Drehmoment in MUC

Tribu

Es logiert sich angenehm, oberhalb vom Bayerischen Landtag. Mein Verlag schenkt mir die Aufmerksamkeit, als wäre ich ein Ambasciatore. Was ich ja im Grunde für sie auch bin. Und ich bin es gern. Schliesslich ist es auch mein Buch.

Am Abend vor dem Drehtag hätte ich noch gerne eine weitere Episode meiner liebsten Fernsehserie, Rescue me, gesehen. Das ist die Serie, welche die Programmleitung des Schweizer Fernsehens überforderte. Sie wurde mal früher, mal später ausgestrahlt, mal dahin, mal dorthin geschoben und irgendwann komplett in den Leutschenbach gekippt. Hat bestimmt keiner gesehen.

Montags ist sie (viziöse Programmänderung vorbehalten) auf ORF zu sehen – nach 24 Uhr. Ist halt ne taffe Serie, also muss man auch bis spät in die Nacht ausharren können, oder sich halt einen DVD-Recorder zulegen. Aber das Hotel verfügt leider nicht über ORF. Dafür über einen Toilettenspülkasten, der ununterbrochen sein Plätscherprogramm spielt. Ich tue einfach so, als wäre ich ein Shaolin-Mönch.

Das seichte Gluckern soll mich in einen Zustand höchster Harmonie versetzen und mich sanft in einen hypnotischen Schlaf wiegen. Tatsächlich lässt mich die Zufriedenheit über den relaxten Abend im Negroni mit meinen liebsten Autorenkollegen Nicky und Sebastian einen beschwipsten Schlaf finden.

Städte sollen ja einen ihnen eigenen Geruch haben. Ich hätte das bis jetzt nie zuordnen können. Aber bei München ist es sehr präsent. Es ist eine Mischung aus süssem Senf, feinem Essig, Gewürzen und Abkochbrühe. Oder griffiger: München riecht wie ein Gurkenglas.

Ich besuche München erst das vierte Mal. Man darf besuchen sagen, weil diese Stadt einen zu empfangen und zu bewirten versteht. Es ist unfassbar, wie wichtig Münchnern gutes Essen ist. An jeder Ecke kann man sich mit Essen beschäftigen.

Allerdings muss man aufpassen, dass man unbeschadet dorthin kommt. Kampfradler könnten einen auf dem Weg zu Brei fahren. In der Schweiz werden solche Übeltreter auch Bikenazis genannt. Aber die sind geradezu harmlos im Gegensatz zu den Münchner Tret-Eseln.

Die Daumen scheinen denen mit der Fahrradklingel verwachsen zu sein. Nur bimmeln sie immer erst eine Sekunde bevor es kracht, wenn überhaupt. Die Kaltmamsell weiss nicht nur über diese Münchner Marotte zu erzählen.

Nachts mit einem Roadster durch die sommerlich leergefegten Strassen zu knattern ist fast surreal schön. Friedlich. Nicht wie in Zürich, wo dich laufend Testosteron anpöbelt, anhupt oder blöd anmacht.

Ja, Roadster. Ich hab die Kurve gerade noch gekriegt. Das Drehbuch für den Buchtrailer sah Szenen mit einem Auto vor. Wie wäre es mit einem neuen Fiat 500? Unmöglich, sagte ich. Kamera, Ton und mein Ego haben dort niemals Platz.

Ich bin echt gespannt, wie dieser 14-Stunden-Drehtag auf einen 4-Minuten-Clip eingedampft werden soll. Aber ich mache ja auch aus 10 Litern Fond einen Liter Demiglace. Die bekommen das bestimmt hin, so wie sie ein enorm unaufgeregtes, angenehmes Setting hinbekommen haben.

Kamera

Wir haben an vielen aufregenden Orten gedreht. Und die Postkartensujets Münchens sind nur so vorbeigeflogen.

Aber ich will auch die kleinen, unauffälligen Dinge sehen. Das Unscheinbare, Alltägliche. Manchmal Hilflose. «Macht‘s ihr an Fuim?»

Asia Huette

Asia Hütte II. Das klingt nach einem billigen Horrorstreifen. Irgendwelche zivilisationsmüde Kiffer, die den ultimativen Freedom for Globetrottel suchen, werden in ihrem Dschungelcamp von heimtückischen Biestern aufgefressen – schnell im Biss.

Was ist falsch an richtigen Namen für Restaurants? Warum nennen die sich nicht einfach Huin? Chen oder Wang?

Backshop

Und was bitte verkauft ein „Hinterer Laden“? Falls „Backshop“ irgendwie Appetit auf Frischgebackenes evozieren soll – nein, tut es nicht. Das sieht für mich aus wie die Beschriftung für einen PC-Ersatzteil-Shop. Und disqualifiziert sich ein „Stehcafé“ nicht aus dem Stegreif selbst?

Barista

Diese zarten Wesen stehen wohl auf Cappuccino mit einem Herzilein auf dem „i“. Und ich weiss nicht, was man da genau „haben“ kann: Kaffee, Espresso & einen Barista? Ist das der mit den Tattoos?

Im Oberpollinger ist natürlich alles anders. Fast noch trauriger. Vor der Heimreise besorge ich Kindergeschenke. Lasse sie im Vierten einpacken. Einzeln bitte. «Na hören Sie. Ich weiss nicht, ob ich das kann. Wenn dann eine Schlange kommt?» «Dann schauen Sie, dass sie nicht gebissen werden», erwidere ich. «Lassen Sie sich Zeit. Ich bin im Fünften und esse kurz etwas, danke!»

Ich setze mich an die schicke Bar und bestelle einen Salamiteller mit Antipasti und ein San Pellegrino. Hocken drei Alkis da. Es ist halb drei. Draussen ballert die Sonne dreissig Grad hin.

Ich schaue konzentriert weg. Auf die handbetriebene, rotlackierte Berkel. Wie sie schwungvoll hauchdünne Scheiben schneidet. Die drei Männer starren derweil auf einen tonlosen Michael Schumacher, der auf dem Flatscreen hinter dem Tresen seine Lippen bewegt wie ein kleiner Pilotfisch. Jeder von Ihnen ein Weizen vor sich. Nicht das erste.

«Servus, Vroni», sagt die Bedienung. Vroni sagt nichts. Die Bedienung stellt ihr ein Glas Champagner hin. «Servus», sagt ein vierter Mann, der sich zwischen den ersten und den zweiten Mann setzt. Er starrt auch auf Schumacher und sagt zu ihm: «Der Alois is gschdorbn».

Keiner reagiert. Nach einer Minute nimmt das Pockengesicht neben mir einen grossen Schluck Weizen, haucht ein langes „H“ aus und fragt: «Wann isser denn gschdorbn?» «Na, gestern.» «Wia alt wara denn?» «Zwaiasibzg wara wordn», sagt die mit dem Champagner – die kennen sich alle!

Vielleicht sollten wir doch eine Lesung auf die Beine stellen. Wer weiss. Warten wir erst mal den Film ab. One day in September irgendwann.

Dachterasse


19 Kommentare zu Drehmoment in MUC

  1. Zoolicious am 14. August 2009 at 08:21:

    Englisches Alteisen und ein großes Stück Fleisch.
    So lob‘ ich mir das.
    Das nächste Mal in die Trinkhalle und im Oberpollinger auf die Dachterrasse bei schönem Wetter. 🙂
    http://dietrinkhalle.de/

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  2. Mike am 14. August 2009 at 09:04:

    Unbedingt solltest Du beim nächsten Besuch in München die Gaststätte Großmarkthalle besuchen, und die besten Weißwürste der Stadt probieren. Morgens, versteht sich. Mit anschließendem Besuch der Großmarkthalle selbst. Allein der Geruch ist schon einzigartig, die Vielfalt der angebotenen Waren ebenso. Nur vorsicht vor den Staplerfahrern, die nehmen keine Rücksicht auf Verluste.

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  3. katha am 14. August 2009 at 09:06:

    81 zeilen (ohne leerzeilen) bis zu diesem foto. zu viele. versteh‘ mich aber bitte nicht falsch! wenn du eine lesung in wien machst, kannst auch orf schaun. gefällt dir das foto auch so wie mir?

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  4. Ellja am 14. August 2009 at 11:31:

    Männer und Autos… tz… na wenigstens kannst du gut kochen, und gut schreiben, das gibt Bonuspunkte.

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  5. Quizzy am 14. August 2009 at 15:56:

    Beeindruckend, wie du in diesen 81 Zeilen (ich hab sie nicht nachgezählt!) das Münchnerische auf den Punkt bringst – ich hätte ewig weiterlesen können!

    Da ich eine bekennende Nichtköchin bin, wird mir das Kochbuch auch nicht viel helfen, aber drin rumblättern werd ich auf jeden Fall, wenn’s mir mal in die Finger kommt!

    Auf den Trailer freu ich mich – wo gibt’s den dann zu sehen?

    Liebe Grüße aus München
    Quizzy

    PS: Ich hab Kabelfernsehen und bekomm ORF rein! 😉

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  6. thunfischdurchbrater am 14. August 2009 at 18:23:

    Hej, Claudio,
    coole Nummer, die ganze Geschichte, das letzte Bild mit dem Ochsenkotlett(?) ist schon echt klasse. Unsereiner schaffts ja höchstens mal in die Küchenschlacht…

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  7. Claudio am 14. August 2009 at 23:29:

    Yes, indeed, Zoolicious, es war übrigens kein British Beef, aber one hell of an Irish Cow – 1500 Gramm! Trinkhalle sieht aufrichtig und viel versprechend aus. In Basel haben wir eine inoffizielle „Schluckstube“, auch nicht schlecht. Verlockend, Mike, das Ochsenschwanzragout würde ich auch gerne probieren (von mir aus auch morgens), Stapelfahrer Klaus ist Kult! Klar, Katha, dieser Schuss ist Sebastian meisterlich gelungen. ORF empfange ich zum Glück in der Schweiz, und damit überdurchschnittliches TV-Niveau. Kann ich die Bonuspunkte auch gegen Benzingutscheine eintauschen, Ellja? 😉 Danke, Quizzy, es gibt im Buch auch einige Nichtkochstories, hilft zwar auch nicht weiter, aber es macht heiter. Den Film stelle ich hier rein, sobald ich kann. München ist grandios! Genau, thunfischbrater, ein prachtvolles Côte de Boeuf war das, und du warst in der Küchenschlacht?

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  8. Kirsten am 15. August 2009 at 11:23:

    München ist wunderschön, wie Du erkennen kannst. Eine Großstadt mit Kleinstadtflair. Ich liebe das Leben hier. Die Altstadt, Schwabing, der Englische Garten… ich könnte die Liste unendlich weiterführen… Du solltest über einen Wohnortwechsel nachdenken :-)))
    14 Stunden auf 4 Minuten kürzen – so ist das bei Film und Fernsehen. Da geht man immer auf Nummer sicher, um nicht nachdrehen zu müssen. Hinterher im Schnitt beginnt dann die kreative Arbeit. Manchmal ist der Protagonist dann enttäuscht, wenn er sieht, was alles herausgeschnitten wurde, oder aber er ist überrascht, wie kurz und knackig alles auf einen Punkt gebracht wurde. Ich arbeite beim Fernsehen – darum spreche ich aus Erfahrung. Hoffe, ich werde den Clip auch irgendwann zu sehen bekommen. Viel Glück!

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  9. kaltmamsell am 15. August 2009 at 19:13:

    Ohne im Geringsten aufdringlich sein zu wollen: Beim nächsten Münchenbesuch wäre ich sehr gerne mit von der Partie. Sebastian und Nicky können mit Referenzen dienen, dass ich sozial kompatibel sein kann. Vor allem in Kombination mit Nahrungsmitteln.

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  10. Claudio am 17. August 2009 at 00:27:

    Danke, Kirsten, ich denk mal über einen Zweitwohnsitz nach. Ohne im Geringsten überschwänglich sein zu wollen: Mit dem grössten Vergnügen, liebes Kaltmamsell. Die Referenzen sind übrigens schon lange voraus geeilt.

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  11. peppinella am 17. August 2009 at 23:44:

    ich kauf das buch. sofort. ich würde dich auch „on-tv“ anschauen. das hat sowas von den sopranos…..irgendwie

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  12. Finkus Bripp am 19. August 2009 at 10:49:

    aha… could it be someone’s considering a move to MUC? 🙂 Sorry I couldn’t meet up last week. Glad to see you had a say in the choice of car… go vintage or go home.

    Aaahhh, the Munich air, no wonder I’m ageing so gracefully! I always thought I was pickled by the alcohol. Just 2 more weeks till your book lands in my mailbox, can’t wait.

    Keep on keepin‘ ON!

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  13. Claudio am 19. August 2009 at 13:43:

    Aoooh! Sopranos? Würde ich nicht ablehnen, das Angebot, peppinella 😉 Jetzt, da Chris Moltisanti von Tony „entsorgt“ wurde, muss schliesslich ein neuer Captain nachrücken – uh, forget about! Eeeey, Finkus! Can you teach the bookstores to sell my book? Think they need a message, capisc‘?

    http://www.youtube.com/watch?v=0avctOqaZgA

    If they do nice. They can go buy themself some nu clothes: http://www.youtube.com/watch?v=yicETLxDnBU

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  14. thunfischdurchbrater am 19. August 2009 at 15:01:

    Hi, Claudio,
    jau, ich hab den spass mal mitgemacht. Mit meinem durchgebratenem Thunfisch („wie Kalbfleisch gebraten“, wie der Franzose sagt) hats mich dann zerbröselt – das kannten die da nicht…

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  15. zorra am 24. August 2009 at 16:37:

    Wann wo kann man den Clip denn anschauen?

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  16. Claudio am 24. August 2009 at 18:12:

    Demnächst, in diesem Theater, Zorra.

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  17. zorra am 26. August 2009 at 10:11:

    Dann muss ich also dranbleiben! 🙂

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  18. katha am 31. August 2009 at 20:39:

    es war heute in der post (manchmal gibt’s auch privilegien in meinem job). und das cover gefällt mir. man darf die haptik nicht unterschätzen. die links (und die kommentare) im blog aber auch nicht. bin gerade auf s. 135 und da wollte ich dir mal schnell bescheid geben. ich finde, das passt jetzt einfach. toitoitoi für den verkaufsstart!

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  19. Claudio am 31. August 2009 at 21:45:

    Haha! Seite 135, schon klar. Lieben wir Bücher nicht allein schon wegen der Haptik? Ich finde sie auch extrem wichtig, und mit dem Umschlag bin ich sehr, sehr glücklich, ja. Danke für deine Wünsche. Ich hoffe auch, dass der Start glückt. Heute habe ich zwei Radio-Interviews gegeben, ein weiteres folgt Ende Woche. Werde dann alles verlinken, sobald es geht.

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