ich, ehrlich gesagt, der Molekularküche nichts abgewinnen kann, scheint das Buch dennoch sehr lesenwert zu sein.

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  10. Claudio am 11. März 2010 at 21:24:

    Genau, Mipi und Kirsten, man kann für diesen Roman auch schwärmen ohne die Molekularküche anzubeten. Ja, Magdi, wenn man das wüsste, worans liegt. Ich habe beide Filme noch nicht gesehen, wobei mich Lila Lila natürlich mehr interessiert. Der Igel klingt auch ganz interessant, aber jetzt habe ich gerade mit „Der Bauch von Paris“ von Emile Zola begonnen …

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  11. kekstesterin am 14. März 2010 at 18:59:

    Suter hat mir in der Vergangenheit einige leckere Stunden am Lesetisch bereitet. Letztens habe ich ihn und seinen Humor im Kino wiederentdeckt. In einer Werkschau Daniel Schmids bin ich endlich über „Beresina oder die letzten Tage der Schweiz“ gestolpert. Giulias Verschwinden hingegen hat mich enttäuscht, vielleicht war er mir zu sehr angepriesen worden?

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  12. Mike am 15. März 2010 at 09:16:

    Paskaran hieß mein tamilischer Bekannter und Tellerwäscher (sic!). In den 80er Jahren in Bad Harzburg gab es eine ziemlich große Truppe von tamilischen Asylbewerbern, die von unserem Staat zwar unterstützt wurden, aber keine Arbeitserlaubnis bekamen (so bekloppt geht es hier manchmal – auch zunehmend öfter – zu). Ich stellte ihn trotzdem ein, da für diese Arbeit anderes Personal nicht zu bekommen war. Ist verjährt, puhh. Ich hatte ihn gedrängt, doch einmal etwas für uns zu kochen. Etwas Typisches aus seiner Heimat. Hat er dann auch gemacht, mit eigenen Gewürzen. Ich durfte nicht zuschauen. Für fünf Personen gab es erst einmal eine Riesenplatte mit Unmengen Reis. Dazu eine Minischüssel mit geschnetzeltem Fleisch in einer bräunlichen Soße. „Toll“, dachte ich so bei mir,“essen wir uns halt an Reis satt. Zur Not kann ich ja noch ein Schnitzel braten“. Aber: Es hat hammergeil geschmeckt! War irrsinnig scharf (deshalb der viele Reis), und Paskaran beteuerte, das sei die milde Variante für die deutschen (italienischen und jugoslawischen) Gaumen. Leider hat mir Paskaran nicht verraten was da alles drin war. Muss ich halt jetzt das Buch vom Suter lesen.

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  13. Claudio am 15. März 2010 at 17:18:

    Herrlich, Mike, dann empfehle ich dir die Lektüre von Suters Buch wirklich dringend!

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  14. Martin Suter: Der Koch | Die deutschen Bestseller am 17. April 2012 at 23:24:

    […] Auch der Foodblog “Anonyme Köche” hat sich mit Suter befasst […]

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