Einfach aus Gewohnheit

Vitello Tonnato

Achtung! Das hier ist kein Originalrezept für Vitello Tonnato.

Das fällt mir jetzt erst auf: Ich predige zwar oft Wasser, dabei bin ich immer für Wein zu haben.

So stehe ich oft vehement für ein Originalrezept ein und werde sogar äusserst ungehalten, wenn das vermeintliche Originalrezept nicht eingehalten wird.

Dabei schau ich so gut wie nie in ein Kochbuch. So wie andere, die ihre Sammlung klein nennen (was ist dann meine, mikroskopisch?).

Ja, ich war noch nicht einmal in einem einzigen Kochkurs. Woher nehme ich also den Anspruch, Hüter der Originale zu sein?

Mir scheint eher, es handelt sich bei mir um eine grassierende Selbstüberschätzung (welcher ich als Entschuldigung immerhin diese neu gewonnene Einsicht entgegenhalten kann). Ich koche so, wie ich es für echt (also original) halte und deshalb ist es so, basta!

Meine Täuschung beruht dabei auf etwas familiärem Erbe, persönlicher Erfahrung und dreistem abkupfern. Das Abkupfern kann visuell, literarisch oder gustatorisch inspiriert sein.

Bei Vitello Tonnato war es schon immer so. Als ich es vor Jahren das erste Mal zubereitet habe, wäre ich nie auf die Idee gekommen, das Rezept zu suchen (weder in einem Kochbuch und schon gar nicht im Web – wie ging das früher eigentlich alles ohne Internet?).

Ich habe einfach einige Dinge zusammengemixt, bis ich das Gefühl hatte, jetzt schmeckt es „richtig“, oder eben so, wie ich es von einem Restaurantbesuch in Erinnerung hatte.

Das Kalbfleisch habe ich bis heute auch noch nie selbst zubereitet, sondern immer beim Metzger aufschneiden lassen.

Jetzt habe ich extra für diesen Post einmal das „Originalrezept“ aus dem Silberlöffel mit meiner Sauce verglichen:

Original nach Silberlöffel:
200 Gramm Thon
3 Sardellenfilets
2 Esslöffel Kapern
2 (gekochte) Eidotter
Olivenöl
Zitronensaft
Brühe vom zuvor gekochten Kalbfleisch

Alle Zutaten im Mixer (lustiges italienisches Wort: Tritatutto!) glatt rühren zu einer nicht zu dicken und nicht zu dünnen Sauce.

Meine Version:
160 Gramm Thon
1 Esslöffel Mayonnaise aus der Tube (sic!)
1 Essiggurke
2-3 Esslöffel Olivenöl
1 Esslöffel weisser Balsamico-Essig
Schwarzer Pfeffer
1,5 dl Halbrahm
Kapern zum garnieren

Ebenfalls im Tritatutto zu einer sämigen Sauce mixen.

Was soll ich sagen? Ich finde beide Saucen haben ihre Berechtigung auf meinem Teller. Meine ist einen Tick, wie soll man sagen, leichter? luftiger?

Ist vielleicht nur Einbildung (oh je, doppeldeutig!).

Aber wenn ich dann in „Delikatessabteilungen“ lese, was auf diesen Fertigpackungen «Vitello Tonnato» steht, könnt ich wieder ausrasten: Sojasauce! Senf! Milchpulver! Emulgatoren! Geschmacksverstärker! Stärke! Säuerungsmittel!

Wie können die es wagen!?


13 Kommentare zu Einfach aus Gewohnheit

  1. Barbara am 28. Juni 2008 at 06:12:

    Ich finde, es ist ganz gut zu wissen, wie das Original schmeckt und wo man nachlesen muss (richtig, früher ging es mal ohne Internet…). – Ich selbst bin auch ein Meister der Improvisation, aus verschiedenen Gründen: oft hat man keine Zeit, nicht die richtigen Zutaten, Appetit auf etwas anderes oder ist gerade kreativ drauf… 😉

    Alles besser als Emulgatoren, Geschmacksverstärker usw. – wobei: Fangen wir da nicht auch schon wieder an, die nötige Toleranz vermissen zu lassen? Naja…

    Das Foto ist übrigens schön – große Kapern habt Ihr! 🙂

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  2. Mike Seeger am 28. Juni 2008 at 08:51:

    🙂 Lieber Claudio, schau doch mal auf die Inhaltsangaben auf Deiner Mayonnaisentube. Schon zu weit aufgerollt? Nicht mehr lesbar? Ach so.
    Und weil gestern der „Tag des Cholesterins“ – den ich mit einer Portion Rührei mit Speck gefeiert habe – gewesen ist, der Hinweis: Höchstwahrscheinlich enthält Deine Mayonnaise das gefährlichste aller Cholesterine, das Oxy-Cholesterin!

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  3. katha am 28. Juni 2008 at 09:21:

    es gibt keine originalrezepte.
    auch ich zähle mich oft zu ihren hüterinnen.

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  4. Claudio am 28. Juni 2008 at 16:21:

    Ja, Barbara, zum Garnieren bevorzuge ich die grossen Kapern mit Stängel (gibts bei uns im Glas). Die Kleineren, finde ich, sehen immer ein wenig erbärmlich aus. Aber Mike, gegen Sauerstoffradikale nehmen wir doch mit unserer vorbildlichen, mediterran ausgewogener Ernährung genügend Antioxidantien auf. Zum Beispiel die Vitamine C, E und b-Carotin aus den Gemüsen und Früchten, die das LDL-Cholesterin vor der Sauerstoff-Attacke schützen. Oder die literweise Zuführung von besten ungesättigten Fettsäuren, die unter anderem in unserem geliebten Olivenöl extra vergine vorkommen. Dagegen ist doch so ein Löffelchen Mayonnaise ein Klacks. Trotzdem, danke für den Link. Schon interessant. Vor allem beschäftigt mich noch was im Moment: Mayo Light! Kannst du mir sagen, (bzw. meiner Frau, weil ich rühr dieses Light-Zeuch definitiv nicht an) mit welchem Schweinestoff die Mayoherstellerin mit dem „T“ 90%(!) Fett (ich nehme an das Öl) ersetzt und wie sich das dann bitte im Körper bemerkbar macht? Danke, Katha, langsam freunde ich mich mit dem Thema an und gebe die Milch etwas runter, wie man so schön sagt.

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  5. Bolli am 28. Juni 2008 at 20:54:

    Ist doch eigentlich wurscht, welches Rezept man nun letztenendes nimmt, es muss einem halt nur schmecken!
    Und, wieso nicht auch mit fertiger Mayo? Wenn’s halt schnell gehen muss, dann ist das auch okay, finde ich.

    Vitello Tonnato ist immer meine Messlatte, ob ein ital. Restaurant es schafft, in meine persönliche Bestliste zu kommen, muss wohl mal zu Dir kommen, und Deines testen!!!!

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  6. Gabor am 30. Juni 2008 at 14:25:

    Ich bleib an einer Nebensache hängen (die Güte Deiner Rezepte ziehe ich sowieso nicht in Zweifel): Den Hinweis, dass Du das Kalbfleisch beim Metzger hast aufschneiden lassen.

    Eingefleischte Vegetarier verzapfen ja hin und wieder, dass jemand, der Fleisch essen wolle, so konsequent sein müsse und das Tier seiner Wahl dann auch selber schlachten müsse.

    Max Goldt, der immer dafür gut ist, ein Argument „umzudrehen“, hat daraufhin gemeint, Leser, die Lust hätten ein gutes Essay zu lesen, müsse es dann eben auch selber schreiben!

    Den Gedanken finde ich mindestens so köstlich wie Vitello Tonnato!

    Im Übrigen glaub ich auch, dass es DIE eine Wahrheit bei Rezepten schon deshalb nicht geben kann, weil sich die Zutaten ja von Fall zu Fall in ihrer Intensität und Geschmack unterscheiden (ausser die Tuben-Mayo vielleicht;-))

    Trotzdem bringt mich die Konsequenz des Gedankens in Argumentationsnot, wenn mir etwas ausgesucht Mieses, das nichts mehr mit irgend einer gleichnamigen Spezialität auf der Karte zu tun hat, in einem Restaurant vorgesetzt wird und man mir beim Beschweren dann einfach kommt mit: „Bei uns wird das halt so gemacht!“

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  7. Mike Seeger am 1. Juli 2008 at 17:36:

    Hallo Claudio, leider (oder „Gott sei Dank“) gibt es die fettbefreite Mayo nicht in Deutschland. Die ist der Schweiz vorbehalten. Wenn Du mir die Inhaltsstoffe nennst, kann ich was dazu sagen.
    Deine Kapern sind übrigens Kapernfrüchte. Kapern sind die geschlossenen Blütenknospen des Kapernstrauches – die Vorstufe quasi. Schmecken auch gut frittiert, mit Zitrone und Olivenöl beträufelt.

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  8. Kirsten am 2. Juli 2008 at 08:09:

    Hört sich doch klasse an, auch wenn es nicht das Originalrezept ist. Die berühmtesten Köche sagen selbst: „Es ist alles nur geklaut und etwas umgewandelt“. Das Original kennt jeder, die Abwandlung nicht – und alles, was neu ist, ist spannend. Richtig? Klingt auf jeden Fall fein, Dein Rezept!

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  9. zorra am 12. Juli 2008 at 14:12:

    Muss ich auch wieder mal machen. Ich mach es immer mit Pollo aus Ermangelung an gutem Kalbsfleisch.

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  10. Valentina am 21. Juli 2008 at 22:35:

    Dein Vitello Tonnato sieht toll aus und klingt so gut. Ich möchte es jetzt, Montagabend, halb elf und hungrig, sofort essen. Erlebst Du mit Deinem Kochstil auch charmante Desaster?

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  11. Vitello tonnato « lamiacucina am 10. Juli 2009 at 04:02:

    […] Vitello tonnato-Rezepte  benachbarter Blogs siehe unter: Anonyme Koeche, Kochsinn, Bolli’s Kitchen, huettenhilfe. Für jene, die Thon nicht mögen, habe ich ein […]

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  12. Falsches Vitello Tonnato « Jessie schmeckts! am 4. August 2010 at 13:04:

    […] hier gelesen hat findeWeitere echte und falsche Rezepte könnt ihr auch in diesen Blogs finden: Anonyme Köche oder […]

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  13. Vitello tonnato – Cucina Casalinga am 9. September 2018 at 21:18:

    […] Robert und Claudio nehme auch ich für kleine Mengen Vitello tonnato Mayonnaise aus der Tube und nicht selbst […]

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