Klassik um halb eins

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Das Leben ist ein langer ruhiger Fluss. Nichts scheint dem Sundgauer Dörflein Lutter ein einziges Grashalm zu krümmen. Eine vergnügte halbe Ausfahrtsstunde von Basel ist man – ohlala! – schon mitten im Nirgendwo.

Hierhin, in die Auberge Paysanne, kamen schon die Eltern der Eltern von der Schweiz zu den Eltern der Eltern der heutigen Wirtin zum Sonntagsessen. Und das Wichtigste, was man dabei haben sollte, ist viel, viel Zeit und einen grossen Appetit.

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Wenn wir heute, wie immer und hoffentlich bis in alle Ewigkeit, wieder das Menu mit Chateaubriand bestellen, werden wir kaum vor halb fünf raus kommen.

Vier Stunden essen, eine Stunde für hin und zurück – doch, so bekommt man einen Sonntag locker rum. Nachhause schafft man es gerade noch vor dem Eindösen: Mit einem dicken Bäuchlein und zufrieden lächelnd.

Die Fliegen schwirren zur Begrüssung um den Kopf, schliesslich heisst die Auberge ja paysanne. Und tatsächlich gibt es links und rechts Bauernhöfe und vermutlich mehr Pferde als Einwohner.

Innen gibt es noch immer den grossen Tresen, an dem sich – immer weniger – gummibestiefelte Herren stehend ein Seize Cent Soixante Quatre genehmigen und schüchtern die essende Klientel in der Stube beäugen, bevor sie sich wieder ihrem Tagewerk widmen. Die Wirtefamilie sitzt meistens auch am Ecktisch und speist mit (früher sogar im Generationenverbund mit O-Papa und Enkelkindern).

Die Speisekarte nehmen wir zwar jedesmal entgegen, aber das ist eine reine Alibiübung. Wir wissen ja, weswegen wir gekommen sind.

Das Menu zu 38 Euro bietet eine Auswahl an Vorspeisen – neuerdings nach einem Amuse Bouche (Avocadomousse, Crevetten, Balsamico).

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Wenn man ein Herz für Tiere hat, aber irgendwie am falschen Fleck, wird einem die hausgemachte Foie Gras-Terrine vorzüglich schmecken.

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Das Chateaubriand mit Sauce Bérnaise wird zweimal serviert, dazu gibts viel Gemüse, Pilze je nach Saison und die besten Pommes Frittes, die man sich nur wünschen kann.

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Zum Schluss gibt es eine schöne Käseauswahl,

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zum Beispiel mit dem obligaten Münster (gerne mit etwas Kümmel dazu).

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Die Teller werden eigentlich mengenmässig human angerichtet. Das Problem aber ist, dass man Frittes und Bérnaise nachbestellen kann, bis es einem zu den Ohren raushängt. Dies und die Tatsache, dass man sich beim Käse meistens grob überschätzt, führt zwangsläufig zum Überfressen.

Aber irgendwie müssen der Apéritif, der schöne Riesling und der Pinot Noir ja absorbiert werden, bevor man sich wieder ins Auto setzt. Zur Not bringt man mit einem Sorbet au Vodka alles wieder ins Lot.

Und ist es nicht herzerweichend zu sehen, dass es nicht einmal die Convenience-Kindereisbecher bis hierher geschafft haben?

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6 Kommentare zu Klassik um halb eins

  1. katha am 23. Oktober 2007 at 09:09:

    das schaut ja tatsächlich nach guter alter zeit aus. aber trotzdem nicht verstaubt. macht lust auf eine landpartie! (hier im wiener umland stehen ein paar solcher alter juwele auf meiner liste, jetzt bin ich wieder motiviert…)

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  2. fressack am 23. Oktober 2007 at 09:32:

    Sabber!

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  3. LarsB am 23. Oktober 2007 at 11:49:

    Oh prima, die Auberge ist ja auch meiner Nähe – wieder ein kulinarisches Ausflugsziel mehr auf dem Plan! Das ist das schöne im Dreiländereck, langweilig wird´s´hier nie! Auch der genialen Markthalle in Mulhouse werde ich bald wieder einen Besuch abstatten.
    Den Münster rieche ich übrigens schon förmlich durch den Bildschirm, da muss meine liebe Freundin mit ihrer Supernase wohl wieder leiden….;-)

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  4. Claudio am 23. Oktober 2007 at 13:01:

    @katha: Das musst du ihnen schreiben! Die Gefahr in traditionellen Häusern ist nämlich, dass bei einem Generationswechsel die traditionelle Küche zugunsten einer moderneren „Probierküche“ über Bord geworfen wird. In der Auberge-Küche steht mittlerweile ein Zypriote, der gerne heimatliches in die Elsässer-Küche schmuggelt (siehe Amuse Bouche oder Speisekarte). Aber diese Suppe ess ich nicht, nein, nein, nein!

    @fressack: Du Fress-Sack 😉

    @LarsB: Dreiland rulez! Wir können hier definitiv Rosinen picken, ich denks auch immer wieder.

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  5. comenius am 24. Oktober 2007 at 13:08:

    well. hübscher bericht.
    ich habe da doch noch etwas einzuwenden…
    und zwar macht mir da auf den fotos etwas kopfweh… DIE SAUCE BÉRNAISE.
    die sieht ja aus, als stamme sie aus einem japanischem bukkake film oder ein abartiger und wohl einmaliger dünnschiss eines aidskranken pudels.
    (ich hoffe, ich trete ausser dem koch niemandem auf die füsse)
    ist die sonst nicht leichter und flüssiger und farblich etwas dezenter?
    dann noch zum dessert. wo kommt denn dess-her ? warum muss das arrangement aussehen wie ein junger vogel auf drogen?
    ich bitte um zwei konkrete antworten.

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  6. Claudio am 24. Oktober 2007 at 19:31:

    Voilà, Monsieur, hier die zwei bestellten Antworten:

    1. Endlich mal einer, der genau hinschaut! Sehr gut aufgepasst, bravo! Diese Bérnaise geht partout nicht, was die Konsistenz angeht. Das ist korrekt. Eine mögliche Erklärung findet sich auf Seite 253 in Anthony Bourdains Kochbuch „so koche ich“: «Diese Sauce riecht und spürt mehr als jede andere die Angst und Unsicherheit ihres Schöpfers.» Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

    2. Lieber ein junger Vogel auf Drogen, als ein geklonter Plastik-Schlumpf-Eisbecher mit Schwermetallrückständen!

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