Kein Esel ist, wer Esel isst.
Ortsübliches Mittagessen in Brescia: Geschmorter Esel mit Polenta.
Diese Italiener. Kennst du einen, kennst du sie alle. Auf diesen Trugschluss könnte kommen, wer sich ausschliesslich in italienische Restaurants ausserhalb Italiens begibt. Wo man sogenannt klassische (für mich ist es klischierte) italienische Küche serviert. Oder, im Falle pedantischer Nobelitaliener, so etwas wie eine aufgeblasene Parodie der einfachen Produkte.
Kein Wunder, werfen windige Werber noch immer ungestraft den hohlen Slogan «Schmeckt wie beim Italiener» um sich.
Geht doch mal nach Brescia in die Osteria al Bianchi. Da kommt die Wahrheit noch ungeschminkt auf den Teller. Das darf ruhig ein bisschen weh tun.
Der Laden brummt ordentlich über Mittag. Der Tresen könnte mit einem Wettbüro verwechselt werden, so laut bellen sich die Gäste, lachend, mampfend und Aperitivo trinkend an.
Es lag demnach nicht alleine an dem einen Glas zu viel vom feschen Franciacorta, dass meine Birne danach elendiglich pochte.
Geschmorter Esel, Stracotto oder Brasato d’Asino, ist ein Fixstern im Bianchi, das sich ganz den traditionellen Gerichten aus Brescia widmet. Butterzart, fleischig und strotzend vor schmelzigem Kollagen.
So könnte auch gutes Rindsgulasch schmecken. Aber, eben, das hier ist Fleisch vom Esel. Und das ist hier total in Tagesordnung.
Gerade heute habe ich einen Koch gefragt, der ursprünglich aus Bergamo kommt: «Du, esst ihr in Bergamo auch Eselfleisch?»
Ha! Das geschockte Gesicht hättet ihr sehen sollen. «Eselfleisch?!?» Wie ich denn auf so was komme. Er habe noch nie Eselfleisch gegessen.
Nun gut. Eine Minute vorher hat er noch munter von Polenta e Osei gesprochen. Dem traditionellen oberitalienischen Gericht mit Singvögeln(!), das im gerade mal 53,9 Kilometer von Brescia entfernten Bergamo gegessen wird. «Jetzt ist wieder Saison. Da spannen sie die Netze zwischen den Bäumen und fangen die kleinen Dinger.» Aber das nur nebenbei.
Bianchis Pappardelle al sugo di Guanciale (Speck von der Schweinebacke) sind ein rustikales Gedicht.
Nicht minder rustikal ist der Kellner alter Schule. Klein Sohnemann macht sich eben freudig über seine üppige Portion in Olivenöl schwimmende Tagliata her, als er an den Tisch herantritt und meint: «Wie ist das Fleisch? Der Gast da drüben sagt, es sei zäh.»
Sohn zuckt mit den Achseln.
Ich probiere von seinem Teller: «Ist okay. Mmh, nicht gerade superzart, aber okay.» «Ecco, dann ist es zäh! Der Metzger hat ein schlechtes Stück geschnitten, basta. Bei uns isst Ihr Sohn kein zähes Fleisch. Er kann sich von der Karte aussuchen, was immer er möchte», zieht ihm den Teller unter der Nase weg und zirkelt ihn zur Küche. Immun gegen jedwelche Beteuerungen, dass das doch wirklich nicht nötig und das Fleisch völlig in Ordnung sei.
Aber als Gast hat man da wenig zu melden. Und Zeit für Kuschelkulinarik mit so einem Schwafler, der meint, eine Ahnung vom Essen zu haben, hat dieser Kellner weiss Gott nicht. Wo kämen wir da hin.
Weiter südlich, auf der anderen Seite vom Po (hallo, das ist eine geografische Angabe), zwischen Piacenza und Parma bekommen wir himmlische, handgefertigte Cappelletti al Asinella. Schon wieder! Diesmal mit Fleisch der Eselin gefüllte Teigtaschen. Zum Anbeten.
Als Antipasto hatten wir Aufschnitt, für den ich morden würde. Mamma mia!
Also erstens: Die Temperatur! Das hauchdünn aufgeschnittene Fleisch war zimmerwarm. Das Fett einladend glänzend, beinahe am schmelzen. Und das Aroma, um Welten intensiver, als wenn dir ein Wirt die kalte Platte direkt aus dem Kühlschrank serviert, als wolle er sich für irgendetwas an dir rächen.
Coppa, Culatello, Prosciutto, Pancetta, Lardo und die beste Salami seit Langem und – natürlich – aus Eselfleisch.
Auf die Frage, wie sie denn auf dieses Eselfleisch kommen und woher sie es beziehen, meinte der Wirt bloss: «Wie meist du das, woher wir es beziehen? Das sind unsere Tiere!»
Die halten also Esel, wie andere Leute ein paar Hühner, versteht ihr? Die machen sogar Koteletts aus Eseln. Gekostet habe ich sie leider nicht.
Diese Cappelletti in Brodo haben mal nichts mit Esel zu tun. Dafür könnte ich mir die Ohren lang ziehen, so gut waren die. Serviert in einer dieser unscheinbaren Osterie an der Landstrasse im Heimatland des Parmigiano Reggiano.
Meistens bedient von den Wirtsleuten der Ehemann, während die Signora mit dem Haarnetz und der Spitzenschürze in der Küche werkelt.
Sie kommt ein paar Minuten nachdem die Cappelletti serviert wurden nach vorn und erkundigt sich ob alles recht sei. Ich schwärme: «Diese Füllung! Was ist da drin?» «Parmigiano», erwiedert die Signora.
«Ja, klar, und was noch? Ricotta, Ei …» «Nichts da: Parmigiano, sag ich.» «Nur Parmigiano? Sonst nichts?» «Sonst nichts.» «Signora, ich stelle Ihnen jetzt eine in Ihren Augen bestimmt dumme Frage: Kommt der Brodo, in welchem diese Cappelletti schwimmen, zufällig von einem Bollito Misto, der seit Stunden auf Ihrem Herd blubbert?»
«Sie stellen vielleicht Fragen. Cappelletti al Parmigiano macht man immer mit der Brühe vom Bollito misto!»
Alles klar? Ich meine, für die, die es wissen wollen: Ein Bollito misto besteht aus Rindfleisch, Markknochen, Kalbfleisch, Kalbskopf, Zunge und Hunh, sowie Schweinswurst, gefülltem Schweinsfuss und noch ein bisschen Wurzelgemüse.
Und jetzt vergleich das mal mit einem Scheiss-Brühwürfel und Fertigpasta aus dem Convenience-Regal!
Ach, ich könnte noch lange schwärmen, ob dieser unschuldigen Einfachheit. Hier zum Beispiel: Wenn man als Nachspeise Frutta bestellt (was vor der Süssspeise Pficht ist, bei einem italienischen Mahl), dann bekommt man so etwas wie dieses kleine Schälchen süssester, knackigster Kirschen. Einfach so – ohne alles.
Nein, komm. Da mach ich einen auf Italo und gehe dafür sogar noch zur Universität – Tatsache, ich war in München an der Università del Caffè, um mich in die Kunst des korrekten Kaffebrauens einweihen zu lassen – und dann merke ich auf meinen Reisen, dass ich das kulinarische Universum Italiens noch nicht mal ansatzweise in seinen Umrissen erfasst habe.
Da wo die Kirschen serviert wurden, in der Osteria La Grotta, kam ich übrigens in den Genuss des besten gekochten Schinkens ever. Einem traditionellen Prosciutto di Praga. Im Ganzen im Holzofen gegart, mit feinen Rauchnoten. Darf nur und unbedingt von Hand aufgeschnitten werden. Eine Wucht.
Was anderes: Hab ich euch schon meine abenteuerliche Autostory zu dieser wilden Italienschlemmerei aufgetischt? Meine liebsten Autokumpels vom besten radical-mag haben sie hier veröffentlicht. Viel Spass beim Lesen.
Ah, und ja. Ich bin jetzt wider da. Ciao, ci vediamo!