Liquidierte Esskultur

Zwei Basler Bahnhof-Restaurants sind gegessen: «Sakura» und «L‘Escargot».

Einem Liquidator stünde der Name Schwarzenegger gut. Aber Hoss finde ich auch nicht schlecht. Hiess nicht der Dicke fürs Grobe bei Bonanza Hoss? Hoss! Das klingt nach Nägel mit dem Handballen einschlagen, nach Kronkorken mit den Zähnen aufbeissen. Ein Hoss fackelt nicht lange, der gibt mächtig Sporen!

Heute also hat die Liquidation der beiden gastronomischen Traditionsbetriebe begonnen. Erstaunlich gesittet, muss man sagen. Zum Glück war es keine Gant, diese Art Versteigerung verströmt meistens die Anziehungskraft von Aasfressern.

Das Inventar ist akkurat aufgereiht und gewissenhaft preisbeschriftet. Das Personal des Liquidators, es sind mehrheitlich Frauen, ist freundlich. Keine Verkäufer vom Typus Kiesplatzgebrauchtwagenhändler.

Wozu ein Sakemischer auch immer dient, heute hätte ich einen kaufen können.

Sie sind in servile Haushaltsschürzen gekleidet und mit altmodischen Quittungsblöckchen ausgerüstet. Sie geben geduldig Auskunft (noch – der Verkauf dauert schliesslich drei Tage), da und dort sind sie zu Spässchen oder auch zu mildem Feilschen aufgelegt.

Bezahlt wird bei der freundlichen Kassiererin am Ausgang, herzlichen Dank, hier bitteschön, danke, einen schönen Tag noch, danke, bitte!

Das japanische Restaurant «Sakura» war bei der Eröffnung vor 19 Jahren das erste seiner Art in Basel. Denn es bescherte der Stadt neben exotischer Kochkunst auch eine gastronomische Attraktion: Einen Teppanyaki-Grill.

Drumherum sassen die Gäste erwartungsvoll, liessen sich brav Lätzchen umbinden und schauten mit warmglänzenden Kinderblick wahlweise dem Zappeln des fernöstlichen Kochs oder der Garnelenschwänze auf der heissen Platte zu, um sodann die köstlichsten Happen gekonnt auf edles japanisches Porzellan balanciert zu bekommen.

Noch kühner war jedoch der andere Teil des Restaurants, das Yakitori. Dort wurde nämlich „normales“ japanisches Essen aufgetragen. Von echten(!) Japanern. Die Beziehung zwischen Gast und Bedienung war nicht immer unbefangen. Zu schleierhaft schien anfangs die Auffassung, wer was von wem erwarten durfte.

Und konnten sich die Köche im Teppanyaki in zenmeisterliches Schweigen hüllen, musste das Servicepersonal im Yakitori die Zunge locker machen. Das liebte ich besonders! Wenn Sushibestellungen mit «ei-maa Zütschi, okee!» quittiert wurden, der Salat zu «Sarada» mutierte oder wenn man beim Verlassen des Lokals auf Schweizerjapanisch «Adya mit ananda, Tanga scheen!» verabschiedet wurde.

Das Essen war solide und die Qualität über jeden Zweifel erhaben. Es waren die ersten Entdeckungen von Tempura (und dem frittiergeruchfreien, hochknusprigen Tempurateig aus dem Sakura werde ich noch bittere Tränen nachweinen), heller japanischer Sojasauce, Miso, Teriyaki, Udon, Glacé von roten Bohnen oder Grüntee, japanischem Senf, Shiitake, in Sake gedämpten Fischen, Shabu-Shabu, eingelegten Pickels, feinstem, zartestem Tofu, Kirin Bier.

Als Souvenir habe ich mir Sakefläschchen mit den passenden Gläschen gekauft.

Dazu einen feinen – ich schätze, es ist eine 3000er-Körnung – schon deftig abgerockten Wasserschleifstein. Leider fehlt mir das dazupassende Sushimesser in Damaszenerstahl. Aber das ist okay, ich koche ja auch kein Sushi.

Das Restaurant «L‘Escargot» hingegen eröffnete schon 1964. Es entstammt der Handschrift des legendären Gastronomen Emil Wartmann.

Und es passte an diesen Fleck wie die Faust aufs Auge. Denn just entlang dieser letzten Gebäudezeile verläuft die Grenze zwischen dem Schweizer Bahnhof SBB und der französischen Gare SNCF. Eine Kuriosität, die ich als Kind nie zu entschlüsseln vermochte – wie kann man auf französischem Boden stehen, wenn man sich noch mitten in Basel befindet?

Für uns war es das Sonntagslokal. Sonntag hiess damals noch, dass meine Schwiegermutter in spe „frei“ hatte und nicht zu kochen brauchte. Ja, am Sonntag ging die Familie auswärts essen. Komme was wolle.

Man stieg hinab ins Souterrain, ins Schneckenhäuschen, bestellte ein halbes Dutzend Escargots aux herbes, ass Filet Café de Paris mit pommes alumettes, trank einen Pommard, zum Café Armagnac und tauchte erst wieder auf, wenn es draussen schon wieder dunkel war.

Was genau ist eigentlich mit uns geschehen? Gesellschaftlich-gastronomisch gesehen. Warum ist es heute so schwer, sonntags ein gutes Restaurant zu finden das offen hat? Und noch viel schwerer – Gäste zu finden, die das offene Restaurant dann auch aufsuchen? Schlurfen sonntags wirklich alle lieber im Trainer zwischen Sofa und Brunchtisch hin und her?

Hans Berchtold, der sich mit seiner Berchtold Gastronomie AG, die bisher die Bahnhofgastronomie inklusive «Sakura» und «L‘Escargot» betrieb, nach 23 Jahren aus dem Bahnhof Basel SBB zurückzieht, könnte viele Gründe aufzählen. Angefangen vom Taktfahrplan der SBB über den Feldzug der Take-Aways bis zum Verlust von echtem Genussbewusstsein.

Und noch so einige Wirteweisheiten dazu. Ich sollte wohl ein Buch mit ihm schreiben. Denn vielleicht wird Wirt wer nichts wird, wie der Volksmund sagt, aber dieser Mund bleibt oft staunend offen, wenn Wirte ihre witzigen Abenteuer und Legenden erzählen.

Ich kann nur feststellen: Ich wusste nicht, dass die Schliessung eines Restaurants so traurig machen kann. Und heute waren es gleich zwei auf einmal.

Wir wissen ja alle, auf was man gut kochen lernt. Eben.

Habe ich nicht mein halbes Leben auf eine Batterie «Le Creuset» Saucenpfännchen gewartet? Jetzt sind sie weg. Ein gemeiner Schnäppchenjäger hat schon zugeschlagen.

Wäre verlockend gewesen, zuhause mal für 54 Personen Schnecken zu servieren.

Merke: Wenn hinter den Kulissen solche Schilder hängen, kann das Restaurant nur gut sein.

Beste, gusseiserne Röstipfännli von Kuhn Rikon. Jede Kartoffel dürfte sich glücklich schätzen, hier drin sterben zu dürfen.

Diese Übersetzung von SOS ist so frei wie die deutschen Übersetzungen von amerikanischen Filmtiteln. Einer meiner Lieblinge geht so, amerikanisch: Black Eagle. deutsche Übersetzung: Red Eagle.

Wer träumt nicht davon: Spülbecken mit Tisch und Aufsatz für 480 Franken. Dagegen sieht doch jeder Flatscreen – flach aus.


16 Kommentare zu Liquidierte Esskultur

  1. Magdi am 30. Oktober 2010 at 08:51:

    Der Dicke von Bonanza hieß Hoss, das ist richtig. Wir sind nie viel auswärts essen gewesen. Probier das mal mit 7 Kindern. Ganz davon abgesehen, müßtest du von vornherein schon bestimmen was bestellt wird, sonst geht dir die Bedienung nach der Aufnahme der Bestellung an die Gurgel, würde dich die Rechnung entgültig flach legen. Allerdings ist es schade, dass solche Lokale schließen müssen. Gastronomie ist kein leichtes Pflaster. Wer will heute noch soviele Stunden am Herd stehen, Samstags, Sonntags? Solch enthusiastische Menschen gibt es halt immer weniger. Ich erzähl dir einmal die Geschichte meiner Patentante, welche ein wunderschönes Land-Gasthaus geführt hat und was daraus gewoden ist.

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  2. katha am 30. Oktober 2010 at 09:00:

    wenn das lieblingslokale von mir gewesen wären, könnte ich nicht zu dieser art leichenschau gehen. traurig ist ja gar kein ausdruck dafür. danke für diesen ungewöhnlichen einblick in die gastronomie.

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  3. ThomasCrown am 30. Oktober 2010 at 09:10:

    der einzige google-treffer für sakemischer findet übrigens diesen blog. jetzt bin ich neugierig.

    bei mir um die ecke hat kürzlich ein tolles kleines indisches restaurant zugemacht, in dem ich grandioses murgh tikka (ohne gewähr) gegessen habe. sehr schade, das war nämlich der einzige gute inder in meinem viertel.

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  4. Andrea am 30. Oktober 2010 at 10:50:

    Wie traurig. Aber auch spannend, dass es so viele gute Sachen zu kaufen gab.

    Was heißt bitte Gant?

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  5. sheik am 30. Oktober 2010 at 11:55:

    tempi passati,
    überall machen geschäfte, restaurants und andere „alteingessene“ einrichtungen dicht, weil gier immer höhere mieten und pacht fordert.
    trotzdem werden, wie in diesem fall auch, gewisse dinge fortbestehen und immer eine vielleicht auch sentimentale erinnerung hervorrufen.
    kann mir gut vorstellen, dass das benutzen des schleifsteins solche hervorbringt. und so wie es erkennbar ist, tut der noch weitere 20 jahre seinen dienst. sollte er eine kuhle haben, bekommst du das mit schleifleinen und wasser wieder schön grade. viel spass dabei Claudio 😉

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  6. Claudio am 31. Oktober 2010 at 00:48:

    Eine Grossfamilie hat dafür wieder ihren eigenen Reiz, Magdi, die gegenseitigen Sonntagseinladungen! Wie es sich für ein japanisches Restaurant gehört, Katha, war es durchaus würdevoll. Beim französischen Restaurant war es im Ansatz fledderich, aber dieser, wie du schreibst, ungewöhnliche Einblick hinter die Kulissen (mehrere Küchen, Kühl-, Lager- und Serviceräume etc.) ist so selten wie unvergesslich. Ich finde auch nichts, TC, jetzt hast du meine Neugierde auch geweckt! Die Maschine ist übrigens eine „Kohsei“, falls dir das weiterhilft. Eine Gant, Andrea, ist in der Schweiz der Begriff für Versteigerung. Danke, Sheik, den werd ich haben und dabei den einen oder anderen schönen Gedanken verlieren. Wobei ich Gedanken verlieren nicht als Deprivation bezeichnen würde, im Gegenteil.

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  7. Londiste am 31. Oktober 2010 at 11:53:

    Es ist ein Sakewärmer nicht Mischer, da Sake gerne auch warm getrunken wird.

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  8. Claudio am 1. November 2010 at 16:01:

    Bulls Eye, Londiste! Ich habe nochmals mit dem ehemaligen Gastronomen gesprochen, das eine ist tatsächlich ein Sakewärmer, der den Sake portionsweise erwärmt. Daneben hat es auch Sushireis-Mischer, in denen grosse Mengen Sushireis und Reisessig im richtigen Verhältnis gemischt werden können.

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  9. Shoko am 2. November 2010 at 13:03:

    Lieber Claudio,

    es gibt keinen Sushi-Reis-Mischer.
    Auf dem obesten Bild siehst du von links nach rechts;
    1)viereckiger Dampftopf (davor ist Reis-Warmhalter), 2)Reiskocher, 3)der obere Teil des Suppenwarmhalters, 4)Sake-Aufwärmer, 5)der untere Teil des Suppenwarmhalters, 6)Eiswürfelmaschine.
    Ich kannte vor der Eröffnung dieses Restaurants einen deutschen Gastro-Berater, der das Restaurant auf die Beine gestellt hat.

    Liebe Grüße auch an Londiste

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  10. Zoolicious am 2. November 2010 at 16:45:

    Solltest Du mal in die Nähe von Salzburg kommen – da ist Le Creuset Lagerverkauf mit haufenweise erschwinglichen Saucenpfännchen.

    Deren 2 haben nämlich neulich Einzug bei mir gehalten. 😀

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  11. Claudio am 2. November 2010 at 17:10:

    Domo arigat? gozaimasu, Shoko! Schön, dass du hier mitliest und Licht in diese mir wenig bekannte Kochecke bringst. Zoolicious, du Glücklicher. Jetzt fehlen dir nur noch 54 Schneckenpfännchen zur höchsten Kochharmonie.

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  12. Rina M. am 6. November 2010 at 22:24:

    Tja, so ein Abwracken eines Lokals hat etwas von einer Beerdigung. Gastronomie ist eine schwieriges Terrain – am besten gehts mit einer Großfamilie, wo nicht jeder den Tarif verlangt.

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  13. Antonio Arnesano am 7. Dezember 2010 at 09:45:

    Gibt es den berühmten und alles aufnehmenden Schweineeimer noch? Ich dachte, der wäre nicht mehr erlaubt…..die Bilder mit den Casserole und den gusseisernen Pfannen stimmen mich traurig……(weil ich nicht zuschlagen konnte)

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  14. hans am 18. Juli 2011 at 04:26:

    Leider haben wir diese auch schon durchgemacht und die Erfahrung hat uns gelehrt alle aber auch fast alles mit der Familie zu machen und rein garnichts mit Freunden, den das ist eine absolut grosse Gefahr, leider.

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  15. Bernhard P. am 1. April 2015 at 13:02:

    Das Bahnhofbuffet SBB, mit L’Escargot, spielte eine entscheidende Rolle in meinem Leben. Es ist Schade das es dies Restaurant nun auch nicht mehr gibt,
    Es war am Anfang meiner Berufs Karriere in der Gastronomie. Zwischen Ende 1968 und Ende1969 war ich in Basel. Ewas über 20 Jahre jung. In Stellung als Koch im L’Escargot.
    Erinnere mich an Frau Wartmann. Gross und schlank. Elegant und professional. Emil Wartmann ihr Mann, lässt sich leider nicht aus meiner Gedächtniskiste heraus lotsen. Da war aber noch ein Anderer mit dem Namen Emil. Ebenfalls ein Koch in meinem Alter. Er war ein Schwergewichtler. Boxer oder Wrestler wenn er nicht den Kochlöffel schwang. Er arbeitete in der Hauptküche und im Restaurant.
    Der Herr Wälti war damals Executive Chef. Ein toller Mensch und Lehrer.
    Amerigo(?) war in charge in der L’Escargot Küche. Dann war da noch Ricardo(?) mit uns am kochen. Beide versuchten mir italienisch beizubringen. Ohne messbaren Erfolg. Aber ein Satz ist doch hängen geblieben. „Chiudere la Finestra!“ Das einzige Fenster in der kleinen, heissen Küche musste nämlich geschlossen bleiben während dem Service.
    Da war eine ältere Dame die für alles mögliche verantwortlich war. Sie war jeden Tag als Erste im Dienst.
    Wenn ich mich nicht täusche, nannte sie jeder, Mammi. Jeden Morgen hatte sie für uns eine Tasse Kaffee fertig,…….. schön stark und mit Schuss.
    Die Schnecken die wir servierten wurden auf 2 Arten zubereitet, a la Bourgignon oder Cafe de Paris. Etrinnere mich auch noch an Turbot der auf einem Holzbrett im Ofen geröstet wurde, zusammen mit einer Duchess Umrandung.
    Das ich dies alles noch im Kopf habe.
    So viele nette Mitarbeiter.Was wird wohl aus ihnen geworden sein?

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  16. Oswald am 19. Oktober 2016 at 11:54:

    Ja… diese Fragen habe ich mir auch schon öfter gestellt, und ich bin niemals zu einer zufriedenstellenden Antwort gekommen.

    Aber die Welt ändert sich nunmal, und somit auch die Gastronomie.

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