Deftig abgetischt

Schlafzimmerdecke

Aua. Ich mag kein frittiertes Hirn. Schon gar nicht, wenn es mein eigenes ist. Schon seit Tagen amüsiert sich irgend so ein geltungssüchtiges Virus, meinen Körper bei extrem- niedrig-garenden 40 Grad zu pochieren. Widerlich, einfach widerlich.

Typisch auch, dass mein eifrig Fieberträume produzierendes Hirn jetzt wieder dieses Bild sendet: Ich als zwölfjähriger Ferienbub in der Küche meiner Bauerngastfamilie im Zürcher Oberland. Rös, die Mutter, führt einen in gespannter Vorfreude grinsenden Mann herein und heisst ihn, zu warten. Dann steigt sie die knarrende Treppe zum Keller hinab. Stille. Die Blicke ruhen auf dem wuchtigen, abgeschabten Holzschneidebrett auf dem Esstisch.

Dann hört man sie fröhlich pfeifend wieder hinaufstaksen. Der Mann wiegt sich in freudiger Erwartung von einem Fuss auf den anderen, so als wolle er der Bäuerin helfen die Treppen zu erklimmen. «So!», stösst sie aus, und zeigt das Objekt der Begierde unter ihrem linken Arm – einen Schweinekopf. «Nur den Halben, haben Sie gesagt?», der Mann nickt.

Sie setzt den Schädel genau vor mir aufs Schneidebrett. Das Schwein – sein Schädel – reckt mir die kalte Schnauze mild grinsend entgegen. Die Lider mit weissblonden Wimpern bespickt, sanft geschlossen. Und dann spaltet sie mit einem schweren Metzgerbeil der Sau die Rübe mit einem einzigen Schlag entzwei: «Wlamm!»

Dabei kippen die beiden Schädelhälften auseinander und etwas Hirn auf den Tisch. Ein Bröckchen, so gross wie eine Honigkaramelle vielleicht. Und – schwupp! – in einer eleganten Wischbewegung mit Zeige- und Ringfinger holt sich Rös den Happen vom Tisch und steckt ihn sich genüsslich in den Mund!

Diese letzte Sequenz wird nun von meinem Hirn in einer Endlosschlaufe projiziert, als wäre es ein Pipilotti Rist Video. Und ich kann ja nicht mal wegsehen! Auch wenn ich die Augen schliesse – sind ja meine eigenen Bilder im Kopf!

Überhaupt scheint mein Hirn irgendwie gar nicht zu checken, wie dreckig es mir gerade geht. In einer Art Amokmodus produziert es lauter solche nervtötende Bilder. Aber auch Musik: «Das alte Haus von Rocky Docky … und dann wieder von vorn, «Das alte Haus …». Oder auch: «I wanna be Daylight …», «I wanna be Daylight …», «I wanna be Daylight …», von den No-Angels. Richtig, Engel können das keine sein. Repetitiver Nonsens erster Güte, um mich zu quälen und zu foltern.

An Essen, immerhin meine absolute Lieblingsthematik, ist nicht zu denken. Hab ich eigentlich schon einmal erzählt, dass ich vor Jahren einmal nach einer Virusinfektion oder eventuell sogar als Nebenwirkung der Antibiotika (Ciproxin) über ein Jahr lang meinen Geschmacks- und Geruchssinn verloren habe? Nein?

Na gut, davon vielleicht ein andermal, ich will hier niemanden überstrapazieren. Bin ja nicht so ein seelenloser Quälgeist, wie mein Hirn.


17 Kommentare zu Deftig abgetischt

  1. jürg am 23. September 2008 at 16:15:

    jesses claudio! ich wünsche dir gute besserung komm wieder auf die beine und verwöhne uns mit schönen rezepten und anregenden koch-ideen! apropos rezept: . . . Hirne unter fliessendem kalten Wasser abspülen und sorgfältig Haut, Blutgerinnsel und die grösseren Adern entfernen . . .

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  2. BerlinKitchen am 23. September 2008 at 18:32:

    Was denn, Dein Hirn schrumpft auf Honigkaramell-Größe?! :)))

    Wie werde ich Deine „schnippischen“ Texte vermissen. Wenigstens kannst Du noch eine Kamera bedienen………

    Halt die Ohren steif,
    Martin
    http://www.berlinkitchen.com

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  3. katha am 23. September 2008 at 18:51:

    linzertorten, fotografen und viren einen uns, es wird mir schön langsam unheimlich. meine (vermuteten, wer weiss das schon) sitzen (vorerst) „nur“ im hals (was einigermassen beängstigend ist, wenn man mit einem sänger tisch und bett teilt, der morgen früh für eine produktion nach berlin fliegt…). und meine sind vermutlich aus irland. dort haben sie’s aber eher mit der blunzn (blutwurst) als mit dem hirn. wie auch immer. vielleicht sind sie auch bei mir schon nach oben gekrochen. ein stück apfelkuchen oder linzer würde bestimmt helfen. btw: ein jahr!!! ist das dein ernst? (das würde auch deine leidenschaft und kompromisslosigkeit, was gutes essen betrifft, sehr einfach erklären.) ich will nix verschreien, aber das wäre für mich die grösste anzunehmende katastrophe. angeblich kann man mit basilikum teilanosmien bekämpfen. habe ich gerade gelernt. in irland. mögen uns also beide bald wieder die guten bakterien (sauerrahmbutter? rohmilchkäse? roggensauerteigbrot?), hefen (wein? weissbrot?) und schimmelpilze (salami?) erfreuen und die bösen das weite (weite, weite) suchen.

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  4. Amadeus am 23. September 2008 at 21:44:

    Alles wird gut, vieles sogar besser.

    Gute Besserung Claudio!

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  5. Mike Seeger am 24. September 2008 at 01:50:

    Mein lieber Claudio, da wünsche ich gute Besserung.
    Mein Rezept gegen Viren und ähnlich unangenehmes Viechzeug: ein Glas Rotwein (lauwarm), ein Eigelb und fünf gepresste Knoblauchzehen hineingequirlt. Auf ex. Gut eingepackt ins Bett gelegt (Eimer ans Bett stellen, zur Vorsicht 🙂 ) und alles ausgeschwitzt. Funktioniert in den meisten Fällen.

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  6. Kirsten am 24. September 2008 at 08:08:

    Mensch, du Armer, du. Ein gespaltener Schweinskopf wäre auch für mich ein Albtraum. Kenne das aus Nepal. Da lagen immer die Ziegenköpfe auf den Tischen und glotzten einen aus leeren, toten Augen an. So einen Kopf dürfte ich nie kaufen – mein kleiner Sohn würde sonst sagen: „Die arme, arme Ziege… Stell dir vor, das wäre dein Kopf da… das würde dir auch nicht gefallen…“
    Gute Besserung!

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  7. lamiacucina am 24. September 2008 at 08:14:

    Feinschmeckerviren suchen sich offensichtlich die besten Stücke aus. Gute Besserung !

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  8. Lars am 24. September 2008 at 11:49:

    Ein Jahr ohne Geruchs- und Geschmackssinn? Horrorshow!

    Gute Besserung und -wenn es schon sein muss- schönere Fieberträume wünsche ich dir!

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  9. Claudio am 24. September 2008 at 15:57:

    Thank YOU ALL! Ich sehe, sobald ich die abgetischte Episode überwunden habe, muss ich euch die Geschmacksverlust-Story auftischen. So langsam regt sich auch wieder so etwas wie zarter Appetit. Sollt ich vielleicht doch einmal Hirn versuchen, jetzt wo die Metzgete-Saison beginnt?

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  10. Zoolicious am 24. September 2008 at 19:39:

    Mensch Claudio, da wünscht man natürlich gute Besserung.
    Wenn schon Innereien, dann probiers doch mal mit etwas Kalbsbries, kann man schön löffeln, wenn der Virus den Hals kratzen lässt. 😀

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  11. Boris Zatko am 26. September 2008 at 08:54:

    Die Besserung scheint ja langsam in die Zielgerade einzulaufen. Gerade recht, um nach Stärkung Ausschau zu halten; erst recht, las dass sich dein Appetit wieder zu regen beginnt. Das schreit förmlich nach Mittagessen!!!

    Viele liebe Grüße

    Boris

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  12. Boris Zatko am 26. September 2008 at 08:55:

    Puh, da hat mir die Tastatur aber einige Stolpersteine vor die Finger gelegt. Aber ich hoffe, du hast verstanden, was ich meinte.

    Viele liebe Grüße

    Boris

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  13. Nina am 28. September 2008 at 21:32:

    Auch von mir herzlichste Genesungswünsche, lieber Claudio. Auf dass Du mich nicht noch viel länger auf unser versprochenes Mittagessen/Bier/Kaffee warten lassen musst 😉 … nein, im Ernst. Ich schenke Dir die fehlende Durchkopplung (!) und schicke viele heilende Gedanken.

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  14. zorra am 2. Oktober 2008 at 11:43:

    Sah der Kopf in etwa so http://zorra.twoday.net/stories/543383/ aus?

    Gute Besserung, wobei inzwischen bist du sicher über dem Berg, oder?

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  15. Claudio am 5. Oktober 2008 at 21:00:

    Nein, Zorra, so hat die Sau ihren Kopf nun auch wieder nicht hängen gelassen. Der meines Schweins war eigentlich recht hübsch anzusehen, muss ich schon sagen – bevor er gespalten war, versteht sich.

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  16. Anonyme Köche » Blog Archive » Droste, das Hirn und die Kichererbse am 17. Oktober 2010 at 11:46:

    […] mit so viel Scharfsinn und Grips habe ich spontan (obwohl es vor zwei Jahren schon zur Debatte stand) beschlossen, etwas Passendes zu kochen: […]

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  17. Anonyme Köche » Blog Archive » Am Sonntag sind Koepfe gerollt am 24. September 2013 at 00:53:

    […] mit dem gespaltenen Schweinekopf, das ich als Ferienkind auf einem Bauernhof erlebte, habe ich hier einmal […]

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