Marroni mit Milch_s

Ich war diese Woche beruflich wieder in Zürich. Ein kurzer Termin am Vormittag. Konzentriert und produktiv. Zufrieden machte ich mich auf den Weg zurück zum Bahnhof. Weitere Arbeit wartete. Was eigentlich falsch ausgedrückt ist. Arbeit wartet nie. Die Tippt genervt auf ihre Armbanduhr und sagt uns, dass wir zu spät dran sind. Keine Zeit für einen Lunch.

Ganz im Gegensatz zu letzter Woche. Da war der einzige Sinn und Zweck meines Besuchs in der Zwinglistadt ein ausgedehnter Lunch. Das mehrgängige Menü dauerte über drei Stunden. Auch das hat sich gelohnt. Sehr sogar.

Aber während ich zu Fuss vom Kunsthaus durchs Niederdorf zum Bahnhof gehe, denke ich, soll ich doch etwas essen? Hm, aber was? Ich würde gerne einkehren. Am liebsten in die Alpenrose. Oder den neuen Hamburger-Laden ausprobieren: The Bite. Oder zu András, ins Berg und Tal? Aber eben: Kostet alles zu viel Zeit.

Lieber daheim dann was Kleines essen. Brot und Käse. Einen Apfel. Könnte mir auch den Reis von gestern wärmen. Ist schnell gemacht. Ein Pasta auch. Ach, zu viel Aufwand. Bis ich da bin, ist halb zwei. Komm, dann doch lieber jetzt etwas kaufen. Sandwich? Bratwurst? Banane? Sushi?

Sushi? Ja, genau. Das ist doch kein Sushi, das da in den Plastikboxen zwischen gefüllten Bretzeln und geschmackskastriertem Caprese-Salat in der Kühltruhe liegt! Das ist ein Nährboden für Keime. Das ist verschwendeter Fisch. Das ist die Verspottung einer Ess-Kultur, die sich rigoros an der Frische und an der Güte der Zutaten orientiert.

Und dann passierte das, was mir immer passiert, wenn ich unterwegs bin und die Zeit für ein vernünftiges, gesetztes Essen fehlt: Ich verwerfe eine Option nach der anderen. Weil – lieber esse ich nichts, als etwas, das keine Freude macht, ohne Freude zubereitet wurde oder sonst wie von schlechter Qualität ist.

Davon werden ja täglich Tonnen an Leute verkauft, die sich nicht so sperrige Gedanken machen wie ich. Und die sich über Mittag im Hetzen einfach etwas ins Gesicht drücken. Tonnenweise! Will mir gar nicht vorstellen, woher dieses billige, vorgefertigte Essen „to go“ herkommt, unter welchen Bedingungen und mit welchen Zutaten es zubereitet wurde. Da wird mir schlecht.

Schon klar, nicht alles ist so mies wie ich es rede. Gibt bestimmt auch gute Sandwiches. Mit Brot vom Bäcker. Guter Butter. Und was Anständigem dazwischen.

Aber ich sehe doch, was diese Menschen verdrücken. Diese gehetzten, gestressten Arbeitstiere. Massen-Menschhaltung ist das, denen billiges Futtermittel in die Hand gedrückt wird. Nichts anderes.

Da kommt mir einer auf der Rolltreppe entgegen, der sieht aus wie ein Beisser aus Walking Dead. Was ist mit seiner gereizten Haut? Will die sich vom Gesicht ablösen? Dem gehts nicht gut. Sieht man sofort. Sein ganzer aufgeblasener Körper scheint zu sagen, aufhören bitte, stopp! Aber er selbst hört es nicht. Sein Blick ist matt. Macht einfach weiter. Und beisst gedankenverloren in einen Industrie-Teigling, dem die laschen Salatblätter zu Seite raushängen. Der sieht echt aus wie ein Zombie, der an einem vergammelten Körperteil nagt.

Wer zwingt denn diese Leute, sich so minderwertig zu ernähren? So fettig. So überwürzt und überzuckert. Die ganzen leeren Kalorien. Würden sie tot umfallen, wenn sie nicht dauernd eine Plastikverpackung aufreissen und sich billigen Brennstoff zuführen würden? Die sind doch kein Michael Phelps, der 10’000 Kalorien pro Tag reinschaufeln muss.

Und dann die ganzen Plastikschalen, PET-Flaschen und Megamaxibecher. Der ganze Müll, den dieses portable Essen produziert. Und überhaupt, hat die SBB das Essen im Zug nicht verboten? Dieser Gestank im Waggon! Döner, Fastfood, asiatisches irgendwas im Kunststoff-Napf. Haben sich nett eingerichtet auf ihrem Sitz. Mit Ohrhörer mampfend vor dem Laptop. Schuhe ausgezogen, Tennissocken auf dem Sitz gegenüber. Widerlich. Einfach widerlich. Zum Glück finde ich noch einen Platz in einem Waggon, wo nicht gegessen wird: Im Speisewagen! Was für ein Witz.

In Basel angekommen, entdecke ich mein Mittagessen vor dem Bahnhofsplatz. Es wird gerade frisch zubereitet. Fast Food vom Feinsten. Gesund. Nachhaltig. Nahrhaft. Marroni! Archaisch. In der eigenen Schale über Holzkohle gebraten. Ein Naturprodukt ohne Additive. Nicht von der Industrie oder einem Foodkonzern bis zur Unkenntlichkeit verarbeitet und mit hohlem Marketing aufgeblasen.

Ich bin glücklich und kaufe mir 150 Gramm für fünf Franken. Ein Lunch für einen Fünfliber, sag mal! Danach bin ich zufrieden und satt. Und auch ein wenig stolz. Dass ich die Geduld aufgebracht habe, nicht das Erstbeste in mich hineinzustopfen. Dass ich mich zurückhalten konnte und meine Mitmenschen nicht mit einem unwürdigen Anblick oder penetrantem Geruch belästigt habe. Dass mein Lunch keine schwer abbaubaren Abfallberge hinterlässt.

Die schnelle Verpflegung unterwegs ist in meinen Augen zum grossen Teil eine kulinarische Kapitulation. Da halte ich mich lieber raus. Klar, manchmal ist es echt schwer, etwas Schlichtes zum Essen zu finden.

Aber mir ist es jede Mühe wert.

 


23 Kommentare zu Mittagessen fuer einen Fuenfliber.

  1. daphne am 14. Februar 2015 at 12:51:

    …und wie so oft sprichst Du mir aus der Seele – Danke!

    Hin und wieder lasse ich mich dann doch unterwegs zu irgendeinem „Futter“ hinreißen…und fühle mich hinterher jedesmal schlecht. Körperlich oder mental (beinah würde ich von seelisch sprechen)? Ich weiß es nicht

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  2. Kiki am 14. Februar 2015 at 16:10:

    Hachz! Danke!

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  3. KochBock am 14. Februar 2015 at 16:54:

    Wer kennt diese Situation nicht ;-)! Gruß KochBock

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  4. Frenk am 14. Februar 2015 at 17:33:

    Das ist ein sehr schönes Sittengemälde, das du da aquarellierst und das mir allzu bekannt vorkommt. Na ja, meine Pendlerjahre in vollen Trams und abgewetzten Zügen mit Mitbürgern ohne Kinderstube – auch in der 1. Klasse – habe ich zum Glück hinter mir gelassen. Dafür sitze ich dreimal am Tag an einem Tisch zum essen und in der Firma kochen alle Mitarbeiter abwechslungweise eine Woche lang, inklusive Chefs. Keine Beiz, kein Stehlunch und schon gar nicht in Bewegung!
    Okay, okay, manchmal darf es Anna’s Best sein. Und den Burger King vor dem Kino lass‘ ich mir nicht nehmen 😉
    P.S. Grüsse aus Saas-Fee. Die Irma Dütsch ist ja nicht mehr da, gell…

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  5. jürg am 14. Februar 2015 at 21:42:

    du warst zu lange in st. moritz, claudio 😉 aber ich bin mir sicher, dass es dir nach deinem vorzüglichen artikel viel besser geht. ps: im migros gibt es wieder die feinen spargeln aus peru, ganz frisch.

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  6. lieberlecker am 15. Februar 2015 at 11:37:

    Fertig Sushi gehört verboten, da gebe ich Dir Recht!
    Schön gibt es Leute mit sperrigen Gedanken, die sich dann noch so ausdrücken können, dass man meint, man könnte das selbst geschrieben haben 🙂 Danke Claudio!
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

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  7. carlo bernasconi am 15. Februar 2015 at 13:00:

    Nächste Stufe: Die gebratenen Marroni nimmst du fröhlich nach Hause und pürierst sie mit ein wenig Sahne und Grand Marnier oder Cointreau. Inzwischen eines deiner berühmten irischen Rinderfilets je nach Dicke ein paar Minuten in der Pfanne bröteln und danach mit der Sahne-Marroni-Sauce noch eine kurze Weile in der Pfanne schmurgeln lassen, evtl. noch etwas Brodo oder Demi Glace dazu geben. Buon app…

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  8. Houdini am 15. Februar 2015 at 13:42:

    Du beschreibst herrlich und genussvoll lesbar, was ich öfter mal denke, die Facts und Gedanken zum Essen, oder eher der Verpflegung, noch besser dem Verzehr, vieler heutiger Menschen. Gesunde Nahrung wird wenig oder gar nicht beworben, und wie wenig Leute denken von Werbung unbeeinflusst. Dies trifft ja nicht nur auf Ernährung zu, sondern ebenso auf Kosmetik, Schönheit, Life Style, Zufriedenheit, ……

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  9. Claus am 15. Februar 2015 at 20:07:

    Geht mir fast jeden Tag genau so. Ich komme fast um vor Hunger und will mir keinen Müll reindrücken. Ganz schwierig im Bereich von Bahnhöfen und so…

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  10. Egon am 15. Februar 2015 at 21:34:

    Wie immer – lesenswert. Was ich allerdings massivst bestreite und in 45 jähriger beruflicher tätigkeit weiss – mir ist noch keine arbeit davongelaufen und sie hatte immer die Geduld, bis zur Erledigung zu warten. Das ist definitiv nur eine Frage der richtigen Schulung des Chefs. Dies kann aber zugegenermassen durchaus etwas mehr Zeit benötigen. Aber mit genügend „Burlecitin“ für diesen ist es problemlos möglich. Einfach mal versuchen. Es lohnt sich.

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  11. capitan am 16. Februar 2015 at 11:09:

    wie wahr!

    aber wo wir gerade dabei sind, ich bin am 15.03. in Bern und wäre sehr dankbar für einen netten Tip fürs Abendessen?! Gleich danach gehts auf den Autozug nach Hamburg.

    Viele Grüße 🙂

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  12. Claudio am 16. Februar 2015 at 17:47:

    Du siehst das ja beinahe täglich, nehm ich an, Daphne. Kauf Marroni, solange noch Saison ist 🙂 Nicht wahr, Kiki und KochBock? Hehe, Frenk, muss mal ein Portrait über euer (vorbildliches) Firmenkochen machen 😉 Ja. Jürg, weisse und grüne Spargeln UND die ersten Erdbeeren! Und die Leute sind so blöd und kaufen … Andy, verbieten möchte ich niemandem etwas. Aber es wäre cool, wenn es einfach niemand mehr kaufen würde 🙂 Che idea, Carlo, muss ich mal probieren, ist mir gänzlich neu. Vielleicht ist es nicht mal so sehr die Werbung, Houdini, sondern vielmehr Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit. Es ist verfügbar: Also wird es konsumiert. Claus, du sagst es: Bahnhof-Merchandising macht immer so einen auf „Hey, wir haben die leckersten, frischesten und gesündesten Snacks für dich!“ und wenn man genauer hinsieht so: „Wo, bitte?“ Danke, Egon, aber ich habe unter anderem Arbeiten, die termingebunden sind. Wenn die nicht fristgerecht erledigt werden, brauch ich sie gar nicht mehr erledigen. So siehts aus. Oh, Bern, Capitan. War ich schon lange nicht mehr essen. Vielleicht hat jemand hier einen Tipp? Ich wollt schon länger mal das BEEF testen, war allerdings noch nie.

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  13. capitan am 16. Februar 2015 at 22:20:

    ich mein doch auch Basel 😉 sorry…

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  14. Claudio am 17. Februar 2015 at 10:02:

    Haha! Du bist gut, Capitan! Wir könnten zusammen hier hin. Schick mir doch eine Mail auf claudio@anonymekoeche.net, wenn du Bock hast.

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  15. Magdi am 18. Februar 2015 at 11:02:

    Diese Zeilen könnten von mir sein, natürlich nicht so schön und elegant geschrieben wie von dir. Meistens fällt es mir nicht schwer zu warten, weil ich weiß was mich erwartet :)Bei uns in Bozen gibt es zwei Arten von Kino: Eines wo man Popcorn, Nachos usw. zu kaufen bekommt und eines ohne alles. Falls wir gezwungen sind, da ein bestimmter Film nur dort läuft, in das Erstere zu gehen, könnte ich manchmal aus der Haut fahren. Was die Menschen während des Films alles in sich reinschaufeln, das paßt auf keine Kuhhaut. Ganz von der Geräuschkulisse abgesehen, wenn es vor dir hinter dir neben dir schmatzt und raschelt!

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  16. Nicole am 18. Februar 2015 at 18:43:

    herrliche Beschreibung einer elenden Tatsache, die mich auch plagt, die ich nicht in St. Moritz war

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  17. DerHerrFrank am 19. Februar 2015 at 19:05:

    Die Erlebnisse im Zug kann ich noch toppen.

    Es gab Zeiten, da hatte die Deutsche Bahn noch Raucherabteile, aber schon damals abgespeckt auf 6 Sitzplätze.

    Auf dem Heimweg stieg ich also in den ICE und jenes Abteil war derart verqualmt, man hätte denken können, es brennt darin. Ich suchte mir einen freien Platz in der Nähe und machte es mir bequem.

    Plötzlich öffnete sich die Tür des Raucherabteils und ein kleines Mädchen trat heraus, ein Fertig-Sandwich futternd.

    Ein ungläubiger Blick bestätigte: Im Raucherabteil saß ein qualmendes Elternpaar mit 3(!) kleinen Kindern, umgeben von Chipstüten und Colaflaschen.

    Nun will ich, selber mäßig rauchend und auch mal eine schnelle Falafel verdrückend, nicht päpstlicher sein als der Argentinier im Vatikan, aber DAS hat mich nun wahrlich schockiert.

    Zum Autofahren braucht’s einen Führerschein, aber Kinder bekommen darf jeder. ;-(

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  18. Claudio am 20. Februar 2015 at 09:18:

    Ou, ja, rauchen! Wie unvorstellbar weit weg ist das schon? Im Zug, im Flugzeug(!), im Restaurant, im Büro, im Kino, in Talk Shows …

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  19. waswegmuss am 24. Februar 2015 at 22:12:

    Naja, so tragisch ist das nun auch wieder nicht. Die Bahnhöfe riechen mittlerweile unisono nach diesem „Überbackkäse“, der für den menschlichen Verzehr nicht geeignet ist. In oder auf einer Deponie isst man halt einfach nicht.
    Die ideale Reisenahrung ist sowieso ein schnödes Butterbrot aber damit fängt die Schwierigkeit erst richtig an.

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  20. RanAnDenSpeck am 26. Februar 2015 at 08:25:

    Claudio, vielen Dank für die sperrige Betrachtung der leider so ubiquitären Wirklichkeit!
    Mich gruselt’s ebenso und mir fiele eher die Hand ab als dass ich mein Portemonnaie für diesen Schrott zückte. Wenn ich nicht schon selbst für meine Stulle gesorgt habe (was meist der Fall ist), dann kann man doch wenigstens für den monetären Gegenwert eines absolut wertlosen Plastiksandwiches ein ordentliches Brötchen einschl. 50g hochwertigen Schinkens oder Bergkäses erwerben. Das macht Freude und kostet auch nicht mehr als 2,50 bis 3 Euro – jedenfalls in Deutschland 🙂 Es setzt aber voraus, dass ich mir um das, was ich mir zuführe, Gedanken mache und dass ich Zeit investiere, meine Nahrungsbeschaffung zu planen. Letzteres scheint ja nicht selbstverständlich zu sein; ich staune täglich, wie sich die Kollegen zur Frühstückspause mit Sandwiches eines Dienstleisters (der sie immerhin mit etwas Liebe zubereitet, aber die Einzelkomponenten will ich bei mir auf dem Teller nicht sehen) versorgen, weil sie es nicht geregelt kriegen, sich sorgsam ausgewählte Lebensmittel zu beschaffen. Dafür wird dann beim unvermeidlichen Discounter-Einkauf gespart, man hat ja nix zu verschenken!

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  21. richard am 27. Februar 2015 at 10:07:

    Diese dauernde verfügbarkeit und anmache essbares ohne konzentration auf das essen zu konsumieren ist ein für mich unerklärliches phänomen, welches sich in unserer gesellschaft entwickelt hat und leider auch noch peu a peu gesllschaften des mediteranen raumes okkupiert welche eigentlich eine achtvollere essenaufnahem im sinne einer gesellschaftlich verbindenden handlung zelebrienen bzw.zelebrierten.
    gottseidank haben wir noch die freiräume, wenn wir wollen und die dafür erforderliche zeit aufbringen können, individuell diesem verheerenden trend und pseudomodernistischen druck zu entfliehen.
    danke für den beitrag und der damit verbundenen bewußtmachung.
    was man weis das sieht men

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  22. betty am 5. April 2015 at 20:05:

    Ich bin immer wider erstaunt, was die Menschen so unterwegs in sich hineinstopfen…. es fehlt einfach die Wahrnehmung für gutes Essen… Mir geht es genauso wie dir. Ich habe mir inzwischen abgewöhnt, Essen unterwegs zu kaufen. Es ist sehr schwer, etwas zu bekommen, womit ich mich danach auch gut fühle. Ich lebe definitiv danach: „besser gar nichts als was schlechtes“, und fahre sehr gut damit. Das gleiche in Restaurants…. hätte ich doch besser das Geld gespart und mir was vernünftiges davon gekauft…. (es gibt aber zum Glück immer mehr gute Restaurants, auch bio und vollwertig).

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  23. Anonyme Köche » Blog Archive » Logbuch Lissabon. am 5. März 2017 at 00:20:

    […] wie Papier und lässt sich mühelos abziehen. Fantastisch. Habe ich schon erwähnt, wie sehr ich Marroni […]

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