Leckerbissen Lissabon.

Taberna Porks

Vor dem Abflug nach Lissabon lese ich von randalierenden Taxifahrern, die gestern Nacht in Basel auf Uber-Fahrer losgingen. Die Polizei verhinderte, dass Baseballschläger auf Windschutz- oder Kniescheiben von Uberfahrern landeten. Taxi-Trottel. Die nehmen euch die Kunden weg? Mimimi! Zeit, euer Businessmodell zu überdenken. Auf andere losgehen, weil sie den besseren Service günstiger anbieten ist: Keine kundenorientierte Lösung.

In Lissabon angekommen starte ich meine Uber App und freue mich. Es gibt Uber X, Green und Black. Uber Black ist Boss, weiss mein Sohn. Erfolgreiche Youtuber fahren Uber Black. Fette Limos, korrekter Service. Meine Frau ist skeptisch. Ich frotzle: «Hast recht, my dear, nehmen wir lieber einen windigen Täxeler der fünf Euro pro Gepäckstück, eine dubiose Grundtaxte, einen extra Umweg und Summa summarum 30 Euro nimmt. So stand das doch bei besondere Tipps auf dem Reiseportal, stimmts?»

Die Fahrt mit Uber X oder Green kostet 6 bis 8 Euro. Aber erfolgreiche Foodblogger fahren Uber Black. Kostet dann 20 Euro. Immer noch günstiger als ein Taxi. Fahrer Joao ruft an: «Claudio? Ich bin gleich da, schwarze S-Klasse. Steht ihr vorne auf der Insel?» Breites Grinsen bei meinen Söhnen. Fettes Fragezeichen bei meiner Frau. Joao trägt ein Lächeln auf den Lippen, Anzug und Krawatte, hat grau meliertes Haar und Manieren eines Palace-Chauffeurs! Kein Wunderbaum, sondern ein Duftmix aus Neuwagen und Leder hängt in der Limousine, Neben Sade, die ihre Ballade in das High-End Soundsystem haucht, säuselt Joao etwas von kühlen Getränken die bereitstehen und erkundigt sich ob das Klima angenehm sei.

Von da an fahren wir, wenn wir nicht stundenlang durch die betörend schönen Gassen flanieren, nur noch Uber. Jedes ÖV ist teurer für vier Personen. Manchmal ist es richtig abenteuerlich, aber in den Ferien nimmt man es mit Humor. Wie die nächtliche Fahrt mit Niculina. Ich muss Jim Jarmusch anrufen und ihm sagen, er soll «Night on Earth» neu verfilmen. Niculina schlägt in Sachen beschissener Fahrstil selbst Helmut Grokenberger!

Wir schlendern ins Zentrum und das Erste, was mir an diesem milden Februartag in die Nase steigt sind Röstaromen und der Duft von Holzkohle. Es sind Marroniverkäufer. Mit einer Rauchfahne die schon von weitem sichtbar ist. Was ich allerdings noch nie gesehen habe sind: Weisse Maronni.

Marroni Lissabon

Das kommt vom Meersalz, mit dem sie bestreut werden. Das ist ziemlich genial. Das Salz entzieht der Schale beim Rösten Feuchtigkeit, dadurch wird sie dünn wie Papier und lässt sich mühelos abziehen. Fantastisch. Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich Marroni liebe?

Marroni

Auf meiner Fressliste, die Dank den zahlreichen Empfehlungen meiner Facebook-Freunde ellenlang und vielversprechend ist, findet sich der Palácio Chiado im gleichnamigen eleganten Stadtviertel, das sich zusammen mit dem Bairro Alto als mein Liebstes entpuppen wird.

Palacio Chiado Saal

Das umwerfend schöne Stadtpalais mit Stukkaturen, Säulen, Statuetten und Affresken aus dem 18. Jahrhundert liegt an der Rua do Alecrim – wie bezaubernd: Rosmarin-Strasse!

Palacio Chiado Treppe

Darin befinden sich mehrere Restaurants, eine Bar über der eine gigantische goldenen Chimäre schwebt, eine Tapas Theke sowie das Sushic. Neben japanischen Gerichten gibt es dort asiatisch Inspiriertes aus der portugiesischen Küche.

Palacio Chiado Bar

Zum Beispiel ein Ceviche von der Makrele, das frisch, fleischig und würzig schmeckt.

Makrele Ceviche

Oder ein Tempura mit Makrele, typisch portugiesisch mit Essig, roten Zwiebeln, Speck und Koriander gewürzt und asiatisch mit geschmortem Ingwer und Edamame kombiniert. Richtig gut.

Makrele frittiert

Toll auch, dass sich viele heimische Fische auf der Karte finden. Auch das panierte Katsu Matsu Schweineschnitzel, die kleinen Ebi Tempura-Rollen oder Jakobsmuscheln mit eingelegtem Kürbis, Shitake und Spinat machen zum Lunch mächtig Freude.

Wir gehen die Strasse hinunter in Richtung Mercado da Ribeira, vorbei am Figaro’s, dem coolen Men only Barber Shop, wo sich mein Sohn auf der Stelle einen klassischen Haarschnitt verpassen lässt. Senhor, die Lady darf leider nicht hier drin warten, weist mich der Oberfigaro an. Da verstehen die keinen Spass. Als Lektüre liegt unter anderem der Playboy auf. Ich ziehe es vor, eine kleine Fotoserie von meinem Sohn zu machen, kann er gut für Snapchat verwenden.

Figaros Lisboa

Der gedeckte Ribeira Markt wo fangfrischer Fisch, Gemüse und mehr zu finden ist, beherbergt auch den Time Out Market.

Time out Market

Eine beeindruckende Foodhalle mit über 35 Food-Kiosks. Einer verlockender als der andere. Darunter fünf, die von Spitzenköchen betrieben werden. Und das jeden Tag durchgehend bis nach Mitternacht. Wir werden bestimmt abends hierherkommen und uns an den langen Bänken in der Saalmitte mit unkomplizierten Gerichten und frisch gezapftem Bier oder Vinho Verde amüsieren.

Zurück daheim lesen wir dann in der BaZ, dass das Basler Standortmarketing jetzt auch so eine geniale Idee hatte. Der Marktplatz wird um einen «Schlemmer-Markt» erweitert. Künftig wird es also ein staatlich angeordnetes «vielfältiges und leckeres Verpflegungsangebot» geben: «Jeweils am Montag von 8.30 bis 14 Uhr.» Ich breche vor Lachen fast zusammen, bitte, ich brauche eine Papiertüte, ich hyperventiliere!

Doch es ist erst Nachmittag und wir beissen bei Manteigaria zunächst mal in unser erstes Pastéis de Nata, dem bekanntesten Gebäck Lissabons.

Pastel de Nata

Das mit einer Eicreme gefüllte Blätterteigtörtchen wird warm serviert und nach Belieben mit Zimt oder Puderzucker bestreut. Grosser Suchtfaktor! Die unangefochtene Nummer eins allerdings ist die sagenumworbene Bäckerei in Belém, dessen Törtchen Pastéis de Belém heissen und Dank gut gehütetem Geheimrezept als die besten der Stadt gelten.

Abends versuchen wir ohne Reservierung ins Sala de Corte zu kommen. Ein kleines Steakhouse mit Reifeschrank und Josper-Grill. Keine Chance. Ich hatte so eine Ahnung. Fortan werde ich konsequent reservieren. Auch wenn das die Urlaubsspontanität trüben mag. Gutes Essen ist mir einfach zu wichtig. Ich hasse den sonst drohenden Spiessrutenlauf von Tourifalle zu Tourifalle in einer fremden Stadt. Denn obwohl Lissabon eine immense gastronomische Dichte aufweist, isst man laut Insidern eher schlecht und muss deshalb die Lokale sehr genau wählen. Gut, dass das Sala de Corte gleich neben dem Time out Market liegt. Jetzt sind wir froh um genau diesen brummenden Kessel.

Wir holen uns bei Sternekoch Henrique sá Pessoa für sehr faire 11 Euro ein 24 Stunden geschmortes Spanferkel mit Süsskartoffelpüree

Time out Market Spanferkel

und ein konfiertes Bäckchen vom Alentejoschwein mit Stampfkartoffeln, Mangold und traumhaftem Jus.

Time out Market Pork

Fantastisch. Wir merken uns für den nächsten Lissabonbesuch schon mal sein Gourmetrestaurant Alma in der Altstadt vor.

Am nächsten Mittag klappt es dann auch im Sala de Corte. Der Kellner ist sich seiner Sache nicht sicher, er glaubt, die trocken gereiften Ochsenkoteletts kommen aus Polen. Oder Nordeuropa? Jedenfalls nicht aus Portugal. Weitere Aufklärung bleibt er, wie auch die Website, leider schuldig. Schade für ein Restaurant, das sich explizit auf gutes Fleisch konzentriert und dieses immerhin tadellos auf dem höllisch heissen Jospergrill zubereitet.

Cote de Boeuf

Davor gibt es sehr aromatischen, fünf Jahre gereiften Pata Negra Schinken

Pata Negra Schinken

und luftige Buns, die mit herrlich fettigem Chorizo gefüllt sind.

Chorizo Buns

Wir wollen eigentlich zum Shopping in die ehemalige Botschaft Embaixada, einem stimmigen Concept Store in einem entzückenden historischen Gebäude. Aber wir bleiben an der Gin Lovers Bar im ersten Stock hängen

Embaixada Gin Lovers

und lassen den Nachmittag bei massgefertigten Gin and Tonic ausklingen.

Gin and Tonic

Danach flanieren wir pleasantly plastered zum Miradouro de São Pedro de Alcântara, geniessen den Ausblick über die Stadt und betrinken uns am Anblick der gekachelten Fassaden im Bairro Alto und den historischen Trams. Auffallend ist, wie relaxed und friedfertig die Stadt tickt. Und über allem liegt dieser etwas verwitterte Charme. Selbst das Verruchte und Verkommene strahlt etwas Poetisches aus. Wie mein neues portugiesisches Lieblingswort: Vagabunda – klingt das nicht sinnlicher als Hure?

Wow, diese Pastéis de Belém Bäckerei ist ja riesig!

Pasteis de Belem

Über 400 Sitzplätze in unterschiedlichen Innen- und Aussenräumen gibt es in dieser labyrinthischen, historischen Pâtisserie. Die Warteschlange mit Menschen, die sich die berühmten Törtchen holen wollen, zieht sich entlang der ganzen Häuserzeile. Ich bin dankbar für den Tipp, nicht hinten anzustehen, sondern sich hinzusetzen und bedienen zu lassen. Das geht ziemlich fix und das Treiben der Kellner ein Spektakel für sich. Das Törtchen selbst ist wirklich nicht zu vergleichen mit den anderen der Stadt. Der Teig ist um einiges knuspriger, wenn auch nicht unbedingt aromatischer, weil vermutlich eher Schmalz, als Butter drin ist. Aber man weiss es ja nicht so genau. Und die Eicreme hat eine luftigere Konsistenz. Einer Crema Catalana ähnlich. Aber das darf man nicht zu laut sagen, ich glaube, Portugiesen können Spanier nicht leiden.

Danach kann man die nahe gelegenen Museen besuchen, das Hieronymus-Kloster und den Turm von Belém, beides Weltkulturerbe. Die Aussicht auf Turm und Tejomündung lässt sich übrigens vorzüglich potenzieren, indem man der Einladung der Weinliebhaberin Bárbara Vidal de Moraes folgt, die das findige Konzept Wine with a View realisiert hat. Sie bietet offene Weine aus ihrem Vintage Dreiradtransporter und einen Platz an der Sonne auf einem der Strandstühle inklusive Glashalterung.

Wine with a view

Auf das Abendessen freue ich mich besonders. Wir gehen ins angesagte Boi Cavalo im engen Altstadtviertel Alfama, das für lauschige Lokale, in denen Fado gesungen wird, bekannt ist.

Von melancholischer Romatik ist das Boi Cavalo allerdings komplett befreit. Beim Eintreten röhrt Dave Grohl volle Kanne aus den Lautsprechern. Gefällt mir. Vorerst. Das winzige Lokal der ehemaligen Metzgerei ist mit einfachen Holztischen ausgestattet. Der Blick in die Küche von Hugo Brito offen. Sie gilt als innovativ, überraschend und kreativ. Sie lehnt sich an klassische portugiesische Gerichte an, die neu interpretiert werden. Wir sind gespannt.

Das fixe Fünfgang-Menü kostet 32 Euro. Es richtet sich strikte nach dem Marktangebot des Tages. Andere Gerichte stehen nicht zur Auswahl. Die nette und nett tätowierte (na, klar) Joana erklärt uns etwas verlegen, dass es heute leider vier von fünf Gerichten, die auf der Menükarte stehen, nicht gibt. Wir sollen uns einfach auf die Überraschungen freuen. Machen wir, Joana. Derweil verlässt Hugo Brito sein Lokal und überlässt das Ruder seinem Souschef und zwei Köchen. Ist die Musik vielleicht doch etwas zu laut? Oder ich langsam zu alt?

Es grüsst: Sushireis mit Olivencreme, Orangenkonfit und regionaler Trüffel.

Boi Cavalo Sushi

Der Happen ist eine leicht missratene Begrüssung. Der Reis weder gar noch besonders aromatisch. Sushi daran ist nur die Portionierung. 1 Stück pro Person. Olivencreme, Orangenkonfit schmecken gut. Aber was ist mit dem Trüffel passiert? Frittiert? Getrocknet? Jedenfalls komplett seines Aromas und seiner Textur beraubt, wie immer das passiert ist.

Der erste Gang ist ein zu knapp blanchiertes Blatt geräucherter Grünkohl. Es zu kauen macht keine Freude. Es ist zäh. Darüber eine homöopathische Dosis Shrimp Powder, darunter ein Klacks Meerrettichschaum. Innovativ, überraschend, kreativ? Naja, überrascht bin ich zumindest.

Boi Cavalo Kale

Dann eine kleine Schale, in der etwas mit einem grau-beigen Schlick überzogen ist.

Boi Cavalo Linsen

Genau, verkündet Joana, hier haben wir Blutwurst, Senf und in Shrimp-Jus gekochte Linsen. Bom apetite! Ah, jetzt wird’s gut, denke ich. Aber der Blutwurst wurde die Seele aus dem Leib gerissen. Jesses, ein Vampir muss sie ausgesaugt haben. Sie ist trockener und bröseliger als ein Sablé aus Vasco da Gamas verschollener Keksdose. Keine Ahnung was da passiert ist.

Der Schlick ist tatsächlich hässlich. Die senfgebundene Shrimpsauce ist klebrig und schmeckt schlammig. Ich sehe direkt den belegten Grund des Störbeckens im Zoo. Ich nehme einen weiteren Löffel davon und dann noch einen. Ich will ergründen, was ich da esse. Will es herausschmecken. Begreifen. Keine gute Idee, denn jetzt habe ich ein gar hässliches Flashback. Das Mundgefühl erinnert mich an die grauslige Paste, mit der mir der Zahnarzt als Bub einen Gebissabdruck für meine Zahnspange gemacht hat. Ich versuche, mich mit einem gehäuften Löffel Linsen zu retten. Sehr gut. Die sind immerhin perfekt gegart und haben einen tollen Geschmack. Eine gute Mischung aus nussiger Hülsenfrucht und Krustentierbisque.

Als nächstes kommt ein cremiges Tomatenrührei mit etwas Rogen.

Boi Cavalo Seehecht

Gut, geht doch! Kreativ oder innovativ geht anders, aber hey, ich hab da keine Vorurteile. Der Seehecht ist auch: Okay. Mehr nicht. Aber dann die Brotsauce. Oje! Gleiche Konsistenz wie der Schlick von vorhin. Das gibt’s doch nicht, was fabriziert der Typ da in der Küche? Und die Musik ist jetzt definitiv zu laut. Foo Fighters waren ja okay, aber jetzt ist irgend so ein verladener Woodstockgitarrist am Dauersolieren, unerträglich.

Ich halte mich mit dem vorzüglichen Golpe von Manuel Carvalho Martins aus dem Douro bei Laune. Ein frischer Wein, angenehm minaralisch, gut strukturiert, mit grünen Aromen von Apfel bis Limette.

Es folgt der beste Gang des Abends. Ein mit Corn Flakes paniertes Lammkarree.

Boi Cavalo Lamm

Aussen knusprig innen zart. Warum Corn Flakes, frage ich mich. Ist das jetzt die besagte Neuinterpretation eines portugiesischen Klassikers? Es ist mir eigentlich egal. Oh, die Zitronengurken dazu sind lustig. Yamwurzel-Chips liegen auch auf dem Teller. Drei. Der Lammjus ist gelungen. Klassisch portugiesisch, sagt Joana, mit viel Knoblauch, Lorbeer und Rotwein. Mir gefällt auch die persistente aromatische Schärfe, ich schätze mal: Langpfeffer.

Vor dem Dessert gibt es einen Weichkäse und zwei gereifte Alentejo Hartkäse aus Schafsmilch. Mit typischem, süsslichen Maisbrot, dünnen Toastscheiben und Hausbrot. Nichts weltbewegendes.

Boi Cavalo Cheese

Als Nachspeise gibt es eine Schale mit (klebrigem) Mandel-Ei-Pudding das etwas gar viel Zimt abbekommen hat, angenehm salzigem Kürbiskern-Eis, zerbröseltem Popcorn und getrockneten Quittenschrot, von dem leider wenig zu schmecken ist.

Boi Cavalo Dessert

Nennt es von mir aus innovativ, kreativ und überraschend, wenn es euch wichtig ist. Aber gutes Essen ist das nicht. Überzeugendes Kochhandwerk schon gar nicht.

Die Musik ist mittlerweile so laut, dass das Personal in freudiger Erwartung an das Feierabendbier ungehemmt mit dem Kopf zum Beat nickt. Kann ich dann bitte die Rechnung haben? Hä? Die Rechnung. Was? A conta, por favor! Ah … okay!

Auf dem Weg zur Toilette will sich der Souschef mit mir unterhalten. Er zeigt mit dem Daumen nach oben.

– Alles okay? You enjoyed dinner?
– Das Lamm war gut. Tolle Sauce.
– Ja, super Sauce, nicht wahr? Portugiesischer Klassiker. Viel Knoblauch, Wein, Lorbeer.
– Die anderen Gänge haben mir weniger gut geschmeckt.
– Ah ja? Okay. Das ist normal, you know. In einem Menü kannst du nicht jedes Gericht auf demselben Niveau raushauen. Ein gewisses Up and Down ist normal.
– Ich fand die Shrimp- und Brotsauce etwas klebrig. Eher Unangenehm.
– Ja, klar. Das ist so. Ist ja eine Brotsauce. Brot enthält viel Stärke, you know. Wenn ich die Sauce blitze, dann wird die Sauce eben etwas, wie soll ich sagen …
– Klebrig?
– Nein, nicht klebrig. Es ist die Stärke vom Brot, die macht, dass du das Gefühl hast, es klebt.
– Ja, kenn ich. Wenn man Kartoffelpüree mixt statt luftig zu rühren, wird es auch klebrig … Die Linsen waren auch sehr gut, woher kommen die, Portugal?
– Was? Was meinst du?
– Die Linsen hatten einen tollen Geschmack, sind das portugiesische oder was sind das für welche?
– Keine Ahnung, (dreht sich zur Köchin) weisst du woher die Linsen kommen?
– Keine Ahnung.
– Nicht aus Portugal?
– Nein, ich glaube nicht. Ich weiss es nicht. Aber wir kochen sie in einen Shrimp-Jus, ziemlich genial. Ich röste zuerst die Schalen und dann mache ich einen klassischen Fond damit und reduziere das Ganze und dann kochen wir die Linsen darin.
– Toll. Danke. Viel Erfolg euch. Ciao.

Danach habe ich versucht, einen Uber in die engen Gassen zu bestellen. Drei mal hat Jorge, dem Profilbild nach ein Rentner, versucht, den Weg zu uns zu finden. Minutenlang mäanderte sein Auto-Avatar auf meinem iPhonebildschirm herum. Aus acht Minuten Anfahrtsweg wurden sechs, dann acht, dann drei, dann wieder acht. Ich musste die Bestellung stornieren und ihn zwei weitere Male wegdrücken. Er wollte die Fahrt unbedingt machen. Ich eher nicht. Dann nahm Niculina die Fahrt auf. Ihr wisst schon, Niculina. Die, die noch beschissener fährt als Helmut Grokenberger. Dann wurde der Abend erst richtig lustig!

Sohn frühstückt gesalzene Marroni. Herrlich.

Maronni

Marroni

José Avillez ist einer der herausragenden Spitzenköche Portugals. Sein Gourmetrestaurant Belcanto in meinem Lieblingsviertel Chiado ist mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Mittlerweile betreibt Avillez acht Restaurants im näheren Umkreis – von der Pizzeria über Bars und Bistrots bis zum Cantinho do Avillez, wo wir unseren besten Lunch hatten. Das zweigeteilte Lokal ist einfach, aber liebevoll eingerichtet. Mit typischem bunten Fliesenboden und schönen Holzmöbeln.

Die Karte ist übersichtlich, mit eher einfachen, ansprechenden Gerichten, die aber mit meisterlicher Hand aufgewertet sind. Das Hausbrot ist das beste, das wir in der Stadt bekommen haben. Dazu wird eine sehr aromatische Tomatencreme gereicht, kleine sehr schmackhafte marinierte Oliven und richtig gute Trüffelbutter. Wir bestellen rohe marinierte Jakobsmuscheln mit Mayo und Avocado und sind uns einig – nie hatten wir so frische, zarte und geschmackvolle Jakobsmuscheln.

Jakobsmuscheln

Auch das Tuna Tartar mit ausgewogen abgeschmeckten Asian Flavours reisst uns mit ausserordentlichen Produktqualität mit.

Thunfisch Tatar

Das ist genau meine Kragenweite – zeitgemässe portugiesische Produktküche, unkompliziert, aber sehr sorgfältig zubereitet. Wie etwa dieses schlichte Gericht: Geflügelleber. Serviert im Pfännchen. Butterzart und mit einer unwiderstehlichen Portwein-Zwiebelmarmelade.

Leber

Für heitere Stimmung sorgt auch der spritzige Inventum aus Alentejo von Paulo Laureano, mit jdem Schluck zwinkert der Weisswein – let’s go for another one!

Die Fischsuppe wird etwas verspielt serviert. Die Croûtons mit einem Tupfer Rouille warten im Teller, bis der Kellner die dicke Suppe hineingiesst. Sie ist wunderbar samtig und pikant, duftet nach Paprika und erfreut mit saftigen Weissfischstücken.

Fischsuppe

Der Junior geniesst sein Steaksandwich mit hausgemachtem Brötchen. Kein überkandidelter signature Burger. Richtiges Brötchen, saftiges Steak drin, Bratensaft, Zwiebel, fertig.

Die bestellten Desserts gingen leider vergessen. Die Hälfte der freundlichen jungen Service-Crew hat den Schurz bereits abgelegt und ist verschwunden.

Dabei haben wir uns so sehr auf das «life changing dessert» Hazelnut3 gefreut. Der Chef de Service ist bestürzt und versichert uns, dass er den fehlbaren Kollegen tadeln wird. Er holt ihn am Schlafittchen und lässt ihn bei uns um Entschuldigung bitten. «Geschlagen habe ich ihn schon», versichert er. «Falsch, ich wollte ihm eine reinhauen!». Ein Dessert mit vier Löffeln wird dann doch noch serviert und geht aufs Haus. Es besteht aus luftigem Haselnussschaum, halb gefrorenem Haselnuss-Parfait und frisch gerasplten Haselnüssen.

Hazelnut3

Sehr gut, aber «life changing» ist dann doch etwas hochgestapelt.

Abends essen wir ein paar gut gemachte Kleinigkeiten in der Tapas Bar Tágide, einem Ableger des gleichnamigen Gourmetrestaurants mit prächtiger Aussicht auf Lissabon.

Oliven

Tagide

Einen guten Wein dazu, gedämpfter Jazz, perfekt.

Pulpo

Kaum da, hat sich auch schon ein Ritual eingeschlichen. Immer, wenn wir spät nachts nach hause schlendern, machen wir bei Amorino Halt und holen uns als Bettmümpfeli ein paar mit Gelato gefüllte Macarons. Che buoni!

Amorino Macarons

Tags darauf geht es endlich zur Cervejaria Ramiro! Auf diese Institution habe ich mich am meisten gefreut. Alle, die wir fragen, sind sich einig: Bessere Meeresfrüchte bekommt man nicht in Lissabon. Bisschen teuer, aber unerreicht gut. Schuld an meiner Vorfreude ist aber auch Anthony Bourdain, der mich in dieser Episode No Reservarions scharf darauf gemacht hat.

No reservations ist auch die Policy von Ramiro. Man kann nicht reservieren und muss sich wohl oder übel in der langen Warteschlange vor dem Restaurant einreihen. Aber es geht flott voran. Das Tempo mit welchem Tische geräumt und frisch aufgedeckt werden ist beeindruckend. Ein Ameisenbau.

Dieser Schuppen ist nichts für Weicheier! Es ist laut, eng, die Kellner sprechen kein Englisch und sie servieren plattenweise Essen, als müssten sie eine Saalwette gewinnen. Und was sie servieren! Es gibt nur Meeresfrüchte, also Muscheln und Krustentiere, kein Fisch, keine Beilagen, nur Pata Negra Schinken oder ein Steaksandwich mit dem das Mahl bizarrerweise von Einheimischen beendet wird. Die Seafood-Qualität wissen auch die Horden Asiaten zu schätzen, die hier über den Tischen hängen und schlürfen und schmatzen als wäre es ihre Henkersmahlzeit. Ab und zu hämmern sie mit einem weissen Kunststoffhammer auf einer Hummer- oder Krebsschere rum und zutzeln zügellos weiter.

Die Preise auf der Karte (ein iPad mit Fotos und Naviagtion in mehreren Sprachen) sind pro Kilogramm angegeben und – je nach Fang – tagesabhängig. Also aufgepasst, die Rechnung kann hier ziemlich schnell ziemlich gesalzen werden. Die roten Riesengarnelen Carabinero möchte ich mir aber nicht entgehen lassen.

Carabineros Ramiro

Kilopreis 79 Euro. Aber der Geschmack und die Textur – Wahnsinn! Eine bessere Garnele hatte ich noch nie. Süss, salzig, fleischig, buttrig, göttlich. Ich machs wie Bourdain, drücke den Kopf aus, der Brei mischt sich mit dem Knoblauchöl auf dem Teller, ich tunke alles mit dem gerösteten Hausbrot auf. Mir wird spontan schwindlig so gut schmeckt das. Und ich höre mich selbst Dinge sagen wie: «Gopftammi! Scheisse ist das gut!» erschrecke kurz und kann mich zum Glück wieder fangen.

Es folgen Meerzikaden, schlichte Venusmischeln, Taschenkrebse, kleine, mittlere, grössere Crevetten, mit und ohne Schalen, gedämpft, gegrillt und in Olivenöl gebraten.

Ramiro Taschenkrebs

Dazu bechern wir Becher um Becher Bier. Es ist eine Riesensause.

Ramiro Taschenkrebs

Kaum füllt sich der Teller mit leeren Schalen, kommt ein Kellner und wechselt ihn gegen einen frischen Teller aus.

Ramiro Garnelen

Wir machen es den anderen Gästen nach und gehen immer wieder zu dem Waschbecken mitten im Restaurant, um unser wichtigstes Besteck zu reinigen: Unsere Finger! Glücklich und satt spuckt uns Ramiro wieder auf die dicht befahrene Avenida – wie passend – Admiral Carlos Cândido dos Reis.

Wir lassen uns zur LX Factory fahren. In einem ausgedienten Industrie-Areal unter der Brücke des 25. April reihen sich Ateliers, Shops und Restaurants aneinander. Muss man gesehen haben, sagen alle. Kann man sich schenken, sage ich. Ich hätte nie gedacht, dass mir Kreativität so auf den Keks gehen kann. Tut sie aber, wenn sie so gekünstelt ist. Dieses pseudo-hippe Posen, diese Neo Vintage Scheisse, dieses artsy-fartsy-edgy Getue nervt. Wie diese Inspirational Quotes, die an jede Wand gesprayt, auf jeder Schiefertafel und dort sogar auf Poster, Karten und Kaffeetassen zu kaufen sind wie «Life isn’t about finding yourself. Life is about creating yourself.» Vielleicht liegt es auch daran, dass wir vom völlig unblasierten Ramiro kommen. Aber mir ist nicht nach warmer Luft.

Lieber fahre ich dahin, wo man wirklich handfestes Handwerk bekommt, zu Caulino an die Rua de S. Mamede ao Caldas, 28 A. Wer sich in diesem Keramikatelier nicht Hals über Kopf in die Teller, Schalen, Vasen und Objekte verliebt, dem ist nicht mehr zu helfen. Viele Restaurants in Lissabon, wie die von Spitzenkoch José Avillez, lassen hier kunstvolle Keramik anfertigen. Leider ist das Verkaufsangebot im Laden durch die gute Auftragsauslastung arg eingeschränkt.

Caulino Lisboa

Für einen Tag am Meer fahren wir mit dem Zug nach Cascais, etwa 30 Kilometer von Lissabon. Der kurzweilige Trip entlang der Küste führt uns in einen hübschen Fischer- und Ferienort.

Unser Ziel ist das Mar do Inferno ein klassisches Fischrestaurant an der Felsklippe. Vom Bahnhof aus spazieren wir uns in 20 Minuten einen gesunden Appetit an. Auf dem Weg dorthin lässt man das wuselige Zentrum des Städtchens mit etwas gar vielen Kitsch-Läden hinter sich. Vorbei an nicht gerade wenigen Restaurants, vor die man gerne ein grosses Warnschild stellen würde. Aber es sitzen bereits fröhlich grinsende Gäste drin, die ihr kulinarisches Glück anscheinend in telefonbuchdicken, plastifizierten Speisekarten finden.

Im Mar do Inferno mache ich mich – zum ersten Mal – über Percébes her. Yay!

Percebes Entenmuscheln

Die Entenmuscheln, die eigentlich Rankenfusskrebse sind, sehen bizarr bis befremdlich aus. Ich bin aufgeregt. Und drücke ungeübt darauf herum, dass es nur so spritzt. Ich muss den Kellner um Anweisung bitten. Am Nebentisch lachen sie sich schon schief. Das Öffnen ist genial einfach, wenn man weiss wie. Man hält das Ding an dieser furchteinflössenden Dinosaurierklaue und oben an der ledrigen Gamasche, dann reisst man es auf wie ein Bonbonpapier.

Percebes Entenmuscheln Hand

Darunter kommt ein, fleischiger Pimmel zum Vorschein (nein, Claudio, das nennt man Stiel) den man, schwupps! in einem Bissen schnappen kann und dann schmeckt man: reiner Ozean! Felsen! Algen! Einzigartig. Unbedingt probieren. Man findet sie hauptsächlich im Atlantik vor der spanischen und portugiesischen Küste und im Mittelmeer. Da sie sich an Felsen festklammern ist die Ernte nicht nur mühselig sondern wegen der Brandung auch äusserst gefährlich.

Die Portionen der Hauptspeisen sind riesig. Ich begnüge mich deshalb mit Bacalhau – dem Nationalgericht Portugals. Wo, wenn nicht hier, diesen Klassiker zum ersten Mal bestellen, denke ich mir und bereue es nicht. Der Fisch ist festfleischig und aromatisch, gleichzeitig saftig und zart. Die einfachen Beilagen aus dem Eintopf sind ordentlich weisse Zwiebeln, Kartoffeln und Oliven. Alles in einem leichten, würzigen Olivenöl-Weissweinsud. Grossartig.

Bacalhau

Abends besuchen wir ein weiteres Doppel-Restaurant von José Avillez. Vorne die Taberna mit einfachen Tapasgerichten und Sharing Dishes, hinten das etwas elegantere Bairro do Avillez in einem etwas überdekorierten Atrium.

Bis ein Tisch in der Taberna frei wird, trinken wir weissen Port mit Tonic, mein neu entdecktes Lieblingsgetränk. Erinnert an Gin Tonic, hat aber weniger PS. Eignet sich über den Aperitiv hinaus auch als Speisebegleiter zu mancher herzhaften Vorspeise.

Porto Tonic

Hier gibt es auch Carabineros, wie im Ramiro. Im elganten Bairro kostet einer 36 Euro, in der Taberna 16. Ich habe aber Lust auf etwas Deftiges und bestelle zu meinem Vinho verde spicy Schweineschwarten Popcorn.

Taberna Pop Corn

Das ist der Renner! Schmeckt tatsächlich wie Popcorn und darüber hinaus noch wie knuspriges, würziges Spanferkel. Phänomenal. Dazu ordern wir Ibéricoschinken, Rindfleischkroketten, Alfacinhas (ein Lattichblatt mit knusprig gebackenem Kabeljau und Knoblauch-Tomatensauce und als Variante grilliertes Schwein, würzig, fettig, knusprig mit Pickels und Koriander) sowie Beefsteak-Sandwiches.

Ja, vor so einer Kachelwand mit schweinischem Stilleben, unter einem Himmel voller Caulino Porzellangemüse, einer offenen Küche umrahmt von Schinken, sagen wir «adeus Lisboa» – auf Widersehen, auf ein Nächstes!

Auf der Fressliste stehen dann diese weiteren Restaurants:

100 Maneiras

Pharmácia

Cervejaria Trindade

Taberna da Rua das Flores   

A Cevicheria

Alma


James Kent

Ziemlich cooler Spitzenkoch vom ziemlich coolen NoMad in New York.

Am St. Moritz Gourmet Festival 2017 habe ich mich anlässlich eines zweiten Gourmet Dîners im Carlton Hotel mit einem weiteren Spitzenkoch aus USA unterhalten: James Kent ist Küchenchef in Daniel Humms Restaurant NoMad im gleichnamigen New Yorker Hotel.

Seine Küche ist mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und die James Beard Foundation nominierte ihn für den Best Chef NYC 2016. Sein beruflicher Weg führte über grosse Stationen in London und Paris. 2010 gewann der er  den Bocuse d’Or USA. Er arbeitet bereits zehn Jahre im Team von Daniel Humm und war zuletzt Chef de Cuisine im Drei-Sterne-Restaurant Eleven Madison Park, bevor er die Leitung der NoMad-Küche übernahm. «Dass ich als junger Koch ins Eleven Madison Park kam und Gelegenheit hatte, im Team von Daniel Humm eins der besten Restaurants unserer Zeit aufzubauen, hat mich nicht nur beruflich deutlich vorangebracht, sondern auch als Mensch geprägt».

James Kent

Es heisst, das Küchenteam im NoMad sei eine Happy Family, der Umgangston heiter und kollegial. Ist es ein Vergnügen bei euch zu arbeiten?
Das freut mich zu hören! Ja, es läuft ziemlich cool untereinander, das stimmt. Die Hierarchie ist flach. Jeder kann sich einbringen. Aber jeder weiss auch hundert prozentig, was von ihm erwartet wird. Die  Kultur, die wir pflegen, liegt mir sehr am Herzen. Sie ist wichtig, denn sie inspiriert die Leute zum Arbeiten. Unser Job ist ziemlich hart, hektisch und herausfordernd. Und dennoch lieben wir, was wir tun. Du kannst die Leute aber nicht zwingen, etwas zu lieben, also musst du sie motivieren. Wer seine Leute einschüchtert, provoziert Angst und dann passieren Fehler. Wir möchten, dass unsere Köche stolz sind. Ganz nach dem Credo von Daniel Humm: „Make it nice!“. Meine Motivation ist, aus jungen Köchen Superköche zu machen. Ich sage ihnen, du kannst so erfolgreich werden wie ich oder Daniel,  alles ist möglich, wenn du daran glaubst.

Wie gross ist euer Team hier in St. Moritz?
Wir sind sieben Köche plus zwei Schweizer Köche. Ich habe vor allem die jüngeren Köche aus New York dabei, damit sie etwas Neues sehen und erleben können. Wir reisen ja viel übers Jahr mit Daniel Humm und kochen an einigen Events. Diese Erfahrung möchten wir den jungen Köchen mitgeben. Daniel ist ohnehin wahnsinnig inspirierend für uns alle.

Was macht einen guten Küchenchef aus?
Er muss dich zum Träumen bringen, beflügeln und inspirieren können! Meine Aufgabe ist es, das Beste aus den Leuten herauszuholen. Wie ein Coach. Schau mal, die besten Leute haben einen Coach. Nimm Roger Federer, der Beste von allen, aber selbst er hat einen Coach, der ihn motiviert und zu Höchstleistungen animiert. Bei uns läuft es so: Wenn jemand bei uns arbeiten will, wird er von uns bekocht. Wir servieren ihm die besten Gerichte und dann sagen wir ihm: So, und nun kochst du für uns – gib dein Bestes. Wir sind auch der Meinung, dass Fleiss und der Wille, etwas zu lernen, wichtiger sind als Talent.

Und was erwartest du, im Gegenzug, von einem Koch?
Ein Koch muss gewillt sein, zu lernen. Der Rest ergibt sich, wenn er sich in unser Team einfügt. Ich stelle vor allem aufrichtige Menschen mit einer guten Persönlichkeit an. Denn wir können niemandem beibringen, ein guter Mensch zu sein. Wenn jemand ein Arschloch ist, schlampig oder arrogant, dann wird er immer so sein. Ich stelle seit 10 Jahren Leute an und habe aus Fehlern gelernt. Am liebsten lasse ich sie für mich kochen. Man kann von einem Teller ablesen, welche Persönlichkeit dahintersteckt. Wenn du dann mit der Person darüber sprichst, was sie zubereitet hat, merkst du schnell, ob da jemand Demut hat oder den Grössenwahn. Wir alle geben unsere Handschrift in ein Gericht. Wie kochst du, wenn du dein Date beeindrucken möchtest? Wie viel Liebe und Aufmerksamkeit steckst du in ein Gericht, das du deiner Mutter oder deinen Kindern zubereitest? Das kann man ziemlich genau an einem Teller ablesen! Am Esstisch geht es oft um wichtige Dinge im Leben, wir pflegen Freundschaften, laden unsere Grossmutter ein, einigen uns mit einem Geschäftspartner. Am Tisch werden echt viele wichtige Entscheidungen getroffen.

Das Dinner hier im Carlton war unglaublich schlicht, aber auch unglaublich gut. Auf dem Teller nur zwei, drei Komponenten und man denkt sich beinahe, das sieht ja ganz einfach aus, aber es ist so intensiv. 
Entscheidend ist die Wahl bestmöglicher Zutaten und die Bewahrung ihres Charakters. Also nehmen wir ganz alltägliche Dinge, wie ein einfaches Huhn, und zaubern daraus das beste Geflügelgericht, das du je gegessen hast. Als junger Koch will man jeden Trick zeigen, den man draufhat. Meistens ist es dann zu viel des Guten und man verliert sich. Mit der Zeit wird man Selbstbewusster und konzentriert sich auf das Wesentliche. Unser Hauptziel ist: Das Essen muss delicious sein! Egal ob du bei uns im Restaurant isst, in einer der Bars, in der Bibliothek, im Atrium … es gibt ja verschiedenste Räume in unserem Hotel, in denen Gäste essen können. Das Ganze ist ein unglaublicher Ort mit einer magischen Atmosphäre – und egal wo du sitzt und was du isst: Es muss einfach wow! schmecken. Ganz ehrlich, es gibt Gäste, die haben bei uns eine Life Changing Experience was Essen angeht.

Dieses Hühner-Consommé zum Beispiel war geschmacklich so wuchtig und doch so leicht wie ein Tee.
Das freut mich, dass du das Wort Tee verwendest. Denn wir bereiten das Consommé tatsächlich wie einen Tee zu! Die Basis ist ein klassischer Hühnerfond, den wir sorgfältig klären. Dann geben wir ganz viele Pilze, Kräuter, Gewürze und Zitronenschalen dazu, lassen es nur einmal kurz aufkochen und dann decken wir den Topf ab und lassen ihn auskühlen. Auf diese Weise bleiben die ganz feinen Aromen der Zutaten erhalten und du schmeckst alles, von der Umamitiefe bis zu den frischen Zitrus- oder Estragonspitzen.

Auch bei den Tortelloni dachte ich, hm, okay, Tortelloni gefüllt mit Sellerie und Trüffel, ohne Effekthascherei, aber wie zum Henker bekommst du da so viel Geschmack hinein?
Sellerie und schwarzer Trüffel ist eine grossartige Kombination, es ist Daniel Humms liebste Kombination. Der Trick beim Sellerie ist, dass wir ihn nach dem garen in Milch zu einem Püree verarbeiten und dieses dann mehrere Stunden trocknen, um das Aroma zu konzentrieren. Für die Füllung verwenden wir dann noch beste Trüffel, den richtigen Parmesan und etwas Rahm. That’s it.

Was macht dich wütend?
Vieles! (Lacht). Leute, die gleichgültig tun und sich nicht engagieren, machen mich rasend. Oder wenn jemand starrköpfig ist, keine andere Meinung gelten lässt und sich nichts beibringen lassen will.

Wo kannst du dich so richtig entspannen?
Beim Graffity sprayen! Ich habe als Kid in New York Wände und Züge getagged. Heute mache ich diverse Auftragsarbeiten oder arbeite einfach um mich zu entspannen. Oder ich gehe laufen und trainiere für einen Marathon. Ich laufe unglaublich gerne. Wir haben auch ein Make it Nice Running Team und motivieren uns gegenseitig.

Das Dinner war von frappanter Simplizität – handwerklich und vor allem geschmacklich allerdings herausragend. Auch diesmal, ich bitte um Nachsicht, leider ohne Fotos, weil es im Restaurant zu dunkel war.

Zum Auftakt gab es ein Aschebrot. Es ist eine knusprige, luftige und lauwarme Focaccia von Pâtisserie Chef Mark Welker. Das Gebäck ist schwarz. Das kommt von der beigemischten Bambusasche im Teig.

Man sieht das jetzt oft: Schwarze Brötchen. Ich persönlich kann dem Trend leider nichts abgewinnen. Nichts ist für mein Empfinden schöner und appetitlicher als eine goldene Kruste. Was mir als Liebhaber von gutem Brot jedoch besonders gefällt: Es wird als eigenständiger Gang serviert. Und nichts – keine Butter, kein Olivenöl, kein Aufstrich, niente – lenkt davon ab. Das ist durchaus erwünscht. Butter würden sie auch im NoMad nur auf ausdrücklichen Wunsch servieren. Das Gebäck hat auch deshalb viel Geschmack, weil es mit Zwiebel und Süsskartoffel gefüllt ist.

Der nächste Gang ist ein Matsutake-Consommé. Eine Kraftbrühe mit Huhn-, Pilz und Trüffelgeschmack, so klar und leicht wie ein Tee und dabei von so tiefer und komplexer Aromatik.

Die drei folgenden Tortelloni sind schon fast der Höhepunkt des Abends. Üppig gefüllt mit cremigem Sellerie und schwarzem Trüffel, begleitet von einem Parmesanschaum. Unter der Pasta eine intensive Steinpilzreduktion, klebrig wie eine Demiglace. Ein Traum.

Es folgt ein perfekt gegartes Stück vom Steinbutt. Dazu eine kräftig reduzierte Bratensauce vom Ochsenschwanz, inklusive dem faserig-zartem, zerkochtem Fleisch. Wahnsinnig gute Kombination. Schön dazu auch der rote und weisse Kohlrabi in unterschiedlichen Texturen: Als süssliches Püree, in rohen Scheiben und, als säuerlicher Kontrast, als fermentierte Würfel.

Dann folgt das berühmte NoMad-Chicken. Es wird am Tisch im Ganzen präsentiert. Aufgetragen wird es in zwei Gängen. Einmal die mit Brioche, Foie gras und schwarzem Trüffel gefüllte Brust, dazu Apfelpüree, gegrillter Lauch und Geflügeljus. Danach das Schenkelfleisch gemischt mit Lauch, Apfel und krossen Hautstückchen. Es schmeckt wahnsinnig gut und vor allem so, als hätte es die liebenswürdigste Granny als Sonntagsessen zubereitet – und nicht etwa ein überdrehter Koch der mit crazy Kombinationen nach der ultimativen Geschmacksexplosion sucht – sehr tröstend und zuversichtlich das. Echtes Handwerk eben.

Der Dessertgang wird auf der Karte schlicht mit «Milk and Honey» vermerkt. Und: Mehr ist es eigentlich auch nicht, aber wiederum schmeckt es erstaunlich intensiv und unverfälscht. Zwei Nocken extrem cremiges Milcheis, darüber ein paar Fäden Honig und darunter bestes Karamell und knusprige Buttercookies. So simpel kann grandioses Essen sein.

Thank you, James! Hoffe, wir sehn uns das nächste Mal in New York.

James Kent and Claudio Del Principe

Übrigens: Wer das weltbeste Brathuhn zuhause nachkochen möchte, kann sich in diesem Video gleich von Daniel Humm himself anleiten lassen. Enjoy!


Schmetterlinge im Bauch.

Melissa Kelly

Lebt ihren «Farm-to-Table»-Traum: Melissa Kelly aus Rockland, Maine.

Das Thema «Discover THE Best from the West» steht beim St. Moritz Gourmet Festival 2017 im Zentrum. Zehn Spitzenköche aus den Vereinigten Staaten präsentieren eine Woche lang ihre herausragenden Kochstile und zeigen vielfältige Facetten der nordamerikanischen Küche. Vom New Yorker Superstar mit Schweizer Wurzeln Daniel Humm aus dem Dreisternerestaurant Eleven Madison Park bis zur Spitzenköchin Melissa Kelly, die im kleinen Ort Rockland im Bundesstaat Maine das Primo Restaurant und die dazugehörende Farm mit grossem Gemüseanbau und vielen Tieren betreibt.

Auf ihre Gerichte und Kochphilosophie habe ich mich besonders gefreut. Alleine das Videoportrait auf ihrer Website ist so berührend, dass man sofort die Koffer packen und zu ihr reisen möchte.

Die zweifache Gewinnerin des James Beard Awards «Best Chef: Northeast» ist in Long Island aufgewachsen. Ihren ersten Kochunterricht erhielt sie in der Küche ihrer italienischen Grossmutter. Von ihr hat sie die liebevolle Zubereitung frischer Zutaten aus dem eigenen Garten übernommen. Prägend war auch ihr beruflicher Werdegang in namhaften Restaurants. Besonders die Zusammenarbeit mit Reed Heron im Restaurant Lulu und mit der legendären Alice Waters im Chez Panisse: «Ich hatte meinen eigenen Stil noch nicht gefunden, als ich dort anfing. Aber hinterher wusste ich, was für mich wichtig war: Einfachheit, Saisonalität und Frische». Melissa Kelly und ihr Partner Price Kushner haben während der letzten 13 Jahre den Hof des Primo auf viereinhalb Morgen erweitert. Was mit einem Gewächshaus, einem zwei Morgen grossen Biogarten und zwei Schweinen begann, umfasst heute Masthähnchen und Haushühner, Enten, Perlhühner und neun Schweine. Während der Hauptsaison kommen rund 80 Prozent aller Zutaten, die in der Primo-Küche verwertet werden, vom eigenen Hof.

Im Nira Alpina konnte ich einige ihren Signature Dishes geniessen. Darunter ihre Version von «Saltimbocca», dem Lieblingsgericht ihres Grossvaters, das sie ihm immer zubereitet hat. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, was ihre Passion antreibt und woher sie die Energie nimmt, gleichzeitig Farmerin und Spitzenköchin zu sein.

Du hast italienische Vorfahren.
Ja! Aus Bologna. Mein Grossvater kommt aus Bologna.

Primo?
Ja, das ist sein Vorname. Er war Metzger und liebte es, gut zu essen. Ich habe mein Restaurant nach ihm benannt: Primo Restaurant.

Ich habe gelesen, dass du in Bologna in einem Restaurant gegessen hast, das „Quanto basta“ heisst. Weisst du, was das bedeutet?
Ich bin mir nicht sicher, ist es eine Mengenangabe?

Genau, es ist meine liebste Mengenangabe, es bedeutet: So viel wie nötig. Wenn man eine italienische Nonna fragt, wie viel Mehl nimmst du für die Pasta? wird sie antworten, ich weiss nicht, so viel wie es halt braucht. Wie weisst du, wie viel von was nötig ist?
Tja, also, weisst du, meine Art zu kochen ist Farm-to-Table. Ich betreibe eine kleine Farm mit Tieren, viel Gemüse, Kräutern, Bienen. Ich denke mal … wie viel ist nötig? Meine Antwort darauf ist, so viel wie du schaffen kannst! Für meinen Teil zumindest. Weil es immer so busy ist. Es gibt immer so viel zu tun: Vom Anpflanzen, über die Pflege bis zur Ernte und was wir dann aus den frischen Zutaten tatsächlich zubereiten wollen. Das entscheiden wir immer sehr kurzfristig, täglich, damit wir das Beste aus dem machen können, das gerade verfügbar ist. Ich lebe in Maine, das Wetter ist dem hier ähnlich. Da kommt es auch immer darauf an, wie die Jahreszeit sich entwickelt, wenn es schon früh Schnee gibt, vielleicht im November, dann wird es im Garten schwierig.

Seid ihr alle im Farmbetrieb involviert?
Wir haben ein dediziertes Gartenteam, aber die Küche ist natürlich auch miteinbezogen, es ist nicht deren Priorität, aber wir sind alle täglich involviert.

Das führt zur unvermeidlichen Frage, woher nimmst du die Energie? Ich meine, du kümmerst dich sprichwörtlich um jedes Detail und dann reist du auch noch in die Schweiz um zu kochen!
Das stimmt, ich versuche wirklich alle Details abzustimmen. Es ist einfach pure Leidenschaft die mich vorantreibt, mein Restaurant, unsere Lebenseinstellung. Ich bilde viele junge Köche aus und ich liebe einfach was ich tue. Ich koche seit 30 Jahren und ich liebe es noch immer täglich zu kochen. Ich glaube, die Produkte inspirieren mich. Meine Studenten, meine Kinder …

Du hast Kinder?
Oh, nein, ich meine, meine Kinder in der Küche, ich nenne meine Auszubildenden Kids, sie sind wie Kinder!

Viele empfinden die kulinarische Welt als immer lauter – du bist eher das Gegenteil.
Ich bin diesbezüglich definitiv old fashioned, ich meine, so wie ich die Dinge angehe. Diese ganze Celebrity-Seite an meinem Beruf ist mir persönlich nicht so wichtig. Es ist natürlich fantastisch, an Events wie diesen hier in St. Moritz teilzunehmen, all die grossartigen Köche zu treffen – besonders auch die Schweizer Köche, die uns hier vor Ort unterstützen, sind unglaublich. Dann trifft man auch Freunde, mit denen man schon zusammengearbeitet hat, freut sich über das Widersehen und man schliesst neue Freundschaften. Es ist auch sehr schön, wenn die eigene Arbeit ausgezeichnet wird. Auf der anderen Seite muss man hart daran arbeiten, um die eigene Reputation aufrecht zu erhalten. Schlussendlich jedoch gilt meine Priorität meiner Farm, meiner Küche, meinen Gästen. Ich versuche fokussiert zu bleiben, zu wachsen, zu lernen, weil; es ist endlos, Food und Wein und Reisen sind endlos. Es gibt noch so viel zu entdecken. Das fordert mich heraus, das begeistert mich – mir ist jedenfalls nie langweilig!

Du hast einmal über die italienische Sensibilität zu Kochen gesprochen und wie diese dich anspricht. Wie definierst du die?
Ich würde mal so sagen: Auf den Punkt saisonal, auf die Region lokal. Wenn man in Italien von Ort zu Ort fährt, merkt man sehr schnell, wie sich die Gerichte und Zutaten verändern. Dieselbe Käsesorte schmeckt da ein bisschen anders als dort, die Pastaform ist vielleicht traditionell in dieser Stadt aber nicht in der nächsten, die Zubereitung der Gerichte variieren je nach Region. Ich schätze das sehr. Diese Verwurzelung mit der Region. Auch wie sie über Essen denken, wie etwas zelebriert wird, ein Gericht oder ein Produkt, weil gerade die Jahreszeit dafür ist. Man erzwingt es nicht, mit Zutaten zu kochen, die gerade nicht verfügbar sind. Weisst du, wenn Tomaten da sind, super, dann essen sie Tomaten. Ich mag das, generell im Leben, wenn man die Dinge zu nehmen und zu schätzen weiss, wenn die Zeit, der Moment reif ist dafür. In USA läuft das anders, und ich denke hier ist es ähnlich, weil wir ja Food rund um den Globus schippern, wir sind heute sehr verwöhnt. Ich kann Trüffel aus Frankreich bekommen, Olivenöl aus Sizilien, wenn ich ein spezielles Gewürz aus Marokko wollte, könnte ich einen Anruf machen und am nächsten Tag hab ich das Gewürz. Es kostet was, aber es ist möglich. Und was dann passiert ist, wenn man an einen Ort reist, hat man nicht mehr das authentische Essen, das eigentlich mit dieser Region verwurzelt ist. Ich lebe in Maine, am Meer. Und von da werden unheimlich viele Krustentiere und Fische exportiert. Jakobsmuscheln gehen nach Las Vegas. Maine Heilbutt geht nach L.A. oder Chicago und dann kann es sein, dass ich keine Jakobsmuscheln aus Maine mehr erhalte, weil sie ausverkauft sind, und obwohl ich vor Ort lebe hat es nicht genug für uns, das ist zuweilen absurd.

Die andere Lautsein in der kulinarischen Welt ist, dass jeder behauptet, ich weiss was gutes, gesundes, zeitgemässes und so weiter Essen ist. Was ist für dich gutes Essen?
Ich persönlich bevorzuge sehr simples Essen. Nummer eins ist die Qualität der Zutat. Technik, also das Handwerk, ist sehr wichtig, dass man die Dinge richtig und gekonnt verarbeitet und zubereitet. Dass der Geschmack stimmt, dass die Balance beim Würzen und Abschmecken stimmt. Aber … und natürlich soll es nett angerichtet sein. Weil, wenn ein Gericht gut aussieht, bekommt man Appetit bevor man überhaupt davon gekostet hat. Aber für mich ist es nicht wichtig, etwas zu kreieren im Sinne von dekonstruieren und neu interpretieren. Ich mag klassische Gerichte, denen ich eine persönliche Handschrift mitgebe. Deshalb ist Molekulargastronomie nie mein Ding gewesen. Ich mag Lebensmittel nicht zu sehr verändern, man soll erkennen, was man isst. Wenn du schöne Produkte hast, lass sie für sich selbst sprechen.

Es gibt diese Einstellung im Video auf eurer Website, wo ihr ganze Fische in diesen riesigen Holzofen schiebt, Brot, Fleisch, das sieht sehr archaisch und wahnsinnig sinnlich aus.
Ja, wir lieben es mit Holz zu feuern und mit Feuer zu kochen. Wir haben ja unsere eigenen Hühner und schlachten die auch selbst, wir holen jeden Tag frische Eier aus unserem Hühnerstall und das kann man schmecken, wie frisch die sind …

Aber gewisse Dinge bereitet ihr doch bestimmt auch sous-vide im Wasserbad zu?
Ja, definitiv. Ich versuche aufgeschlossen zu sein gegenüber neuen Kochtechniken. Wenn es für mich Sinn macht, setze ich sie auch ein. Wenn du am Ende ein besseres Produkt hast, okay. Ich muss zugeben, ich hab mich am Anfang etwas geziert, sous-vide zu kochen, weil es mich störte, Lebensmittel in einem Plastikbeutel zu garen. Aber ein junger Sous-Chef hat es letztendlich – er war ziemlich hartnäckig, muss ich sagen – geschafft, mich zu überzeugen und das Resultat war denn auch sehr überzeugend. Weil Textur und Geschmack wirklich besser waren. Wir machen zum Beispiel unsere Wurstwaren selbst, wie Mortadella, und die bereiten wir sous-vide zu, weil dadurch kein Fett verloren geht, das macht sie saftig und delikat.

War es eine grosse Herausforderung, ohne deine eigenen Produkte hier am Festival zu kochen?
Es macht einen Unterschied, ja. Es gibt gewisse Dinge, die für mich ungewohnt sind, aber Florian Mainzger, der Küchenchef im Nira Alpina hat einen super Job gemacht, alle Zutaten zu beschaffen, die ich brauche. Und es war so lustig, weil unsere Korrespondenz umfasst so viele E-Mails, er schickte mir zum Beispiel Bilder von Shrimps, um sicher zu gehen, ist das die richtige Grösse? Farbe? Form? Das ging hin und her für jede einzelne Zutat. Und ich sagte ihm, ich möchte so viele Zutaten wie möglich aus der Region verwenden, weil wir ja bei uns auch so arbeiten, und er fand dann dieses grossartige Fleisch von Weideschweinen aus dem Engadin und so weiter – er hat seine Hausaufgaben wirklich gemacht!

Was macht einen guten Küchenchef aus?
Das wichtigste ist, du musst Feuer und Flamme sein für deinen Beruf. Weil es sind unheimlich lange Tage und du arbeitest zu komplett anderen Zeiten als deine Freunde, bis in die Nacht und auch am Wochenende. Das kann manchmal schwer sein. Mein Arbeitstag dauert im Schnitt 16 Stunden. Sechs Tage die Woche. Da gibt man manchmal gewisse Dinge auf. Muss. Das macht es schwierig, heute Leute zu finden, die bereit sind, mitzuarbeiten. Die Kids, die heute ab der Schule kommen, sehen diese Starköche im Fernsehen und denken sich, cool! das will ich auch, ich werde auch ein Superstar. Aber sie wollen nicht dafür arbeiten. Sie wollen den Beruf nicht lernen. Sie schauen sich ein paar Videos auf dem Smartphone an und denken, sie wissen Bescheid. Also, zu meiner Zeit musste man 15 Jahre in der Küche arbeiten, und ich meine: arbeiten, kiloweise Kartoffeln schälen und so, bevor man irgendeinen Status hatte. Man musste den erfahrenen Köchen zuschauen und von ihnen lernen. Diese Fertigkeiten kann man sich nicht anlesen. Du musst etwas mit deinen Händen tun. Hundert mal. Bis jeder Handgriff sitzt.

«Melissa spricht es nicht aus. Aber mit ihrer Haltung, selbst anzupacken, hart zu arbeiten, Freude an Produkten und am Kochen zu haben, ist sie ein grosses Vorbild für uns. Sie inspiriert uns und reisst alle im Team mit, geht voraus und lebt den anderen vor, was einen guten Chef ausmacht». So formuliert es Jenna Sprafkin, langjährige Köchin bei Melissa, die mit ihr in St. Moritz kocht und uns am Tisch begrüsst.

Was ist Liebe?
Was ist Liebe? Aufs Essen bezogen oder generell?

Deine persönliche Definition.
Liebe macht dir Schmetterlinge im Bauch. Macht dich glücklich. Erregt dich. Liebe ist etwas, wofür du alles tun würdest. Ob es jetzt um jemanden geht oder um etwas, das du liebst, das dir Vergnügen bereitet. Das kann Food sein, das kann eine Person sein, das kann ein Sonnenuntergang sein, einfach etwas, das dir ein warmes Glücksgefühl gibt.

Den Auftakt bei Melissa Kelly’s Gourmet Dîner machen herzhafte Rillettes, ein Aufstrich aus Schweinefleisch, das mich an elsässische Landgasthäuser denken lässt. Dazu gibt es warmes, unheimlich luftiges «French Bread», was in Wahrheit ein zarter Windbeutel ist.

Danach folgt ein Salat mit leicht bitterem Chicorée, frischen und karamellisierten Feigen, kandierten Orangen, die gleichzeitig süss und bitter schmecken, Mandeln und knusprig gebratene Pancetta. Das Ganze angerichtet auf einer Gorgonzolacreme. Wir merken: Das ist geschmackvoll, reichhaltig und alles andere als Pinzettengastronomie.

Der nächste Gang mit bretonischer Jakobsmuschel wird begleitet von Kaviar, rohem Blumenkohl, einer Blumenkohl-Pannacotta und einem intensivem Kräuterschaum.

Rund und geschmeidig schmecken die mit Sepiatinte gefärbten Linguine mit scharfem Tomatensugo, Broccolicreme und gegrilltem Calamaro.

Im Hauptgang dann die berühmten Saltimbocca, Nonno Primo’s Leibspeise. Kelly verwendet dafür am liebsten Schnitzel vom Schweinerücken. Sie serviert die kurz gebratenen Scaloppine mit einem Purée aus Kartoffeln und geröstetem Knoblauch, gedämpftem Spinat, Prosciutto und einer intensiven Reduktion aus Madeira und Pilzen. Grossartig.

Als Dessert – sehr italienisch im Weinglas serviert – ein korpulenter Karamellpudding mit Rosmarinbuttergebäck und frischen Krapfen.

Leider kann ich keine guten Bilder vom Essen zeigen. Es war schlicht zu dunkel. Dafür gibts ein blendendes Selfie mit mir und der reizenden Spitzenköchin.

Melissa Kelly Claudio Del Principe


Streifen machen schlank.

Petersilienwurzel

Aktuelles Lieblingswintergemüse: Geröstete Petersilienwurzelstreifen.

Die Dinger sind so gut, ich werd noch wahnsinnig. Ich esse sie am liebsten als Snack, als Vorspeise oder als Beilage – vorwärts und zurück.

Man sieht ja jetzt vermehrt Rezepte für geröstetes Wurzelgemüse. Urkarotten, Pastinaken. So vom Blech. Da wird dann immer hip Honig drüber geglibbert, ganze Kräuterbüsche werden mit in den Ofen geschoben, Tonnen von Knoblauch und Zwiebeln sowieso und gewürzt wird, als wären wir im Beduinenzelt.

Eigentlich aber braucht es nur: Olivenöl, Pfeffer, Salz. Und: Einen Sparschäler.

Denn wenn die Petersilienwurzeln in sehr dünne Streifen geschnitten werden, mutieren sie zu einem leichten, süchtigmachenden Snack. Superknusprig und süsslich konzentriert (genau, die Wurzeln haben schon genug Eigenzucker, da braucht es nicht noch extra Honig) mit einem intensiven Sellerie-Petersilien-Kartoffelchips-Geschmack.

Die Petersilienwurzeln einfach mit dem Sparschäler schälen. Anschliessend die Wurzel der Länge nach halbieren, mit der Schnittfläche auf ein Schneidebrett legen und dann mit dem Sparschäler möglichst gleichmässige Streifen abziehen.

Streifen in eine Schüssel geben, wenig Olivenöl darüberträufeln und alles mit den Händen gleichmässig vermischen. Jeder Streifen sollte mit einem dünnen Ölfilm überzogen sein. Es braucht wirklich nicht viel.

Ich gebe sie gerne in einen Antihaftbräter und röste sie während etwa 10 Minuten bei 200 Grad Umluft. Man kann sie auch auf einem mit Backpapier ausgelegten Blech verteilen. Wichtig ist, dass sie locker verstreut werden und nicht auf einem Haufen liegen. Zwischendurch zwei, dreimal wenden und auflockern.

Mit frisch gemahlenem Pfeffer aus der Mühle und Fleur de Sel würzen. Und weil die auch ohne fette Dips schmecken, ist das alles in allem eine sehr schlanke Sache.


Schloss Bottmingen

Sonntagabend, halb sieben. Für viele Fixtermin für die wöchentliche Depro-Dosis fait maison. Das Wochenende ist wieder mal viel zu schnell aufgebraucht. Und was sie sich dann antun, ist grauslich: Tatort schauen! Na, bravo. Als ob holprige Dialoge, holzige Akteure und haarsträubende Plots Abhilfe leisten könnten. Selber schuld.

Wären besser mal der Spur ins Restaurant Schloss Bottmingen gefolgt.

Wer den richtigen Riecher hatte, wurde an diesem kulinarischen Tatort Zeuge der Machenschaft sieben furchtloser Spitzenköche. Sie waren die Hauptdarsteller der «Soirée Truffes et Vins», die bereits zum dritten Mal unter dem Protektorat von Andy Zaugg mit seinen Freunden und Schloss-Küchenchef, Gilles Brunin, stattfand.

So sehen spannende Sonntagabende aus!
Und ich Glücklicher war als Partner in Crime vom Schloss eingeladen.

Die Brigade der Spitzenköche steht gut vorbereitet und noch besser gelaunt zum Empfang der Gäste bereit.

Von links: Stefan Bader (der den Alten Stephan anfangs 2018 vom abtretenden Wirt Andy Zaugg übernehmen wird), Thomas Haselwanter (Restaurant Unterwirt, Südtirol), Alain Schmidlin (Pâtissier, Schloss Bottmingen), Gilles Brunin (abtretender Küchenchef, Schloss Bottmingen, neu übernimmt Guy Wallyn das Ruder), Andy Zaugg (Zum Alten Stephan, Solothurn), Arno Sgier (Traube, Trimbach), Werner Schürch (Emmenhof, Burgdorf).

Zum Steh-Apéro gibt es die ersten Amuse Bouches mit weissen und schwarzen Trüffeln: Thunfisch-Tataki mit fein geraspeltem schwarzen Trüffel, Jakobsmuschel mit einem rahmigen Trüffelschaum und geraspeltem weissen Trüffel, Kalbsmilken mit Trüffel in knusprigem Blätterteig, cremiger Kartoffelschaum mit Trüffelscheiben, eine tiefgründige Sellerie-Essenz mit einem Trüffelraviolo und schwarzem Trüffel in Scheiben.

Dazu trinken wir Champagner von Nicolas Feuillatte und einen Roero Arneis, Vinga Tabaria L. Abrate 2015.

Grossartige Bühne: Die Köche hatten sich als Kolonne im Rittersaal aufgebaut. Die Gäste konnten jeweils zusehen, wie die Teller im Teamwork angerichtet wurden. Arno Sgier von der Traube Trimbach schickte den ersten Gang. Gänseleber mit schwarzen Périgord-Trüffeln. Begleitet von einem Forteto della Luja 2008, Loazzola.

Für mich der beste Gang des Abends. Eine perfekt abgeschmeckte Foie Gras-Terrine im Baumkuchen-Mantel, daneben eine luftige Gänselebermousse im feinknusprigen Hüppenteig und als dritte Variation eine karamellige Crème Brûlée-Kugel gefüllt mit Gänseleber. Dazu Pastinaken in Form von filigranen Chips und als Püree.

Werner Schürch vom Emmenhof bringt zusammen, was zusammen gehört: Ei, Parmesan, weisser Albatrüffel.

Er nennt es „Ei Façon Carbanara“. Das flüssige Dotter harmoniert perfekt mit Pancetta, cremigem Parmesanschaum und dem weissen Trüffel.  Ein Sostegno 2015, Marchesi Alfieri, als Weinbegleitung setzt dem ganzen die Krone auf.

Thomas Haselwanter kam den weiten Weg vom Südtirol. Er kocht im Restaurant Unterwirt, Gufidaun.

Von ihm gab es ein sensationell luftiges Soufflé mit kräftig karamellisierter Kruste vom Alpkäse in Kombination mit butterzarten Artischockenböden sowie weissem und schwarzem Trüffel. Dazu – typisch Südtiroler Küche – zarte, süssliche Wirsingblätter. Ein warmer, harmonischer Gang. Bestens begleitet von einem 2013 Bric Ginestra von Paolo Conterno aus dem Monferrato.

Diskreter Dealer für diese formidable Trüffelorgie ist Ueli Engel aus Biel. Mehr über sein Trüffel-Mekka auf trueffeln.ch

Vom Team Schlossküche folgt der Hauptgang: Rindsfilet „Irish Angus“ am Stück gebraten auf Sellerie-Kartoffelpüree mit Kardygemüse und Périgord Trüffeljus. Eine Granate dazu der Barolo La Ginestra 2011 von Paolo Conterno.

Stephan Bader serviert als Käsegang einen Tomme de Moléson mit weissen und schwarzen Périgord-Trüffeln. Ein paar Tropfen fruchtiges Olivenöl und knusprige Brotchips sorgen für Spannung. Der Forteto della Luja 2015, Le Grive, war mit seinen akzentuierten, verspielten Noten von Veilchen, Heidelbeeren und Zimt ein sehr eigenwilliger Wein, der meinen Geschmack leider nicht getroffen hat.

Das süsse Finale von Schloss-Pâtissier Alain Schmidlin: Macaron von Haselnüssen und Granatapfel mit schwarzen Périgord-Trüffeln. Unverschämt gutes Bisquit und eine weisse Ganachemousse mit gefährlich hohem Suchtpotential. Dazu klassisch, Moscato d’Asti Barisél 2015, von Franco Penna.

Haben gut Lachen, nachdem sie über 90 Gäste glücklich gemacht haben:
Der Neue und der Alte vom «Alten Stephan» in Solothurn.

Stephan Bader mit Andy Zaugg, der die Trüffelabend-Serie im Schloss initiierte und nächstes Jahr hoffentlich wieder für genussvolle Stunden sorgen wird. Merci, Chef!


Kostbarste aller Zutaten: Zeit.

Gnocchetti sardi Malloreddus

Malloreddus, geschmorte Lammschulter, Cicerchie. Zubereitungszeit: 36 Stunden.

Richtig gelesen. Die Zubereitung dieses Pasta-Gerichts hat nicht weniger als 36 Stunden in Anspruch genommen. Jede einzelne war es wert. Und bei jedem Bissen, für den man sich schön Zeit lässt und den man mit ungewöhnlich klarem Verstand kaut, wächst neben dem Gefühl der Sättigung auch jenes der Erfüllung.

Wer also Kochbücher und Rezeptseiten aus Arbeitsscheu, Drückebergerei oder was auch immer notorisch nach den kürzesten Zubereitungszeiten abklappert: Husch, husch! Weg hier! Geht und macht eure Blitznudeln und One-pot-Pasta woanders.

Was wir hier machen ist: Platterbsen 24 Stunden einweichen und danach 2 Stunden weichkochen. Eine Lammschulter 7 Stunden im Ofen schmoren, dem trotz akkurater Teigversiegelung des Bräters ein hypnotischer Duft entweicht der die ganze Bude betört. 2 Stunden für handgemachte Pasta aufwenden. 1 Stunde Zutaten aufbereiten, Sauce aufkochen und Teller anrichten. Gibt nach Adam Riese? 36 Stunden.

Cicerchie Platterbsen

Am Vortag werden die schönen, aber auch schön giftigen, Cicerchie eingeweicht. Und zwar nicht weniger als 24 Stunden. Wasser aufkochen, salzen, die Platterbsen damit übergiessen. Damit wird das toxische Alkaloid namens Lathyrin abgebaut. Ist wie mit dem Phasin in grünen Bohnen, die dürfen ja auch nicht roh verzehrt werden. Alles in bester Ordnung. Keine Sorge.

Am nächsten Tag Cicerchie abbrausen und in frischem Wasser etwa 2 Stunden weichkochen. Für 100 g Cicerchie braucht es 1 Liter Wasser. Ausserdem 1 Karotte, 1 Selleriestange, 1 Zwiebel, 1 Knoblauchzehe, 1 Lorbeerblatt, 1 Esslöffel passierte Tomaten und ein paar Tropfen Olivenöl. Alles kalt ansetzen, einmal aufkochen, dann zugedeckt bei kleiner Hitze schmoren und erst am Schluss mit Salz und Pfeffer abschmecken. Die Platterbsen sind wahnsinnig delikat. Sie schmecken süsslich, nach Erbsen, Kichererbsen und Lupinen. Die Textur ist kompakter als die von Kichererbsen oder Bohnen und die Haut ist leicht seifig und weniger brüchig.

Lammschulter

Ebenfalls am Vortag lässt sich das Sieben-Stunden-Lamm nach Anthony Bourdain zubereiten. Treue Leser dieser Seiten haben die Hausaufgaben natürlich längst gemacht. Für die Neulinge: Es ist einfach der Hammer! Sollte man echt öfters machen, es ist so eine Freude und das Fleisch ist so was von – wie sagt man „melt in your mouth“ auf Deutsch? – schmelzig und intensiv!

Anstelle einer Lammkeule habe ich diesmal eine Lammschulter von 2 kg verwendet. Der türkische Metzger (nein, nicht der hier, der gerade das Internet zerlegt) hat sie mir in vier Teile zersägt, damit sie in meinem Gusseisenbräter passt.

Das Wichtigste: Das Fleisch nicht anbraten! Wir geben es einfach so in den Topf. Roh. Bisschen Salz, bisschen Pfeffer. Dazu nach Belieben, ein paar Zwiebeln, Karotten, Sellerie, eine Knoblauchknolle (ja von mir aus auch zwei, du Wahnsinniger), ein Loorbeerblatt, ein paar Petersilienstängel, Thymianblüten – oder was immer ihr an Kräutern in eurem Bouqut garni mögt – und schliesslich, auch das ist sehr wichtig. Zwei bis drei Deziliter Flüssigkeit. Und zwar einen Teil Weiss- oder Rotwein und einen Teil Olivenöl.

Jetzt einen Teig aus etwa 500 g Mehl und 300 g Wasser kneten. Keine Angst, nicht zum Essen. Damit minutiös den Gusseisen-Bräter versiegeln.

Gusseisenbräter versiegelt

Dann kommt der Bräter für sieben Stunden in den 150 Grad heissen Ofen. Versteht jeder, dass in dieser Zeit keine Feuchtigkeit aus dem Bräter entweichen darf? Weil sonst haben wir am Schluss Briketts im Topf statt zartestem Fleisch, welches auf leisesten Druck vom Knochen fällt. Das Aufschlagen der Versiegelung ist ein wahrlicher Indiana Jones-Moment!

Siebenstundenlamm

Das Fleisch ist ein Festessen für sich, keine Frage. Und die Sauce, die wir mit etwas Wasser strecken und durch ein ein Sieb passieren eine Wucht.

Siebenstundenlamm Platte

Für unsere Pasta brauchen wir pro Person etwa 100 Gramm Lammfleisch. Von Hand vom Knochen lösen, etwas zerzupfen und mit der Sauce bereitstellen.

Für die Malloreddus, oder Gnocchetti Sardi, wie sie auch genannt werden, brauchen wir nichts als italienisches Hartweizengriess, bekannt als Semolina rimacinata di grano duro und Wasser. Toll, nicht? Ist also gar nicht so kompliziert, wie vermutet.

Für vier Personen 300 g Mehl mit 150 g lauwarmem Wasser mischen. Dann zu einem sehr glatten, kompakten Teig kneten. Geht gut und gerne 15 Minuten und ziemlich in die Arme. Der Teig sollte sich trocken und hart anfühlen. Abdecken und mindestens 30 Minuten ruhen lassen. Dann Teig portionsweise in fingerdicke Rollen formen und in 1 cm lange Stücke schneiden. Diese mit Daumendruck über ein bemehltes Gnocchiholz drücken. Das geht so:

Mit Mehl bestäuben und bereitstellen. Die Gnocchi können auch ein paar Stunden im Voraus zubereitet werden. Pasta im kochenden Salzwasser al dente kochen. Ganz einfach: Das ist der Moment, in welchem sie aufschwimmen. Abschöpfen und in eine breite Schwenkpfanne geben, wo sich bereits das Lammfleisch, die Lammsauce und eine Handvoll Cicerchie pro Person  befinden.

Gnocchetti sardi Malloreddus

Alles bei mittlerer Hitze vermengen, dabei etwas Pastawasser einrühren, damit die Sauce schön bindet und alles gleichmässig überzieht. Auf Tellern anrichten und dann stolz die Ahh! Ooh! und Mmh! einkassieren.

Gnocchetti sardi Lamm Cicerchie


Laib und Seele.

Ciabatta

Das hier, das ist nicht einfach ein Brot. Es ist der Beweis, dass ich dafür etwas zum Leben erweckt habe, das mein Leben überdauern könnte und danach womöglich an die nächste Generation übergeht: Mein eigener Lievito Madre.

Lievito Madre heisst übersetzt Mutterhefe. Ein Weizensauerteig nach italienischem Vorbild. Damit kann ich mit blossen Händen – wann immer ich es möchte – ein kleines Wunder vollbringen. Nämlich mit nichts als Wasser, Mehl und Salz richtig gutes Brot, Pizza oder Focaccia backen, die es in solcher Ursprünglichkeit und mit so einer komplexen, feinsäuerlicher Aromatik nirgendwo zu kaufen gibt.

Dinkelbrot

Und damit wir uns gleich richtig verstehen, wir sprechen hier von echtem Brot. Aus einem Teig, der es in sich hat. Nämlich dutzende Arbeitsschritte, geübte Handgriffe, Beobachtungsgabe, Erfahrung und Zeit. Sehr viel Zeit. Manchmal 48 Stunden. Dabei entwickelt er einen unvergleichlichen Geschmack, eine besondere Textur und eine bessere Verträglichkeit. Kein Vergleich zum flachen Geschmack von Brot, das husch-husch mit gekaufter Frischhefe gebacken wird. Von Industrie- und Supermarktbroten reden wir schon gar nicht. Mit all den haarsträubenden Zusätzen, ihrer schwammigen Konsistenz und ihrer geschmacklichen Leere.

Pizza bianca Teig

Meine Vorstellung von Brotbacken geht so: Ich will es verinnerlichen. Im Schlaf können. Etwa so wie man Rad fährt. Ohne gross zu überlegen, einfach aufsitzen, intuitiv die Balance halten und so lange in die Pedale treten wie es nötig ist, um ans Ziel zu kommen. Ich will keine komplizierten Rezepte abarbeiten. Keine Knetmaschinen anwerfen. Kein Chemiestudium absolvieren. Niemand, der aus der Tradition zu hause Brot bäckt tut das. Es ist wie mit der Herstellung von frischer Pasta. Eine italienische Nonna braucht keine Anleitung dazu. Sie tut es aus Erfahrung, aus dem Handgelenk. Und sie bekommt sie grandios hin. Immer.

Weizen Dinkel Brot

Zur Erinnerung: Das erste Mal habe ich vor neun Jahren in dieser Geschichte über Pinocchio von Lievito Madre geschrieben. Der Bäcker im Dorf meiner Eltern, Cesidio, der die beste Pizza bianca der Welt bäckt, hatte mir erzählt, dass seine Hefe von seinem Vater mit einer überreifen Birne angesetzt wurde. Damit war für mich eigentlich klar, dass ich nie im Leben etwas ähnliches zustande bringen könnte.

2011 erzählte mir eine Schwedin am Foodphoto Festival in Tarragona, dass jeder in ihrer Familie selber Brot bäckt. Und zwar mit dem eigenen Sauerteig, der an alle Familienmitglieder weitergegeben wird. Sie verriet mir weiter, dass in Schweden viele Hotels die mitgebrachten Sauerteige der Gäste gerne in dafür vorgesehene Kühlschranke einquartieren. «Haha! Ihr verreist mit einem Sauerteig im Gepäck?» spöttelte ich. «Natürlich, wenn man den nicht füttert, stirbt er!» Füttern? Ich verstand nur Bahnhof. Es fesselte mich zwar, aber es war zu weit weg. Ich hatte nichts mit schwedischer Brotkultur am Hut.

Ein paar Jahre später – es liess mich nicht los – setzte ich dann eine erste Mutterhefe an, deren Rezept in meinem Buch Italien vegetarisch von 2014 zu finden ist. Eine Pasta Madre eigentlich. Es gibt in Italien zwei Arten, den Sauerteig zu führen. Die Pasta Madre wird jeweils im Verhältnis 2:1 Mehl und Wasser aufgefrischt, was ihr die Konsistenz eines Teiges verleiht. Ein eindrückliches Exemplar dieser Art  zeigte mir Thomas Morazzini in Umbrien, der mir seine Eleonor vorstellte, eine Mutterhefe von 65 Jahren! Die Liebe, mit der er über das Backen und seine Eleonor sprach, beflügelten mich erneut.

Auch meine österreichische Nachbarin, Käthi, hat mir ein wunderschönes Brotbild eingebrannt. Sie erzählte mir, dass sie in ihrer Grossfamilie auf dem Bauernhof nur einmal im Monat Brot gemacht haben. Die Mutterhefe habe man zwei Tage wässern müssen, um sie wieder zu aktivieren. Sie wurde offen aufbewahrt und trocknete langsam ein, bis sie nach drei Wochen zum Leben erweckt wurde. Geformt wurden jeweils 12 Laibe. Ausgebacken wurden sie beim Bäcker. Und dann – jetzt kommts: Packte man das Brot in Leinensäcke und bewahrte sie im Keller auf. Käthi blickte mir tief in die Augen und meinte: «Du, ich sag dir, das letzte Brot aus dem Keller, das schon seit drei Wochen da hing, das war das beste Brot überhaupt! Ich habe nie wieder irgendwo ein so gutes Brot gegessen, ehrlich.»

Halbweissbrot

Nach ein paar Monaten hatte ich mit meiner bestehenden Mutterhefe etwas Mühe. Immer mehr empfand ich das Auffrischen als lästig. Die paar Minuten für die wenigen Handgriffe mit abwägen, mischen und kneten waren mir zuviel Aufwand, für die eher dürftigen Backresultate, die ich im Gegenzug zustande brachte. Ich wollte nochmals von vorne beginnen. Mit einer überreifen Birne, wie Cesidio’s Vater!

In dieser Zeit sah ich mir unzählige italienische Tutorials auf youtube an, las italienische Foodblogs mit brutal beeindruckenden Amateur-Bäckern und liess mich von der neuen Kalifornischen Welle der Artisanal Bakers wie Chad Robertson von der Tartine Bakery mitreissen. Dabei stiess ich auf die andere Art der italienischen Sauerteigführung: Li.co.li – lievito madre in coltura liquida. Der ist flüssig und einem Roggensauerteig ähnlich. Das Mischverhältnis zum Auffrischen ist 1:1 Mehl und Wasser und wesentlich pflegeleichter.

Den Ansatz mit der Birne hatte ich allerdings verworfen, nachdem ich irgendwo aufgeschnappt hatte, dass man als Starter (eine zuckerhaltige Lösung) am besten etwas aus der unmittelbaren Umgebung (zum Beispiel eine Frucht aus dem eigenen Garten) verwendet, weil dann die Hefen in der Luft aus derselben Umgebung besonders aktiv sind. Und so ging ich vorletzten Oktober fest entschlossen zu unserem Sauergrauech-Apfelbaum, pflückte ein besonders reifes Exemplar und beschloss, das Rezept (falls es denn gelingen würde) eines Tages hier mit euch zu teilen! Das ist es:

Rezept für Lievito Madre
Li.co.li – lievito madre in coltura liquida

  • Apfel in der Küche 1-2 Wochen reifen lassen, bis er süsslich duftet und die Haut etwas ledrig wird.
  • Apfel grob in Würfel schneiden, mit Wasser bedecken und 48h mit einem Netz abgedeckt fermentieren lassen.
  • Apfelwasser abgiessen und 100 g davon mit 100 g Vollkornmehl in einem Glas vermischen.
  • Mit perforierter Klarsichtfolie abdecken und bei 26 Grad reifen lassen, bis sich das Volumen verdoppelt hat (etwa 12h)
  • 1 Woche lang alle 12 Stunden wie folgt auffrischen: Jeweils 100 g entnehmen und mit 50 g Mehl und 50 g Wasser füttern.
  • Die Hefe sollte Aktivität in Form von Bläschen zeigen und angenehm riechen (leicht alkoholisch).
  • Ab da kann man mit ihr backen. Die benötigte Menge ist 20% vom Mehlgewicht.
  • In einem Weckglas im Kühlschrank lagern und mindestens 1x pro Woche mit 50 g Mehl und 50 g Wasser füttern.
    (Statt Vollkornmehl kann man ab dann auch helles Mehl verwenden)

Apfelwasser

Mein Apfelwasser roch angenehm süss nach Apfelsaft und leicht alkoholisch.

Lievito Madre

Schon nach den ersten 12 Stunden hatte sich das Volumen vom Ansatz verdreifacht! Mich durchströmte die höhere Spannung Glücksgefühl als der Blitz der Frankenstein zum Leben erweckte. «It’s alive!» verkündete ich mit geschwellter Brust. Ich roch daran. Es war noch nicht der Geruch von fein säuerlichen Hefe, sondern nach Erde, Mehl und ja – neugeborenem Leben.

Wichtig ist, dass man einen geeigneten Ort findet, der konstant 24 bis 26 Grad hat. Bei mir war das der Heizkörper mit einem dicken Brett drauf, das die Hitze etwas abschirmt. Ich musste etwas tüfteln und mit einem Thermometer messen, bis es passte. Temperaturen über 28 Grad lassen die Hefebakterien absterben. Ist es zu kühl, brauchen sie zu lange oder werden gar nie aktiv.

Falls sich Schimmel bildet, ist der Versuch misslungen. Verwerfen und nochmals beginnen. Tut sich nach 12 Stunden nichts, kann man versuchen, in kürzeren Abständen aufzufrischen.

Ich bewahre meinen Lievito Madre (etwa 250 g) in einem Weckglas auf und lagere ihn im Kühlschrank. Zur Kontrolle notiere ich das Datum der letzten Fütterung auf einer Etikette auf dem Deckel. Spätestens nach fünf Tagen frische ich ihn jeweils auf.  Diese Routine zwingt einen, mindestens einmal pro Woche etwas damit zu backen. Das Ritual, das sich dabei einstellt, ist befriedigend, erdend – und unbezahlbar.

Lievito Madre

Bei Raumtemperatur blubbert er schon bald los und nach etwa 2 Stunden quillt er förmlich aus dem fest verschlossenen Deckel.

lievito madre minibar

Ich muss schmunzeln, wenn ich an die Schwedin zurückdenke. Selbstverständlich kommt meine Hefe mit ins Gepäck wenn ich verreise. Sie übernachtet dann schon mal in der Minibar des Hotelzimmers und wird alle paar Tage aufgefrischt. Ich würde sie nie zuhause ihrem Schicksal überlassen und riskieren, dass sie eingeht, während dem wir faul am Strand liegen.

Doch der Weg zu einem wirklich guten Brot, das glücklich macht, knusprig ist, mit einer weichen, saftigen, grossporigen Krume, dabei geschmackvoll, ausgewogen und formvollendet – dieser Weg, ist der härteste und steinigste, den ich je gegangen bin.

Pfuenderli

Wirklich, ich habe in der Küche schon alles halbwegs so hinbekommen, wie ich es mir gewünscht hatte. Aber Brotbacken hat mich Demut gelehrt. Dieses so alltägliche, vermeintlich banale Lebensmittel ist das perfekte Beispiel dafür, wie man an etwas Einfachem kläglich scheitern kann – oder ein Meisterwerk daraus macht. Oh, ich habe viele Rohrkrepierer produziert. Fladen, die so hart und appetitlich waren wie eine verstaubte Asbestplatte. Übersäuerte Laibe mit einer klebrigen Krume oder kiloschwere Brocken ohne Seele. Einmal hatte ich einen Tausch vereinbart: Selbst gemachten Wein gegen selbst gemachtes Sauerteigbrot. Ausgerechnet mit einem befreundeten Food- und Wein-Journalist!  Ich hatte mich so darauf gefreut. Hatte den Teig sorgfältig 24 Stunden lang geführt. Er hatte eine tolle Konsistenz, die richtige Spannung, ein feines Aroma. Und kurz vor dem Backen ist er mir einfach zerronnen, sich buchstäblich in ein Nichts aufgelöst.

Das Ding ist ja: Ich weigere mich, Rezepte zu befolgen. Man sagt ja gemeinhin, kochen geht auch Pi mal Daumen. Aber backen ist eine ganz präsise Chose. Da muss man schampar penibel zur Sache gehen und jedes Mikrogramm genauestens abwägen und Temperaturen aufs Grad genau einhalten. Bullshit. Wenn dem so wäre, würden ja alle Bäcker nur 1a Spitzen-Brot produzieren. Wir wissen, dass das eine Illusion ist. Leider sind die, die ihr Handwerk wirklich noch beherrschen und ernst nehmen immer mehr in Unterzahl.

pane integrale

Natürlich habe ich Bücher über Brotbacken in die Hand genommen. Und meistens wutschnaubend in eine Ecke gepfeffert. Im Ernst jetzt? Ein Rezept für Pane Pugliese mit Sauerteig und dann zusätzlich Frischhefe dazugeben? Wollt ihr mich verscheissern? Dieses Brot (eines meiner liebsten!) ist weltweit das einzige mit geschützer Ursprungsbezeichnung. Nachweislich mit 100% Hartweizen und nichts als Lievito Madre gebacken. Und ihr gebt Frischhefe rein? Das ist ja wie Viagra einwerfen, ihr Schlappschwänze! Als würde mir jemand Stützräder für mein Velo empfehlen. Hier, damit du nicht umfällst, du Trottel. Das ist schlicht inakzeptabel.

Ich teile hier gerne das authentische apulische Rezept, das mir als Leitplanke dient. Was ich allerdings gelernt habe: Das Rezept alleine garantiert noch kein Erfolg. Erst durch viel Übung gelingen die einzelnen, entscheidenden Schritte, die zu einem befriedigenden Ergebnis führen.

Pane Pugliese
con Lievito Madre

Zutaten

  • 120 g aktiver Lievito Madre
  • 600 g italienisches Hartweizenmehl (Semola rimancinata)
  • 400 g Wasser (24 Grad)
  • 20 g feines Meersalz

Zubereitung
In einem Gusseisenbräter mit Deckel

  • Lievito Madre über 12 Stunden bei Raumtemperatur 3 mal auffrischen.
  • Lievito Madre, Mehl und 380 g Wasser in einer Schüssel grob von Hand mischen (3 Min.) Zudecken und bei 24 Grad 1 Stunde reifen lassen.
  • Teig flach drücken, Salz darüber streuen, restliche 20 g Wasser dazugeben und alles von Hand verkneten, bis der Teig geschmeidig und homogen ist (5 bis 10 Minuten).
  • Teig in der Schüssel dehnen und falten (Teig mit beiden Händen von jeder Seite hochziehen und wie eine Serviette zur Mitte hin falten).
  • Zugedeckt bei 24 Grad 30 Minuten gehen lassen. Weitere 3 Mal im Abstand von 30 Minuten mit nassen Händen dehnen und falten.
  • Nach dem 4. Mal dehnen und falten sollte der Teig sehr weich und voluminös sein Eine weitere Stunde zugedeckt gehen lassen.
  • Teig auf eine bemehlte Arbeitsfläche geben, Oberfläche bemehlen. Mit der Handfläche durch leichtes flachklopfen und zu einem rechteckigen Teigstück formen. Die kurzen Seiten dehnen und zur Mitte hin falten. Um 45 Grad drehen und nun vom kurzen Ende her dicht einrollen, damit der Teig eine kompakte längliche Form bekommt. Durch Rundwirken zu einer straffen Kugel formen.
  • Bemehlen, zudecken (z.B. mit der Teigschüssel) und 30 Minuten ruhen lassen.
  • Gusseisen-Bräter mit Deckel im Ofen auf 250 Grad vorheizen.
  • Teig nochmals kurz zu einer Kugel wirken, damit die Oberfläche wieder Spannung bekommt, mit einer Rasierklinge einschneiden, z.B. zwei längliche Schnitte nebeneinander oder 6 Schnitte über Kreuz wie ein Schachbrett.
  • Auf einem Backpapier oder einer Backschaufel absetzen und weitere 10 Minuten zugedeckt ruhen lassen.
  • Brot vorsichtig in den Gusseisen-Bräter legen, Deckel drauf und 30 Minuten auf der untersten Rille backen.
  • Deckel abnehmen und weitere 15 Minuten offen fertig backen. Brot auf einem Gitter auskühlen lassen Frühestens nach 2 Stunden aufschneiden.

Pane Pugliese

Ich habe weiterhin Rezepte quergelesen, mir aber meinen eigenen Weg gebahnt und einfach probiert. Es ist ein anderes Lernen, wenn man immer wieder auf die Schnauze fällt, den Fehler sucht und dann jeden Schritt noch einemal besser und sorgfältiger macht. Es ging nur langsam voran. Aber immerhin, von Brot zu Brot wuchs meine meine Zuversicht und die Anerkennung der Leute, die davon probierten.

Brotscheiben

Meine geliebte Pizza bianca hingegen wollte einfach nicht nach ihrem Vorbild aus dem Vecchio Forno in Pescasseroli gelingen. Mal schmeckte sie zu banal, mal zu sauer, mal war sie zu flach und zu hart, mal zu hoch und zu weich. Bis sie eines Tages so aussah:

pizza bianca

Aussen krachend knusprig und innen aromatisch und luftig. Und meine Familie und Freunde, die die Pizza aus Pescasseroli kennen, meinten, Mamma mia, Claudio! Was hast du getan? Diese Pizza ist wie keine zuvor und definitiv noch ein bisschen besser als die in Pescasseroli.

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Ist das crazy? Das man vor Glück den Tränen nahe ist, nur weil man etwas gebacken hat? Aber genau das ist es. Das ist genau der entscheidende Unterschied, nachdem wir alle suchen. Der aus einem einfachen Essen einen aussergewöhlichen Bissen macht, der die Leute so tief berührt, dass sie beinahe erschrecken.

Porno di forno. Wer hat die Grössten?
Es gibt auf Instragram tatsächlich den Hashtag #pornodiforno! Dabei geht es meistens um Superlative wie riesengrosse Poren, die durch extreme hohe Hydratation (Wasseranteil im Verhältnis zum Mehl) von 100% und mehr entstehen. „Und mehr“, muss man sich mal vorstellen. Da draussen gibt es backbesessene Typen, die es tatsächlich fertig bringen, aus 1 kg Mehl und 1,2 kg Wasser einen backfähigen Teig zu formen.

Pane casareccio

Oft geht es auch um die perfektesten Handgriffe beim Dehnen und Falten von sehr klebrigen Teigen. Um das Formen eines perfekten Laibes oder dessen ästhetisches Einschneiden. Ich schaue mir vor allem die Handbewegungen minutiös ab. Durchforste die Kommentare und befolge Tipps zu Mischverhältnissen.

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Brot backen, ist etwas Aufregendes. Wenn ich weiss, dass ich am nächsten Tag Brot backen werde, schlafe ich mit den Gedanken daran ein. Ich überprüfe mehrmals, ob der Wecker auf Mitten in der Nacht auch wirklich gestellt ist. Und bevor ich aufwache, gehe ich im Traum die verschiedenen Schritte durch. Es fühlt sich an, wie vor einer Prüfung. Ich weiss, dass ich es kann und ich freue mich auf das Ergebnis. Aber ich habe auch Angst zu scheitern, weil ich etwas vergesse oder falsch mache und das Brot dann nichts wird. Also nehme ich im Traum rechtzeitig die Hefe aus dem Kühlschrank und stelle beruhigt fest, dass sie schöne Bläschen an der Oberfläche hat und aktiv ist. Dann wäge ich Mehl und Wasser ab, mische, knete, dehne, falte und so fort. Das ganze Tralala. Ich gehe den ganzen Zyklus durch wie ein Sportler, der mit geschlossenen Augen sein Rennen im Geiste abruft. Dann wache ich auf und mache mich eifrig ans Werk.

Manchmal backe ich aber auch einfach so nebenher. Hole die Hefe wie zufällig aus dem Kühlschrank und frische sie so lange auf, bis mir die schaumige Konsistenz zusagt. Dann fange ich an einen Teig zu führen, ohne dass ich festgelegt habe, was draus werden soll. Immer im Vorbeischlendern prüfe ich die Konsistenz und den Duft vom Teig. Während der Zeit, in der ich abends etwas lese oder schaue, stelle ich den Timer und gehe alle 30 Minuten kurz in die Küche, dehne und falte den Teig eine Minute und gehe wieder meiner anderen Beschäftigung nach. Dann packe ich den Teig in den Kühlschrank und backe irgendwann ein Brot, eine Ciabatta oder eine Pizza damit. Vielleicht nach 12, 24 oder erst nach 72 Stunden. Alles kein Problem.

Focaccia Barese

Denn so habe ich mit Brotbacken vorgestellt: Ich will es verinnerlichen. Im Schlaf können. Etwa so wie man Rad fährt. Ohne gross zu überlegen, einfach aufsitzen, intuitiv die Balance halten und so lange in die Pedale treten wie es nötig ist, um ans Ziel zu kommen.

Es gibt keine alleinige Wahrheit beim Brotbacken. Nur einen eigenen Weg. Und den muss jeder selbst gehen. 2016 betrachte ich als mein erstes Bäcker-Lehrjahr. Ich habe einen Apfel aus unserem Garten gepflückt und daraus meinen Lievito Madre angesetzt. Damit habe ich jede Woche gebacken. Ein Brot, eine Pizza, eine Focaccia. Es gab niederschmetternde Tage. Viele. Und Tage der Euphorie. Einige. Es gab Tränen der Verzweiflung und der überwältigenden Freude. Die Reise hat gerade erst begonnen. Wer mag, kann mich begleiten.

Falls ihr euch auch auf den Weg macht: Viel Glück!

Ciabatta


Buon Viaggio, Carlo Magno!

Carlo Bernasconi

Drei Tage zuvor hatten wir noch telefoniert. Ich wollte ihm mitteilen, dass ich es nicht an die Lesung von unserem gemeinsamen Freund Stevan Paul in seine Osteria schaffe. «Ich auch nicht,» sagte er, «sto in partenza – ich mach mich auf die Reise, caro mio.» Leider viel zu früh. Am 26. Oktober 2016 ist er gegangen. Erst 64-jährig. Traurig, aber von ganzem Herzen: Buon viaggio, Carlo Magno!

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Carlo Magno (Karl, der Grosse) musste er sich immer von mir als liebevolle Anrede gefallen lassen. Obwohl er es war, der sich, als wir uns das erste Mal an der Buch Basel begegneten, vor mir verbeugte und meinte: «Was du machst, mein Lieber, ist ganz grosse Klasse.» «Wie bitte? Nein, Du bist der grosse Meister!» protestierte ich und versuchte mich noch tiefer zu verbeugen.

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Das war typisch für ihn. Anderen die Bühne überlassen.

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Für die Fachzeitschrift «Der Schweizer Buchhandel», dessen Chefredaktor er 16 Jahre lang war, hatte er mich einmal interviewt. Ich habe es nie geschafft, mich zu revanchieren. «Komm, wir machen ein schönes Portrait oder ein Interview auf meinem Blog!», aber er lehnte ab, «Ach, das hat Zeit, das machen wir dann ein ander Mal.» Jetzt kann ich ihm hier wenigstens gedenken.

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Am liebsten erinnere ich mich an unser gemeinsames Kochen. In seinem Restaurant «Cucina e Libri» im Zürcher Seefeld  haben wir mehrmals einen vegetarischen Abend aus meinem Buch «Italien vegetarisch» ausgerichtet. Und dabei ordentlich Feuer gemacht, wie man auf den Fotos sieht!

Carlo Bernasconi

Schon bei der Planung vom Buch machte Herausgeberin Katharina Seiser den Vorschlag, Carlo um Rat zu fragen. Und natürlich stand er mir als erfolgreicher Kochbuchautor von Bestsellern wie «La cucina verde», aber auch als traditionsverpflichteter Koch und Hüter der italienischen Küche, Kulinariker, Branchen-Journalist und Buchverleger mit seinen enormen Kenntnissen zur Seite und ging mit mir die Rezeptliste durch.

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Einmal musste ich ohne ihn kochen. Eine Feuerprobe, die ich dank der spontanen Hilfe von András Németh ebenfalls gut in Erinnerung behalte. Am nächsten Tag besuchte ich Carlo im Spital. Scheisskrebs.

Claudio Del Principe

Irgendwann kam er dann mit der Idee, aus seinem Restaurant die vegetarische «Osteria Condosin» zu machen. Mit Freude habe ich ihn dazu bestärkt.

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Ich werde seine grossartige, kantige Persönlichkeit, seine Passion und Herzlichkeit, seine Liebe zu Italien und vor allem seine Inspiration sehr vermissen.

Grazie di tutto!


High End Fast Food.

Entenbrust

Sieht vielleicht nicht so aus, ist aber Fast Food ohne gross Federlesen.

Ist ja nicht so, dass ich immer so viel Zeit zum Kochen habe, wie mir vorschwebt. Und manchmal überkommt mich ganz unvermittelt der Heisshunger auf etwas ganz Bestimmtes. Zum Beispiel wenn ich an einer Aranciata von Lurisia nuckle. Die gerade als hip geltende Getränkeherstellerin aus dem Piemont verwendet dafür IGP Orangen (Slow Food Presidium) aus dem Gargano in Apulien und schmeckt unverschämt gut. Canard à l’orange! denke ich.

Nun gut. Eine Entenbrust habe ich. Yay! Den Rest muss ich improvisieren. Zuerst opfere ich ein halbes Fläschchen Aranciata. Koche sie auf und reduziere sie auf Sirupkonsistenz. Im Tiefkühler habe ich zum Glück immer einen guten Vorrat an Fond und/oder Demiglace. Die Sauce steht also schon mal!

Die Haut der Entenbrust schneide ich mit meinem schärfsten Messer so sorgfältig (und so selbstverliebt) wie möglich rautenartig ein ohne das Fleisch darunter zu verletzen. Ist wichtig, damit das Fett gleichmässig austreten kann beim Braten und sich die Entenbrust nicht krümmt.

Die Entenbrust mit der Fettseite in eine kalte(!) Eisenpfanne geben und bei mittelhoher Hitze braten. Langsam aber sicher erhitzt sich das Fett, fängt an zu schäumen und gibt zwei verlockende Dinge von sich: 1. Ein Zischeln, das den Ohren schmeichelt und 2. Einen Duft der die Nase aufs Verführerischste betört!

Entenbrust braten

In der Zischenzeit, also Zwischenzeit, offne ich eine Dose Cannellinibohnen. Auch die habe ich immer vorrätig. Geht von der Qualität her völlig in Ordnung, auch wenn ich oft getrocknete Bohnen einweiche und langsam köchle. Aber dafür ist jetzt keine Zeit. Ich koche sie mit Olivenöl, Knoblauch und frischem Salbei und wenig Wasser ein bis sie etwas zerfallen. Einige ganzen Bohnen rette ich als Garnitur. Den Rest püriere ich und schmecke mit Salz und Pfeffer ab.

Wenn die Haut der Entenbrust schön karamellisiert ist, kann sie gewendet werden. Ich schalte den Herd aus und lasse sie in der Resthitze etwa 5 Minuten garen. Auf diese Weise entspannt sich das Fleisch und bleibt gleichzeitig schön rosa innen.

Anrichten, mit etwas Thymian garnieren und fertig ist das Gourmet-Fast Food!

Entenbrust


Fatty Fatty Boom Boom.

Schweineschmalz Guanciale

Bestes Bratfett: Schweineschmalz vom ausgelassenen Guanciale.

Als ob es noch irgendein Überzeugungsargument für Guanciale bräuchte – hier kommt trotzdem noch eins:

Das überschüssige Fett, das so grosszügig dahinschmilzt, wenn man Guanciale-Stifte für Carbonara, Amatriciana oder Gricia knusprig brät, siebt man ab, lässt es auskühlen und hält es im Kühlschrank bereit als Brat-Schmalz.

Zum Beispiel für superknusprige Bratkartoffeln. Die sehen dann so aus:

Bratkartoffeln

Sie schmecken aussen wie handfrittierte Pommes Chips und haben ein cremiges, butterweiches, kartoffeliges Herz.

Am besten nimmt man Gschwellti – also Pellkartoffeln – vom Vortag. Ich schneide sie nicht dünner als 5 Millimeter.

Es braucht auch keine handgeschmiedete Eisenpfanne, damit es gelingt. Eine beschichtete Bratpfanne tut es auch. 1–2 Kaffeelöffel Schmalz reichen. Wichtig ist, dass die Kartoffeln mit der ganzen Fläche aufliegen und sich nicht gegenseitig überlappen. Bei mittlerer Hitze gemütlich ausbacken und vor dem Servieren grosszügig mit Fleur de Sel würzen.

Das Erstaunliche ist: Die Kartoffeln saugen sich nicht mit dem Schmalz voll. Ganz im Gegensatz zu Bratkartoffeln, die ich manchmal Butterschmalz mache – obwohl die natürlich auch grossartig schmecken – aber wesentlich fettiger sind.



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