Selbst Federer hat einen Coach.
Ziemlich cooler Spitzenkoch vom ziemlich coolen NoMad in New York.
Am St. Moritz Gourmet Festival 2017 habe ich mich anlässlich eines zweiten Gourmet Dîners im Carlton Hotel mit einem weiteren Spitzenkoch aus USA unterhalten: James Kent ist Küchenchef in Daniel Humms Restaurant NoMad im gleichnamigen New Yorker Hotel.
Seine Küche ist mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und die James Beard Foundation nominierte ihn für den Best Chef NYC 2016. Sein beruflicher Weg führte über grosse Stationen in London und Paris. 2010 gewann der er den Bocuse d’Or USA. Er arbeitet bereits zehn Jahre im Team von Daniel Humm und war zuletzt Chef de Cuisine im Drei-Sterne-Restaurant Eleven Madison Park, bevor er die Leitung der NoMad-Küche übernahm. «Dass ich als junger Koch ins Eleven Madison Park kam und Gelegenheit hatte, im Team von Daniel Humm eins der besten Restaurants unserer Zeit aufzubauen, hat mich nicht nur beruflich deutlich vorangebracht, sondern auch als Mensch geprägt».
Es heisst, das Küchenteam im NoMad sei eine Happy Family, der Umgangston heiter und kollegial. Ist es ein Vergnügen bei euch zu arbeiten?
Das freut mich zu hören! Ja, es läuft ziemlich cool untereinander, das stimmt. Die Hierarchie ist flach. Jeder kann sich einbringen. Aber jeder weiss auch hundert prozentig, was von ihm erwartet wird. Die Kultur, die wir pflegen, liegt mir sehr am Herzen. Sie ist wichtig, denn sie inspiriert die Leute zum Arbeiten. Unser Job ist ziemlich hart, hektisch und herausfordernd. Und dennoch lieben wir, was wir tun. Du kannst die Leute aber nicht zwingen, etwas zu lieben, also musst du sie motivieren. Wer seine Leute einschüchtert, provoziert Angst und dann passieren Fehler. Wir möchten, dass unsere Köche stolz sind. Ganz nach dem Credo von Daniel Humm: „Make it nice!“. Meine Motivation ist, aus jungen Köchen Superköche zu machen. Ich sage ihnen, du kannst so erfolgreich werden wie ich oder Daniel, alles ist möglich, wenn du daran glaubst.
Wie gross ist euer Team hier in St. Moritz?
Wir sind sieben Köche plus zwei Schweizer Köche. Ich habe vor allem die jüngeren Köche aus New York dabei, damit sie etwas Neues sehen und erleben können. Wir reisen ja viel übers Jahr mit Daniel Humm und kochen an einigen Events. Diese Erfahrung möchten wir den jungen Köchen mitgeben. Daniel ist ohnehin wahnsinnig inspirierend für uns alle.
Was macht einen guten Küchenchef aus?
Er muss dich zum Träumen bringen, beflügeln und inspirieren können! Meine Aufgabe ist es, das Beste aus den Leuten herauszuholen. Wie ein Coach. Schau mal, die besten Leute haben einen Coach. Nimm Roger Federer, der Beste von allen, aber selbst er hat einen Coach, der ihn motiviert und zu Höchstleistungen animiert. Bei uns läuft es so: Wenn jemand bei uns arbeiten will, wird er von uns bekocht. Wir servieren ihm die besten Gerichte und dann sagen wir ihm: So, und nun kochst du für uns – gib dein Bestes. Wir sind auch der Meinung, dass Fleiss und der Wille, etwas zu lernen, wichtiger sind als Talent.
Und was erwartest du, im Gegenzug, von einem Koch?
Ein Koch muss gewillt sein, zu lernen. Der Rest ergibt sich, wenn er sich in unser Team einfügt. Ich stelle vor allem aufrichtige Menschen mit einer guten Persönlichkeit an. Denn wir können niemandem beibringen, ein guter Mensch zu sein. Wenn jemand ein Arschloch ist, schlampig oder arrogant, dann wird er immer so sein. Ich stelle seit 10 Jahren Leute an und habe aus Fehlern gelernt. Am liebsten lasse ich sie für mich kochen. Man kann von einem Teller ablesen, welche Persönlichkeit dahintersteckt. Wenn du dann mit der Person darüber sprichst, was sie zubereitet hat, merkst du schnell, ob da jemand Demut hat oder den Grössenwahn. Wir alle geben unsere Handschrift in ein Gericht. Wie kochst du, wenn du dein Date beeindrucken möchtest? Wie viel Liebe und Aufmerksamkeit steckst du in ein Gericht, das du deiner Mutter oder deinen Kindern zubereitest? Das kann man ziemlich genau an einem Teller ablesen! Am Esstisch geht es oft um wichtige Dinge im Leben, wir pflegen Freundschaften, laden unsere Grossmutter ein, einigen uns mit einem Geschäftspartner. Am Tisch werden echt viele wichtige Entscheidungen getroffen.
Das Dinner hier im Carlton war unglaublich schlicht, aber auch unglaublich gut. Auf dem Teller nur zwei, drei Komponenten und man denkt sich beinahe, das sieht ja ganz einfach aus, aber es ist so intensiv.
Entscheidend ist die Wahl bestmöglicher Zutaten und die Bewahrung ihres Charakters. Also nehmen wir ganz alltägliche Dinge, wie ein einfaches Huhn, und zaubern daraus das beste Geflügelgericht, das du je gegessen hast. Als junger Koch will man jeden Trick zeigen, den man draufhat. Meistens ist es dann zu viel des Guten und man verliert sich. Mit der Zeit wird man Selbstbewusster und konzentriert sich auf das Wesentliche. Unser Hauptziel ist: Das Essen muss delicious sein! Egal ob du bei uns im Restaurant isst, in einer der Bars, in der Bibliothek, im Atrium … es gibt ja verschiedenste Räume in unserem Hotel, in denen Gäste essen können. Das Ganze ist ein unglaublicher Ort mit einer magischen Atmosphäre – und egal wo du sitzt und was du isst: Es muss einfach wow! schmecken. Ganz ehrlich, es gibt Gäste, die haben bei uns eine Life Changing Experience was Essen angeht.
Dieses Hühner-Consommé zum Beispiel war geschmacklich so wuchtig und doch so leicht wie ein Tee.
Das freut mich, dass du das Wort Tee verwendest. Denn wir bereiten das Consommé tatsächlich wie einen Tee zu! Die Basis ist ein klassischer Hühnerfond, den wir sorgfältig klären. Dann geben wir ganz viele Pilze, Kräuter, Gewürze und Zitronenschalen dazu, lassen es nur einmal kurz aufkochen und dann decken wir den Topf ab und lassen ihn auskühlen. Auf diese Weise bleiben die ganz feinen Aromen der Zutaten erhalten und du schmeckst alles, von der Umamitiefe bis zu den frischen Zitrus- oder Estragonspitzen.
Auch bei den Tortelloni dachte ich, hm, okay, Tortelloni gefüllt mit Sellerie und Trüffel, ohne Effekthascherei, aber wie zum Henker bekommst du da so viel Geschmack hinein?
Sellerie und schwarzer Trüffel ist eine grossartige Kombination, es ist Daniel Humms liebste Kombination. Der Trick beim Sellerie ist, dass wir ihn nach dem garen in Milch zu einem Püree verarbeiten und dieses dann mehrere Stunden trocknen, um das Aroma zu konzentrieren. Für die Füllung verwenden wir dann noch beste Trüffel, den richtigen Parmesan und etwas Rahm. That’s it.
Was macht dich wütend?
Vieles! (Lacht). Leute, die gleichgültig tun und sich nicht engagieren, machen mich rasend. Oder wenn jemand starrköpfig ist, keine andere Meinung gelten lässt und sich nichts beibringen lassen will.
Wo kannst du dich so richtig entspannen?
Beim Graffity sprayen! Ich habe als Kid in New York Wände und Züge getagged. Heute mache ich diverse Auftragsarbeiten oder arbeite einfach um mich zu entspannen. Oder ich gehe laufen und trainiere für einen Marathon. Ich laufe unglaublich gerne. Wir haben auch ein Make it Nice Running Team und motivieren uns gegenseitig.
Das Dinner war von frappanter Simplizität – handwerklich und vor allem geschmacklich allerdings herausragend. Auch diesmal, ich bitte um Nachsicht, leider ohne Fotos, weil es im Restaurant zu dunkel war.
Zum Auftakt gab es ein Aschebrot. Es ist eine knusprige, luftige und lauwarme Focaccia von Pâtisserie Chef Mark Welker. Das Gebäck ist schwarz. Das kommt von der beigemischten Bambusasche im Teig.
Man sieht das jetzt oft: Schwarze Brötchen. Ich persönlich kann dem Trend leider nichts abgewinnen. Nichts ist für mein Empfinden schöner und appetitlicher als eine goldene Kruste. Was mir als Liebhaber von gutem Brot jedoch besonders gefällt: Es wird als eigenständiger Gang serviert. Und nichts – keine Butter, kein Olivenöl, kein Aufstrich, niente – lenkt davon ab. Das ist durchaus erwünscht. Butter würden sie auch im NoMad nur auf ausdrücklichen Wunsch servieren. Das Gebäck hat auch deshalb viel Geschmack, weil es mit Zwiebel und Süsskartoffel gefüllt ist.
Der nächste Gang ist ein Matsutake-Consommé. Eine Kraftbrühe mit Huhn-, Pilz und Trüffelgeschmack, so klar und leicht wie ein Tee und dabei von so tiefer und komplexer Aromatik.
Die drei folgenden Tortelloni sind schon fast der Höhepunkt des Abends. Üppig gefüllt mit cremigem Sellerie und schwarzem Trüffel, begleitet von einem Parmesanschaum. Unter der Pasta eine intensive Steinpilzreduktion, klebrig wie eine Demiglace. Ein Traum.
Es folgt ein perfekt gegartes Stück vom Steinbutt. Dazu eine kräftig reduzierte Bratensauce vom Ochsenschwanz, inklusive dem faserig-zartem, zerkochtem Fleisch. Wahnsinnig gute Kombination. Schön dazu auch der rote und weisse Kohlrabi in unterschiedlichen Texturen: Als süssliches Püree, in rohen Scheiben und, als säuerlicher Kontrast, als fermentierte Würfel.
Dann folgt das berühmte NoMad-Chicken. Es wird am Tisch im Ganzen präsentiert. Aufgetragen wird es in zwei Gängen. Einmal die mit Brioche, Foie gras und schwarzem Trüffel gefüllte Brust, dazu Apfelpüree, gegrillter Lauch und Geflügeljus. Danach das Schenkelfleisch gemischt mit Lauch, Apfel und krossen Hautstückchen. Es schmeckt wahnsinnig gut und vor allem so, als hätte es die liebenswürdigste Granny als Sonntagsessen zubereitet – und nicht etwa ein überdrehter Koch der mit crazy Kombinationen nach der ultimativen Geschmacksexplosion sucht – sehr tröstend und zuversichtlich das. Echtes Handwerk eben.
Der Dessertgang wird auf der Karte schlicht mit «Milk and Honey» vermerkt. Und: Mehr ist es eigentlich auch nicht, aber wiederum schmeckt es erstaunlich intensiv und unverfälscht. Zwei Nocken extrem cremiges Milcheis, darüber ein paar Fäden Honig und darunter bestes Karamell und knusprige Buttercookies. So simpel kann grandioses Essen sein.
Thank you, James! Hoffe, wir sehn uns das nächste Mal in New York.
Übrigens: Wer das weltbeste Brathuhn zuhause nachkochen möchte, kann sich in diesem Video gleich von Daniel Humm himself anleiten lassen. Enjoy!
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