Ich habe einen Fehler gemacht. Einen dummen, dummen Fehler. Auf dem Weg zur diesjährigen, achten Ausgabe der ChefAlps, bin ich aus Leichtsinn hinabgestiegen in die Kommentarhölle auf 20min.ch und habe die dummen, dummen Bemerkungen zu einem Artikel über ein Schweizer Spitzenrestaurant gelesen. Die abgrundtiefe Ignoranz, die sich in den wenigen Zeilen manifestiert, ist jenseits der Schmerzgrenze. Natürlich weiss man, dass man nichts darauf geben sollte und sich das nicht antun sollte. Trotzdem ist es beängstigend zu wissen, dass da draussen eine gigantische Masse ist, die null Verständnis hat für die Kunst des Kochens. Nichts übrig hat für hochwertige Lebensmittel, für guten Geschmack, für ehrliches Handwerk, für die Spitzenleistungen in den Spitzenküchen und für kulinarische Kreativität. Da kommt einem das internationale Fachsymposium mit den weltweit besten Köchen wie eine rettende Insel vor und man schöpft wieder Hoffnung, dass das Gute nicht verloren geht und Sorgfalt, Achtsamkeit, Sinnlichkeit, Inspiration, Nachhaltigkeit, das Schaffen von Schönheit und tiefem Geschmacksempfinden weitergegeben wird und auf fruchtbaren Boden fällt.

Hier ein paar Eindrücke der Show vom Sonntag. Über die Show am Montag berichtet wieder mein hochgeschätzter Kollege David Schnapp auf dasfilet.ch

Heiko Antoniewicz und Adrien Hurnungee
http://www.antoniewicz.org/

Heiko Antoniewicz und Adrien Hurnungee stellen ihr neustes Forschungsprojekt «Kochen mit Asche» vor. Die beiden Spitzenköche und Unternehmer widmen sich der wissenschaftlichen Entwicklung innovativer Kochtechniken und noch unentdeckter Geschmacksrichtungen. Sie halten gemeinsam Profiseminare und sind Autoren zahlreicher Kochbücher wie beispielsweise über Molekulartechniken, Sous-Vide, Fermentation, Flavour-Pairing oder die vegane Küche. Diese avancierten jeweils zu Grundlagenwerken und wurden mehrfach prämiert.

Mit von der Partie ist auch ein persönlicher Freund von mir, der Basler Molekularbiologe Michael Podvinec. Er ist leidenschaftlich Wissenschaftler und Koch, oder wie er sagt: Der Nerd am Herd. Sein Forschergeist treibt ihn an, genauer herauszufinden, was beim Kochen passiert. Er macht wissenschaftliche Zusammenhänge der Lebensmittelzubereitung und -veredelung verständlich und gibt sie in Büchern, Fachartikeln, Workshops und an Food Events weiter.

Asche zieht Wasser aus den Lebensmittel, verdichtet das Aroma und wirkt antimikrobiell. Schon die Mayas und Azteken konservierten ihre Maiskörner in Asche. Antoniewicz und Hurnungee produzieren in verschiedenen Sequenzen und mit unterschiedlicher Hitze von 40 bis 900 Grad Asche und experimentieren, wie sich der Geschmack von Lebensmitteln verdichten, erweitern und konservieren lässt. Beim ersten Gericht, das sie auf der Bühne zubereiten, wurde ein Cobia (Königsfisch) gesalzen, mit Aschepulver vom Raps eingestrichen und für zwei Tage gereift. Der begleitende Raps wurde von leaf to root in verschiedenen Reifestadien von der Saat bis zu den Bohnen in diversen Texturen verarbeitet. Dazu gibt es einen essigsauren Fond aus fermentierten Kastanienblüten.

Beim nächsten Gericht wird ein 36 Stunden sous-vide gegarter Schweinebauch mit Ahornsirup lackiert und auf dem Big Green Egg karamellisiert. Dazu gibt es Esspapier aus Brennnesseln, eingelegte Farnsprossen und Asche von fermentierter Pomelo.

Weiter geht es mit Wallnussblätter, Kartoffel und 5-fach verbranntem Kohlenfisch. Dabei werden die Fischkarkassen in mehreren Etappen zuerst angeröstet und dann langsam weiter geröstet bis sich ein umami-intensives Würzpulver ergibt, das man mehrere Jahre aufbewahren kann. Dazu junge, fermentierte Wallnussblätter, einen Sud davon, wilder Meerettich und knusprige Elemente vom Fisch und von der Kartoffel.

Auch bei der Wachtel mit schwarzem gerösteten Reis und Passionsfrucht wurden die Knochen bei diversen Temperaturstufen geröstet, dann pulverisiert und verwendet, um die Wachtel damit einzureiben. «Das ist 100 Prozent Umami», betont Antoniewicz.

Für das Dessert mit Sauerrahm-Eis, Sellerie-Asche und Zitrone wurden in Salz eingelegte Zitronen kalt mit Kirschholz geräuchert und Sellerie bei drei verschiedenen Temperaturen getrocknet. Mit weisser Sellerieasche lässt sich das Eis mit Sauerrahm ohne Sahne und Eier binden.  Zu den süssen Selleriewürfeln kombinieren sie eine Olivencreme und Kaffeepulver als bittere Komponente.

Josep Roca
https://cellercanroca.com

Es folgt eine eindrückliche Präsentation vom, ja, man muss fast sagen, Genie Josep Roca. Das komplexe Universum und Gesamtkunstwerk des Restaurants Celler de Can Roca in Girona der drei Roca-Brüder hier erklären zu wollen, würde den Rahmen sprengen. Josep zeigt Videos und Slides und doziert in einem ruhigen, ununterbrochenen Redefluss. Einem Kunst-Professor gleich. In dunklem Anzug. Auf Spanisch. Erstmals wird die Präsentation an der ChefAlps via App simultan übersetzt. Ich habe die stotternde Stimme im Ohr während er unzählige Gerichte und kreative Ansätze durchgeht und von der Philosophie dahinter erzählt. Von der bedingungslosen Gastfreundschaft und Grosszügigkeit gegenüber Gästen und Angestellten. Die Dolmetscherin kommt bedauerlicherweise nicht ansatzweise nach (ich ehrlich gesagt auch nicht wirklich und sie tut mir aufrichtig leid) und so entsteht eine gewisse Dissonanz. Es wird für mich unumgänglich, diesen magischen Ort bald einmal selber zu erleben.

Josep Roca ist für das Food & Wine Pairing im El Celler de Can Roca verantwortlich. Gleichzeitig dirigiert er als Maître das Zusammenspiel im höchst ausgezeichneten Restaurant. Er gilt als als einer der weltweit kreativsten Sommeliers. Im Dreiklang mit seinen Brüdern Joan (Chef de Cuisine) und Jordi (Patissier) gelingt es Josep, Weine in Gerichte zu transzendieren und nahezu grenzenlose assoziative Verbindungen mit Aromen und Texturen zu erschaffen. Indem Weine reduziert werden, verdickt, gefroren, vakuumimprägniert, zerstäubt, geliert oder sphärifiziert werden. Diese kreativen Prozesse kombinieren Wissenschaft, Kunst, Literatur, Musik und Sensorik, bis hin zur Pädagogik und Psychologie. «Indem wir Wein als Hauptzutat ansehen, können wir die Begriffe umkehren und Texturen sowie Behältnisse austauschen, sodass der Wein etwa auf dem Teller serviert und mit dem Löffel gegessen werden kann und das Dessert dafür in einem Weinglas serviert wird», erklärt er.

René Frank
http://www.coda-berlin.com/

Spitzenpatissier René Frank wollte ursprünglich nur eine Bar mit Drinks und Desserts eröffnen und sich von der Sternegastromie (unter anderem La Vie, Osnabrück) verabschieden. Nun ist sein Restaurant CODA in Berlin Neukölln aber so einzigartig und so revolutionär, dass es von Michelin mit einem Stern ausgezeichnet wurde. Serviert wird ein mehrgängiges Dessert-Menü mit passenden Drinks. Natürlich sind diese Desserts nicht klassische Süssspeisen, sondern komplexe Kreationen, die alle fünf Geschmackssinne ansprechen. Neben süss, sauer, salzig und bitter also auch den fleischigen Umamigeschmack. Das sei die grösste Herausforderung und auch extrem wichtig, damit man ein Sättigungsgefühl habe, ohne dass man zu viel ist. «Mein Alptraum wäre, dass jemand nach unserem Menü raus geht und sagt, so, jetzt brauch ich einen Burger!». Er vermeidet Convenianceprodukte, wie sie noch oft in der Patisserie verwendet werden. Er vermeidet vor allem Zucker. «Ein guter Koch verwendet kein Glutamat. Und ein guter Patissier sollte keinen Zucker verwenden». Und er vermeidet das Wort vegan. Seine Kreationen, sagt er, sind zum grössten Teil pflanzenbasiert. Die natürliche Süsse stecke in den Zutaten. Man müsse nur wissen, wie man sie herausarbeitet. Indem man Früchte extrem lange reifen lässt zum Beispiel, oder Zutaten so lange konzentriert und reduziert, bis sich die Stärke in Zucker wandelt. Wie auch durch Amakaze-Fermentation mit Kojipilzen, wie es die Japaner praktizieren. Für seine Gerichte lässt er sich von anderen Ländern inspirieren. «Im Iran gibt es eine Süssspeise mit Rindermark. Wir haben einen Kuchen mit Rindermark im Menü.» Ein Drink sieht er grundsätzlich als flüssige Speise, deshalb verarbeiten und kombinieren sie die Zutaten auch gerne auf ungewohnte Weise und mischen verschiedene Weine oder ergänzen Sake mit Säften oder anderen alkoholischen Getränken. «Beim Food und Drink Pairing zielen wir auf Multisensorik.»

Auf der Bühne bereitet sein Team ein paar Gerichte zu und zeigt, wie sie Kakaobohnen als bean to plate selbst zu Schokolade oder Kakaomasse verarbeiten, indem sie die Kakaobohnen 24 Stunden im Grinder verarbeiten.

Banane, Kakao, Birnen-Balsamico
Bananenschaum mit Kokosmilch, Bananencreme von ofenkaramellisierter Banane, Kakaomasse, Tapioka mit Birnen-Balsamico, gepuffter Mais. Drink dazu: Rum, Jasminblüten, Moscato d’Asti. Und den Gästen auf die Handflächen gesprüht: Mit Jasminblüten und Tonkabohnen aromatisierter Rum.

Reis, Kakao, Bonito

Die Idee dieses Gerichts ist, die klassische Schokoladenmousse leichter und bekömmlicher zu machen. Weil sie sonst zu sättigend ist. Dazu wird Sojamilch aufgekocht und mit Agar 100% Kakaomasse im Thermomix zubereitet. Für das Volumen sorgt Eischnee, der mit Ahornsirup gesüsst wird. Die Umamikomponente kommt als Cashewmilch mit Bonito hinzu. Die Inspiration dazu fand er im traditionellen philippinischen Dessert namens Jamborado, wo zu süssem Brei salziger Fisch gereicht wird. Die Eiskomponente besteht aus Reiskuchen, Soja- und Kokosmilch. Dazu gibt es Reiscracker mit gerösteten Cashewkernen und Kakao, das erinnere geschmacklich an gepuffte Schweinehaut. Drink dazu: Premium Sake mit reduziertem Apfelsaft.

Die Gäste, die ins CODA kommen müssen auf jeden Fall neugierig und offen sein. «Unsere Gerichte sind schon fordernd. Und das ist gut so.»

César Troisgros
https://troisgros.fr

Den Abschluss des Tages macht César Troisgros. Ein sehr sympathischer, ein wenig schüchtern wirkender Typ, der nur so von Romantik und Poesie sprudelt. Und von Bescheidenheit! «On fait une cuisine très simple. Des petit choses. Pas compliqué. Voilà.»  Wenig High Tec, mehr Handwerk. Mehr und mehr pflanzliche Gerichte. Alles drehe sich darum, den neuen Standort zu reflektieren, der eine enorme Biodiversität biete. Auf der ChefAlps-Bühne wird er von seinem ehemaligen Souschef Giuseppe D’Errico assistiert, der heute Küchenchef im Zürcher Ornellaia ist, welches mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet ist. «Mein italienischer Bruder! Wir gleichen uns sogar im Aussehen, finden Sie nicht?»

César Troisgros gilt als herausragender Vertreter der New French Cuisine. Als Küchenchef in vierter Familiengeneration schreibt der 32-Jährige die legendäre Geschichte der Maison Troisgros fort, die seit 51 Jahren mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet ist. Césars Grossvater Pierre Troisgros wird bis heute als Meisterkoch der Nouvelle Cuisine verehrt. Das kulinarische Familienerbe, Gerichte zu kreieren, in denen die geschmackliche Klarheit erstklassiger Produkte maximal zur Geltung kommt, zeichnet auch die neuzeitlichen Kreationen von César Troisgros aus. Experimentierfreudig und offen für Inspirationen aus aller Welt verleiht er der familiären französischen Küche gekonnt frische Akzente. 2017 sind sie aufs Land nach Ouches bei Roanne gezogen. Ein malerisch gelegenes altes Herrenhaus mit Gehöften wurde nach ihren Vorstellungen von Spitzengastronomie und Gastgeberkultur in entspannter Umgebung umgebaut. Seither führen die drei hier unter dem Dach des neuen «Grande Maison Troisgros» die Drei-Sterne-Gastronomie im rundum verglasten, neuen Restaurant Le Bois sans feuilles, eine 5-Sterne-Auberge sowie eigens gepflegte Wälder, Obst- und Gemüsegärten. Regionalität und Nachhaltigkeit spielen denn auch eine zentrale Rolle in der Küche von César Troisgros, der sich darüber hinaus stark für den Erhalt von Permakulturen und traditioneller Gemüsesorten in der Auvergne engagiert. Man schaut sich ein Video auf der ChefAlps-Bühne an und verliebt sich so sehr in diesen Ort, dass man sogleich die Koffer packen und hinfahren möchte. Auf der Bühne bereiten sie ein paar super schlichte Gerichte zu:

Les aspèrges qui donnent la force
Knapp blanchierte Spargeln, geschnitten wie Tagliatelle und zu einem Nest gerollt. Dazu duftende Sechuanblätter, Korianderblüten, Haselnussöl und eine geeiste Rhabarberbouillon mit Sechuanpfeffer.

Coucou, je suis chaché sous le chou
Der Idee dieses Gerichts liegt der Geschmack von geröstetem Kohl zugrunde. César findet ein Kohlblatt an sich auch unglaublich ästhetisch. Das Gericht besteht aus eingelegten Navetten-Julienne, in Butter geschwenkten, mit Orangenzesten und Curry gewürzten Schnecken und einem blanchierten Kohlblatt, das in Butter geröstet wird. Um das Kohlblatt giesst er den Jus der Schnecken, der dann die Ränder schön karamellisiert. «Voilà, très simple. Un arbre, une feuille, la décomposition, la vie …»

Cosa croccante
Dieser leichte Salat besteht aus frittierten Karottenschalen, Pimentpüree, Kapern, Kresse, eingesalzten Meyerzitronen, vietnamesischem Koriander, Oxalys, Fenchelsprossen, Schnittlauch, und fein aufgeschnittener Bottarga. Die Vinaigrette ist reduzierter Karotten- und Zitronensaft.

Dessert le papillon s’envole
Dieses Dessert sei inspiriert von einer Schweizer Künstlerin. Ein buntes Millefeulle bestehend aus leichten Tuiles von Navetten, Rhabarber und Kohlrabi. Dazwischen abwechselnd eine Honog- und eine Zitronencreme.

Am Schluss drückt er mit dem Messer in die Mitte des Millefeuilles, sodass sich die Enden wie Schmetterlingsflügel erheben: «Voilà, le papillon s’envole!». Der Schmetterling fliegt davon und mit ihm unzählige Eindrücke und Inspirationen eines wieder einmal grossartigen ChefAlps Symposiums. A l’année prochaine!

Auf dem YouTube-Channel von Chef-Alps finden sich übrigens alle Shows in kompletter Länge. Die neusten werden vermutlich gegen Ende Woche aufgeschaltet.


Crazy Kontraste: Chef-Alps 2018

Immer wieder werde ich gefragt, ob es sich denn lohne, im Mai nach Zürich an die Chef-Alps zu gehen, die dieses Jahr zum siebten Mal stattfand. Natürlich, keine Frage! Wo sonst kann man live so viele unterschiedliche Spitzenköche erleben? Es ist ein bisschen wie Netflix schauen, aber eben live.

Die Branche fiebert auf den zweitägigen Event hin. Profis treffen sich und tauschen sich aus. Und auch wenn man kein Gastronom ist, reicht es, genussorientiert und ein bisschen kochverrückt zu sein, um ganz viele Eindrücke und Inspirationen aufzusaugen. Man reflektiert das eigene Schaffen, und schärft die Wahrnehmung für Dinge, die einem selbst wichtig sind oder die man schon lange mal anders anpacken wollte. Lernt neue Techniken, Philosophien und Trends kennen und profitiert von einem attraktiven Rahmenprogramm mit Ausstellern und Experten in Masterclasses. Hier meine Eindrücke der vier Shows von Sonntag, 27. Mai.

Ryan Clift
Restaurant Tippling Club, Singapur

www.tipplingclub.com

Ryan Clift und sein Head Bartender Joe Schofield wippen zu Beastie Boys’ Intergalactic auf die Bühne und begrüssen das Publikum mit breitem britischem Akzent: «’ello guys!». Der gebürtige Brite gehört mit seinem Restaurant Tippling Club zur Gourmetspitze Singapurs und ist mehrfach ausgezeichnet.

Seine Spezialität ist das Pairing von progressiven Cocktails zu avantgardistischen, verspielten und geschmacklich intensiven Gerichten. Der erfolgreiche Spitzenkoch mit auffälligen Tattoos und einer überschäumenden Let’s have fun-Attitüde startete seine Bilderbuchkarriere sprichwörtlich als Tellerwäscher. Mit 14 Jahren schon, in einem Sternerestaurant in Wiltshire. Danach arbeitete er an der Seite einiger der weltbesten Chefs. Von Marco-Pierre White über Peter Gordon, Emmanuel Renaut, Shannon Bennett oder Raymond Capaldi bevor er 2008 in Singapur seinen experimentellen Küchenstil entwickelte.

Sein Logo sei die Darstellung eines Mind-Maps, mit dem er seine Menüs entwickelt. Im eingespielten Video sieht man, wie das Team arbeitet. Sieht nicht nach Küche aus. Mehr nach einem Labor, wo Düfte oder eine neue Droge kreiert werden. Für die Entwicklung eines neuen Menüs nehmen sie sich neun Monate Zeit. Dafür wird der Gast dann auf eine einzigartige kulinarische Reise geschickt. Beim Sensorium Menu Memory Triggers zum Beispiel geht es um Erinnerungen und die olfaktorischen Verknüpfungen dazu.

Das Chef-Alps Publikum wird angehalten, an den verteilten Duftstreifen zu schnuppern. «Space» sei die Extraktion des Geruchs von einem Raumanzug eines Astronauten. «So riecht das Weltall – theoretisch» erklärt Clift. Es riecht metallisch, ozonlastig. Im Spektrometer wird der Duft Mandarine und Curry zugeordnet. Stimmt, jetzt wo ers sagt, rieche ich auch das. Leider erinnere ich mich aber nicht, wann ich das letzte mal im Weltall war oder in Indien. «Bei uns geht es um Fun, darum, eine gute Zeit zu haben. Mit den Duftstreifen stimmen wir die Gäste auf das ein, was danach kommt, damit sie mit den Gerichten und Cocktails auf derselben Wellenlänge sind.»

Bei einem anderen Menü geht es um die Verknüpfung von Begriffen wie «Happyness», «Baby», «Peace» oder «Holiday» und der Frage, wonach riechen diese? Welche Düfte assoziieren wir damit? «Baby» zum Beispiel nach Milch, Vanille, Aprikosen, Honig, Citrus und Gin. Wieder darf das Chef-Alps Publikum selber probieren. Diesmal sind es Gummibärchen, die 12 solcher Begriffe geschmacklich wahrnehmbar machen. Clift möchte seine Gäste, die heute ja mehr erwarten, als einfach nur Essen serviert zu bekommen, unterhalten und anregen. Man soll über Food und Drinks ins Gespräch kommen, Erfahrungen teilen und Meinungen hinterfragen. Als nächstes bereiten sie einen Sonic Negroni zu. Sieht zunächst aus wie ein klassischer Negroni. Clift erklärt aber, dass der Cocktail dann mit Ultraschall in einem Sonic Prep-Gerät künstlich um etwa 30 Jahre gealtert wird und dann entsprechend gereift, dicht und tiefgründig schmeckt.

Clifts Team arbeitet eng mit Physikern, Chemikern, Ärzten, Psychologen oder Parfümeuren zusammen, um bei der Entwicklung neuer Gerichte ganz spezifische und Geschmacksempfindungen kreieren zu können. «War euch das zu kompliziert?» fragt er das Chef-Alps Publikum, «dann kommt nach Singapur, es ist einfacher zu versthen, wenn ihr es selbst erlebt!». Mittlerweile betreibt Clift zwei weitere Betriebe in Asien und das «Bistronomie»-Konzept Grow auf Bali. Und er möchte weitere Tippling Club-Ableger in Tokio, New York, Amsterdam und – Zürich. Er sei hier bereits mit der «you be s, weisst du, die Bank» im Gespräch gewesen, einen Tippling Club in Zürich zu eröffnen, wäre klasse. Super Stadt – seriously.

Titti Qvarnström, Schweden

www.tittiqvarnstrom.se

Die nächste Köchin auf der Chef-Alps-Bühne kommt aus Schweden und ist im Gegensatz zu den beiden Briten zuvor das pure Gegenteil. Mit Betonung auf pur. Titti Qvarnström aus Malmö ist ein Naturkind, das am liebsten Barfuss über Moos läuft, im Wald Kräuter sammelt, oder sich mit einer Flinte in der Hand und selbst erlegtem Wild ablichten lässt. Sie ist aber auch ein Akademikerkind, das lange so überhaupt nichts mit Kochen und Kochkultur am Hut hatte. Erst als sie müde von der Theorie in ihrem Ingenieurstudium einen Sommerjob in einer Altersheim-Küche annahm, leckte sie Blut und seither ist sie getrieben von gutem Essen.

Sie liebt es, etwas zu machen, das man anfassen kann und Menschen mit Essen glücklich zu machen. Sie spricht perfekt Deutsch und das alles erzählt sie in einem nahtlosen Redefluss. Dann bemerkt sie, dass sie ja noch jemand vorstellen sollte, der auf der Bühne bereits mit Kochen angefangen hat: «Ja, das ist mein Bühnenassistent. Aber auch mein Ehemann» Sie ist: Sehr witzig. Und sie plaudert in einem Schwall aus ihrem Leben und von ihrem Werdegang. Darüber, dass Schweden hat das Handwerk verloren habe. Dass es keine Berufslehre mehr gebe, was eine Katastrophe sei, weil es jetzt nur noch unbrauchbare Hochschulabsolventen gebe, die keine praktische Erfahrung haben. Das findet sie schade. Oder wie sie nach Berlin ging und dort als Koch anheuerte und die Stadt und die aufkommende Spitzengastronomie dort lieben lernte.

Als dann der Vater erkrankte, wollte sie zurück nach Schweden. «Und da wollte ich ein Souvenir aus Berlin mitnehmen, ich hab mir das Beste ausgesucht» sagt sie und zeigt auf ihren Mann. Zurück in Malmö, wo es keine Sternegastronomie gab, dachte sie, das ist das Ende ihrer Karriere in der Spitzengastronomie. In Malmö, einer typischen Arbeiterstadt, sei es schwierig, Essen zu servieren, das einen besonderen Wert hat. Genuss gilt schnell mal als dekadent. Man ist nicht besonders stolz auf die eigene Esskultur. Sie selbst sei mit Dosenravioli und Fischstäbchen aufgewachsen. Traditionell sei die Schwedische Küche eine rustikale Küche mit viel Kartoffeln, Speck und eingelegtem Gemüse. Frisches Gemüse gab es so gut wie nie. Kalorienreich musste die Nahrung sein, für die kalten Winter.

So habe sie sich aufgemacht, Südschwedens Produkte in ein neues Licht zu rücken und diese mit Nachhaltigkeit und Sorgfalt zu kochen, um ihren besonderen Eigengeschmack hervorzuheben. Dafür wurde sie 2015 als erste Frau Skandinaviens mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Ausserdem wurde ihr Restaurant «Bloom in the Park» als bestes Restaurant in Schweden gelistet. Allerdings betreibt sie das Restaurant nach einem Zwist mit ihrem damaligen Kompagnon nicht mehr und ist heute beruflich frei unterwegs.

Ihr Mann bereitet derweil in der Chef-Alps-Küche geduldig Hasselback-Kartoffeln zu. Sie werden mit Crème fraîche und Rogen serviert. Warum sie dieses eher banale Gericht gewählt hat und nicht ein inspirierendes aus ihrer experimentellen Naturküche, erschliesst sich leider nicht. Sie selbst mischt nun ein schnelles Roggenbrot mit gesäuerter Milch, Malz, einer Anis-Kräutermischung und einer gehörigen Portion Natron als Treibmittel zusammen . Ich bin etwas vor den Kopf gestossen. Schweden mit seiner grossartigen Sauerteig-Brotkultur und Titti macht Soda-Bread ohne Teiggare? Sie aber liebt es. Es sei sehr aromatisch und bleibe lange frisch. Am liebsten esse sie Käse oder Butter dazu. «Ist die Butter schon fertig?» fragt sie ins Publikum. Sie hatte zu Beginn der Show ein Glas mit Rahm ins Publikum gegeben und gebeten, es zu schütteln, bis sich die Butter trennt. Sie ist sehr zufrieden damit.

«Wisst ihr, Schweden ist vermutlich das einzige Land, wo du geschmolzene Butter auf den Tisch stellen und es Sauce nennen kannst.». Schon wechselt sie wieder das Thema und sinniert über Gender-Unterschiede und weshalb so wenige Frauen an der gastronomische Spitze sind und ausgezeichnet werden. Wie sehr Frauen immer noch konditioniert seien, sich in die zweite Reihe zu stellen und dass sich das wirklich ändern müsse. Aber dass es vor allem an den Frauen selbst liege, den Mund aufzumachen und das zu fordern, was ihnen zustehe. Sie nennt den Spitzenkoch Marko Müller, der einen grossen Einfluss auf sie gehabt habe, weil er die Persönlichkeit seiner Köche gefördert habe und keine Roboter nach seinem Vorbild programmiert.

«Und was kommt jetzt? Gibt es bald ein neues Restaurant?» möchte Moderator Waldemar Schön wissen (der dieses Jahr sein Comeback auf der Chef-Alps-Bühne gab). Sie würde gerne, ja. Lässt sich aber Zeit, bis das richtige Angebot kommt. Waldemar doppelt nach: «Ich würde mich freuen, nächstes Jahr die Restaurants in Kopenhagen links liegen zu lassen und stattdessen nach Malmö in Tittis Küche zu kommen.» «Ja, oder schlaf mit uns im Wald», antwortet sie «und schiess ne Ente!»

Nicolai Nørregaard, Restaurant Kadeau
Bornholm & Kopenhagen 

www.kadeau.dk

Nicolai Nørregaard beim Arbeiten zuzuschauen, ist eigentlich schon fast Meditation. So filigran, so fokussiert. Es ginge sogar ohne Kommentare oder Moderation. Wie damals bei diesem TV-Format Silent Cooking. Könnte man stundenlang zusehen, wie die gestylten Spitzbuben mit ihren Bärten Schälchen um Schälchen minutiös anrichten, als wären sie ein Dänisches Designstudio, und nicht ein Restaurant. Die Insel Bornholm kulinarisch erlebbar zu machen, ist Nørregaards Leitidee. Er bezieht die ganze umgebende Natur mit ein und entdeckt immer wieder überraschende Zutaten, die essbar sind, oder findet Wege, sie essbar zu machen, durch traditionelle und moderne Zubereitungsarten oder indem er auf eine zehn Meter hohe Leiter klettert und junge Tannensprossen sammelt. Mit seinem Headchef bereitet er auf der Bühne sechs Gerichte zu.

Als Erstes ein Cracker mit Eingemachtem (sie produzieren pro Jahr sieben Tonnen eingelegtes Gemüse, Früchte und Wildpflanzen) unter anderem getrocknete Algen, Miso, eingelegtem Apfel, verkohltem Knoblauch, Blüten und Fliedersirup. Ein intensiver, umamibeladener Happen. Im Restaurant werden typischerweise mehrere Snacks in dieser Art in einer Vorspeisenfolge serviert.

Das nächste Gericht: Roher Hering, leicht eingeschnitten, um die Gräten zu brechen, auf einem Stück Roggen-Brot, mit Butter und Ziegenfrischkäse. Nørregaard arbeitet relaxed und redet sehr ruhig. Die Teller sehen schlicht aus, aber man kann erahnen, wie komplex und dicht die Gerichte in ihrem vielschichtigen Aufbau schmecken müssen, angereichert mit unzähligen dehydrierten Zutaten, Ölen, reduzierten Fonds oder Gels von Einmach-Flüssigkeiten.

Heiss geräucherter Lachs wird als nächstes kombiniert mit selbst gezogenen Bornholm-Feigen und verschiedenen fermentierten Zutaten, wie zum Beispiel Tomatenwasser.

Die folgende rohe, norwegische Jakobsmuschel ist eines seiner liebsten Meereszutaten. Kombiniert mit einer Paste aus getrockneten Jakobsmuscheln, Hanföl, Pinien-Pollen, Karotten, die zunächst dehydriert und dann wieder rehydriert und schliesslich frittiert werden. Für eine einzigartige Textur und intensivstes Aroma, dazu extrem reduzierter Muscheljus – «ein fantastischer Umamibooster» und zum Schluss etwas Bottarga. Das alles in der Muschelschale auf Eis serviert «das macht den Geschmack sehr clean».

Next: Gepickelte Tannensprossen auf weissen eingelegten Spargeln mit fermentiertem Erbsenjus und Muschelbrühe.

Das letzte Gericht, das sie zubereiten, ist gepickelter Kürbis der anschliessend grilliert und mit Quittenhonigsirup glasiert wird. Dazu kombiniert er frittierte Rosenblättern und rote Waldameisen. Sie wirken als säuerliches, scharfes Gewürz. Dazu etwas Buttermilchsauce.

Zusammen mit seinen beiden Partnern erforscht Nørregaard ständig neue gastronomische Welten. Zudem ist er Mitinhaber des Restaurants PONY in der Kopenhagener Shoppingmeile Vesterbrogade und des Bornholmer Hotels Nordlandet, wo in den Sommermonaten zeitweise das Sommer PONY als Pop-up-Restaurant eröffnet. Daneben ist er auch Mitinhaber einer Saftmanufaktur auf Bornholm. Das Kadeau ist damit weit mehr als nur ein Restaurant: Es ist Ausdruck von Nørregaards Liebe zu diesem ganz besonderen Fleckchen Erde und ein Gemeinschaftsprojekt von Freunden – kulinarikbegeisterte Lokalpatrioten, die sich für die Arbeitsplätze auf Bornholm einsetzen. Und für die Wertschätzung ihrer Heimat. Nächste Projekte sind ein weiteres Restaurant in Kopenhagen und eine Metzgerei in Bornholm.

Dominique Persoone
The Chocolate Line, Brügge

thechocolateline.be

Der Mann ist ein Feuerwerk! Nicht umsonst nennt er sich «Shock-O-Latier». Liebt er es doch ganz offensichtlich, zu provozieren und zu polarisieren. An der Chef-Alps macht er seinen Auftritt zu einer Mischung aus Stand-up-Comedy, Showcase und Appel für mehr Crazyness und Mut zu verrückten Kreationen. Er gilt als innovativster Chocolatier und Nummer eins der Gourmetszene.

Persoone betreibt mit seiner Frau Fabienne (der er ständig von der Bühne aus zuzwinkert und Küsschen schickt) eine Schokoladen- und Pralinenmanufaktur sowie zwei Outlets in Brügge und Antwerpen. Spitzenköche wie Alex Atala, Albert Adrià, Sergio Herman, Jordi Roca, Heston Blumenthal und René Redzepi pflegen eine intensive Zusammenarbeit mit ihm. Auf den Sitzen im Publikum hat er Pralinenboxen verteilt.

Während er über seine avantgardistischen Kreationen spricht, soll man die passende Praline verkosten. Ich kann mich nach der ersten nicht zurückhalten und esse eine nach der anderen auf! Das waren ohne jeden Zweifel die besten Pralinen, die ich je gegessen habe. Ich hasse das Wort Geschmacksexplosion, aber nichts anderes spürt man, wenn man auf seine Pralinen beisst. Komplexe Kakaoaromen die von Tabak über Gras bis Holzfass von süss über sauer, bitter und scharf gehen und einen irrsinnig langen und intensiven Abgang zeigen. Und schon im nächsten Augenblick bereue ich meine Gier. Denn Dominique erklärt, wie man Schokolade richtig geniesst: Auf die Hand nehmen, temperieren, schnuppern, und dann erst (ganz langsam!) im Mund schmelzen lassen. Nicht kauen.

Er lobt die Schweiz für ihre Schokolade, schiebt aber sogleich nach, wie schade es ist, dass die Kakaobohnen hier wie vielerorts viel zu stark geröstet werden. Das killt die vielfältige Komplexität, die Kakao aromatisch bieten kann. Dann schweift er wieder über zu pubertärem Schalk. Er erzählt erst harmlos, dass er im Fernsehen als Botschafter für die Erhaltung der Bienen einsteht. Und wie ihn die Begattung der Bienenkönigin durch mehrere Männchen fasziniert, um dann einen regelrechten Bienenporno auf der Bühne zu performen, inklusive eindeutiger Hüftbewegungen, explizitem Vokabular und weiteren nicht jugendfreien Anspielungen. Das Publikum kugelt sich vor lachen und applaudiert begeistert.

Seiner grenzenlosen Offenheit sind aber auch die kühnsten Kombinationen und Kooperationen zu verdanken: Pralinen mit knuspriger Hühnerhaut, Kaviarkaramell oder Heliumgas, betäubende Schokofrösche, eine fliegende Mousse au Chocolat der berühmte Schoko-Lippenstift oder der «Chocolate Shooter», mit dem sich Schokoladenpulver in die Nasenlöcher schiessen lässt.

Diese Erfindung war ursprünglich ein Geburtstagsgeschenk für die Rolling Stones. Inzwischen hat sich die Prinzessin von Jordanien auch acht(!) solcher Shooter bestellt. Modedesigner Stephen Jones bat Persoone eine Pralinen-Kollektion in der Form von Hüten zu entwickeln und mit Designer Nicky Vankets entwarf Persoone ein 20 Kilogramm schweres Schokoladenkleid für Miss Belgien, dazu initiiert oder unterstützt er aber auch unzählige Benefizveranstalungen, Hilfsprojekte und gemeinnützige Organisationen. Zum Schluss gibt er noch einen filmreifen Motivational Speech und plädiert, selbst die Veränderung zu sein, die man sich für eine bessere, mutigere und kreativere Welt wünscht. «Hey, ich habe letztens sogar Schokolade in Form von Hundescheisse kreiert. Könnt ihr euch das vorstellen? Ich mache Hundescheisse und werde reich damit!»

Auf dem YouTube-Channel von Chef-Alps finden sich übrigens alle Shows in kompletter Länge. Die neusten werden vermutlich gegen Ende Woche aufgeschaltet.

Fotos: ©Nadine Kägi

Female Future: Chef Alps 2017.

Gleich drei Spitzenköchinnen prägten die diesjährige Chef-Alps in Zürich. Die World’s Best Female Chef 2016, Dominique Crenn. Die aktuelle World’s Best Female Chef Ana Roš. Und die mehrfach ausgezeichnete Best Female Chef Antonia Klugmann.

Das grandiose Ladies-Lineup wird flankiert von den herausragenden Topchefs Peter Knogl, Oriol Castro, Heinz Reitbauer, Even Ramsvik, Eric Menchon und – man staune und vor allem höre: Spitzenkoch Nick Bril, der als Star-DJ gleich an der ersten Afterparty der Chef-Alps aufgelegt hat.

Auch dieses Jahr berichte ich als Medienpartner vom international Cooking Summit. Diesmal von den Shows am Sonntag. Den Montag kann man wie die letzten Jahre bei meinem geschätzten Kollegen David Schnapp auf Das Filet lesen.

Die Shows vom ersten Tag boten einen eindrücklichen Einblick in vier komplett verschiedene Koch-Philosophien und Persönlichkeiten, die sich stärker nicht kontrastieren könnten.

Dominique Crenn

Le Superstar: Dominique Crenn
Atelier Crenn, San Francisco

Auszeichnungen: 2 Michelin-Sterne, Nr. 83 – World’s Best Restaurants 2017, World’s Best Female Chef 2016, Finalrunde für Best Chef: West 2016 (James Beard Foundation Awards), Chef of the Year 2015 (Eater), Nr. 742 (La Liste 2015)

Tanzend, unter tosendem Applaus, erscheint Dominique Crenn auf der Bühne. Reisst die Arme hoch und schleudert ein «Hello Zürich!» in die Menge. Rock ’n’ Roll, Baby! Die zierliche Powerfrau wurde von allen mit grösster Vorfreude und Spannung erwartet. Ihre Kreativität, Eigenständigkeit und Poesie wirken sehr anziehend. Die Medien lieben sie. Wir lieben sie. Und sie selbst bestätigt: «Ich möchte am liebsten alle umarmen und abküssen.» Da springt der San Francisco Spirit förmlich über. Essen ist für sie Kommunikation. Sie möchte mit ihren die Kreationen Menschen zusammenbringen und verbinden.

Sie ist eine Künstlerin, die über ihr kulinarisches Schaffen auch den Blick auf Politisches und Gesellschaftliches schärfen will. «Ein guter Koch ist jemand der denkt, bevor er kocht. Man kann nicht einfach auf den Markt gehen und, tralala, einkaufen. Das ist kein guter Koch. Man muss Produktion, Gesellschaft und Politik hinterfragen. Essen ist Politik», stellt sie unmissverständlich klar. Und fordert ein Umdenken und die Fokussierung auf Wertschätzung und Respekt.

Diese Haltung habe sie von ihrem Vater mitbekommen. Ihm hat sie ihr erstes Gedicht gewidmet, das sie für ihr Restaurant geschrieben hat. Ihre Gerichte stehen im Atelier Crenn nicht nüchtern auf der Karte, sondern werden immer mit einem sehr persönlichen Gedicht umschrieben. Sie liest dem Publikum ihre poetische Hommage an den Papa vor und erzeugt einen intimen, zerbrechlichen Moment.

Kurz darauf sorgt die Moderatorin für den Brüller des Tages. Auf die Frage, warum Crenn von Frankreich in die USA ausgewandert sei, antwortet sie, Frankreich sei ihr zu bürokratisch. Darauf die Moderatorin: «Und ist Amerika tatsächlich weniger demokratisch?» Ein freudscher Versprecher erster Güte, der für heitere Zustimmung sorgt.

Sie stellt ihren Souschef Felix Santos vor: «Erzähl ihnen deine Geschichte». Er sagt, er wollte eigentlich nie bei Dominique Crenn essen. Seine Freundin habe aber so lange insistiert, bis er endlich nachgab. «Und dann hat es mich förmlich weggeblasen!». Und er wusste: Da, und nirgendwo sonst, will ich arbeiten.

Dominique Crenn

Gemeinsam bereiten sie zwei Gerichte aus dem aktuellen Menü zu. Besser gesagt, er bereitet sie zu und sie sorgt für beste Unterhaltung. «Wo ist der Weisswein?» will sie wissen. «Ich habe Weisswein bestellt. Es ist kein Weisswein da. Na, egal. Aber bestellt habe ich welchen. Was ist das hier?» Sie trinkt einen Schluck aus einer Flasche ohne Etikett: «Wow! Sake! Ich liebe Sake!», und setzt gleich nochmals an. She’s such a Rockstar.

Dominique Crenn

Fish and Chips

Fish and Chips

Das erste Gericht, das sie präsentiert, ist eine Hommage an ihre Liebe zu England. Es sei das einzige Gericht der englischen Küche, an das sie eine gute Erinnerung habe. Sie verwendet dafür Knochenmark vom Schwertfisch. Gegrillt und geräuchert. In einem frittierten Kartoffelnest mit Algen und Gold. Dazu ein Getränk in einem Gefäss, das an ein Parfumflakon erinnert. Mit mit Shizo, Passionsfrucht und diversen fermentierten Elementen wie Pfirsichtee. Sie würzt viel mit selbst gemachtem Essig aus Abschnitten wie Karotten-, Melonen- oder Obstschalen. «Wir verwenden einfach restlos alles von einem Lebensmittel.»

Im Salz gebackene Mairübe mit Kaviar.

Mairüben oder Navetten finden sich in Frankreich auf jeder Speisekarte. In USA eher selten. Sie kombiniert sie mit einer Beurre montée aus Weisswein und Dashi, geräuchertem Kaviar, einer Koji-Crème aus selbst fermentiertem Reis, Wakame-Algen und eingemachten Zitronen.

Im kurzen Interview mit Chef-Alps Botschafter Frank Giovannini, Küchenchef im Hôtel de Ville de Crissier, stellen beide fest, wie wertvoll ein internationaler Cooking Summit wie die Chef-Alps für sie ist. Es sei sehr bereichernd, Küchenchefs aus allen Ländern zu treffen, sich auszutauschen, zu lernen und Wissen zu teilen. «Unsere Welt rückt ein wenig näher zusammen und wir lernen andere Kulturen und Philosophien kennen», so Crenn.

Frank Giovannini

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Peter Knogl

Der Saucenkönig: Peter Knogl
Cheval Blanc by Peter Knogl, Grand Hotel Les Trois Rois, Basel

Auszeichnungen: 3 Michelin-Sterne, 19 GaultMillau, Koch des Jahres 2011 und 2015 (GaultMillau), Bestes Hotelrestaurant in Europa 2015 (Prix Villégiature Awards), Gewinner des Schweizer Kochbuch-Oscars 2012, Aufsteiger des Jahres 2009 (GaultMillau Schweiz)

Ebenfalls mit Spannung wurde «Der Saucenkönig» aus dem Hotel Drei Könige in Basel erwartet. Wie wirkt ein Spitzenkoch, der als Medienscheu gilt, auf der Bühne, fragten sich viele. Souverän lautet die eindeutige Antwort! Seine Gerichte gelten als Mass für Präzision. Und ebenso präzise und minuziös getaktet stellte er mit seinen beiden Souschefs einige Signature Dishes vor.

Saucen seien tatsächlich seine grosse Passion. «Andere haben andere Interessen, mich faszinieren Saucen. Am liebsten möchte ich alle meine Gerichte mit einem Löffel servieren.» Er selbst esse praktisch alles mit dem Löffel. «Der Löffel ist sozusagen mein Talisman» gesteht der grossgewachsene Bayer und, dass er in der Schweiz seine zweite Heimat gefunden habe.

Jalapeno Espuma mit Gurke und Carabinero

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Ich hatte kürzlich das Vergnügen, dieses Gericht im Cheval Blanc zu essen. Die Leichtigkeit, das frische, fruchtige Aroma vom Jalapeno Chili und der intensive, differenzierte Geschmack der anderen Komponenten sind verblüffend. Um der Chili die Schärfe zu zäumen, werden die Schoten gewässert.

Dann entsaftet und als Mayonnaise mit Traubenkernöl und Limettensaft hochgezogen. Dazu gibt es eine Gurken-Mayonaise die mit gekochtem Eiweiss(!) und Olivenöl aufgemixt wird. Die Carabineros werden 1-2 Minuten bei 45 Grad gegart und kommen als Einlage zusammen mit einem Tomatentatar unter das Espuma. Ausgarniert wird das gericht mit Kresse, Gurkenstiften und rotem Pfeffer.

Gehobelte Entenleber, Taschenkrebs und grüner Apfel

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Witzig: Die Idee zu diesem Gericht hatte Peter Knogl am Strand. Als er einen Krebs beobachtete, der sich im Sand verbuddelte. Soviel zur beliebten Standardfrage an Spitzenköche: «Woher kommt eigentlich Ihre Inspiration?» Die Idee hinter der gefrorenen und geraspelten Entenleber ist, dem Gericht eine Leichtigkeit zu geben. Ist diese Form doch wesentlich filigraner, als eine eher schwere Entenleberterrine. Das sanft gegarte Fleisch vom Taschenkrebs wird mit einer Mayonnaise mariniert. Darüber kommt die gefrostete, mit einer Microplane-Reib geraspelte Entenleber und als säuerlicher Kontrast eingelegte, eingefärbte Apfelstücke, Julienne vom grünen Apfel und Apfelblüten.

St. Petersfisch, Karotte, Senfgurkengel und Estragon

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Butter ist eines der wichtigsten Produkte für Peter Knogl. Was das in konkreten Zahlen bedeutet, macht er an einem Beispiel fest: 1 Liter Beurre blanc besteht bei ihm aus 750 g Butter. Man spürt förmlich das Herzrasen im Publikum. Darin und mit Estragon und Estragonessig aromatisiert, zieht der sous vide gegarte Fisch, bevor er angerichtet wird mit Karottenpüree, süss-sauren Karotten, Senfgurkengel und ein paar Tropfen Karottenöl mit leichter Tandoori-Würze.

Rotbarbenfilet mit knusprigen Schuppen, schwarzer Knoblauch, Safran und Tomaten-Vinaigrette.

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Dieses Gericht ist emblematisch und nicht mehr von der Karte des Cheval Blanc wegzudenken. Das Fischfilet wird mit auf einem Gitter langsam mit 200 Grad heissem Öl übergossen. Das geht keine 30 Sekunden. Dabei stellen sich die Schuppen igelartig auf. Sie sind dann extrem knusprig und sehr schmackhaft. Das Fleisch darunter geschmeidig glasig und weniger tranig, als wenn es in der Pfanne gebraten wird. Die Safransauce besitzt die Tiefe für die Knogl so bekannt ist. Gemüsesud, Fischfond und Noilly Prat reduzieren innerhalb von 20 Minuten auf ein Drittel. Dazu kommen Rahm und Beurre blanc und das präzise Moment, die Sauce vom Herd zu ziehen. «Jede Sauce hat ihren Höhepunkt. Man muss sie nehmen, wenn sie am besten schmeckt. Das braucht es halt ein bisschen Erfahrung» bringt er es lapidar auf den Punkt. So, jetzt wissen wirs! Als prickelnde Überraschung wartet unter der Safransauce eine Vinaigrette aus konfiertem Tomaten-Concassée. Garniert wird mit einer Mayonnaise aus fermentiertem Knoblauch.

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Der Neuerer: Oriol Castro
Disfrutar, Barcelona
Auszeichnungen: 1 Michelin-Stern, Nr. 55 – World’s Best Restaurants 2017, 2 Sonnen (Repsol Guide 2015 und 2016), Restaurant des Jahres 2015 (Acadèmia Catalana de Gastronomia i Nutrició), Best New European Restaurant 2016 (Opinionated About Dining), Barcelona Best Restaurant 2016 (Macarfi Guide)

Die Spanier wieder! Wie jedes Jahr an der Chef-Alps begeistern und polarisieren sie mit ihrer technisch avancierten Küche und avantgardistischen, verspielten Gerichten. Der Kontrast zur vorherigen Präsentation könnte grösser nicht sein. Erkennt man bei Peter Knogl noch fast jede Zutat und klassisches französisches Handwerk, ist beim kreativen Trio vom Disfrutar Barcelona nichts wie es scheint. In einem Feuerwerk aus Videoeinspielungen und katalanischem Stakkato eilt Oriol Castro durch faszinierende Zubereitungen, die Zuweilen aussehen wie tollkühne Laborexperimente.

Da gibt es einen Radieschen Snack, der in einer Schale aus schwarzem Sesam serviert wird. Schüttel man die Schale, ploppen die „Radieschen“ aus der „Erde“ als wären sie eben im Zeitraffer gesprossen. Natürlich handelt es sich nicht wirklich um Radieschen sondern um Baisers, die mit einer Radieschencrème gefüllt sind. Diese poetischen Elemente gehören ebenso zum Konzept wie die Verblüffung über ungewohnte Konsistenzen und Formen. Dazu gehören, nach wie vor, Sphärifizierungen, wie die auf Rosenblättern gereichten Rosenwasser-Lychee-Perlen die mit Ingweressenz besprayt werden. Wie die ikonischen „Oliven“ entstehen sieht man in diesem Video.

Bei aller Innvovation erklärt Oriol: «Alle in Spanien wollen werden wie Ferran Adrià, aber ohne Kenntnis der Tradition kann man nicht kreativ sein. Sie ist das Fundament und muss unbedingt erhalten bleiben.»

Baisers, Radieschencreme, Rosenblätter, Rosenwasser-Lychee-Perlen

Nocken aus geliertem Parmesangriess und Eigelb

Tütchen aus Obulato-Papier, Walnuss, Mango

Multisphärifizierung aus Mais, Schweineschwarte, Schweinesauce  

Kaninchenconsommé im Armagnac-Glas, Eis, Estragon, Orangenzesten

Gazpacho-Sandwich

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Der Forscher: Heinz Reitbauer
Steirereck, Wien
Auszeichnungen: Koch des Jahrzehnts (GaultMillau 2016), 2 Michelin-Sterne, 19 GaultMillau, 4 Hauben, Nr. 9 – World’s Best Restaurants 2016, Bestes Restaurant / 100 Punkte (Falstaff Restaurantguide Österreich 2016), Bundeslandsieg Wien 2016 (Falstaff Guide)

Heinz Reitbauer möchte bitte nicht unhöflich sein, ja? Aber er habe einiges vorbereitet, das er den Zuschauern zeigen möchte in der kurzen Zeit. So beendet er den Small Talk mit der Moderatorin, die gerne von ihm gewusst hätte, ob sein Vater, der ihm das Unternehmen quasi in die Wiege gelegt habe, noch aktiv sei. Aber nix da, sie huscht eilig von der Bühne und Reitbauer setzt zur spektakulär fundierten Fungologie an.

Er präsentiert in seinem geradezu wissenschaftlichen Exkurs den «aktuellen Wissensstand über Pilze». Es seien ganz spezielle Lebewesen. Kein Tier, keine Pflanze. Mit einer enormen Vielfalt und reizenden kulinarischen Möglichkeiten. Das Küchencrew von Reitbauer ist ein veritables Forschungsteam, das sehr nahe an der Natur ist und Produkte in enger Zusammenarbeit mit Produzenten und Erzeugern vorantreibt. Dazu entwickeln sie Zubereitungstechniken die neu aber nicht abgehoben sind, sondern oft das Handwerk neu erfinden oder weiterentwickeln.

Die faszinierenden Gerichte zum Thema «Der Geschmack des Waldes» die er mit seinem Team präsentiert, sind nicht nur alle auf der Webseite beschrieben sondern stehen auch als Rezept-Download zur Verfügung.

48-Stunden-Speck

Lungenseitlinge werden in einem Pilzfond mit Gewürzen eingelegt. Dann gedörrt und anschliessend mit Heu geräuchert. Über Nacht kühl gestellt, entwickelt der Pilz eine fleischige, ledrige Konsistenz und speckige Aromen. Sie werden mit einer Creme aus Chupetinos Chili bestrichen und mit Koriander, Anis und Hefe gewürzt.

Alpenlachs mit Samthäubchen, Gurke & Pfefferblatt

Der Alpenlachs in Sashimi-Qualität wird roh, aber gebrandet serviert. Dazu haben sie eigens ein spezielles Brandeisen entwickelt. Damit brennen sie Streifen in den Fisch, der dadurch einen delikaten Grillgeschmack bekommt. Mariniert wird er mit Pfefferblattöl. In einer Rettichschleife werden Pefferblätter und Fruchtstand angerichtet.

Lauch Frittaten Rehschulter, Igelstachelbart & schottischem Liebstöckel

Morcheln & Selleriekohl mit Bergamotte & Entenzunge

Der Versuch, Morcheln zu fermentieren hat zu erstaunlich guten Ergebnissen geführt. Mit Salz und Molkebakterien fermentieren die Morcheln zwischen 5 und 12 Tagen. Sie bekommen eine erstaunlich seidige Textur und einen intensiven Umami-Geschmack mit sehr weichen Karamelltönen. Sie werden kombiniert mit Selleriekohl der in Buttermilchgewürzmolke gegart und anschliessend im schweinenetz eingeschlagen gebacken wird. Dazu geschmorte Entenzungen, eine Bergamottpaste und eingelegte Bechermorcheln.

Rehherz mit Stockschwamm, wildem Lattich & Steinklee

In Nussbutter konfiertes Reh-Herz. Dazu Lattichsalat, in der Holzkohle gegrillt sowie fermentierte Rüben.

Mairitterling mit Meereskopfsalat, Walnussblatt & Ziegenkitz Nierenfett

Ziegenkitz-Nierenfett wird verwendet, um die Ritterlinge zu braten. Sie werden mit Pfarrgarten-Spinat, einer alten Sorte, in ein Algenblatt eingerollt. Dazu gibt es eine Vinaigrette aus dem Ziegenkitz-Nierenfett, klein geschnittenen Ritterlingen, Wallsnussöl, Wallnussblättern und Reisessig.

Schopftintling mit Cyclame, Kochsalat & Wiener Kaviar

Der Schopftintling wird gschmort und anstatt mit Salz mit Garum gewürzt. Dieses Garum (Fischsauce) stellen sie mit Fischabschnitten und Innereien sortenrein her. Ja, ich habe richtig gehört. Er hat eben sortenrein gesagt! Dazu gibt es Kochsalat, Knochenmark , Erdäpfelsauce und – eine Novität – Wiener Kaviar.

 

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Über die Shows vom zweiten Tag berichtet David Schnapp auf seinem Blog.


Gratistickets: ChefAlps 2017.

Chef-Alps 2017

Auch dieses Jahr bin ich als offizieller Medienpartner an der ChefAlps in Zürich.

Ich verlose 6 Gratis-Tickets: Die ersten sechs, die hier einen Kommentar hinterlassen, kommen zum Handkuss! 

An der 6. Ausgabe des wichtigsten Schweizer Branchenanlass am 21. und 22. Mai 2017 geben neun aussergewöhnliche Spitzenköche verschiedener Länder auf der Showbühne Einblick in ihre Philosophie. Im Nebenprogramm gibt es in der Markthalle 34 Aussteller zu entdecken. Ein Speed-Dating bietet die Chance, Experten zu fragen, was man Experten schon immer fragen wollte. Und nicht zuletzt wird die neue ChefAlps Afterparty jede Menge Gelegenheit zum Networken bieten. Ob Profi, Nachwuchs, passionierter Amateur oder Foodjournalist – diesen horizonterweiternden Cooking Summit sollte man nicht verpassen.


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Casadonna mit dem Ristorante Reale in Castel di Sangro ©Francesco-Scipioni

Der Ort ist archaisch. Die Gegend dünn besiedelt. Mit Dörfern, die wie Schwalbennester an den Felsen kleben. Mitten im idyllischen Nationalpark von Abruzzo. Wo das Klima rau sein kann und das Leben nicht immer Sonnenschein. Und gerade deshalb so echt und so ungeschönt schön wirkt.

An diesem Ort, fernab von allem, was an Spitzengastronomie erinnern könnte, betreibt Niko Romito in einem Kloster – wie passend – eine geradlinige, schnörkellose Küche mit besten Zutaten aus der Region. Allerdings auf allerhöchstem Niveau.

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Niko-Romito ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

«Meine Gerichte werden oft als einfach bezeichnet. Das ist sehr richtig im Sinne von nicht kompliziert, bedeutet aber nicht, dass sie ohne Aufwand zubereitet sind. Beim Kochen kann Aufwand von Vorteil sein, Kompliziertheit hingegen nie. Genau diese spezielle Art der Einfachheit kann man nur durch unermüdliche Recherche erreichen – und durch Leidenschaft für die Balance.»

In sieben Jahren wurde das Restaurant mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Dieses Jahr rangiert sein «Ristorante Reale» zum ersten Mal unter den «World’s Best Restaurants».

Ich habe ihn an der Chef-Alps getroffen und mit ihm gesprochen.

Der Journalist Joe McGinnis schrieb «Das Wunder von Castel di Sangro». Ein Bestseller über einen regional unbedeutenden Fussballclub, der aus dem Nichts den mirakulösen Aufstieg in die prestigeträchtige Serie B schaffte. Das Märchen dauerte allerdings nicht lange. Du hingegen hast in Castel di Sangro wahrlich Geschichte geschrieben. Kannst du es eigentlich selber fassen?

Ich verstehe mich als den, der ich bin. Sehe, was ich die letzten Jahre erreicht habe und es überrascht mich nicht. Aber ich bemerke sehr wohl die Verblüffung der anderen.

Man fragt sich, war es ein Traum, Kalkül oder reiner Zufall? Wie schafft man ausgerechnet an einem Ort fernab jeglicher Spitzengastronomie den Aufstieg zu einem der höchst bewerteten Küchenchefs Italiens?

Ich hatte keine Ahnung. Mir war die Welt der Spitzengastronomie völlig unbekannt. Ich studierte in Rom Wirtschaft und wollte Finanzberater werden. Ich achtete nicht einmal besonders darauf, was ich ass. Mein Vater wandelte inzwischen seine Pasticceria in Rivisondoli in eine Trattoria um. Servierte einfaches Essen. Cucina abruzzese. Ein bisschen Pasta. Das obligate Lamm vom Grill. Dann erkrankte er und meine Schwester Cristiana, mit der ich alles aufgebaut habe und die heute das Restaurant leitet, bat mich in der Trattoria auszuhelfen, bis wir einen Käufer gefunden hätten. Ich liess mein Studium fallen und kehrte heim, um etwas zu entdecken, das meine Leidenschaft entfachte und mich Schritt für Schritt vorantrieb.

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Niko und seine Schwester Cristiana ©Francesco-Fioramonti

Und die Einwohner von Rivisondoli freuten sich und sagten, endlich ein Gourmetlokal im Dorf!

Naja, am Anfang war es alles andere als einfach. Menschen geben ungern auf, was sie mögen und das trifft ganz besonders zu, wenn es um ihre Essgewohnheiten geht. Ich blieb zwar der kernigen Küche meiner Region treu, befreite sie aber von Folklore und Rustikalität. Wir verringerten die Anzahl der Gedecke und trieben die Suche nach qualitativ hochwertigen Zutaten und präziser Zubereitung voran. Bald wurde es in Rivisondoli zu eng. Ich machte mich auf die Suche nach etwas Grösserem und fand in Castel di Sangro Casadonna. Dieses monumentale Kloster aus dem 16. Jahrhundert. Ich habe es gekauft und gemeinsam mit meiner Schwester saniert und umstrukturiert. Gegenüber dem «Reale» in Rivisondoli mit einer Fläche von 130 m2 mussten wir nun eine Fläche von 2600 m2 bewirtschaften.

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«Reale» Intérieur, gradlinig und schnörkellos ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Und finanzkräftige Investoren an Board holen?

Nein. Ich habe alles selbst über Banken finanziert. Ich will so unabhängig wie möglich arbeiten. Wir betreiben neben dem Restaurant auch ein Boutique-Hotel und das Ausbildungszentrum «Niko Romito Formazione» für junge Köche, die bei null anfangen. Ich selbst habe ja nie eine Kochschule besucht oder eine entsprechende Ausbildung gemacht. Es ist mir daher wichtig, dass Jungköche bei uns sehr schnell Praxis in allen Bereichen sammeln, experimentieren und Verantwortung übernehmen können. Mit meinem neuen Konzept «Spazio» betreibe ich vier Restaurant-Laboratorien in Rivosondoli, Rom und Mailand, in denen die Köche aus unserer Schule arbeiten. «Spazio» bietet authentische italienische Küche. Schlicht, schnörkellos und bezahlbar. Keine Hochgastronomie, keine Tischwäsche, keine Kellner. Dafür saubere Produkte und präzise Kochtechniken. Die Köche stehen in direktem Dialog mit den Gästen. Die Leute lieben es!

Warum haben die Leute dennoch akzeptiert was Niko macht?

Das geschah phasenweise. Wir haben zuerst die klassischen Gerichte der Region schlanker gemacht. Dann haben wir angefangen, eigene Rezepturen zu entwickeln und schliesslich haben wir angefangen, Grenzen zu überschreiten und neue, eigene Wege zu gehen – dabei wenden wir uns aber sehr intensiv den kulinarischen Wurzeln der Region zu. Das ist an einem Gericht wie verza e patate sehr gut ablesbar. Ein Profi erkennt, was hinter diesem vermeintlich einfachen Gericht steckt.

Ein Amateur erkennt die Simplizität. Er erkennt die Zutaten, ja, es ist Wirsing. Aber es schmeckt ungleich intensiv. Dies sind einzigartige Gerichte, die unverkennbar unserer Philosophie entspringen und als Signature Dish anerkannt sind.

Verza e Patate auf Vimeo.

Welchen Stellenwert hat das traditionelle Küchenhandwerk der Frauen in Italien?

Einen Enormen! Es ist die Besonderheit, die Stärke Italiens. Übermittelt von Generation zu Generation. Es ist die Basis der italienischen Gastronomie. Aus der häuslichen Zubereitung von Speisen entstanden zuerst die Osterie und Trattorie, in welchen Gäste verpflegt wurden. Erst viel später entstanden in Italien auch Restaurants. Die Restauration ist ein französisches Konzept.

Das Positive an der Tradition ist, dass man aus einer reichen Basis schöpfen kann. Auf der anderen Seite, kann es die Entwicklung für Neues limitieren. Ich versuche immer eine Balance zu finden.

Die Gäste, wir alle, suchen immer einen Anknüpfungspunkt, eine Erinnerung an die Gerichte unserer Kindheit, an das was uns unsere Mütter und Grossmütter serviert haben. Wenn ich es schaffe, mit einem modernen Gericht die Emotionen und Erinnerungen abzurufen, ist der Akt gelungen. Was mir aufgefallen ist: In Ländern, in denen die Tradition des Kochens zuhause weniger stark ausgeprägt ist, sind die Küchenchefs kreativer!

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Assoluto di cipolle parmigiano e zafferano ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Wovon träumt ein Koch, der innerhalb von sieben Jahren mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde?

All das zu konsolidieren, was er bisher erreicht hat. Und darüber hinaus: An künftigen Projekten zu arbeiten. Das nächste startet diesen Herbst. Gemeinsam mit der «Sapienza» Universität in Rom.

Wir müssen das gastronomische Angebot in italienischen Spitälern neu definieren und gestalten. Eine Formel, ein zeitgemässes Konzept finden. Eines, das eine hohe kulinarische Qualität garantiert. Ein System mit simplen, leicht umsetzbaren Kochtechniken, das es erlaubt, auch mit wenig geschultem Personal appetitliche und vollwertige Speisen zuzubereiten. Wir werden es erstmals im «Cristo Re» applizieren. Es geht auch um Nachhaltigkeit. Es kann nicht sein, dass du heute in einem italienischen Spital Essen bekommst, dass dich krank statt gesund macht. Das Problem ist, dass heute gemäss den EU-Richtlinien nur geprüft wird, welche Lebensmittel in den Wareneingang gelangen. Niemand kontrolliert, was schlussendlich auf den Teller kommt, wie die Speisen aussehen, schmecken und welchen Nährwert sie haben. Wir haben es analysiert und der Zustand ist desolat. Und das in einem Land wie Italien! Wo traditionelles, geschmackvolles Essen eine so grosse Rolle spielt.

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Kalbsbries, Rahm, Zitrone, Salz ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Wie arbeitet Niko Romito, welcher Ton, welche Hierarchie herrscht in deiner Küche?

Ich glaube, es ist eine sehr intensive, aber angenehme Atmosphäre. Still und konzentriert. Niemand schreit herum. Wir sind in horizontalen, nicht vertikalen Linien organisiert. Jede Station hat einen Verantwortlichen. Ich habe keinen Souschef, sondern vier Stationsverantwortliche. Wir verstehen uns als starkes Team, welches gemeinsam Ziele erreicht. Jedes Gericht, das wir entwickeln ist Teamwork. Diese Qualität spürt der Gast. Nicht nur im Restaurant. Die Stunden, die du in Casadonna verbringst – die nimmst du alle mit nach hause.

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Kalbs-Gel, Steinpilze, Mandeln, Rosmarin, Trüffel ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Erzähl mir noch etwas über das fantastische Brot, das ihr in Abruzzo habt.

Ach, das Brot la bella pagnotta! Wir haben in Casadonna eine 70 m2 grosse Backstube mit zwei fulltime Bäckern. Weisst du, ich habe mich schon vor Jahren vom Körbchen mit den verschiedenen Brötchen verabschiedet. Wir verzichten auf die üblichen Brioches oder aromatisierten Focaccia-Brötchen. Ich will den Gästen ein Brot servieren, das einen Wert hat, eines, das sie nie mehr vergessen. Wir servieren es im Menü als eigenständigen Gang. Ohne Butter. Ohne Olivenöl. Nur ein Stück Brot. Damit man sich wieder bewusst wird, wie viel mehr Brot sein kann als einfach nur eine Sättigungsbeilage. Wir arbeiten mit lievito madre, einer natürlichen Mutterhefe und sehr langer, retardierter Teigführung bei kühlen Temperaturen. Die hohe Hydratation von 90% gibt uns eine sehr weiche, luftige Krume. Ausserdem verwenden wir alte Weizensorten, wie die autochtone «Solina», die ein Bauer für uns anbaut. Sie ist nicht so ertragsreich wie moderne Weizensorten, dafür ist sie resistenter und benötigt weniger Pestizide, ist reicher an Nährstoffen und ärmer an Gluten, was sich vorteilhaft auf die Verträglichkeit auswirkt.

Du lebst ja ganz in der Nähe von Pescasseroli, wo meine Eltern daheim sind. Ganz ehrlich, wie ist die Pizza bianca von «Pinocchio»?

Schau, ich habe wirklich in ganz Italien hervorragende Pizze bianche und Focaccie gekostet, vor allem in Sizilien und Apulien ist die Qualität hervorragend. Aber die Pizza und übrigens auch das Brot vom «Vecchio Forno» ist wirklich aussergewöhnlich gut!

Ristorante Reale

Casadonna

Niko Romito formazione

Restaurant-Labs Spazio

Video Enzyklopädie unforketable

Blog von Niko Rominto (auf Italienisch)


Le Summum: Chef-Alps 2016.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Franck Giovannini an der Chef-Alps. (Alle Fotos ©Nadine Kägi)

Bereits zum fünften Mal fand in Zürich die Chef-Alps statt.

Wer sich ernsthaft und vor allem leidenschaftlich mit Spitzengastronomie beschäftigt, möchte dieses internationale Kochsymposium auf keinen Fall verpassen. Während zwei Tagen präsentieren angesagte Sterneköche unterschiedlicher Länder auf der Bühne ihre Philosophie und sorgen dafür, dass einem die Augen aufgehen, und die Kinnlade zuweilen überraschend weit offen steht.

Wie letztes Jahr, habe ich am zweiten Tag live mitgeschrieben. Den Sonntag kann man bei meinem geschätzten Kollegen David Schnapp nachlesen.

 

Die Nachfolge: Franck Giovannini

Restaurant de l’Hôtel de Ville Benoît Violier, Crissier. 3 Michelin-Sterne, 19 GaultMillau-Punkte. Nr. 1 – Bestes Restaurant der Welt – La Liste 2015 (1000 herausragende Restaurants).

Franck Giovannini übernahm nach dem tragischen Tod von Benoît Violier anfangs Jahr die gastronomische Leitung des Restaurant de l’Hôtel de Ville, das nun von Brigitte Violier betrieben wird. Benoît Violier und Franck Giovannini waren langjährige Freunde. Bereits in der Zeit von Philippe Rochat haben sie zusammen in Crissier Höchstleistungen erbracht.

Er zeigt mit seinem Souschef drei Gerichte. Das erste ist ein blauer Hummer aus der Bretagne „nose-to-tail“ quasi. Aus dem Kopf wird die Sauce gezogen. Das Fleisch der Scheren als feines Ragout. Den Rumpf als Medaillons. Beides im Servierring angerichtet und zusammengehalten von einen dünnen Sellerieband. Gewürzt wir mit einem klassischen Gewürzöl, welches schon von Fredy Girardet eingesetzt wurde und getrockneten Hummereiern. Fertiggestellt wird der Teller mit der gezogenen Sauce Américaine, Gemüsestreifen und geriebenem Corail. Die beiden arbeiten still, sicher und schnell nebeneinander. Noch schneller wirds, wenn Giovannini auf Französisch kaskadenartig erklärt, was er macht. Nebenbei erwähnt er, dass ein Koch in Crissier auf seinem Posten von A bis Z für ein Gericht verantwortlich ist (nicht wie in anderen Küchen nur für gewisse Komponenten des Tellers) also von der Warenkontrolle bis zum fertigen Teller.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Das zweite Gericht ist: Ein Ei. Verarbeitet – oder vielmehr versteckt – im Blumenkohl. Dazu wird ein Blumenkohlpüree hergestellt. Ein typischer Trick von Giovannini ist, bei jedem Püree (oder auch bei Gemüsesuppen) kurz vor dem Mixen ein wenig rohes Gemüse dazuzugeben, für einen intensiveren, frischeren Geschmack. Nun werden Förmchen gebuttert und mit einer Hühner-Blumenkohl-Eiweiss-Farce gefüllt. In die Mitte wird das Eigelb platziert und mit weiterer Farce bedeckt. Dampfgaren: 5 Minuten. Angerichtet wird das „versteckte Ei“ auf verschiedenen Konsistenzen vom Blumenkohl: Crème, Schnee, knackig gegarte Röschen, Scheibchen und einem Löffel Caviar. Beim Anschneiden fliesst das Eigelb selbstverständlich aus und vermählt sich mit der Sauce.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

In Crissier konzentriert man sich auf maximal zwei Hauptkomponenten pro Gericht. Das Ziel sei, dass der Gast jederzeit erkenne, was er da isst. Aromatisch hochkonzentriert und in verspielten Texturen. Und gerade bei diesem Gericht ist beeindruckend zu sehen, wie auch mit einfachen Zutaten wie einem Ei und Blumenkohl gearbeitet wird. Ohne Avantgarde und Hui-Effekte, dafür mit der Beflissenheit und Präzision von Schweizer Uhrmachern.

Das dritte ist ein Muschelgericht mit gedämpften Venus- und Stabmuscheln. Der Muschelsud wird mit Butter und Rahm sowie Gemüsen und Kräutern verfeinert. Angerichtet wird wiederum im Servierring. Diesmal ist eine fein gehobelte Karottenscheibe das fixierende Band. Gefüllt wird die Form mit einem stark konzentrierten Erbsenpüree. Darüber die ausgelösten Muscheln und knackig gegarte Fava- und Buschbohnen, Zwiebelringe (ja, einfach nur rohe Zwiebelringe) und Kresse.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Warum heisst ein Spitzsieb auf Französisch Chinois? Fragt Franck den Moderator Waldemar Schön? Als Antwort hält er ihm das Sieb über den Kopf – et hopp – sieht er aus wie ein chinesischer Waldemar!

 

Die Erleuchtung: Fina Puigdevall

Restaurant Les Cols, Olot/Girona (E). 2 Michelin-Sterne. Les plus beaux restaurants du monde 2007 (Pyramyd Éditions). Best Restaurant 2005 (III FIRA TECNOTAST)

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Die katalanische Zwei-Sterne-Köchin Fina Puigdevall wirkt auf mich wie die Björk der Kochkunst. Sie betreibt ein Restaurant, das als eines der schönsten weltweit gilt. Manchmal, ach was, konsequent spricht sie mit Äpfeln. Ihrem Gemüse. Den Hühnern. Sie hat sich in ihrem paradiesischen, transzendenten Kleinod ganz der kompromisslosen „Null-Kilometer-Naturküche“ verschrieben.

Eine ihrer wichtigsten Zutaten, die im nordspanischen Vulkangebiet Garrotxa vor Finas Haustür zu finden sind, ist Buchweizen. Damit präsentiert sie mit ihren zwei Souschefs einige sehr reduzierte, sehr geerdete Gerichte.

Es geht los mit einem Snack aus Mais- und Buchweizenmehl, der typischerweise vor dem Hauptmenü im Garten zum Aperitif gereicht und zusammen mit Wurstwaren serviert wird. Die beiden Mehle werden gekocht und mit Stärke gebunden, dann gemixt und dünn ausgestrichen. Daraus entsteht ein im Ofen getrockneter, hauchdünner Chip, den sie „Crosta“ nennen. Ein Kruste, die an die Brotkruste und an Baumrinde erinnern soll.

Der zweite Snack besteht aus grob gemahlenem Vollkorn-Buchweizen und gekochten Bohnen. Mit Eiern werden daraus Blinis hergestellt. Auf die Blinis kommt „falscher“ Caviar aus Tapiokaperlen, die das Aroma der Bohnenconsommé aufgesogen haben.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Weiter geht es mit Buchweizen-Spaghetti. Wieder wird Buchweizenmehl zu einem dicken Brei eingekocht. Dann mit Olivenöl emulgiert. Abgefüllt in eine Spritzflache wird dann eine spiralförmige Nudel in eine geräucherte Speckbrühe gespritzt und serviert.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Als süsse Speise zeigen sie eine Art Milchreis aus Buchweizen. Gewürzt mit Zimt, Vanille und Zitrone. Wie bei einer Crema Catalana wird vor dem Servieren eine Zuckerschicht darüber karamellisiert.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Knusprige, traditionelle Farinettas werden für ein weiteres, beinahe schon archaisches Süssgebäck frittiert und mit Zucker bestreut.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Für eine weitere Abwandlung mit Buchweizen, wird der gekochte Brei gefriergetrocknet, in Stücke gebrochen und als Einlage in eine Speckbrühe gegeben.

 

Die Verknüpfung: Tohru Nakamura  

Restaurant Geisels Werneckhof, München (D). 1 Michelin-Stern, 18 GaultMillau-Punkte. „Koch des Jahres 2015“ und 4,5 F (DER FEINSCHMECKER). „Entdeckung des Jahres“ (GaultMillau, 2013). „Aufsteiger des Jahres“ (Rolling Pin, 2013).„Nachwuchs“ (Internationaler Eckart Witzigmann Preis, 2011)

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Während ich Backstage mit Niko Rominto spreche (das Interview folgt in einem späteren Blogbeitrag), präsentiert Tohru Nakamura (der anfangs Jahr schon in St. Moritz begeisterte) mit seinem jungen Küchenteam auf seine sehr lässige, unnachahmliche Art vier Gerichte, in denen er seine japanische und bayerische DNA vereint. Er zeigte: Japanisch marinierte Entenleber mit Nashibirne, Sancho (japanischer Bergpfeffer) und Pilzbrioche.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Saibling mit Linsen, Gurke und als Krokant geformte Miso-Äste.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Jakobsmuschel mit Abensberger Spargel der in Biertreber gegart wird, dazu wilder Spargel, Malz und einer Bier-Hollandaise (Bier, weil Bayerisch, verstehst?)

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Kirschblüte (Hanami), Kirschblüten-Chibouse (eine Mousse mit Eiweiss, Rahm und Gelatine), Blüten, Blätter, Sesam und Salzmadel-Eis.

Bereits mit 32 Jahren blickt Nakamura auf eine beindruckend erfolgreiche Karriere zurück. Im Münchner Traditionsrestaurant Geisels Werneckhof erkochte er sich innert eines halben Jahres als neuer Küchenchef einen Michelin-Stern. GaultMillau feierte ihn als „Entdeckung des Jahres 2013“ und zeichnet seine Kochkunst aktuell mit 18 Punkten aus.

 

Die Referenzierung: Jakob Mielcke

Restaurant Mielcke & Hurtigkarl, Frederiksberg/Kopenhagen (DK). 90 Punkte in der „International Masterclass“ (höchste Kategorie). White Guide Nordic 2016. Nr. 13 – Best Nordic Restaurants 2015. COCO – 10 World-Leading Masters choose 100 Contemporary Chefs (Phaidon Press). „Chef Profile of the Year“, Den Danske Spiseguide 2012

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Jakob Mielcke startet seinen Vortrag damit zu erklären, dass er eigentlich kein gelernter Koch sei: «Im Gegensatz zu meinem Küchenchef und meiner Pastry Chef da hinter mir.» Er selber sei ganz einfach süchtig nach Essen und Kochen. Deshalb kam er erst über Umwege zu seiner Berufung. Das Kochen erlernte er autodidaktisch, bevor er die Welt bereiste und bei grossen Meistern wie Pierre Gagnaire arbeitete. Heute zählt er zu den kreativsten Köchen der Welt und ist einer der führenden Vertreter der New Nordic Cuisine. Für seine saisonalen Kreationen lässt er sich von der Natur inspirieren und verbindet dabei skandinavische, französische und asiatische Elemente.

Als erster Snack zeigt er einen Salat, wie sie ihn selbst im Schlossgarten seines Restaurants ziehen. Mit einer eine Vinaigrette und gepressten Baumnüssen und getrocknetem Eigelb.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Es folgt eine Tom Yum, Thai Soup.

Ähnlich wie ein Green Curry präsentiert er ein exotisch angehauchtes Gericht mit Bärlauch, Spargeln und Yuzu. Dazu etwas Sauerrahm mit getrocknetem Shrimp-Pulver.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Er spricht die Schwierigkeit an, in Dänemark (und vermutlich nicht nur dort), gutes Servicepersonal zu bekommen. Leider werde dieser oft als blosser Tellerträger eingesetzt. Er sehe seine Brigade lieber als Gesamt-Kreativteam, von dem auch individuelle Impulse und Ideen für Gerichte aufgenommen werden können. Wie beim folgenden Gericht mit Kombucha, in Tonic marinierter Gurke, Pomelo und Muscheln.

Ein Signature Dish, auf den er sich immer freue, wenn die Jahreszeit dafür beginnt, sind Kieferntriebe. Er serviert sie mit geraspelten Kartoffeln, Schnittlauch, Pistazien und einer geräucherten Karpfen-Emulsion.

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«Ananas, die war die letzten 20 Jahre von den Speisekarten der Spitzengastronomie verschwunden. Wir setzen sie ein, um damit eine gegrillte Schweinebrust zu glasieren».

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Zwischendurch lässt er uns wissen, dass er sehr gerne sammeln und jagen gehe. Es sei zwar illegal, aber er sei ja hier in der Schweiz, also könne er es uns verraten. Er liebe die Vorstellung, Essen hächstpersönlich auszusuchen und zu erlegen, bevor er es seinen Gästen im Restaurant serviert.

Desserts seien im Norden generell weniger süss. Er mag es auch nicht, wenn am Ende der fein abgestimmten Dramaturgie seines Menüs eine fette Zuckerbombe kommt. Deshalb serviert er so etwas Grasiges, Frisches wie Salat mit Cider, Graspulver, Blüten und mit Jasmin aromatisierter Schlagrahm.

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Oder: Mais mit frittierten Algen und warmer Buchweizencreme.

Inspirationsquelle für Mielckes Kochkunst ist die märchenhafte Umgebung des Restaurants: Das Mielcke & Hurtigkarl befindet sich in einem Winterpavillon aus dem 18. Jahrhundert inmitten des Kopenhagener Frederiksberg Parks, dem Royal Danish Horticultural Society’s Garden, einer der ältesten und schönsten Parks der Welt. „Wir haben die klassische Gartenanlage in unser Restaurant geholt – die wundervolle Umgebung spiegelt sich in den Kunstwerken, dem Interieur, den Kräutern, dem freundlichen Design, den Düften und Klängen wider. Eine weitere Besonderheit ist unser eigener Blumen- und Kräutergarten, der nicht nur in unserer Küche, sondern auch im Restaurant selbst eine wichtige Rolle spielt“, erzählt er.

 

Die Kondensation: Niko Romito

Ristorante Reale, Castel di Sangro / L’Aquila (I). 3 Michelin-Sterne. 19,5 Punkte im Gastroführer Espresso Gourmet. 3 Gabeln im Gambero Rosso. Rang drei in Italien (Gambero Rosso und Espresso Gourmet). Lunch of the Year 2011. (L’Espresso). Best Chef 2012 (Identità Golose)

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Den Abschluss an der diesjährigen Chef-Alps setzt ein weiterer Autodidakt der Beeindruckendes geschaffen hat. Die Küche des italienischen Avantgardisten Niko Romito wird seit 2013 mit drei Michelin-Sternen bewertet.

Ohne je eine Kochschule besucht zu haben, betreibt er heute selbst eine der Fortschrittlichsten des Landes. Dazu mehrere «Spazio»-Ateliers, die von Absolventen seiner Kochschule betrieben werden und als Hauptwirkungsstätte das Hotelrestaurant Casadonna in einem alten Kloster in den Abruzzen. Einer kargen Bergregion, fernab jeglicher Spitzengastronomie.

Er werde heute keine Gerichte zeigen, da diese in der Zubereitung bis zu zehn Tage beanspruchen. Auf dem Teller erscheinen diese in einer Schlichtheit, die an Nüchternheit kaum zu toppen ist. Es folgt eine intellektuelle Exkursion, die ebenso als Gesamtschau eines Konzeptkünstlers in einem Museum stattfinden könnte. Er verbildlicht in Slides seinen Werdegang anhand von ikonenhaften Signature Dishes, die seine Identität unverkennbar machen. Etwa:

Zwiebelbrühe, Safran und Parmesan

Salz-Extraktion der Zwiebel, getoastete Safranfäden, mit Parmesan gefüllte Ravioli.

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Gebratene Artischocke

Lackiert und intensiviert mit reduzierter Artischocken-Glace.

Salat mit Gin und Mandeln

Gin, Salbeiextrakt und Mandelemulsion

Wassermelone und Tomate

Mit Hochdruck komprimierte Wassermelone, die beim Anschneiden keine Flüssigkeit austreten lässt. Tomate 24 Stunden mariniert mit Balsamessig, Thymian, Estragon und Zitrone.

Geräucherte Tortelli mit Capocollo

Perfektes Verhältnis zwischen Pastadicke und Füllmenge, ohne Sauce, nur lackiert.

Spaghetti und Tomaten

Der italienische Klassiker schlechthin mit einer neuen Herangehensweise. Kein Öl wird dafür verwendet, dafür vier verschiedene Tomatensorten die Säure und Frucht konzentrieren.

Kartoffel und Auster

Ein kalter Antipasto. Die Pasta wird in einem Kartoffeldestillat ohne Stärke gegart. Die daraus resultierende Säure harmoniert perfekt mit der Süsse der Auster.

Lamm, Knoblauch und rosa Grapefruit

Anstatt das Lamm, wie in den Abruzzen üblich über Holzkohle zu braten, wird das Fleisch in Schafsmilch gekocht und danach geräuchert. Daraus resultiert, wie er sagt, eine homogene Reinheit.

Kalbsbries, Rahm, Zitrone, Salz

Der Rahm wird mit Weisswein und Zitrone gesäuert, durch die Zugabe von Salz sticht die Süsse vom gegarten Kalbsbries durch die überproportionale Frische.

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Taube und Pistazien

Ganze Taube in Taubenbrühe mit Niederdruck gegart. Die Pistazien werden bei minus 20 Grad mit Wasser emulsioniert. Er nennt es die ethisch vertretbare Foie Gras.

Essenz

Nachspeise mit neuem Patisseriekonzept. Wichtig dabei, die Balance zwischen Salzigkeit und Süsse. Beim ersten Bissen wirkt es unbalanciert. Aber die Harmonie ergibt sich aus der Mischung aus bitter, salzig und süss, die linear von links nach rechts gegessen werden muss. Säure durch Passionsfrucht, Süsse durch Haselnuss und Mandeln und ganz rechts Bitterkeit aus Kaffee und Enzian. Erst nach dem dritten vierten Löffel stellt sich das Gefühl ein, eine Süssspeise zu essen.

Brot

Schon früh hat Romito den Brotkorb mit diversen Brötchen aromatisiert mit Tomaten, Kräutern oder Oliven aus dem Restaurant verbannt, um ein einziges, wahres Brot herzustellen. Es ist ein reines Sauerteigbrot mit Lievito Madre, das eine lange Teigführung erfährt und aus einer alten, autochtonen Weizensorte gebacken und als eigener Gang im Menü ohne etwas anderes dazu serviert wird.

Wirsing und Kartoffeln

Sein neustes Gericht. Der Wirsingkopf wird dazu direkt auf Holzkohle gegrillt. Danach wird er in Salz, Weisswein und Essig 7 Tagen fermentiert. Anschliessend wird er dampfgegart. Die äusseren Blätter werden ohne Fettzugabe geröstet. Anschliessend werden sie im Pacojet zu einer reinen Emulsion püriert. Aus Anis wird ein Destillat hergestellt. Zum Anrichten wird das Herzstück des Wirsings wie ein Steak geschnitten und erwärmt. Dann mit dem Püree und einer Kartoffelcreme bestrichen, mit Anisdestillat, Rosmarin- und Olivenöl beträufelt.

Für Niko Romito ist „Einfachheit“ der grundlegende Wert bei der Zubereitung seiner Speisen im Restaurant Reale: „Meine Gerichte werden oft als einfach bezeichnet. Das ist sehr richtig im Sinne von nicht kompliziert, bedeutet aber nicht, dass sie ohne Aufwand zubereitet sind. Beim Kochen kann Aufwand von Vorteil sein, Kompliziertheit hingegen nie. Genau diese spezielle Art der Einfachheit kann man nur durch unermüdliche Recherche erreichen – und durch Leidenschaft für die Balance.“

Er hinterfragt die banalsten Dinge, seziert und analysiert Produkte bis zum innersten Kern und stellt sie teilweise mit radikal neuen Kochtechniken auf den Kopf. Im Publikum macht sich spürbar eine Mischung aus Selbstzweifel und totaler Faszination breit. Die Wirkung wird bestimmt noch lange nachhallen. Und spätestens bei der nächsten Chef-Alps garantiert wieder von neuem befeuert werden.


Chef-Alps 2015

Profis und Gourmets lieben diese Plattform. Seit vier Jahren holen sie sich an der Chef-Alps von den Gastköchen einerseits Inspiration für neue Gerichte und Kochtechniken wie auch horizonterweiternde Genuss-Philosophien und richtungsweisende Präsentationsformen. Andererseits ist der International Cooking Summit auch eine Art Klassentreffen, wo sich Küchenchefs und langjährig bekannte Gastronomen mit neuen und etablierten Lieferanten treffen. Letztendlich eine überschaubare Familie, die das kulinarische Gipfeltreffen sichtlich geniesst.

Ich bin nach einem Jahr Pause auch wieder hier und darf als Medienpartner des Veranstalters über den zweiten Tag berichten. Die Shows vom Sonntag kann man bei meinem geschätzten Blog-Kollegen David Schnapp auf DasFilet nachlesen.

Morgens um halb zehn macht Alexandre Bourdas einen etwas verhaltenen Anfang. Der Arme musste bangen, ob sein verlorenes Gepäck wieder auftaucht. Seine Langustinen aus der Normandie haben es irgendwie nicht geschafft und so nimmt er sich leicht skeptisch den angelieferten Krustentieren an. Bourdas hat sich nach einer Laufbahn in grossen Restaurants mental befreit und führt mit seiner Frau das Restaurant SaQuaNa in Honfleur, das mit 2 Michelin-Sternen bewertet ist. Ein weiteres Restaurant mit 1 Michelin-Stern wird in Paris betrieben.

Alexandre Bourdas

Sein Leitspruch: «Pas de règles, juste du plaîsir». Er möchte zurück zum Handwerk und zur Freude am Kochen mit klassischen Küchengeräten und Kochtechniken. Ohne Pacojet et compagnie, wie er sagt. Ihm habe es heute zu viele Hightech-Geräte in der Küche und zu wenig Seele. «En cuisine, il faut cuisiner». Und nicht grosse Theorien schwingen? wie es stillschweigend nachhallt.

Er präsentiert zwei simple Gerichte:

Kohlroulade

Mit Langustinen gefüllte Kohlblätter. Dazu werden die Langustinen kleingeschnitten und mariniert. Die Kohlblätter und hauchdünnen Selleriescheiben in Olivenöl angeschwitzt, mit dem Langustinen-Tatar und gebratenen Chorizo-Streifen gefüllt und eingerollt. Zu den aufgeschnittenen Rollen gibt es einen Krustentier-Jus.

Erdbeeren

Sein Dessert heisst schlicht «Fraise et Chantilly». Er serviert einen mazerierten Erdbeersalat in einem Tuile-Ring. Der Fond des Türmchens bildet eine Crème italienne mit Erdbeerjus. Getoppt mit einer sehr luftigen Chantilly aus Wasser, Rahm, Milch und Zucker aus dem Rahmbläser. Bepudert wird das Ganze mit einem Sucre massé. Zucker wird dazu mit Wasser aufgekocht. Kurz bevor er karamellisiert, wird Butter und eine Weinreduktion eingerührt. Danach wird so lange weitergerührt (der Arm fällt ihm fast ab und er übergibt an seinen Sous-Chef) bis die dickflüssige Masse wieder kristallisiert und als aromatisches Puder eingesetzt werden kann.

Bourdas macht einen entspannten, zufriedenen Eindruck. Er muss niemandem mehr etwas beweisen. Alles was er will, ist gut kochen und seine Gäste glücklich machen. Man will es ihm gerne gönnen.

Norbert Niederkofler, Botschafter der Chef-Alps, darf dieses Jahr endlich mal selbst auf die Bühne, wie er freudig betont.

Norbert Niederkofler

Vor zwei Jahren hat er die Küche im Restaurant St. Hubertus (2 Michelin-Sterne) vom Hotel Rosa Alpina im italienischen Badia radikal auf Bergküche umgestellt. Er arbeitet sehr eng mit lokalen Bauern und Produzenten. Also: Kein Meerfisch, keine Foie Gras und ähnliche Luxusprodukte. Seine Gerichte und die Philosophie dahinter sind sehr poetisch. So bilden die Teller jeweils die Natur sinnlich nach – sensorisch, geschmacklich und farblich. Eine Dessert-Kreation zum Beispiel soll sich wie ein Waldspaziergang im Winter anfühlen – inklusive Schnee-Knirschen. Dazu verwenden sie sowohl modernste Küchengeräte als auch traditionelle wie einen Holzofen, um darauf den perfekten Risotto zu kochen.

In diesem Clip bringt er seine Philosophie sehr schön auf den Punkt.

Orzotto alle erbe

Als erstes Gericht präsentiert er seinen Signature Dish Orzotto alle erbe con gelatina di verbena al limone. Einen „Risotto“ aus Rollgerste mit Lorbeer, Zitrone, Wasserpfeffer und Kräutern. Gebunden mit Ziegenbutter und Parmesan und darüber ein Gelee aus Zitronenverbene.

Forelle
«Es war einmal eine Forelle» ist ein weiterer Signature Dish. Geräuchertes Forellen-Tatar, Forellenkaviar, Knusperhaut in Streifen. Fond aus den scharf angebraten Gräten und Essig zu einer klassischen Beurre blanc gebunden. Dillöl, Kornblumen, Apfelblüten.

Dessert
Sein Pâtissier Philippe Siegwart (der das Restaurant demnächst verlassen wird) schafft es, immer mehr Zucker wegzulassen und eine Balance hin zu spannenden, süss-salzigen Kreationen zu finden. Hier ein Dessert mit Saft vom Weizengras. Getrocknetem Joghurt. Im Stickstoff gefrorenes Popcorn. Mais-Eis. Sauerklee.

Ähnlich wie Bourdas findet Niederkofler, müsse er, mit 54, was das Kochen angeht, nichts mehr Neues erfinden, sondern darf es geniessen, sein Wissen weiterzugeben und den jungen Köchen Platz machen. Und das tut er. Äusserst ansteckend und mit sehr viel Freude.

Der Argentinier, Mauro Colagreco kommt ursprünglich aus tataa! Abruzzo – uè guagliò – genau wie ich. Seit neun Jahren ist er nun an der Côte d’Azur an einem Ort, in den man sich vermutlich Hals über Kopf schwer verliebt. Das Restaurant «Le Mirazur» (2 Michelin-Sterne) in Menton. Das ist, wie er sagt, pure méditerranée. Seine Quellen: La Mer, Les Alpes Maritimes, Le Potager. Das heisst, viel frischen Fisch direkt von kleinen Fischern, intensive Kräuter und ein reicher Garten voller selbst gezogenem Gemüse.

Mauro Colagreco

Das Thema, das er den Besuchern in drei Gerichten näher bringt ist: Kollagen aus dem Meer. Einmal setzt er es als Gelatine um. Dann als Klebemittel und beim dritten Teller als Emulgator.

Für einen intensiv schmeckenden, delikaten Gelatinefilm wird ein Sud aus Zwiebel, Fenchel, Knoblauch, Orangenschale, Thymian, Safran, Krustentierfond und vielen kleinen Felsenfischen aufgesetzt. Diese „minderwertigen“, aber geschmackvollen Fische gelangen kaum in den Verkauf. Meistens bilden sie die Grundlage für einfache Gerichte der Fischerfamilien. Leider werden sie auch von grossen Schleppern als Beifang wieder tot ins Meer geworfen. Schande.

Gelatine Fond

Der stark reduzierte Fond wird jeweils als Basis in einen Teller gegossen und im Kühlschrank geliert. Darauf legt er zarte rote Gambas aus San Remo und komplettiert den auf Eis gebetteten Teller mit Queller, Filetstücken von kleinen Doraden, Olivenöl, Blütenblättern und etwas Zitronenabrieb.

Calamar

Wie Kollagen als Kleber wirkt, zeigt er in einem Gericht mit Kalmar. Für einen zarten Biss schneidet er den Kalmar zu einem Rechteck und dieses in tagliatelledünne Streifen. Nebeneinander gebraten, verkleben diese und bilden ein stabiles breites Band. Die Sauce darunter lehnt an die piemontesische Bagna Cauda an, jedoch mit Crème fraîche statt mit Olivenöl. Dazu kommt eine Artischockencrème, gebratene Artischocken und Pimpinelle. Für den knusprigen Chicarròn verwendet er mit Tinte eingefärbten Arborioreis. Gemixt, sehr dünn auf Silikon ausgestrichen und getrocknet, wird er Sekunden im heissen Öl gepufft.

Ceci al mare

Die dritte Anwendung des „Meeres-Kollagens“ zeigt sich in einer sämigen Emulsion zu Venusmuscheln, Meereschnecken und Kichererbsen. Die Sauce wird mit wenig eingerührter Butter und in Streifen geschnittene Kabeljaublase, die augenblicklich schmilzt, gebunden. Zur Fertigstellung kommen Gambas, Schnittlauch, Zitronensaft und Blütenblätter dazu.

Schwer beeindruckend ist der jüngste Gastkoch der Chef-Alps 2015: Der «Steira Wirt» Richard Rauch. Bereits mit 17 Jahren wurde er Chefkoch des Betriebs, den er heute mit seiner Schwester führt. Während seinen ersten beiden Lehrjahren kamen und gingen nicht weniger als acht Küchenchefs. Da habe ihn seine Familie gefragt, ob er den Chefposten nicht gleich selbst übernehmen möchte. «Schlimmer kanns nicht werden», wie er witzig anfügt. Heute ist das, was als einfaches Traditions-Wirtshaus begann, eine Pilgerstätte, die mit drei Hauben ausgezeichnet ist.

Richard Rauch

Alles, was verarbeitet wird, gründet auf traditionellen Produkten der Region. Selbst der Biertrester vom lokalen Brauer wird zu Brot oder Knusper verarbeitet. Der Vater betreibt eine angegliederte Fleischerei. 500 eigene Freiland-Schweine liefern erstklassiges Fleisch, das bis zu zehn Wochen(!) am Knochen trockengereift(!) wird. Und dann ruft er auch noch seinen Taubenzüchter Gerd auf die Bühne!

Rauch bringt das Kunststück fertig, seinen Gästen in derselben Wirtsstube zwei Menükarten in die Hand zu drücken. Eine mit währschaften Wirtshausspeisen und eine mit kreativen Gerichten.

Als erstes zeigt er ein einfaches Gericht mit selbst gemachtem Frischkäse aus Ziegenmilch mit gegrillten Gurken, Zitruskaviar, Verbeineöl, Eisenkrautöl und Duftgeranien. Dazu drei verschiedene Tag-Lilien: in Verjus eingelegt, gedämpft und roh.

Zum dry aged, sous-vide gegarten Schweine-Kotlett gibt es selbst angebaute, scharfe Kresse. Gedämpft, roh und pulverisiert. Dazu weissen Lardo, kurz angeflämmt. Krokant aus Biertrester und als Balance zum Fettigen, einen Kimchi-Fond aus Kohlrabi.

Kotelett

Als nächstes zeigt er, wie er Taube in drei Gängen serviert. Brust im Taubenschmalz konfiert, mit Sonnenblumenkeimlingen, Hanfsamen und geräuchertem Taubenfond. Dazu eingelegte Weinblätter, gefüllt mit Mais und eingelegten Traubenblüten.

Taubenbrust

Das glasierte Tauben-Haxel bekommt junge, im Taubenfett konfierte Mairüben und Sommerspinat als Beilage. Dazu klassischer Schmorsaftl.

Taubenhaxl

Was Jäger und Feinschmecker als Schnepfendreck kennen, serviert er von der Taube: Innereien wie Magen, Herz und Leber feinwürfelig geschnitten, mit Jungzwiebeln sautiert. Den Fond mit Taubenblut gebunden und eingeklemmt in einer Art Mini-Sandwich aus Hanfpresskuchen. Grossartig.

Taubendreck

Christian Bau, der dieses Jahr zum zehnten Mal seinen dritten Michelin-Stern bestätigt hat, als Starkoch vorzustellen, ist eigentlich obsolet. Vor allem, weil er von sich selbst sagt: «Ich sehe mich als Handwerker, nicht als Star.»

Christian Bau

Bevor er seine Gerichte präsentiert, geht er mit sich selbst, dem gastronomischen Umfeld und den Medien hart ins Gericht. Er erzählt von seinem langen, zwanghaften Weg zu seinem heutigen, befreiten bau.stil, der die klassische französische mit der asiatischen Küche kombiniert.

Und er gibt seinen Berufskollegen drei Botschaften mit: 1. Findet euren eigenen Stil. 2. Kocht wieder und hört auf mit dem modernen Firlefanz. 3. Macht euch frei von Social Media Druck und negativen Bewertungen von selbsternannten Kritikern.

Man spürt, dass da der Schuh an diversen Stellen drückt und bevor er, wie er wie zugibt, zu emotional wird, zündet er mit sechs göttlich komponierten Gerichten das finale Feuerwerk.

Sich die komplexen Kompositionen merken oder seine Kochtechnik präzise notieren zu wollen, ist aussichtslos. Lieber lasse ich seine Bilder mit spärlichen Notizen sprechen.

Ich bin mir sicher: Sein zwanziggängiges Menü würde mich mit Freudentränen erschüttern und in meinem kulinarischen Universum bliebe kein Stein auf dem anderen.

Memories of Japan
«Memories of Japan». Alle Aromen Japans mit marinierten rohen Austern und Meeresfrüchten, Enoki-Pilzen, Abalone und Kräutern. Tapiokafond. Ponzuschaum und Sorbet von Yuzu und roter Shisokresse.

Island Shrimps
Kleine, süsslich-delikate Island-Shrimps. Dazu Buttermilch, Dill und Gurke. Buttermilch-Dashi. Gurken in verschiedenen Texturen.

Gelbflossenmakrele
Kiemenstück und Rücken von der Gelbflossenmakrele mit Apfel, Zitrus und Meereswasser. Das Rückenstück ph-neutral gebeizt, mit Sojasauce, Aromaten und Reisessig. Das Kiemenstück (das ausgelöst aussieht wie Kobe-Beef – durch und durch mit Fett durchzogen), wird sous-vide gegart und abgeflämmt. In Kombination mit Meeresfrüchten, rohem Apfel, Apfelblüten, marinierten Apfelröllchen, Dillöl, Stabmuscheln, pochierten Austern, Limetten-Ricotta, konfierten Yuzuschalen, Algenerde aus Noriblättern, grüne Auster-Kräuter-Emulsion und Meerwasser in Form von Stickstoffperlen.

Langoustine mit Satay
Französische gebratene Langustinen mit Satay, Erdnusscrumble, Rettich, Sobanudelrolle, knackiges Gemüse und Misosuppe.

Ozaki Beef
Ozaki Beef über Holzkohle gegrillt, mit Erdartischocke, Wakame und Trüffel. Dickflüssige Vinaigrette aus Topinambur, Trüffel-Dashi und diversen Ölen. Artischockenpüree. Würfel vom Short-Rib.

Souvenir aus Asien
«Souvenir aus Asien». Crème caramel mit Pan-Dan in Form einer Buddhamaske. Mit Schokolade überzogen. Maccarons. Rohe Nashibirnenkugeln. Ingwer-Eis.

So unterschiedlich die Persönlichkeiten und die konzeptionellen Ansätze der Kochgrössen sind – es gibt Trends, die alle teilen. So wird Regionalität bei den meisten radikal vorangetrieben. Der direkte Einkauf beim Produzenten wird als richtiger Schritt in eine nachhaltige Zukunft gesehen. Dadurch wird nicht nur die Saisonalität respektiert sondern auch Frische, Güte und Geschmack der Produkte sichergestellt.

Gemeinsam mit lokalen Bauern, Brauern oder Bäckern wird Neues entwickelt und Traditionelles wiederentdeckt. Das bedeutet auch, weg von Luxusprodukten, hin zu ehrlichen Erzeugnissen mit viel Geschmack.

In den Gerichten sorgen verschiedene Temperaturen und Texturen für eine spannende geschmackliche Variation bestimmter Ausgangsprodukte. Dabei wird bei pflanzlichen wie auch bei tierischen Erzeugnissen konsequent alles von nose-to-tail und leaf-to-root verwendet.

Das wirkt sich zum einen positiv auf den Wareneinsatz und somit auf den wirtschaftlichen Erfolg des Restaurants aus und zum anderen werden Erzeuger fair bezahlt, was wiederum junge Menschen motiviert, aufwändige Agrarberufe anzupacken.

Und schliesslich gibt es auch eine Rückbesinnung auf „richtiges“ Kochen und klassisches Handwerk ohne Effekthascherei. Moderne Küchentechnik soll nurmehr da eingesetzt werden, wo es Sinn macht und dem Gast einen wirklichen Mehrwert auf dem Teller bietet: Geschmack.

Bilder: ©Christian Bau / ©Nadine Kägi



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