Hab in den Ferien auch ein paar ausgebleichte «Echtfotopostkarten» gefunden.

Musste mich allerdings erst durch schlimmen Neuzeit-Trash wühlen, bis ich in der vierten «Tabaccheria» endlich auf Seventies-Trouvaillen stiess.

Weisst du, was ich bemerkenswert finde? Diese Landbeizen. Die wurden wirklich besucht! Ich meine von Gästen, nicht von Rach oder Bumann, den Restaurant-Testern.

Da packte Papa die Familie am Sonntag in seine knallbunte Blechbüchse mit Chromradkappen und jagte die Pass-Strassen hoch zum Landgasthof. Und wer sich dank den vielen Kurven übergeben konnte, war sogar richtig hungrig.

Den Wagen parkte man praktisch unter den Tisch. Logisch, gab ja noch keine reservierten Nahzone-Parkplätze für blauäugige, MBT-tragende, vom Mann mit Migrationshintergrund getrennt lebende Frauen mit Schleudertrauma.

Im Freien durfte man auf richtigen, pastellfarbigen Gartenmöbeln sitzen, nicht auf Scheiss-Monoblocks. Und obwohl das Innen-Dekor aussah wie von der Brockenstube, war alles strahlend neu und rausgeputzt.

Es roch nicht irgendwie komisch sondern nach Ammoniak, PVC oder Bratfett.

Die Wirte hatten auch alle denselben Riecher: Dank Mobilitätsboom war sogar im hintersten Kracher mit einem Gastrobetrieb gut Geld zu machen.

Das dachten auch die Werber und pflasterten die Hütte mit Reklame-Ramsch von unten bis oben voll.

Der Glaube an eine florierende Zukunft versetzte Berge. Und zwar direkt in die Köpfe der Gäste: Alpin wurde in. Irgendwo hinaufzukraxeln war anscheinend gleichbedeutend mit gesellschaftlichem Aufstieg.

Das Essen, das darf man glaub ich behaupten, war wie man es sich heute gerne zurückwünscht: Handgestrickt aus lokalen Produkten und traditionellen Rezepten.

Hach, ich würde mich gerne für einen Tag wieder mal wie ein kleiner Bub fühlen. Ich weiss bloss nicht, wo diese scheinheilige Welt hingekommen ist.


9 Kommentare zu Merci fuer die Postkarte, Sylvia.

  1. susanne am 27. Juli 2010 at 08:49:

    MBTs, der antichrist mit schleudertraumapotenzial! auch ohne nennenswerte kurven, mein zuverlässiger brechreiz anlässlich solcher familienausflüge wurde regelmässig, konsequent und ebenso erfolglos mit kölnischwassergetränkten tüchern bekämpft. so retro!

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  2. Sheik am 27. Juli 2010 at 11:43:

    was für schöne erinnerungen an die reisen nach italien oder spanien wieder in mir geweckt wurden. merci vielmal !!

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  3. barbara am 27. Juli 2010 at 14:30:

    Joop designt nach Stützstrümpfen nun auch MBT Schuhe.
    Gut zu wissen.

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  4. Claudio am 27. Juli 2010 at 14:52:

    Oder mit Klosterfrau Melissengeist (!) getränkte Zuckerwürfel, Susanne. Ich merk schon, Barbara und Sheik, nebst guten und weniger guten Retro-Erinnerungen bedarf vor allem das akute Nebenthema MBT eine gemeinsame Aufarbeitung.

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  5. susanne am 27. Juli 2010 at 18:20:

    genau, MBT!, we shall overcome, lasst uns viele sein!!!!

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  6. jürg am 28. Juli 2010 at 08:21:

    welcome back claudio! . . . mit dem two-tone opel rekord über den gotthardpass, im kofferraum die farbigen zelte und die gestreiften campingklappstühle. alles sah irgendwie aus wie auf deinen postkarten und wir trugen alle enge bunte t-shirts. schöns war’s!

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  7. Magdi am 28. Juli 2010 at 10:45:

    Natürlich nach Südtirol, wo denn sonst!! Alpin ist immer noch in. Aber auf eine andere Art und Weise. So wie du das beschreibst, fühle ich mich ebenfalls in meine Kindheit versetzt, obwohl du sicher um einiges jünger bist als ich. Besonders die Aussage: „Den Wagen parkte man praktisch unter den Tisch“ schlägt alles!!

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  8. Claudio am 29. Juli 2010 at 00:33:

    Ja, die T-Shirts habe ich auch geliebt, Jürg. Nicht aber die kratzigen Trevira-Hosen! Stimmt, Magdi, Tirol/Südtirol ist immer gut (und dort findet man auch immer tolle „Echtfotopostkarten“!

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  9. Claus am 29. Juli 2010 at 11:07:

    Diese Restauranttesternummer auf schwyzerdütsch ist ja richtig putzig! Und der Rest stimmt, genauso wars. Und zum Kübeln hab ich noch nicht mal Serpentinen gebraucht…

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