Die Totmacherwurst

Schlaraffenland

Klar, jede gute Wurst hats in sich. Aber die eine aus Ferrara, die ist der Ferrari für die wahren Fresssäcke.

Cicitto hatte mich gewarnt: «Du gehst nach Ferrara? Mach das, wunderschöne Stadt. Ich sag dir, was du dort essen musst: Salama da Sugo. Aber hey! nur ein kleines Stückchen davon, klar? Und keinesfalls als Gang in einem üppigen Menu, die bringt dich sonst um!»

Eigentlich wollte ich sie in der Antica Trattoria Volano essen. Das hatte ich im Osterie d‘Italia von Slow Food aufgelesen.

Aber wie der Magen zu knurren anfing, als das hübsche Ristorante Guido in der Fussgängerzone auftauchte, sagte ich mir, sorry, Slow Food, ich will jetzt essen – und zwar quick and dirty.

Dann, am Tisch, sprach ich eine Warnung aus. Zuerst ganz sanft. Ich machte meiner Frau ein unmoralisches Angebot: «Aha, schau mal, die haben tatsächlich diese grässliche, schwer verdauliche und triefend fettige Salama auf der Karte. Möchtest du lieber eine Pasta oder einen Fisch als Hauptgang?»

«Spinnst du? Nein, ich nehm auch die Salama.» «Ich bitte dich, die ist zu deftig. Du machst kein Auge zu heut Nacht!» «Na und? Du willst sie ja auch unbedingt probieren.» «Eben: Probieren. Davon bestellt man nicht zwei Portionen, das ist Irrsinn! Wir machen fifty-fifty und tauschen dann Teller, so entdecken wir zwei neue Gerichte, was meinst du?» «Nein.» «Also ich warn dich, Cicitto hat ganz klar gesagt …» «Bestell doch du den Fisch! Ich nehm die Salama, aus!»

Jeder kennt das. Je mehr Mann einer Frau etwas ausschlagen möchte, desto schwerer lässt sie sich davon abbringen. Ich hätte ihr besser gesagt, aus was die Salama, oder wie die Einheimischen in schamlos verniedlichender Untertreibung sagen, Salamina, steckt (aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht):

Schweinszunge, Schweineleber, Schweinenacken, Speck und Schweinskopf zum Beispiel. Dazu eine schwere (geheime) Gewürzmischung mit Nelken, Zimt und Muskat. Ein kräftiger Schuss Rotwein dazu und dann hopp, alles schön in eine Schweinsblase gesteckt.

Danach mottet man das Teil für mindestens ein Jahr im dunklen Keller ein und lässt es dort verschimmeln.

Vor der Zubereitung muss man die Salama in lauwarmes Wasser einlegen und die Schimmelschicht mit einer weichen Bürste entfernen.

Dann packt man sie in einen Leinensack und bindet sie an einen Holzlöffel. Diesen legt man quer über den Kochtopfrand, so dass die Salama vollständig im Wasser baumelt aber den Boden keinesfalls (fundamental!) berührt.

Den Kochvorgang startet man mit kaltem Wasser, das man knapp unter den Siedepunkt bringt und für ganze fünf Stunden dort behält. Die Schweinsblase darf auf keinen Fall platzen, weil dann das ganze Fett, also der Sugo, (oh ja, davon gibts eine Menge!) austreten würde.

Serviert wird sie traditionellerweise eingebettet in Kartoffelbrei, wo sie in einem kleinen See ihres eigenen tranigen Fettes schwimmt.

Für die Foodautoren des Guardian gehört sie gar zu den 20 Dingen, die man gegessen haben muss, bevor man das Zeitliche segnet.

Ich möchte dazu zwei Dinge anmerken:

1. Für meine Frau ist die Sache auf Nimmerwiedersehen abgehakt. (Aber sie hat es durchgezogen bis zum letzten, intensiv-salzig-lebkuchigen Bissen. So viel Stolz musste sein. Respekt.)

2. Ich bin froh, dass ich diese einzigartige Ferrareser Spezialität entdeckt und probiert habe. Aber sollte ich demnächst abkratzen, wäre es mehr als unfair – das wäre es nicht Wert gewesen.

Als Antipasto liessen wir uns übrigens einen Salat von hauchdünn geschnittenen Champignons, gehobeltem Grana und bissig scharfer Rucola (eine Entdeckung!) servieren.

Dazu ausgezeichnet gereifte, ebenfalls hauchdünn geschnittene und für die Region Emilia bekannten Wurstwaren wie Prosciutto, Culatello, Coppa, Mortadella und Salami.

In dieser skurrilen Fellini-Gegend darf man auch getrost zu einer Flasche Lambrusco greifen. Das ist der Rotwein, der schäumt, als hätte man ein Alca Seltzer ins Glas geworfen.

Sieht harmlos aus, ich weiss. Aber sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt!

Salama da sugo

Salama detail


14 Kommentare zu Die Totmacherwurst

  1. jürg am 4. April 2008 at 23:37:

    toll wie du die spannung aufgebaut hast, ich bin fast vergiggert dieses ding endlich zu sehen am ende deines beitrages! schappo an m….m, das sie dieses „schweinezeug“ gegessen hat. dagegen schmeckt meine „salcicca al fegato“ aus pescaseroli wahrscheinlich wie ein milder lyoner!

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  2. Claudio am 5. April 2008 at 09:47:

    Also, ich finde zwar die Salsiccie al fegato sehen nicht nur aus wir der mumifizierte Pimmel von Oetzi, sie schmecken auch ziemlich modrig, aber auf jeden Fall gut! Ich muss demnächst mal einen Post dazu machen.
    Isst du die roh oder erwärmt? Man muss ja aufpassen, dass sie nicht austrocknen, wenn man sie z.B. anbrät.

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  3. Mike Seeger am 5. April 2008 at 12:03:

    Die Entstehungsgeschichte der „colossus of the sausage world“ würde mich interessieren. „Ich mache jetzt mal eine Wurst, die bade ich in Rotwein und lasse sie anschließend ein Jahr lang im Keller verschimmeln!“ wird sich ja wohl niemand gedacht haben. Weißt Du mehr?
    Gegen die Optik ist eigentlich nicht viel zu sagen, außer: krause Petersilie?
    Vielleicht sollte man mal hessisches Weckewerk in Schweinsblasen füllen, und die gleiche Prozedur angedeihen lassen, wie der Salama da sugo. „Fressack! Hast Du einen vernünftigen Keller für sowas? Im April 2009 kommen wir dann alle zum Probieren!“

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  4. Bolli am 6. April 2008 at 12:24:

    Die italienische Andouillette!

    Bei manchen Dingen ist es einfach besser, man weiss nicht, aus was und wie sie zubereitet ist, ich hab’s sie vor Jahren auch schon probiert, so schlecht fand ich die gar nicht, jedenfalls besser als die Andouillette! Lag aber an den Gewürzen denke ich, das überlagert dann doch.

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  5. Lars am 6. April 2008 at 17:40:

    Erinnert mich irgendwie an einen Schlachtteller, den ich vor ein paar Jahren in einer „Geheimtipp-Trattoria“ in Firenze zur Mittagszeit serviert bekam. Auch mit Wurst und Kartoffelbrei, dann waren da noch diverse, gekochte Teile vom Schwein und ein grosses Stück reiner, weisser Speck! Den habe ich immerhin zur Hälfte gepackt, der Geschmack war genial – hinterher war mir aber trotz (oder wegen?) einem doppelten Grappa etwas übel. Aber es ja immer wieder ein Kick, auch in extreme Grenzbereiche der Kochkunst vorzudringen. Da fällt mir Bourdains kulinarischer Tokio-Trip ein, für mich die absolut spannendste Stelle in seinem ersten Buch!

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  6. Claudio am 7. April 2008 at 00:06:

    Mike: Erste Überlieferungen gehen auf einen gewissen Guidi Bonaventura, seines Zeichens Salamihersteller, um 1300 zurück. Verbrieft ist der Dank von Lorenzo il magnifico de‘ Medici an Ercole d’Este, der ihm die Wurst 1481 geschenkt haben soll. Krause Petersilie geht gar nicht. Für eine solch frevlerische Tat hätte man früher (zu Recht!) 100 Tage im Kerker geschmachtet. Lustige Bilder vom Ursprungsort, wo jährlich ein Fest zu Ehren der Salama stattfindet gibts hier http://www.prolocomadonnaboschi.it/foto.html (wir könnten ja dort mal mit Fressack in einen Workshop gehen, bevor wir seinen Keller verpesten).

    Bolli: Wie ich schon sagte, ich kann mir nicht vorstellen, dass es etwas gibt, das Bolli nicht isst.

    Lars: Stimmt, eigentlich müsste Bourdain „the man who ate everything“ heissen. Mittlerweile gibt es sogar eine Bloggerin, die sich so nennt: http://roboppy.net/food/

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  7. fressack am 7. April 2008 at 12:18:

    Ich hoffe, Ihr habt eine mitgebracht für den 19.!

    – Leider ist mein Keller nicht geeignet, aber man könnte das bei einem meiner Metzger unterbringen. Also her damit!

    – Einer, der auch alles, aber wirklich alles isst, ist Eddie Lin von deependdining.com. Das Archiv ist grandios.

    Jetzt habe ich Hunger.

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  8. Bolli am 8. April 2008 at 15:17:

    Doch!
    Marzipan, Andouillette, und dann fällt mir auch nichts mehr ein………….

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  9. Mike Seeger am 8. April 2008 at 22:15:

    Claudio, ich als „Hausschlachter“ finde Workshop toll. Wann geht’s los?

    Fressack, das ist eine gute Idee, lediglich das Rezept müsste modifiziert werden, denn im Weckewerk findet sich auch altbackenes Weißbrot, welches dann zu „altschimmligem“ Weißbrot mutierte. Also: Weißbrot weg, Fleisch rein.

    Ich las in einem Buch (Fiktion?), es gibt in Italien einen kleinen Schinkenhersteller (nicht auf Körpergröße bezogen), der seine eigene, ganz besondere Schweinerasse zu einem exorbitantem Schinken verarbeitet. Erinnert total an die obige Wurst. Einsalzen, warten, in Wein einlegen, warten, mit Gewürzen einreiben, in den Keller bringen, aufhängen, Tür zu machen, nach einem Jahr (oder eineinhalb Jahren ‚Huch, da ist ja noch Schinken im Keller!‘) wieder rausholen, Schimmel abschneiden, aufschneiden: kulinarischer Orgasmus!
    Schon mal gehört? Falls es den wirklich gibt: Daran will ich mich gerne überfressen!

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  10. Claudio am 8. April 2008 at 22:30:

    Du meinst wohl den schweineteuren „Culatello di Zibello“ (ja, das heisst tatsächlich „Ärschlein aus Zibello“ http://www.consorziodelculatellodizibello.it/

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  11. Andreas Gradert am 9. April 2008 at 07:24:

    Da hatte ich auch mal das Vergnügen, aber 170 EUR pro kg waren schon eine kräftige Ansage.

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  12. Mike Seeger am 9. April 2008 at 07:59:

    Nein, der Culatello ist es nicht. Der wird auch nicht aus der ganzen Keule gemacht, sondern nur aus den „besten“ Stücken.
    Der Schinken, den ich meine, wird wohl auch nur in der Trattoria des Herstellers verkauft und ist ein Insider-Tipp. Vielleicht entspringt der aber auch nur der Phantasie des Autors.

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  13. Essen auf Rädern! - MP3-Tauschbörse sperrt 335.435 Benutzer « Essen Infos am 9. April 2008 at 19:11:

    […] im Park kamen bei mir als Ex-Zivi schon böse Befürchtungen auf als […]

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  14. Anonyme Köche » Blog Archive » From Italy with Love am 3. Juni 2013 at 01:07:

    […] bitte: Geht nach Ferrara und verleibt euch die einzigartige Salama da Sugo ein! Übernachtet auf einem Bio-Agriturismo neben hunderten von Aceto-Fässern. Lasst euch auf […]

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