Falsche Zeit, richtiger Ort

Genau, nichts rauswerfen. Schon gar nicht Geld für schlechtes Essen.

Vielleicht war es aus Vorfreude auf die bevorstehende Reise ins Piemont.

Eins nach dem anderen kullerten klassische Musikstücke aus dem iTunes Store auf meinen iPod, als wären es Pop-Songs. Was sie tatsächlich längst sind, dank Untermalung unzähliger Filme und Werbespots. Nun sekundieren sie die vorbeiziehende Landschaft aus dem Zugfenster in Richtung Süden.

Claire de Lune – Claude Debussy
Tarantella (Il Padrino) – Nino Rota
Waltz No. 2 – Dmitri Dmitriyevich Shostakovich
Duo des Fleurs (Lakmé) – Léo Delibes
Promenade Sentimentale – Théodore Dubois
Va, Pensiero (Nabucco) – Giuseppe Verdi
Preludio Atto 1 (La Traviata) – Giuseppe Verdi
Adagio in G Minore – Remo Giazotto
Adagio for Strings – Samuel Barber

Die Region Vercelli hat mich auf eine «Educational Tour» eingeladen. Das Konsortium Riso di Baraggia DOP, sowie diverse regionale Organisationen unternehmen gemeinsam grosse Anstrengungen, Land, Kultur und Produkte bekannt zu machen. Allem voran den erstklassigen Reis.

Einzigartig auch deshalb, weil Reis aus dieser Region, im Gegensatz zu anderen Reisanbaugebieten in Italien wie der Lombardei oder des Veneto, über die geschützte Ursprungsbezeichnung DOP verfügt, genauer die Sorten: Arborio, Baldo, Balilla, Carnaroli, S. Andrea, Loto und Gladio.

Wie naturbelassen, gesund und absolut wertvoll Reis im Ursprung ist, wird einem immer besonders bewusst, wenn man eine Magenverstimmung hat. Weisser Reis ist dann das Leichteste, Zarteste und doch Nahrhafteste, was du deinem Körper zuführen kannst. Und DOP heisst auch, einen Reis zu bevorzugen, der für eine garantiert kompromisslos hohe Qualität bürgt.

Wirklich aussergewöhnlich jedoch sind die Menschen dieser Region. Sie sind etwas karg. Wie ihre Böden. Schon der Name «Baraggia» steht für unkultiviertes, wenig fruchtbares Land. Dass die Bauern diesem sauren Boden den besten Reis abtrotzen und zudem den größten Umschlagsplatz für Reis in Europa betreiben, zeigt, wie zäh diese Zeitgenossen sein müssen.

Riso Amaro (Bitterer Reis), ein Klassiker des Italienischen Neorealismus wurde in diesem Gebiet gedreht. Schade, dass wir zwar pfundweise Prospektmaterial mit schönen Bildern in die Hand gedrückt bekamen, aber keinen Reisbetrieb oder die filmreife Kulisse mit den bepflanzten Feldern zu sehen bekamen.

Das lag natürlich auch an der Saison: «Ihr seid leider zur falschen Jahreszeit gekommen», wurde uns in typisch italienischer Unbekümmertheit beschieden. «Im Mai stehen hier alle Felder unter Wasser. Ein stahlblauer Himmel und der Monte Rosa spiegeln sich darin – es ist spektakulär – das muss man gesehen haben!»

Dass sie die Agenda für Besuche dieses Naturspektakels setzen, ist ihnen anscheinend zu wenig bewusst. «Na ja, ihr kommt dann einfach noch Mal im Mai, dann werdet ihr schon sehn.»

Sinn für Humor musste man auch bei der Unterkunft zeigen. Wer des Italienischen mächtig ist, geht mit gemischten Gefühlen in ein Hotel, das «Bettola» heisst: Spelunke. Das war es zum Glück überhaupt nicht, aber dafür ausserhalb einer vernünftigen Reichweite zum netten Zentrum von Vercelli. Immerhin gab es aber auch keinen Internetanschluss.

«Bedaure, wir haben kein Wireless», sagte die nette Receptionistin. «Ich kann Ihnen ein Telefonkabel geben, aber ich weiss nicht, ob sie es wissen: Das ist sehr, sehr langsam. Ansonsten können sie gerne unseren Computer benutzen. Allerdings erst nach 21 Uhr, wenn der Nachtportier die Reception übernimmt.»

Den Piemontesern haftet das Klischee der Kauzigkeit an. Ich weiss nicht, ob die das wissen, aber man macht sich sehr, sehr schnell einen Reim darauf. Ausserdem sagt man, sie seien «falsi cortesi», unaufrichtig höflich. Das finde ich gar maliziös und das geht wohl auf die Zeit zurück, als ihnen die Savoyer ein Minimum an höflichem Gebahren oktroyierten. Aber irgendwie tut sich der Italiener ja im Allgemeinen schwer, mit ungeschminkter Offenheit.

Ein Kenner und «Pate» der Reisregion zeigt mir, wie schön die Baraggia zur richtigen Jahreszeit wäre.

Irgendwie tun sie sich immer noch schwer damit. Als wir in Gattinara die Kellerei Nervi besuchten, kühlte man unser vitales Interesse über eine Stunde mit Theorie im Weinkeller runter anstatt es mit einer Degustation zu erwärmen. Der hat vielleicht Nerven dieser Nervi! Er weiss eben leider zu gut, wie gut sein Wein ist.

Und auch wenn nicht immer alles wie am Schnürchen oder nach unserer pingeligen Vorstellung abläuft, lieben wir Italien doch eben genau wegen solcher Anekdoten.

Im Keller von Nervi bleibt kein Auge trocken – dafür die Kehle.

Dem lustigen doch etwas gehetzten Küchenchef der Hotelfachschule, die im Anschluss an die nicht stattgefundene Weindegustation auf dem Programm stand, konnte ich dann immerhin ein paar Wahrheiten zum Thema Risotto abkaufen:

Besser Schalotten, als Zwiebeln verwenden, sie sind eleganter // Soffritto geht sowohl mit Schalotten als auch mit Knoblauch // Tendenziell Schalotten mit Butter, Knoblauch mit Olivenöl («Battu») kombinieren // Niemals Knoblauch und Schalotten mischen (tut das gut, ich predige das schon lange!) // Weisswein wird prinzipiell nur verwendet, um mit der Säure einer fettigen Zutat (z.B. Lardo) entgegenzuhalten // Ist der Soffritto fettarm (z.B. für weissen oder Gemüserisotto) oder wird gar Olivenöl statt Butter verwendet, kann Weisswein zu aufdringlich sein // Es braucht ohnehin nicht zwingend ein Soffritto, oder Fett, um einen Risotto zu starten, die «tostatura», das zwingende Erwärmen der Reiskörner kann sogar auf dem blanken Topfboden vorgenommen werden // Weitere Zutaten wie Gemüse, Fleisch- oder Fischsaucen können problemlos in einem zweiten Topf zubereitet werden und erst zum Schluss unter den Risotto gemischt werden – Risotto ist nicht gleich Eintopf! // Für Rotweinrisotto wird der Rotwein immer erst in einem separaten Topf reduziert, mindert Alkohol und Säure // Sahne ist verpönt, für die «mantecatura», das Einrühren der letzten Zutat vor dem Servieren wird meistens Grana oder anderer Käse verwendet, manchmal in Kombination mit kalter Butter // Ständig Rühren? Nein, volle Konzentration ja.

Zu Essen gab es reichlich, von erschreckender Simplizität und Güte, z.B. zehn Gänge und mehr, inklusive der obligaten Bagna cauda, carne battuta, Pasta, Risotto, Brasato al Barolo usw. Das Aufregendste war ein Reisgericht aus der Region Vercelli: Die «Panissa». Die klassischen Zutaten sind: Carnaroli-Reis, Schalotten, Borlottibohnen, Rotwein (z.B. Barbera), Lardo und/oder Schwarte, ein regionaler Salami namens «Salam d‘la duja» und Grana Padano.

Muss man gegessen haben, Panissa: Ist sie zu derb, bist du zu posh.

Carlo Zaccaria vom gleichnamigen Reisproduzenten aus dem benachbarten Biella bereitet in diesem Video eine zu. So einen Typen und seinen Betrieb hätte ich gerne besucht. Ach, ich glaube, ich muss im Mai doch noch einmal hierhin kommen.

Dann lohnt sich vielleicht auch der Rundflug über die Baraggia, den die Gastgeber als Programm-Highlight gesetzt hatten. Nur eben, wir sind zur falschen Zeit hier: «Jetzt seht ihr natürlich so gut wie nichts!».


17 Kommentare zu Falsche Zeit, richtiger Ort

  1. Magdi am 15. März 2010 at 12:34:

    Und das alles mit einem Bärenhunger kurz vor dem Mittagessen. Ich bin selber Schuld, warum schaue ich bei dir um diese Zeit auch noch rein? Ich würde alle, wirklich alle Gerichte essen und probieren. Jetzt geh ich kochen!!

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  2. susanne am 15. März 2010 at 15:10:

    wie sie sehen, sehen sie nichts! heinz erhardt

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  3. daniela@lart-devivre am 15. März 2010 at 15:10:

    „Für Rotweinrisotto wird der Rotwein immer erst in einem separaten Topf reduziert, mindert Alkohol und Säure.“ > Das werde ich mir hinkünftig zu Herzen nehmen. Danke für den Tipp!

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  4. Eline am 15. März 2010 at 16:32:

    Jetzt wollte ich gerade über Handelskammer-Einladungen lästern, bei denen man sich über Prospektmaterial statt Betriebsbesichtigung und Weinvortrag statt Verkostung nicht wundern sollte (zumindest wenn die italienische HK der österreichischen ähnelt) – und plötzlich ist sie verschwunden, die Handelskammer.
    Immerhin gab es dann doch was Handfestes zu Essen und die Risottotips sind ja auch was wert!

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  5. Claudio am 15. März 2010 at 17:16:

    Na, du findest in deiner Region wenigstens die Zutaten für all diese schönen Gerichte, Magdi. Das kostet mich ungleich mehr. Sehr schönes Zitat, susanne. War für mich auch eine neue Erkenntniss, daniela, und im Nachhinein wieder einmal so logisch. Ja, hab den Text nochmals überarbeitet, Eline. Waren mir einfach zu viele Ämter und Kammern und zu wenig Lesevergnügen.

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  6. lamiacucina am 15. März 2010 at 17:33:

    allein die Risottotips waren die Reise wert.

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  7. fressack am 15. März 2010 at 18:17:

    Da bin ich ja froh, dass ich – wohl intuitiv – mein Risotto korrekt zubereite.
    Den Wein mische ich übrigens mit der Brühe und lasse das leicht köcheln. So verhindere ich, dass das/der Risotto sich erschreckt.

    Hat die genannte „Salami d’la duja“ etwas mit der kalabresischen „Nduja“ zu tun, dieser italienischen Variante der Sobrasada?

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  8. Claudio am 15. März 2010 at 22:27:

    Klar, Robert, und eine Reise ist immer eine Reise wert, allein damit man mal wieder verreisen kann. Aber wem sag ich das, du bist ja jedes Wochenende auf Achse. Klar, fressack, die köchelnde Brühe ist das A und O. Kenne alle drei Würste nicht genauer, aber ich habe jetzt bald eine Stunde auf dem Web mit Recherche verbracht – faszinierend! Das charakteristische am Salame d’la duja ist, dass die Wurst im Schweineschmalz gelagert/gereift wird. Unser Freund Carlo hat einen zweiten Clip auf youtube, in welchem er eine Panissa kocht, @ 0:30 kannst du einen Blick auf die Salami erheischen: http://bit.ly/a9KbRl

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  9. Oliver Trific am 15. März 2010 at 23:09:

    Ein herrlicher Bericht.

    Wenn ich mir das Foto der Panissa anschaue, frage ich mich (wie auch sonst oft): wieso wird Risotto in Deutschland immer zu trocken serviert? Ich habe ein Risotto mal so feucht rausgeschickt und bekam es mit der Bemerkung zurück man hätte keine Reissuppe bestellt! Und der Mut nicht noch tausend Dinge drauf zu packen, sondern die Geschmacksträger im Reis MIT ZU GAREN! (Das tue ich bei meiner Variante mit Birne Radicchio und Taleggio auch das mit garen, ist nicht besonders hübsch aber Mann, der Reis schmeckt,) Aber es scheint man erwartet in deutschen Restaurants was zu gucken, da man sich mit dem Geschmack eh nicht so wirklich auskennt…

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  10. Claus am 16. März 2010 at 09:55:

    Knobi und Schalotten nicht gemeinsam im Risotto? Warum denn nicht? Kellereibesuch ohne Verkostung – das ist die Höchststrafe!!!

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  11. Claudio am 16. März 2010 at 10:40:

    Danke, Oliver und ja, du hast absolut recht, mir ist es auch schon aufgefallen: Dieses übertriebene Vollpacken von Tellern mit 17 weiteren Highlights. Woher diese Erwartungshaltung kommt? Ich sage nur, FERNSEHKÖCHE! Danke für dein Mitgefühl, Claus, mir blieb tatsächlich ein wenig die Spucke weg. Das mit der Schalotten-Knoblauch-Ausschluss-Regel ist nicht ganz einfach zu erklären. In Italien scheint es wie selbstverständlich. Für meine Begriffe gibt es zwei Gründe: 1. Der Italiener lässt so viel wie möglich weg, um einen möglichst geraden, klar identifizierbaren Geschmack in seine Gerichte zu bekommen (das gilt eigentlich für alle Gewürze, man konzentriert sich möglichst auf eines). 2. Es gibt viele italienische Gerichte, die ganz explizit das eine oder andere hervorheben, als Beispiel Spaghetti Aglio e Olio für Knoblauch oder eben Risotto, der hauptsächlich mit Schalotten oder Zwiebeln zubereitet wird.

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  12. Ellja am 16. März 2010 at 15:58:

    Wer macht denn überhaupt Knoblauch in ein Risotto? Ich noch nie. Und in welches? Viel zu dominant!

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  13. Claudio am 16. März 2010 at 18:27:

    Deine Einstellung gefällt mir, Ellja. Aber bedenke: Ein Risotto allo scoglio (Cozze, Vongole, Gamberetti, Moscardini, Seppioline), als Beispiel, schreit geradezu nach der Dreifaltigkeit aus Olivenöl, Knoblauch und Petersilie. Mit Butter/Schalotte wärst du da arg auf dem Holzweg.

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  14. Gabor am 16. März 2010 at 20:22:

    Hihi… Schön den Bericht eines anderen Secondo zu lesen, mit dem der Schweizer im Ausland durchgeht.
    Ich kann´s nur zu gut verstehen, denn es passiert mir hier im Osten allzu oft.
    – Nicht wahr, geschätzter Claudio? Im direkten Vergleich sind wir in gewissen, zutiefst helvetischen Dingen, halt wirklich zu echten Bünzlischwyzer geworden.

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  15. Claudio am 16. März 2010 at 20:39:

    Es ist doch so: Man will sowohl von beiden, als auch für beide Seiten nur das Beste!

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  16. Anonyme Köche » Blog Archive » Weitere Eruption um Risottomythen am 27. April 2010 at 21:16:

    […] zubereiten: Schalotten in Butter weich schmoren. Den guten Reis aus Vercelli , zum Beispiel «Baldo», dazugeben und „auf Temperartur“ bringen bis er glasig […]

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  17. wern am 7. September 2011 at 21:22:

    Wer macht denn überhaupt Knoblauch in ein Risotto?

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