Leckerbissen Lissabon.

Taberna Porks

Vor dem Abflug nach Lissabon lese ich von randalierenden Taxifahrern, die gestern Nacht in Basel auf Uber-Fahrer losgingen. Die Polizei verhinderte, dass Baseballschläger auf Windschutz- oder Kniescheiben von Uberfahrern landeten. Taxi-Trottel. Die nehmen euch die Kunden weg? Mimimi! Zeit, euer Businessmodell zu überdenken. Auf andere losgehen, weil sie den besseren Service günstiger anbieten ist: Keine kundenorientierte Lösung.

In Lissabon angekommen starte ich meine Uber App und freue mich. Es gibt Uber X, Green und Black. Uber Black ist Boss, weiss mein Sohn. Erfolgreiche Youtuber fahren Uber Black. Fette Limos, korrekter Service. Meine Frau ist skeptisch. Ich frotzle: «Hast recht, my dear, nehmen wir lieber einen windigen Täxeler der fünf Euro pro Gepäckstück, eine dubiose Grundtaxte, einen extra Umweg und Summa summarum 30 Euro nimmt. So stand das doch bei besondere Tipps auf dem Reiseportal, stimmts?»

Die Fahrt mit Uber X oder Green kostet 6 bis 8 Euro. Aber erfolgreiche Foodblogger fahren Uber Black. Kostet dann 20 Euro. Immer noch günstiger als ein Taxi. Fahrer Joao ruft an: «Claudio? Ich bin gleich da, schwarze S-Klasse. Steht ihr vorne auf der Insel?» Breites Grinsen bei meinen Söhnen. Fettes Fragezeichen bei meiner Frau. Joao trägt ein Lächeln auf den Lippen, Anzug und Krawatte, hat grau meliertes Haar und Manieren eines Palace-Chauffeurs! Kein Wunderbaum, sondern ein Duftmix aus Neuwagen und Leder hängt in der Limousine, Neben Sade, die ihre Ballade in das High-End Soundsystem haucht, säuselt Joao etwas von kühlen Getränken die bereitstehen und erkundigt sich ob das Klima angenehm sei.

Von da an fahren wir, wenn wir nicht stundenlang durch die betörend schönen Gassen flanieren, nur noch Uber. Jedes ÖV ist teurer für vier Personen. Manchmal ist es richtig abenteuerlich, aber in den Ferien nimmt man es mit Humor. Wie die nächtliche Fahrt mit Niculina. Ich muss Jim Jarmusch anrufen und ihm sagen, er soll «Night on Earth» neu verfilmen. Niculina schlägt in Sachen beschissener Fahrstil selbst Helmut Grokenberger!

Wir schlendern ins Zentrum und das Erste, was mir an diesem milden Februartag in die Nase steigt sind Röstaromen und der Duft von Holzkohle. Es sind Marroniverkäufer. Mit einer Rauchfahne die schon von weitem sichtbar ist. Was ich allerdings noch nie gesehen habe sind: Weisse Maronni.

Marroni Lissabon

Das kommt vom Meersalz, mit dem sie bestreut werden. Das ist ziemlich genial. Das Salz entzieht der Schale beim Rösten Feuchtigkeit, dadurch wird sie dünn wie Papier und lässt sich mühelos abziehen. Fantastisch. Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich Marroni liebe?

Marroni

Auf meiner Fressliste, die Dank den zahlreichen Empfehlungen meiner Facebook-Freunde ellenlang und vielversprechend ist, findet sich der Palácio Chiado im gleichnamigen eleganten Stadtviertel, das sich zusammen mit dem Bairro Alto als mein Liebstes entpuppen wird.

Palacio Chiado Saal

Das umwerfend schöne Stadtpalais mit Stukkaturen, Säulen, Statuetten und Affresken aus dem 18. Jahrhundert liegt an der Rua do Alecrim – wie bezaubernd: Rosmarin-Strasse!

Palacio Chiado Treppe

Darin befinden sich mehrere Restaurants, eine Bar über der eine gigantische goldenen Chimäre schwebt, eine Tapas Theke sowie das Sushic. Neben japanischen Gerichten gibt es dort asiatisch Inspiriertes aus der portugiesischen Küche.

Palacio Chiado Bar

Zum Beispiel ein Ceviche von der Makrele, das frisch, fleischig und würzig schmeckt.

Makrele Ceviche

Oder ein Tempura mit Makrele, typisch portugiesisch mit Essig, roten Zwiebeln, Speck und Koriander gewürzt und asiatisch mit geschmortem Ingwer und Edamame kombiniert. Richtig gut.

Makrele frittiert

Toll auch, dass sich viele heimische Fische auf der Karte finden. Auch das panierte Katsu Matsu Schweineschnitzel, die kleinen Ebi Tempura-Rollen oder Jakobsmuscheln mit eingelegtem Kürbis, Shitake und Spinat machen zum Lunch mächtig Freude.

Wir gehen die Strasse hinunter in Richtung Mercado da Ribeira, vorbei am Figaro’s, dem coolen Men only Barber Shop, wo sich mein Sohn auf der Stelle einen klassischen Haarschnitt verpassen lässt. Senhor, die Lady darf leider nicht hier drin warten, weist mich der Oberfigaro an. Da verstehen die keinen Spass. Als Lektüre liegt unter anderem der Playboy auf. Ich ziehe es vor, eine kleine Fotoserie von meinem Sohn zu machen, kann er gut für Snapchat verwenden.

Figaros Lisboa

Der gedeckte Ribeira Markt wo fangfrischer Fisch, Gemüse und mehr zu finden ist, beherbergt auch den Time Out Market.

Time out Market

Eine beeindruckende Foodhalle mit über 35 Food-Kiosks. Einer verlockender als der andere. Darunter fünf, die von Spitzenköchen betrieben werden. Und das jeden Tag durchgehend bis nach Mitternacht. Wir werden bestimmt abends hierherkommen und uns an den langen Bänken in der Saalmitte mit unkomplizierten Gerichten und frisch gezapftem Bier oder Vinho Verde amüsieren.

Zurück daheim lesen wir dann in der BaZ, dass das Basler Standortmarketing jetzt auch so eine geniale Idee hatte. Der Marktplatz wird um einen «Schlemmer-Markt» erweitert. Künftig wird es also ein staatlich angeordnetes «vielfältiges und leckeres Verpflegungsangebot» geben: «Jeweils am Montag von 8.30 bis 14 Uhr.» Ich breche vor Lachen fast zusammen, bitte, ich brauche eine Papiertüte, ich hyperventiliere!

Doch es ist erst Nachmittag und wir beissen bei Manteigaria zunächst mal in unser erstes Pastéis de Nata, dem bekanntesten Gebäck Lissabons.

Pastel de Nata

Das mit einer Eicreme gefüllte Blätterteigtörtchen wird warm serviert und nach Belieben mit Zimt oder Puderzucker bestreut. Grosser Suchtfaktor! Die unangefochtene Nummer eins allerdings ist die sagenumworbene Bäckerei in Belém, dessen Törtchen Pastéis de Belém heissen und Dank gut gehütetem Geheimrezept als die besten der Stadt gelten.

Abends versuchen wir ohne Reservierung ins Sala de Corte zu kommen. Ein kleines Steakhouse mit Reifeschrank und Josper-Grill. Keine Chance. Ich hatte so eine Ahnung. Fortan werde ich konsequent reservieren. Auch wenn das die Urlaubsspontanität trüben mag. Gutes Essen ist mir einfach zu wichtig. Ich hasse den sonst drohenden Spiessrutenlauf von Tourifalle zu Tourifalle in einer fremden Stadt. Denn obwohl Lissabon eine immense gastronomische Dichte aufweist, isst man laut Insidern eher schlecht und muss deshalb die Lokale sehr genau wählen. Gut, dass das Sala de Corte gleich neben dem Time out Market liegt. Jetzt sind wir froh um genau diesen brummenden Kessel.

Wir holen uns bei Sternekoch Henrique sá Pessoa für sehr faire 11 Euro ein 24 Stunden geschmortes Spanferkel mit Süsskartoffelpüree

Time out Market Spanferkel

und ein konfiertes Bäckchen vom Alentejoschwein mit Stampfkartoffeln, Mangold und traumhaftem Jus.

Time out Market Pork

Fantastisch. Wir merken uns für den nächsten Lissabonbesuch schon mal sein Gourmetrestaurant Alma in der Altstadt vor.

Am nächsten Mittag klappt es dann auch im Sala de Corte. Der Kellner ist sich seiner Sache nicht sicher, er glaubt, die trocken gereiften Ochsenkoteletts kommen aus Polen. Oder Nordeuropa? Jedenfalls nicht aus Portugal. Weitere Aufklärung bleibt er, wie auch die Website, leider schuldig. Schade für ein Restaurant, das sich explizit auf gutes Fleisch konzentriert und dieses immerhin tadellos auf dem höllisch heissen Jospergrill zubereitet.

Cote de Boeuf

Davor gibt es sehr aromatischen, fünf Jahre gereiften Pata Negra Schinken

Pata Negra Schinken

und luftige Buns, die mit herrlich fettigem Chorizo gefüllt sind.

Chorizo Buns

Wir wollen eigentlich zum Shopping in die ehemalige Botschaft Embaixada, einem stimmigen Concept Store in einem entzückenden historischen Gebäude. Aber wir bleiben an der Gin Lovers Bar im ersten Stock hängen

Embaixada Gin Lovers

und lassen den Nachmittag bei massgefertigten Gin and Tonic ausklingen.

Gin and Tonic

Danach flanieren wir pleasantly plastered zum Miradouro de São Pedro de Alcântara, geniessen den Ausblick über die Stadt und betrinken uns am Anblick der gekachelten Fassaden im Bairro Alto und den historischen Trams. Auffallend ist, wie relaxed und friedfertig die Stadt tickt. Und über allem liegt dieser etwas verwitterte Charme. Selbst das Verruchte und Verkommene strahlt etwas Poetisches aus. Wie mein neues portugiesisches Lieblingswort: Vagabunda – klingt das nicht sinnlicher als Hure?

Wow, diese Pastéis de Belém Bäckerei ist ja riesig!

Pasteis de Belem

Über 400 Sitzplätze in unterschiedlichen Innen- und Aussenräumen gibt es in dieser labyrinthischen, historischen Pâtisserie. Die Warteschlange mit Menschen, die sich die berühmten Törtchen holen wollen, zieht sich entlang der ganzen Häuserzeile. Ich bin dankbar für den Tipp, nicht hinten anzustehen, sondern sich hinzusetzen und bedienen zu lassen. Das geht ziemlich fix und das Treiben der Kellner ein Spektakel für sich. Das Törtchen selbst ist wirklich nicht zu vergleichen mit den anderen der Stadt. Der Teig ist um einiges knuspriger, wenn auch nicht unbedingt aromatischer, weil vermutlich eher Schmalz, als Butter drin ist. Aber man weiss es ja nicht so genau. Und die Eicreme hat eine luftigere Konsistenz. Einer Crema Catalana ähnlich. Aber das darf man nicht zu laut sagen, ich glaube, Portugiesen können Spanier nicht leiden.

Danach kann man die nahe gelegenen Museen besuchen, das Hieronymus-Kloster und den Turm von Belém, beides Weltkulturerbe. Die Aussicht auf Turm und Tejomündung lässt sich übrigens vorzüglich potenzieren, indem man der Einladung der Weinliebhaberin Bárbara Vidal de Moraes folgt, die das findige Konzept Wine with a View realisiert hat. Sie bietet offene Weine aus ihrem Vintage Dreiradtransporter und einen Platz an der Sonne auf einem der Strandstühle inklusive Glashalterung.

Wine with a view

Auf das Abendessen freue ich mich besonders. Wir gehen ins angesagte Boi Cavalo im engen Altstadtviertel Alfama, das für lauschige Lokale, in denen Fado gesungen wird, bekannt ist.

Von melancholischer Romatik ist das Boi Cavalo allerdings komplett befreit. Beim Eintreten röhrt Dave Grohl volle Kanne aus den Lautsprechern. Gefällt mir. Vorerst. Das winzige Lokal der ehemaligen Metzgerei ist mit einfachen Holztischen ausgestattet. Der Blick in die Küche von Hugo Brito offen. Sie gilt als innovativ, überraschend und kreativ. Sie lehnt sich an klassische portugiesische Gerichte an, die neu interpretiert werden. Wir sind gespannt.

Das fixe Fünfgang-Menü kostet 32 Euro. Es richtet sich strikte nach dem Marktangebot des Tages. Andere Gerichte stehen nicht zur Auswahl. Die nette und nett tätowierte (na, klar) Joana erklärt uns etwas verlegen, dass es heute leider vier von fünf Gerichten, die auf der Menükarte stehen, nicht gibt. Wir sollen uns einfach auf die Überraschungen freuen. Machen wir, Joana. Derweil verlässt Hugo Brito sein Lokal und überlässt das Ruder seinem Souschef und zwei Köchen. Ist die Musik vielleicht doch etwas zu laut? Oder ich langsam zu alt?

Es grüsst: Sushireis mit Olivencreme, Orangenkonfit und regionaler Trüffel.

Boi Cavalo Sushi

Der Happen ist eine leicht missratene Begrüssung. Der Reis weder gar noch besonders aromatisch. Sushi daran ist nur die Portionierung. 1 Stück pro Person. Olivencreme, Orangenkonfit schmecken gut. Aber was ist mit dem Trüffel passiert? Frittiert? Getrocknet? Jedenfalls komplett seines Aromas und seiner Textur beraubt, wie immer das passiert ist.

Der erste Gang ist ein zu knapp blanchiertes Blatt geräucherter Grünkohl. Es zu kauen macht keine Freude. Es ist zäh. Darüber eine homöopathische Dosis Shrimp Powder, darunter ein Klacks Meerrettichschaum. Innovativ, überraschend, kreativ? Naja, überrascht bin ich zumindest.

Boi Cavalo Kale

Dann eine kleine Schale, in der etwas mit einem grau-beigen Schlick überzogen ist.

Boi Cavalo Linsen

Genau, verkündet Joana, hier haben wir Blutwurst, Senf und in Shrimp-Jus gekochte Linsen. Bom apetite! Ah, jetzt wird’s gut, denke ich. Aber der Blutwurst wurde die Seele aus dem Leib gerissen. Jesses, ein Vampir muss sie ausgesaugt haben. Sie ist trockener und bröseliger als ein Sablé aus Vasco da Gamas verschollener Keksdose. Keine Ahnung was da passiert ist.

Der Schlick ist tatsächlich hässlich. Die senfgebundene Shrimpsauce ist klebrig und schmeckt schlammig. Ich sehe direkt den belegten Grund des Störbeckens im Zoo. Ich nehme einen weiteren Löffel davon und dann noch einen. Ich will ergründen, was ich da esse. Will es herausschmecken. Begreifen. Keine gute Idee, denn jetzt habe ich ein gar hässliches Flashback. Das Mundgefühl erinnert mich an die grauslige Paste, mit der mir der Zahnarzt als Bub einen Gebissabdruck für meine Zahnspange gemacht hat. Ich versuche, mich mit einem gehäuften Löffel Linsen zu retten. Sehr gut. Die sind immerhin perfekt gegart und haben einen tollen Geschmack. Eine gute Mischung aus nussiger Hülsenfrucht und Krustentierbisque.

Als nächstes kommt ein cremiges Tomatenrührei mit etwas Rogen.

Boi Cavalo Seehecht

Gut, geht doch! Kreativ oder innovativ geht anders, aber hey, ich hab da keine Vorurteile. Der Seehecht ist auch: Okay. Mehr nicht. Aber dann die Brotsauce. Oje! Gleiche Konsistenz wie der Schlick von vorhin. Das gibt’s doch nicht, was fabriziert der Typ da in der Küche? Und die Musik ist jetzt definitiv zu laut. Foo Fighters waren ja okay, aber jetzt ist irgend so ein verladener Woodstockgitarrist am Dauersolieren, unerträglich.

Ich halte mich mit dem vorzüglichen Golpe von Manuel Carvalho Martins aus dem Douro bei Laune. Ein frischer Wein, angenehm minaralisch, gut strukturiert, mit grünen Aromen von Apfel bis Limette.

Es folgt der beste Gang des Abends. Ein mit Corn Flakes paniertes Lammkarree.

Boi Cavalo Lamm

Aussen knusprig innen zart. Warum Corn Flakes, frage ich mich. Ist das jetzt die besagte Neuinterpretation eines portugiesischen Klassikers? Es ist mir eigentlich egal. Oh, die Zitronengurken dazu sind lustig. Yamwurzel-Chips liegen auch auf dem Teller. Drei. Der Lammjus ist gelungen. Klassisch portugiesisch, sagt Joana, mit viel Knoblauch, Lorbeer und Rotwein. Mir gefällt auch die persistente aromatische Schärfe, ich schätze mal: Langpfeffer.

Vor dem Dessert gibt es einen Weichkäse und zwei gereifte Alentejo Hartkäse aus Schafsmilch. Mit typischem, süsslichen Maisbrot, dünnen Toastscheiben und Hausbrot. Nichts weltbewegendes.

Boi Cavalo Cheese

Als Nachspeise gibt es eine Schale mit (klebrigem) Mandel-Ei-Pudding das etwas gar viel Zimt abbekommen hat, angenehm salzigem Kürbiskern-Eis, zerbröseltem Popcorn und getrockneten Quittenschrot, von dem leider wenig zu schmecken ist.

Boi Cavalo Dessert

Nennt es von mir aus innovativ, kreativ und überraschend, wenn es euch wichtig ist. Aber gutes Essen ist das nicht. Überzeugendes Kochhandwerk schon gar nicht.

Die Musik ist mittlerweile so laut, dass das Personal in freudiger Erwartung an das Feierabendbier ungehemmt mit dem Kopf zum Beat nickt. Kann ich dann bitte die Rechnung haben? Hä? Die Rechnung. Was? A conta, por favor! Ah … okay!

Auf dem Weg zur Toilette will sich der Souschef mit mir unterhalten. Er zeigt mit dem Daumen nach oben.

– Alles okay? You enjoyed dinner?
– Das Lamm war gut. Tolle Sauce.
– Ja, super Sauce, nicht wahr? Portugiesischer Klassiker. Viel Knoblauch, Wein, Lorbeer.
– Die anderen Gänge haben mir weniger gut geschmeckt.
– Ah ja? Okay. Das ist normal, you know. In einem Menü kannst du nicht jedes Gericht auf demselben Niveau raushauen. Ein gewisses Up and Down ist normal.
– Ich fand die Shrimp- und Brotsauce etwas klebrig. Eher Unangenehm.
– Ja, klar. Das ist so. Ist ja eine Brotsauce. Brot enthält viel Stärke, you know. Wenn ich die Sauce blitze, dann wird die Sauce eben etwas, wie soll ich sagen …
– Klebrig?
– Nein, nicht klebrig. Es ist die Stärke vom Brot, die macht, dass du das Gefühl hast, es klebt.
– Ja, kenn ich. Wenn man Kartoffelpüree mixt statt luftig zu rühren, wird es auch klebrig … Die Linsen waren auch sehr gut, woher kommen die, Portugal?
– Was? Was meinst du?
– Die Linsen hatten einen tollen Geschmack, sind das portugiesische oder was sind das für welche?
– Keine Ahnung, (dreht sich zur Köchin) weisst du woher die Linsen kommen?
– Keine Ahnung.
– Nicht aus Portugal?
– Nein, ich glaube nicht. Ich weiss es nicht. Aber wir kochen sie in einen Shrimp-Jus, ziemlich genial. Ich röste zuerst die Schalen und dann mache ich einen klassischen Fond damit und reduziere das Ganze und dann kochen wir die Linsen darin.
– Toll. Danke. Viel Erfolg euch. Ciao.

Danach habe ich versucht, einen Uber in die engen Gassen zu bestellen. Drei mal hat Jorge, dem Profilbild nach ein Rentner, versucht, den Weg zu uns zu finden. Minutenlang mäanderte sein Auto-Avatar auf meinem iPhonebildschirm herum. Aus acht Minuten Anfahrtsweg wurden sechs, dann acht, dann drei, dann wieder acht. Ich musste die Bestellung stornieren und ihn zwei weitere Male wegdrücken. Er wollte die Fahrt unbedingt machen. Ich eher nicht. Dann nahm Niculina die Fahrt auf. Ihr wisst schon, Niculina. Die, die noch beschissener fährt als Helmut Grokenberger. Dann wurde der Abend erst richtig lustig!

Sohn frühstückt gesalzene Marroni. Herrlich.

Maronni

Marroni

José Avillez ist einer der herausragenden Spitzenköche Portugals. Sein Gourmetrestaurant Belcanto in meinem Lieblingsviertel Chiado ist mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Mittlerweile betreibt Avillez acht Restaurants im näheren Umkreis – von der Pizzeria über Bars und Bistrots bis zum Cantinho do Avillez, wo wir unseren besten Lunch hatten. Das zweigeteilte Lokal ist einfach, aber liebevoll eingerichtet. Mit typischem bunten Fliesenboden und schönen Holzmöbeln.

Die Karte ist übersichtlich, mit eher einfachen, ansprechenden Gerichten, die aber mit meisterlicher Hand aufgewertet sind. Das Hausbrot ist das beste, das wir in der Stadt bekommen haben. Dazu wird eine sehr aromatische Tomatencreme gereicht, kleine sehr schmackhafte marinierte Oliven und richtig gute Trüffelbutter. Wir bestellen rohe marinierte Jakobsmuscheln mit Mayo und Avocado und sind uns einig – nie hatten wir so frische, zarte und geschmackvolle Jakobsmuscheln.

Jakobsmuscheln

Auch das Tuna Tartar mit ausgewogen abgeschmeckten Asian Flavours reisst uns mit ausserordentlichen Produktqualität mit.

Thunfisch Tatar

Das ist genau meine Kragenweite – zeitgemässe portugiesische Produktküche, unkompliziert, aber sehr sorgfältig zubereitet. Wie etwa dieses schlichte Gericht: Geflügelleber. Serviert im Pfännchen. Butterzart und mit einer unwiderstehlichen Portwein-Zwiebelmarmelade.

Leber

Für heitere Stimmung sorgt auch der spritzige Inventum aus Alentejo von Paulo Laureano, mit jdem Schluck zwinkert der Weisswein – let’s go for another one!

Die Fischsuppe wird etwas verspielt serviert. Die Croûtons mit einem Tupfer Rouille warten im Teller, bis der Kellner die dicke Suppe hineingiesst. Sie ist wunderbar samtig und pikant, duftet nach Paprika und erfreut mit saftigen Weissfischstücken.

Fischsuppe

Der Junior geniesst sein Steaksandwich mit hausgemachtem Brötchen. Kein überkandidelter signature Burger. Richtiges Brötchen, saftiges Steak drin, Bratensaft, Zwiebel, fertig.

Die bestellten Desserts gingen leider vergessen. Die Hälfte der freundlichen jungen Service-Crew hat den Schurz bereits abgelegt und ist verschwunden.

Dabei haben wir uns so sehr auf das «life changing dessert» Hazelnut3 gefreut. Der Chef de Service ist bestürzt und versichert uns, dass er den fehlbaren Kollegen tadeln wird. Er holt ihn am Schlafittchen und lässt ihn bei uns um Entschuldigung bitten. «Geschlagen habe ich ihn schon», versichert er. «Falsch, ich wollte ihm eine reinhauen!». Ein Dessert mit vier Löffeln wird dann doch noch serviert und geht aufs Haus. Es besteht aus luftigem Haselnussschaum, halb gefrorenem Haselnuss-Parfait und frisch gerasplten Haselnüssen.

Hazelnut3

Sehr gut, aber «life changing» ist dann doch etwas hochgestapelt.

Abends essen wir ein paar gut gemachte Kleinigkeiten in der Tapas Bar Tágide, einem Ableger des gleichnamigen Gourmetrestaurants mit prächtiger Aussicht auf Lissabon.

Oliven

Tagide

Einen guten Wein dazu, gedämpfter Jazz, perfekt.

Pulpo

Kaum da, hat sich auch schon ein Ritual eingeschlichen. Immer, wenn wir spät nachts nach hause schlendern, machen wir bei Amorino Halt und holen uns als Bettmümpfeli ein paar mit Gelato gefüllte Macarons. Che buoni!

Amorino Macarons

Tags darauf geht es endlich zur Cervejaria Ramiro! Auf diese Institution habe ich mich am meisten gefreut. Alle, die wir fragen, sind sich einig: Bessere Meeresfrüchte bekommt man nicht in Lissabon. Bisschen teuer, aber unerreicht gut. Schuld an meiner Vorfreude ist aber auch Anthony Bourdain, der mich in dieser Episode No Reservarions scharf darauf gemacht hat.

No reservations ist auch die Policy von Ramiro. Man kann nicht reservieren und muss sich wohl oder übel in der langen Warteschlange vor dem Restaurant einreihen. Aber es geht flott voran. Das Tempo mit welchem Tische geräumt und frisch aufgedeckt werden ist beeindruckend. Ein Ameisenbau.

Dieser Schuppen ist nichts für Weicheier! Es ist laut, eng, die Kellner sprechen kein Englisch und sie servieren plattenweise Essen, als müssten sie eine Saalwette gewinnen. Und was sie servieren! Es gibt nur Meeresfrüchte, also Muscheln und Krustentiere, kein Fisch, keine Beilagen, nur Pata Negra Schinken oder ein Steaksandwich mit dem das Mahl bizarrerweise von Einheimischen beendet wird. Die Seafood-Qualität wissen auch die Horden Asiaten zu schätzen, die hier über den Tischen hängen und schlürfen und schmatzen als wäre es ihre Henkersmahlzeit. Ab und zu hämmern sie mit einem weissen Kunststoffhammer auf einer Hummer- oder Krebsschere rum und zutzeln zügellos weiter.

Die Preise auf der Karte (ein iPad mit Fotos und Naviagtion in mehreren Sprachen) sind pro Kilogramm angegeben und – je nach Fang – tagesabhängig. Also aufgepasst, die Rechnung kann hier ziemlich schnell ziemlich gesalzen werden. Die roten Riesengarnelen Carabinero möchte ich mir aber nicht entgehen lassen.

Carabineros Ramiro

Kilopreis 79 Euro. Aber der Geschmack und die Textur – Wahnsinn! Eine bessere Garnele hatte ich noch nie. Süss, salzig, fleischig, buttrig, göttlich. Ich machs wie Bourdain, drücke den Kopf aus, der Brei mischt sich mit dem Knoblauchöl auf dem Teller, ich tunke alles mit dem gerösteten Hausbrot auf. Mir wird spontan schwindlig so gut schmeckt das. Und ich höre mich selbst Dinge sagen wie: «Gopftammi! Scheisse ist das gut!» erschrecke kurz und kann mich zum Glück wieder fangen.

Es folgen Meerzikaden, schlichte Venusmischeln, Taschenkrebse, kleine, mittlere, grössere Crevetten, mit und ohne Schalen, gedämpft, gegrillt und in Olivenöl gebraten.

Ramiro Taschenkrebs

Dazu bechern wir Becher um Becher Bier. Es ist eine Riesensause.

Ramiro Taschenkrebs

Kaum füllt sich der Teller mit leeren Schalen, kommt ein Kellner und wechselt ihn gegen einen frischen Teller aus.

Ramiro Garnelen

Wir machen es den anderen Gästen nach und gehen immer wieder zu dem Waschbecken mitten im Restaurant, um unser wichtigstes Besteck zu reinigen: Unsere Finger! Glücklich und satt spuckt uns Ramiro wieder auf die dicht befahrene Avenida – wie passend – Admiral Carlos Cândido dos Reis.

Wir lassen uns zur LX Factory fahren. In einem ausgedienten Industrie-Areal unter der Brücke des 25. April reihen sich Ateliers, Shops und Restaurants aneinander. Muss man gesehen haben, sagen alle. Kann man sich schenken, sage ich. Ich hätte nie gedacht, dass mir Kreativität so auf den Keks gehen kann. Tut sie aber, wenn sie so gekünstelt ist. Dieses pseudo-hippe Posen, diese Neo Vintage Scheisse, dieses artsy-fartsy-edgy Getue nervt. Wie diese Inspirational Quotes, die an jede Wand gesprayt, auf jeder Schiefertafel und dort sogar auf Poster, Karten und Kaffeetassen zu kaufen sind wie «Life isn’t about finding yourself. Life is about creating yourself.» Vielleicht liegt es auch daran, dass wir vom völlig unblasierten Ramiro kommen. Aber mir ist nicht nach warmer Luft.

Lieber fahre ich dahin, wo man wirklich handfestes Handwerk bekommt, zu Caulino an die Rua de S. Mamede ao Caldas, 28 A. Wer sich in diesem Keramikatelier nicht Hals über Kopf in die Teller, Schalen, Vasen und Objekte verliebt, dem ist nicht mehr zu helfen. Viele Restaurants in Lissabon, wie die von Spitzenkoch José Avillez, lassen hier kunstvolle Keramik anfertigen. Leider ist das Verkaufsangebot im Laden durch die gute Auftragsauslastung arg eingeschränkt.

Caulino Lisboa

Für einen Tag am Meer fahren wir mit dem Zug nach Cascais, etwa 30 Kilometer von Lissabon. Der kurzweilige Trip entlang der Küste führt uns in einen hübschen Fischer- und Ferienort.

Unser Ziel ist das Mar do Inferno ein klassisches Fischrestaurant an der Felsklippe. Vom Bahnhof aus spazieren wir uns in 20 Minuten einen gesunden Appetit an. Auf dem Weg dorthin lässt man das wuselige Zentrum des Städtchens mit etwas gar vielen Kitsch-Läden hinter sich. Vorbei an nicht gerade wenigen Restaurants, vor die man gerne ein grosses Warnschild stellen würde. Aber es sitzen bereits fröhlich grinsende Gäste drin, die ihr kulinarisches Glück anscheinend in telefonbuchdicken, plastifizierten Speisekarten finden.

Im Mar do Inferno mache ich mich – zum ersten Mal – über Percébes her. Yay!

Percebes Entenmuscheln

Die Entenmuscheln, die eigentlich Rankenfusskrebse sind, sehen bizarr bis befremdlich aus. Ich bin aufgeregt. Und drücke ungeübt darauf herum, dass es nur so spritzt. Ich muss den Kellner um Anweisung bitten. Am Nebentisch lachen sie sich schon schief. Das Öffnen ist genial einfach, wenn man weiss wie. Man hält das Ding an dieser furchteinflössenden Dinosaurierklaue und oben an der ledrigen Gamasche, dann reisst man es auf wie ein Bonbonpapier.

Percebes Entenmuscheln Hand

Darunter kommt ein, fleischiger Pimmel zum Vorschein (nein, Claudio, das nennt man Stiel) den man, schwupps! in einem Bissen schnappen kann und dann schmeckt man: reiner Ozean! Felsen! Algen! Einzigartig. Unbedingt probieren. Man findet sie hauptsächlich im Atlantik vor der spanischen und portugiesischen Küste und im Mittelmeer. Da sie sich an Felsen festklammern ist die Ernte nicht nur mühselig sondern wegen der Brandung auch äusserst gefährlich.

Die Portionen der Hauptspeisen sind riesig. Ich begnüge mich deshalb mit Bacalhau – dem Nationalgericht Portugals. Wo, wenn nicht hier, diesen Klassiker zum ersten Mal bestellen, denke ich mir und bereue es nicht. Der Fisch ist festfleischig und aromatisch, gleichzeitig saftig und zart. Die einfachen Beilagen aus dem Eintopf sind ordentlich weisse Zwiebeln, Kartoffeln und Oliven. Alles in einem leichten, würzigen Olivenöl-Weissweinsud. Grossartig.

Bacalhau

Abends besuchen wir ein weiteres Doppel-Restaurant von José Avillez. Vorne die Taberna mit einfachen Tapasgerichten und Sharing Dishes, hinten das etwas elegantere Bairro do Avillez in einem etwas überdekorierten Atrium.

Bis ein Tisch in der Taberna frei wird, trinken wir weissen Port mit Tonic, mein neu entdecktes Lieblingsgetränk. Erinnert an Gin Tonic, hat aber weniger PS. Eignet sich über den Aperitiv hinaus auch als Speisebegleiter zu mancher herzhaften Vorspeise.

Porto Tonic

Hier gibt es auch Carabineros, wie im Ramiro. Im elganten Bairro kostet einer 36 Euro, in der Taberna 16. Ich habe aber Lust auf etwas Deftiges und bestelle zu meinem Vinho verde spicy Schweineschwarten Popcorn.

Taberna Pop Corn

Das ist der Renner! Schmeckt tatsächlich wie Popcorn und darüber hinaus noch wie knuspriges, würziges Spanferkel. Phänomenal. Dazu ordern wir Ibéricoschinken, Rindfleischkroketten, Alfacinhas (ein Lattichblatt mit knusprig gebackenem Kabeljau und Knoblauch-Tomatensauce und als Variante grilliertes Schwein, würzig, fettig, knusprig mit Pickels und Koriander) sowie Beefsteak-Sandwiches.

Ja, vor so einer Kachelwand mit schweinischem Stilleben, unter einem Himmel voller Caulino Porzellangemüse, einer offenen Küche umrahmt von Schinken, sagen wir «adeus Lisboa» – auf Widersehen, auf ein Nächstes!

Auf der Fressliste stehen dann diese weiteren Restaurants:

100 Maneiras

Pharmácia

Cervejaria Trindade

Taberna da Rua das Flores   

A Cevicheria

Alma


Schloss Bottmingen

Sonntagabend, halb sieben. Für viele Fixtermin für die wöchentliche Depro-Dosis fait maison. Das Wochenende ist wieder mal viel zu schnell aufgebraucht. Und was sie sich dann antun, ist grauslich: Tatort schauen! Na, bravo. Als ob holprige Dialoge, holzige Akteure und haarsträubende Plots Abhilfe leisten könnten. Selber schuld.

Wären besser mal der Spur ins Restaurant Schloss Bottmingen gefolgt.

Wer den richtigen Riecher hatte, wurde an diesem kulinarischen Tatort Zeuge der Machenschaft sieben furchtloser Spitzenköche. Sie waren die Hauptdarsteller der «Soirée Truffes et Vins», die bereits zum dritten Mal unter dem Protektorat von Andy Zaugg mit seinen Freunden und Schloss-Küchenchef, Gilles Brunin, stattfand.

So sehen spannende Sonntagabende aus!
Und ich Glücklicher war als Partner in Crime vom Schloss eingeladen.

Die Brigade der Spitzenköche steht gut vorbereitet und noch besser gelaunt zum Empfang der Gäste bereit.

Von links: Stefan Bader (der den Alten Stephan anfangs 2018 vom abtretenden Wirt Andy Zaugg übernehmen wird), Thomas Haselwanter (Restaurant Unterwirt, Südtirol), Alain Schmidlin (Pâtissier, Schloss Bottmingen), Gilles Brunin (abtretender Küchenchef, Schloss Bottmingen, neu übernimmt Guy Wallyn das Ruder), Andy Zaugg (Zum Alten Stephan, Solothurn), Arno Sgier (Traube, Trimbach), Werner Schürch (Emmenhof, Burgdorf).

Zum Steh-Apéro gibt es die ersten Amuse Bouches mit weissen und schwarzen Trüffeln: Thunfisch-Tataki mit fein geraspeltem schwarzen Trüffel, Jakobsmuschel mit einem rahmigen Trüffelschaum und geraspeltem weissen Trüffel, Kalbsmilken mit Trüffel in knusprigem Blätterteig, cremiger Kartoffelschaum mit Trüffelscheiben, eine tiefgründige Sellerie-Essenz mit einem Trüffelraviolo und schwarzem Trüffel in Scheiben.

Dazu trinken wir Champagner von Nicolas Feuillatte und einen Roero Arneis, Vinga Tabaria L. Abrate 2015.

Grossartige Bühne: Die Köche hatten sich als Kolonne im Rittersaal aufgebaut. Die Gäste konnten jeweils zusehen, wie die Teller im Teamwork angerichtet wurden. Arno Sgier von der Traube Trimbach schickte den ersten Gang. Gänseleber mit schwarzen Périgord-Trüffeln. Begleitet von einem Forteto della Luja 2008, Loazzola.

Für mich der beste Gang des Abends. Eine perfekt abgeschmeckte Foie Gras-Terrine im Baumkuchen-Mantel, daneben eine luftige Gänselebermousse im feinknusprigen Hüppenteig und als dritte Variation eine karamellige Crème Brûlée-Kugel gefüllt mit Gänseleber. Dazu Pastinaken in Form von filigranen Chips und als Püree.

Werner Schürch vom Emmenhof bringt zusammen, was zusammen gehört: Ei, Parmesan, weisser Albatrüffel.

Er nennt es „Ei Façon Carbanara“. Das flüssige Dotter harmoniert perfekt mit Pancetta, cremigem Parmesanschaum und dem weissen Trüffel.  Ein Sostegno 2015, Marchesi Alfieri, als Weinbegleitung setzt dem ganzen die Krone auf.

Thomas Haselwanter kam den weiten Weg vom Südtirol. Er kocht im Restaurant Unterwirt, Gufidaun.

Von ihm gab es ein sensationell luftiges Soufflé mit kräftig karamellisierter Kruste vom Alpkäse in Kombination mit butterzarten Artischockenböden sowie weissem und schwarzem Trüffel. Dazu – typisch Südtiroler Küche – zarte, süssliche Wirsingblätter. Ein warmer, harmonischer Gang. Bestens begleitet von einem 2013 Bric Ginestra von Paolo Conterno aus dem Monferrato.

Diskreter Dealer für diese formidable Trüffelorgie ist Ueli Engel aus Biel. Mehr über sein Trüffel-Mekka auf trueffeln.ch

Vom Team Schlossküche folgt der Hauptgang: Rindsfilet „Irish Angus“ am Stück gebraten auf Sellerie-Kartoffelpüree mit Kardygemüse und Périgord Trüffeljus. Eine Granate dazu der Barolo La Ginestra 2011 von Paolo Conterno.

Stephan Bader serviert als Käsegang einen Tomme de Moléson mit weissen und schwarzen Périgord-Trüffeln. Ein paar Tropfen fruchtiges Olivenöl und knusprige Brotchips sorgen für Spannung. Der Forteto della Luja 2015, Le Grive, war mit seinen akzentuierten, verspielten Noten von Veilchen, Heidelbeeren und Zimt ein sehr eigenwilliger Wein, der meinen Geschmack leider nicht getroffen hat.

Das süsse Finale von Schloss-Pâtissier Alain Schmidlin: Macaron von Haselnüssen und Granatapfel mit schwarzen Périgord-Trüffeln. Unverschämt gutes Bisquit und eine weisse Ganachemousse mit gefährlich hohem Suchtpotential. Dazu klassisch, Moscato d’Asti Barisél 2015, von Franco Penna.

Haben gut Lachen, nachdem sie über 90 Gäste glücklich gemacht haben:
Der Neue und der Alte vom «Alten Stephan» in Solothurn.

Stephan Bader mit Andy Zaugg, der die Trüffelabend-Serie im Schloss initiierte und nächstes Jahr hoffentlich wieder für genussvolle Stunden sorgen wird. Merci, Chef!


Z’Basel an mym Rhy.

rhywyera terrasse

Postkartenaussicht auf Mittlere Brücke und Grossbasel von der «Rhywyera» aus.

Das Kleinbasler Rheinufer könnte die attraktivste Ausgehmeile der City sein. Wasser, Promenade, historische Kulisse. Alles da. Nur die Gastronomie will (oder kann) nicht so recht. Wo andere Städte eine pulsierende Gastroszene (Betonung auf Szene) bieten, kann man die Restaurants hier an einer Hand abzählen. Wirklich ernst nehmen kann man nur das «Krafft» (zeitgmäss, bisschen kreativ, bisschen teuer), der «Schmale Wurf» (unkompliziert, bisschen mediterran, bisschen belanglos) und eben das «Rhywyera» (mit der zweifellos heimeligsten Terrasse).

rhywyera

Auch innen ist das «Rhywyera» gemütlich eingerichtet. So halb chic, halb casual. Das wirklich unübersehbare ist der extrem freundliche Service durch die beiden Pächterinnen. Jetzt, in der kalten Jahreszeit, werde ich in den ersten Stock gebeten. Ich darf im romantischen Erker sitzen, wo es nur drei Tischchen hat. Der Ausblick von da ist schon mal die halbe Miete!

Und das Mittagsmenü katapultiert mich weit zurück in meine Lehrzeit, die ich an der nahen Greifengasse absolvierte. Als angehender Berater für Herrenmode gehörte es zum guten Ton, mittags im Restaurant zu speisen. Im Nachhinein ist mir schleierhaft, wie ich mir das mit dem mickrigen Lehrlingslohn leisten konnte, aber ich wollte es mir nun mal um jeden Preis leisten. Wohl ein zarter Wink, dass ich dereinst mehr mit Gastronomie als mit Mode zu tun haben sollte.

salat_s

Für faire vierundzwanzig Franken wähle ich das Menü und statt der Tagessuppe den Salat. Und es kommt: Ein Teller der diese Bezeichnung verdient. Knackige, frische, saisonale Salatblätter mit einer ausgewogen angerührten Vinaigrette.

Auch die Hauptspeise macht Freude. Zartes Hirschragout, hausgemachte Spätzli, cremiges Rotkraut, Rosenkohl und buntes Wurzelgemüse. Einzig auf neumodische Sprossen auf so einem klassischen Seelenwärmer könnte der Koch verzichten.

wildteller_s

Wer z’Basel am Rhy grundehrliche Gastronomie sucht, wird im «Rhywyera» happy.


Von der Essenz des Essens.

Il Molo Portonovo

Italienische Esskultur. What else?

In Italien fühlt sich ein Sonntagsessen im Restaurant manchmal an, als gehöre man zu einer grossen Familie. Neugeborene, Kleinkinder, Jugendliche, Eltern und Grosseltern – alle sitzen gelassen beisammen und lassen sichs gut gehen. Und auch wenn sich die Gäste nicht kennen, so erkennen sie doch, dass sie Teil einer Gesellschaft sind, für die es nichts Wichtigeres gibt, als: Essen in Gesellschaft.

Jemand am grossen Tisch hat Geburtstag. Geschenke werden ausgepackt. «Oh! Eine Uhr. Grazie, grazie mille!» Und was ist in dieser Schachtel? Seidenpapier raschelt. Schuhe! Richtig schöne Herrenschuhe aus Leder. So was. Ich hab noch nie Schuhe verschenkt. Geschweige denn, welche geschenkt bekommen und in einem Restaurant ausgepackt. Der Kellner kommt zum Tisch. Nicht wegen den leeren Tellern. Nein. Er möchte was anderes und streckt die Hand aus: «Darf ich?». Er wiegt den Schuh in seinen Händen, dreht und kippt ihn. Begutachtet ihn von allen Seiten. Dann sagt er in existenzialistischem Tonfall: «Tja. So ein Schuh. Das ist natürlich immer etwas Faszinierendes.»

Wann immer ein Kind einen Anflug von Langeweile aufzeigt, wird es von einem Erwachsenen in ein Gespräch verwickelt. Droht ein Baby mit Weinkrampf, wird es sofort von jemandem auf den Arm genommen, gehätschelt und liebkost. Oder mit etwas versorgt, dass es kauen, trinken oder nuckeln kann. Die Alten sitzen prominent in der Mitte. Nicht abgeschoben am Rand. Nie ist die Gruppe zu laut. Nie versiegt das Tischgespräch in peinliches Schweigen. Es ist, als wäre die Familie bei sich zuhause. Ganz normal.

Eine Frau isst alleine. Sie hat einen Einzeltisch mitten im Raum. Ihr Körper ist von monumentalen Ausmass. Wie die Mengen an Speisen, die eine nach der anderen aufgetragen werden. Sie geniesst jeden Happen und schenkt jedem, der in ihre Richtung blickt, ein strahlendes, ansteckendes Lächeln. Diese Frau kann essen. Das kann jeder sehen. Deshalb erntet sie Anerkennung. Und nicht etwa Verachtung oder Häme.

An einem anderen Tisch sitzt ein junges Paar. Ihr kleines Kind ist dabei. Keine Frage. Und es isst, was die Eltern essen. Auch keine Frage. Nicht die geringste.

Wenn ich dann in unseren Breitengraden immer wieder lese, dass Leute ernsthaft ein Verbot für Babys und Kinder im Restaurant fordern, denke ich mir: Wie derangiert ist so eine Gesellschaft eigentlich? Wie krank, egomanisch, unmenschlich und unfähig, sich auf etwas einzulassen, das nicht zu 100 Prozent den eigenen Erwartungen entspricht. Die ganze Welt soll sich der eigenen Befindlichkeit unterordnen oder wie? Das ist doch ziemlich paradox. Denn so ein Verhalten zeigen eigentlich nur verzogene Kinder.

Damit wir uns richtig verstehen: Wenn ich mit Kumpeln Saufen und Essen gehe, nehme ich keine Kinder mit. Wenn ich einen schönen Abend zu zweit in einem Sternerestaurant geniessen möchte, auch nicht. Dennoch haben wir unsere Kinder von klein auf in fast jedes Restaurant mitgenommen, auch in gehobene Lokale. So lernen sie ungezwungenes Benehmen in der Gastronomie. (Und der kluge Wirt freut sich auf die nächste Generation Gäste).  Auf der anderen Seite gehörten wir nie zu der Spezies Eltern, die ihre Kinder mit verschmiertem Mund und klebrigen Händen durch den Gastraum Amok laufen lässt. Oder alle daran teilhaben lässt, dass jetzt die wer-hat-denn-da-einen-Stinki-gemacht? Windeln gewechselt werden müssen. Aber, Leute: Es gibt einen Mittelweg des Miteinanders. Einfach fordern Kinder müssen draussen bleiben, wie auf dem Hundeschild, das ist krank.

Das Restaurant liegt übrigens an einem Ausflugsort. Am Strand. In der schönen Bucht von Portonovo im Naturschutzgebiet des Cònero in den Marken. An jedem anderen Ausflugsort auf dieser Welt wäre das Verpflegungsangebot, gelinde ausgedrückt, bescheidener. Vermutlich würde die schöne Aussicht mit dem unschönen Gestank von ranzigem Frittierfett getrübt. Oder das Essen in den Ausflugsrestaurants wäre so schlecht und teuer wie nirgendwo sonst. Dafür würde es auch von störrischem Personal serviert. Ist dann ohne Zweifel Erlebnisgastronomie.

Hier aber, in dieser besseren Strandbude namens Il Molo, hat Slow Food eine Auszeichnung hinterlassen. Es gibt zum Beispiel wilde Moscioli (Slow Food Presidio) – die besten, zartesten und aromatischsten Miesmuscheln, die ich je hatte.

moscioli selvatici cozze

Oder das: Spaccasassi. Knackiger Meerfenchel, der geschmacklich an Kapern erinnert. Wächst ebenfalls wild auf den umliegenden Felsen.

meerfenchel spaccasassi

Kombiniert mit einem Salat aus gedämpften Puntarelle und Sardellen, wahnsinnig gut. Wie übrigens alles andere auch, vor allem die traditionelle handgefertigte Pasta aus Campofilone mit Meeresfrüchten.

Ich kann alles empfehlen. Den Ausflugsort. Das Restaurant. Das Essen. Und das Beobachten der heiteren Gäste!


Please wait to be seated

Kommt man von Barcelona wieder nach Basel, fällt es einem sofort auf: Hier in unseren Restaurants hat niemand auf uns gewartet.

Geht es unseren Beizern zu gut oder haben sie einfach keine Freude an Gästen? Oder an ihrem Beruf? Oder sind sie schlicht mit der Gesamtsituation unzufrieden? Vielleicht liegt es am Ende sogar daran, dass ihr Restaurant in Basel und nicht in Barcelona oder sonst wo am Meer steht?

In vielen Lokalen ist es doch so: Man kommt herein, setzt sich an einen freien Tisch und wartet mit grummelndem Magen auf Bedienung.

Oder man kommt herein, setzt sich an einen freien Tisch und jemand auf dem Weg zum Buffet ruft: «Da ist reserviert!» Oder man kommt herein und wird misstrauisch gefragt: «Hänntsi reserviert?» Oder man kommt herein, wartet auf Bedienung und bekommt dann zu hören: «Sitze Sie wo sie wänn!» Oder noch besser: «Die Küche schliesst im Fall in einer halben Stunde!»

Wir reden jetzt nicht von Imbissbuden. Und natürlich auch nicht von den paar gehobenen Lokalen. Mehr so die Zwischendrin. Und eher mittags als abends.

Aber egal, in Barcelona und auch an vielen anderen Orten ausserhalb der Schweiz ist es halt Usanz, dass man am Eingang einen kurzen Halt macht. Im englischen Sprachraum wird man ja gar per Schildtafel dazu aufgefordert.

Dann wird man wahlweise angelächelt, freundlich begrüsst, willkommen geheissen (oder alles zusammen) und gefragt, ob man Essen oder nur Trinken möchte, für wie viele Personen und ob man uns – wenn Sie bitte so gut sind – zu unserem Tisch da drüben begleiten dürfe?

Wir reden jetzt von Imbissbuden. Natürlich auch von gehobenen Lokalen. Und von denen Zwischendrin inklusive Cafés und Tapas-Bars. Und zwar morgens, mittags und abends.

Ich weiss nicht, wie es euch geht. Aber ist es euch auf Reisen auch immer total angenehm so? Und wie ist es bei uns, vermisst ihr es, dass es hier nicht so läuft?

Ist doch komisch. Ausgerechnet die so auf Anstand und Höflichkeit erpichten Schweizer überlassen ihre Gäste beim Eintreten in ein Lokal tendenziell desinteressiert sich selbst. Man kommt sich dann manchmal so vor, als würde man sich in ein Bus-Häuschen hocken und warten, bis mal einer vorbeikommt. Und den meisten Gästen scheint das sogar egal zu sein. Die stören sich auch nicht daran, dass sie beim Hinausgehen nicht verabschiedet werden.

Also der einzige Ort, an dem ich mich in Barcelona explizit nicht hinsetzen durfte, war im total schönen Pavillon von Mies van der Rohe, dem Designer meines liebsten Klassikers Barcelona Chair. Aber dafür habe ich vollstes Verständnis. Das liegt natürlich auch daran, dass da nicht «Hinsetzen verboten» steht, sondern «Dank für Ihre Hilfe bei der Erhaltung der Stühle»!

Und ihr? Lasst ihr euch gerne setzen oder werdet ihr lieber sitzen gelassen?



Handcrafted by kubus media.