Scharffes Kraut-Stil

Rendez-Vous mit der Cuisina Herba Barona im lauschigen Botanikum, München.

Mit den Küchenkräutern, die ich verwende, käme keine Gärtnerei auf einen grünen Zweig. Die paar Gewächse hätten locker auf einer Fensterbank platz: Petersilie, Schnittlauch, Basilikum, Rosmarin, Thymian, Salbei, Estragon, Pfefferminze, selten mal Koriander.

Einzig der Lorbeer hat ein Plätzchen in meinem Gartenbeet. Sein Kumpel, ein stämmiger Rosmarin, den ich die letzten 5 Jahre grossgezogen habe, hat die letzte Schweizer Eiszeit nicht überlebt. R.I.P. Brother.

Es ist auch so, dass jedes Kraut seinen festen Einsatzplan in meiner Küche hat. Selten duldet ein Rezept ein zweites Kraut als Geschmacksgeber. Das empfinden viele als engstirnig. Aber warum schwärmen sie dann von der genial einfachen italienischen Küche, frage ich mich.

Der Journalist Peter Ruch, der mich einmal zu meinem Buch interviewt hat, nervte sich gar über meinen inflationären Gebrauch dieser verdammten glatten Petersilie. Vielleicht versteht er doch nicht so viel von simpler Küche, wie er glaubt. Aber, nundefahne, kann der geil über Autos schreiben! Sein Webzine Radical-Mag ist zurzeit bestimmt der schärfste Spross unter den deutschsprachigen Autopostillen.

Einer, der sich mit einer anderen Art von PS auskennt – der Pflanzenstärke – ist der Spitzenkoch Peter Scharff. Er hat es sich zur Lebensphilosophie gemacht, mit vergessenen Kräutern neue, überraschende Rezepte zu entwickeln. In der von AEG ins Leben gerufenen Reihe der Masterclasses durfte ich als Gast einen Hauch von seinem immensen Wissen erschnuppern.

Das Botanikum in München bot dafür den ausserordentlich gelungen Rahmen. Zumal die abendliche Sommerstimmung einen auf Côte d‘Azur machte. Da passte sogar der etwas pudrige Holunderblütenzauber von Bernulf Schlauch zum herzlichen Empfang.

Als Amuse-Gueule gab es ein lauwarmes, wachsweiches Wachtelei mit Safranschaum. Darunter, zur Überraschung, eine feine Kräutercrème. Auch die Tomaten-Bruschetta hatte ein Darunter: Ein hochparfümiertes Tomatenpesto mit Olivenkraut, Thymian, Rosmarin … Ich musste kurz für mich schmunzeln. Neben meinem geistigen Ohr hörte ich eine resolute Toskanerin schnauben: Santo cielo! Hat der Koch Rasierwasser an seinen Händen?

Bei der theoretischen Einführung in seine Kräuterwelt, lüftete Peter Scharff jedoch schnell den Vorhang zu einem wahren Aromen-Dschungel. Und auf gut Baseldeutsch sagte ich mir: Y ha kai Ahnig vo dr Botanik!

Über 200 Sorten Küchenkräuter baut sein langjähriger Weggefährte, und stiller Star hinter Scharffs kulinarischer Kompetenz, Bernd Simon an. Darunter alleine mehr als 30 unterschiedliche Basilikumsorten.

Zur Einstimmung auf das Menu folgte nach der Theorie das Gegenteil von Blendung: Alle Gäste bekamen eine Schlafbrille aufgesetzt. Der Zweck sollte trotzdem so etwas wie einer Erleuchtung dienen. Blind, am Arm des Personals hinaus in den Garten geführt, mussten wir brav dahockend eine Kaskade meditativer Klänge und suggestivem Geschwafel über die göttergleiche Genialität von Spitzenköchen lauschen. Aber alles was ich hören konnte, war eine innere Stimme, die mir sagte: Was hast du hier verloren?

Doch dann kam die Illumination in Form von fünf kleinen Kräuterblättchen. Nacheinander durften wir kauend schmecken und riechen – ein kleines, wirkungsvolles Experiment, das einem die Geschmacksbreite von Küchenkräutern vors blinde Auge geführt hat:

Schottisches Austernkraut (feiner Algengeschmack), Zitronenbasilikum (intensiv, zitronig, frisch), Kretischer Oregano (Jassu, eine Offenbarung!), Marokkanische Minze (oh, Schande, man denkt sogleich an Kaugummi!), Stevia (honigsüsses Konzentrat) ein Kraut übrigens, das ein perfekter Zuckerersatz wäre, von der EU aber nicht als Lebensmittelzusatz zugelassen ist.

Oregano, aber das nur nebenbei, hat auch einen Haken. Einen phonetischen. Ich höre noch zu oft Leute O/re/gaano sagen anstatt O/re/gano. Also bitte. Es heisst ja auch Ba/si/li/kum und nicht Ba/si/li/kum. Danke.

Als ersten Gang hat sich Peter Scharff etwas Schönes einfallen lassen: Hühnerbrühe. Ein Gericht, so Scharff, das wohl auf der ganzen Welt zubereitet wird. Er serviert uns fünf Espressotassen der gleichen Brühe. In jede Tasse gibt er jeweils nur ein einziges frisches Kräutlein und reisst damit schon wieder eine Verkettung von Geschmackserinnerungen und -orientierung auf: Kaffirlimette für Asien, Oregano für Mittelmeer, Koriander für Indien, Liebstöckel für Deutschland und Marokkanische Minze für den Orient.

Weiter geht es mit einer gebeizten Rotbarbe auf einem Tomatenconfit (diesmal extrem schön ausgewogen, bestehend aus Tomaten-Concassée, getrockneten Tomaten, konfierten Zitronen und Oliven). Das Kraut dazu? Basilikum, was sonst zu Tomaten. Jedoch gleich in sieben verschiedenen Sorten.

Als Fleischgang bringt er eine Paillarde vom Wagyurind mit dreierlei Thymian auf einer cremigen Polenta. Dazu trinken wir einen wunderbaren 2004 Granato der famosen Elisabetta Foradori.

Sommelier Rüdiger Meyer begleitet den Abend ohnehin souverän mit einer formidablen Auswahl: 2009 Alter Wengert,  2009 Pouilly Fuissé und zum Nachtisch Silvaner Beerenauslese, 2006 Iphöfer Kronsberg.

Scharff arbeitet zur Vertiefung seiner Küchenkräuterkenntnisse mit dem Max-Planck-Institut zusammen und macht uns auf die Publikation Journal Culinaire aufmerksam, die von Prof. Dr. Thomas Vilgis mitherausgegeben wird. Zum Thema Kräuter gibt es online eine Leseprobe (No. 12, Fokus: Kräuter, pdf).

Es wird in der heutigen Hochgastronomie viel von Texturen gesprochen. Simpel heruntergebrochen auf ein Küchenkraut serviert er ein Stückchen Ananas mit vier verschiedenen Formen von Koriander, von links: Samen, Blatt, Stängel, Wurzel.

Zum Dessert gibt es fünf sehr gelungene Kombinationen, im Uhrzeigersinn von oben: Banane mit Micromeria Fructicosa, Schokomousse mit Dill, Zimtpfeffer (sehr fleischige Blattkonsistenz) in dunkler Schokolade, Aprikose und Thymianblättchen, gelierte Waldmeisterbowle mit marinierten Erdbeeren.

Witzig: Den Zimtpfeffer durfte Peter Scharff selber benennen. Die Pflanze war in Deutschland noch nicht registriert. Sie kommt ursprünglich aus Gran Canaria und hört dort auf den Namen Cannella.

Als Geschenk überlässt er uns drei hocharomatische Öle aus seinen Kräuterdestillaten und den Tipp, Kräuter immer frisch zu verwenden und erst kurz vor dem Servieren auf den Teller oder zum Gericht zu geben.

Dazu noch ein letzter Vergleich: Tomaten, Gurken und Avocadowürfel einmal 4 Stunden mit einem Gewürzöl mariniert und einmal kurz vor dem Servieren damit beträufelt. Ein Unterschied wie Tag und Nacht.

Ich glaube, das mit den Kräutern auf der Fensterbank sind tempi passati. Ich will meinen Kräutergarten!


22 Kommentare zu Scharffes Kraut-Stil

  1. Mike am 3. Juni 2011 at 08:57:

    Den Kräutergarten habe ich schon, leider wächst nicht alles so, wie es soll. Petersilie und Dill will bei mir gar nicht wachsen. Dafür Oregano, Salbei, Thymian, Bohnenkraut Borretsch, Schnittlauch, Liebstöckel, Rosmarin (der erfrorenen wurde ersetzt), Basilikum, Sauerampfer, Bärlauch und eigentlich auch Minze. Die wurde aber von kleinen, schwarzen, schillernden Käfern komplett abgefressen, sieht jetzt aus, als wenn ein Entlaubungsmittel über meiner Minze gewütet hat. So ein Kräutergarten ist schon was Feines, Claudio. Gartenhandschuhe übergestreift, und los geht’s …

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  2. Sven am 3. Juni 2011 at 09:58:

    Sich gleich mit einer „Verbraucherinformation“ neu in einen Blog einzuführen ist vieleicht unfein, aber weil wir Norddeutschen doch eher selten mit etwas kulinarischem klotzen können… . Ein Ausflug in die Kräutergärtnerei Rühlemann, in der realen Welt zwischen Hamburg und Bremen gelegen, in der virtuellen unter http://www.kraeuter-und-duftpflanzen.de zu finden, ist eine Offenbarung für jeden Küchenhandwerker mit Ambition. Fast kommt man dort zu der Erkenntnis : Ohne Garten ist man nur ein halber Koch.

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  3. katha am 3. Juni 2011 at 10:53:

    das hätte sogar mir spaß gemacht (obwohl – oder weil! – ich mit genau so einem kräuterbesessenen bekanntlich ein buch zum thema geschrieben habe). weil: hier wird nicht zu viel versprochen. auch die kleinen experimente gefallen mir. wie viele leute hat er in der küche?

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  4. Claudio am 3. Juni 2011 at 11:14:

    Handschuhe plus täglich etwa 2 Stunden freie Zeit, das wäre traumhaft, Mike. Aber immerhin, Minze und Schnittlauch kommen von selbst, so wie auch Walderdbeeren und die grösseren Verwandten, dazu Holunder, Kirschen (gestern gabs den ersten Pfannkuchen), Äpfel, Bärlauch sowieso (unkrautartige Auswucherungen!), Brombeeren und Himbeeren und heuer zum ersten Mal selbstgezogene türkische Spitzpeperoni. Bin gespannt! Ach wo, Sven, wenn man das so charmant tut, kein Problem, Danke für den Link! Ich wäre ja – wäre Wien ums Eck – liebend gerne bei euren Events dabei, Katha! Seine Küchenbrigade variiert, das kannst du auf seiner Webseite nachlesen, aber am Event gab es vermutlich mehr Personal als Gäste, unglaublich. Allein die Vorbereitung für diesen Abend dauerte einige Monate, meinte Peter Scharff.

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  5. katha am 3. Juni 2011 at 11:28:

    walderdbeeren, da frisst mich der neid. meine lieblingsfrüchte seit ich denken/schmecken kann!
    das problem ist ja eben der extreme aufwand, den die gemüse- und kräuterküche erfordert. niemand will’s zahlen, aber alle wollen’s jetzt ausprobieren und vor allem essen. da werden sich noch viele köch/inn/e/n die hörndln abstessn.

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  6. Alex am 3. Juni 2011 at 11:31:

    „Liebstöckel für Deutschland“ – traurig aber wahr! 🙁 ich krieg die Krise, wenn jemand nach Maggi verlangt um eine hausgemachte Brühe zu verunstalten! Dann lieber O-RRRRE-GANO! 🙂 Schöner Bericht! Grüße! Alex

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  7. Claudio am 3. Juni 2011 at 12:41:

    Solange der Neid nur dich frisst, Katha, und nicht meine Walderdbeeren, bin ich beruhigt. Hab schon jeden Morgen eine Rallye gegen die Schnecken, die eben auch tierisch auf Walderdbeeren stehen. Haha! War für mich auch etwas befremdend, Alex, sag, hast du schon mal einen Amphorenwein von Elisabetta probiert?

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  8. Magdi am 3. Juni 2011 at 17:34:

    Ich bin froh, dass du das mit Origano einmal angesprochen hast, es tut einem im Ohr weh. Hat ja auch nichts mit Origami zu tun. Ich habe wirklich so einige Kräuter und es werden immer mehr. Aber irgend wann ist es auch zu viel. Man weiß dann nicht mehr was damit anfangen. Mit Kräuter zu kochen gefällt mir weniger, als mit ihnen zu würzen, also sie nicht der Hitze auszusetzen. Lieber Kräuter als zuviel Salz. Am Ende der Saison ernte ich alle Kräuter ab und mache daraus Kräuter-Salz und rette so die Düfte über den Winter:)

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  9. einfach ein schönes Leben am 3. Juni 2011 at 21:42:

    Lieber Claudio,

    vielen Dank für den schönen Bericht. Da wäre ich gerne dabei gewesen. Und es wäre nicht einmal weit weg von mir. Aber ich finde vor allem spannend die Kräuter in den Süßspeisen. Da probiere ich zur Zeit einiges aus. Zuerst glaubt man immer die meisten Kräuter würden nicht in Kuchen, Gebäck, Torten usw. passen. Aber es ist unglaublich was es da noch zu entdecken gibt.

    Mit krautigem Gruße

    Martin

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  10. Claudio am 3. Juni 2011 at 22:41:

    Genau, Magdi, Origami klingt da immer irgendwie mit. Gute Idee, das mit dem Kräutersalz! Allerdings, Martin, die passen wunderbar, aber wenn man sichs recht überlegt, wieso denn nicht? Gewürze gibt es ja auch in jeder erdenklichen Frische, Wärme, Schärfe und Aromatik in Desserts und Gebäck.

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  11. Dolce Vita am 4. Juni 2011 at 09:56:

    Also ich liebe Kräuter. Schon immer! Und natürlich stammen die bei mir so weit als möglich auch aus dem eigenen Kräutergarten. Aufwändig finde ich das jetzt gar nicht. Es wächst ja alles ganz von alleine. Bis auf die Schneckenplage und ab und zu ein bisschen Unkraut jäten… Das lohnt sich allemal.
    Uebrigens Marrokanische Minze wächst bei mir auch. Versuch doch mal ganz simple Hacktätschli mit der Marrokanischen Minze zu würzen… das schmeckt sehr gut. Und garantiert nicht nach Kaugummi…lach..
    Liebe Grüsse
    Susann

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  12. Alex am 4. Juni 2011 at 09:58:

    Nein, von Elisabetta hab ich leider noch keinen Wein probiert. Amphorenwein? Ist das der mit den schönen Kurven (am Gaumen)? Ist der Granato der Amphorenwein? LG

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  13. zorra am 5. Juni 2011 at 15:01:

    Da wäre ich wirklich gerne dabei gewesen. Wieviele Teilnehmer hatte es denn? Cannella muss ich mal schauen, ob es die hier gibt. Sollte es eigentlich.

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  14. Claudio am 5. Juni 2011 at 18:00:

    Susann, du Glückliche! Zu Hackkiechli kann ich mir Minze gut vorstellen oder auch zu Lamm-Brochettes, gerne reiche ich zu Grillfleisch auch Nature-Joghurt mit fein gehackter Minze drin: höchst erfrischend! Alex, am Granato hättest du bestimmt Freude, ist aber kein Amphorenwein, über diesen hat Kollege Christoph geschrieben: http://bit.ly/jJl2xL. Das hätte dir bestimmt gefallen, Zorra, allein schon das Botanikum war eindrücklich. Ich schätze es waren so 25 Personen, hier gibt es einen aktuellen Clip vom Abend: http://bit.ly/myijlx

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  15. creezy am 6. Juni 2011 at 12:02:

    Die Hühnerbrühevariation hört sich spannend an.

    Übrigens: Rosmarin ist mehrjährig aber nicht ewigjährig. Die Dinger gehen auch schon mal in Südeuropa dann irgendwann ein. Don’t blame it on the winter! ,-)

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  16. Alex [Chef Hansen] am 6. Juni 2011 at 13:58:

    Danke für den Link zum Video – da bin ich sogar mit drauf (uiuiui). Der Abend scheint mir ähnlich gut wie dir gefallen zu haben – schade, dass es an „eurem“ Abend wohl keine Koriander-Blüte auf der Ananas gab – ich hätte noch welche 😉

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  17. Claudio am 6. Juni 2011 at 23:09:

    Okay, creezy, aber wie viele Jahre sind „irgendwann“? Fünf Jahre find ich schon ein wenig kleinlich. Hey, Alex, schade waren wir nicht am selben Abend, hätte mich gefreut, dich kennen zu lernen!

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  18. Jutta Lorbeerkrone am 13. Juni 2011 at 08:55:

    Das war auch nur beim Lesen ein schoener Ausflug fuer den Gaumen – vollgespickt mit interessanten Infos. Danke!

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  19. Hesting am 14. Juni 2011 at 15:41:

    Also, glatte Petersilie kann ich auch in Massen essen. 🙂
    Ich glaube, ich sollte die warme Jahreszeit nutzen, Kräuteröle zu basteln. (Irgendwie reicht mir das Kochen für mich selbst nicht mehr.)

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  20. zeno am 14. Juni 2011 at 22:36:

    @ Alex

    Liebstöckl halte ich für komplett unterbewertet. In Maggi ist auch kein Liebstöckl drin.

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  21. BerlinKitchen am 15. Juni 2011 at 12:37:

    Claudio,

    dank Dir! Ganz wunderbare Impressionen&Erkenntnisse. Seufz, ich hätte auch gern einen Kräutergarten…….

    Liebe Grüße aus Berlin,
    Martin

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  22. vronerl am 24. August 2011 at 10:56:

    Oh Leute,
    wenn ich diesen Artikel lese, bekomme ich wieder wahnsinnige Lust, eine Kräuterspirale zu bauen. Leider sind wir umgezogen und haben unsere Kräuterspirale zurücklassen müssen… und jetzt fehlt es mir an Zeit und Sonne (im neuen Garten ist Schatten). Wachsen all die schönen Kräuter auch im Schatten??

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