Von der Essenz des Essens.

Il Molo Portonovo

Italienische Esskultur. What else?

In Italien fühlt sich ein Sonntagsessen im Restaurant manchmal an, als gehöre man zu einer grossen Familie. Neugeborene, Kleinkinder, Jugendliche, Eltern und Grosseltern – alle sitzen gelassen beisammen und lassen sichs gut gehen. Und auch wenn sich die Gäste nicht kennen, so erkennen sie doch, dass sie Teil einer Gesellschaft sind, für die es nichts Wichtigeres gibt, als: Essen in Gesellschaft.

Jemand am grossen Tisch hat Geburtstag. Geschenke werden ausgepackt. «Oh! Eine Uhr. Grazie, grazie mille!» Und was ist in dieser Schachtel? Seidenpapier raschelt. Schuhe! Richtig schöne Herrenschuhe aus Leder. So was. Ich hab noch nie Schuhe verschenkt. Geschweige denn, welche geschenkt bekommen und in einem Restaurant ausgepackt. Der Kellner kommt zum Tisch. Nicht wegen den leeren Tellern. Nein. Er möchte was anderes und streckt die Hand aus: «Darf ich?». Er wiegt den Schuh in seinen Händen, dreht und kippt ihn. Begutachtet ihn von allen Seiten. Dann sagt er in existenzialistischem Tonfall: «Tja. So ein Schuh. Das ist natürlich immer etwas Faszinierendes.»

Wann immer ein Kind einen Anflug von Langeweile aufzeigt, wird es von einem Erwachsenen in ein Gespräch verwickelt. Droht ein Baby mit Weinkrampf, wird es sofort von jemandem auf den Arm genommen, gehätschelt und liebkost. Oder mit etwas versorgt, dass es kauen, trinken oder nuckeln kann. Die Alten sitzen prominent in der Mitte. Nicht abgeschoben am Rand. Nie ist die Gruppe zu laut. Nie versiegt das Tischgespräch in peinliches Schweigen. Es ist, als wäre die Familie bei sich zuhause. Ganz normal.

Eine Frau isst alleine. Sie hat einen Einzeltisch mitten im Raum. Ihr Körper ist von monumentalen Ausmass. Wie die Mengen an Speisen, die eine nach der anderen aufgetragen werden. Sie geniesst jeden Happen und schenkt jedem, der in ihre Richtung blickt, ein strahlendes, ansteckendes Lächeln. Diese Frau kann essen. Das kann jeder sehen. Deshalb erntet sie Anerkennung. Und nicht etwa Verachtung oder Häme.

An einem anderen Tisch sitzt ein junges Paar. Ihr kleines Kind ist dabei. Keine Frage. Und es isst, was die Eltern essen. Auch keine Frage. Nicht die geringste.

Wenn ich dann in unseren Breitengraden immer wieder lese, dass Leute ernsthaft ein Verbot für Babys und Kinder im Restaurant fordern, denke ich mir: Wie derangiert ist so eine Gesellschaft eigentlich? Wie krank, egomanisch, unmenschlich und unfähig, sich auf etwas einzulassen, das nicht zu 100 Prozent den eigenen Erwartungen entspricht. Die ganze Welt soll sich der eigenen Befindlichkeit unterordnen oder wie? Das ist doch ziemlich paradox. Denn so ein Verhalten zeigen eigentlich nur verzogene Kinder.

Damit wir uns richtig verstehen: Wenn ich mit Kumpeln Saufen und Essen gehe, nehme ich keine Kinder mit. Wenn ich einen schönen Abend zu zweit in einem Sternerestaurant geniessen möchte, auch nicht. Dennoch haben wir unsere Kinder von klein auf in fast jedes Restaurant mitgenommen, auch in gehobene Lokale. So lernen sie ungezwungenes Benehmen in der Gastronomie. (Und der kluge Wirt freut sich auf die nächste Generation Gäste).  Auf der anderen Seite gehörten wir nie zu der Spezies Eltern, die ihre Kinder mit verschmiertem Mund und klebrigen Händen durch den Gastraum Amok laufen lässt. Oder alle daran teilhaben lässt, dass jetzt die wer-hat-denn-da-einen-Stinki-gemacht? Windeln gewechselt werden müssen. Aber, Leute: Es gibt einen Mittelweg des Miteinanders. Einfach fordern Kinder müssen draussen bleiben, wie auf dem Hundeschild, das ist krank.

Das Restaurant liegt übrigens an einem Ausflugsort. Am Strand. In der schönen Bucht von Portonovo im Naturschutzgebiet des Cònero in den Marken. An jedem anderen Ausflugsort auf dieser Welt wäre das Verpflegungsangebot, gelinde ausgedrückt, bescheidener. Vermutlich würde die schöne Aussicht mit dem unschönen Gestank von ranzigem Frittierfett getrübt. Oder das Essen in den Ausflugsrestaurants wäre so schlecht und teuer wie nirgendwo sonst. Dafür würde es auch von störrischem Personal serviert. Ist dann ohne Zweifel Erlebnisgastronomie.

Hier aber, in dieser besseren Strandbude namens Il Molo, hat Slow Food eine Auszeichnung hinterlassen. Es gibt zum Beispiel wilde Moscioli (Slow Food Presidio) – die besten, zartesten und aromatischsten Miesmuscheln, die ich je hatte.

moscioli selvatici cozze

Oder das: Spaccasassi. Knackiger Meerfenchel, der geschmacklich an Kapern erinnert. Wächst ebenfalls wild auf den umliegenden Felsen.

meerfenchel spaccasassi

Kombiniert mit einem Salat aus gedämpften Puntarelle und Sardellen, wahnsinnig gut. Wie übrigens alles andere auch, vor allem die traditionelle handgefertigte Pasta aus Campofilone mit Meeresfrüchten.

Ich kann alles empfehlen. Den Ausflugsort. Das Restaurant. Das Essen. Und das Beobachten der heiteren Gäste!


Sardinenfans hier? Hand hoch!

Sardinen gegrillt

Vergessen wir nicht die kleinen Fische für einen grossen Grillauftritt: Sardinen!

Sardinen sind so, wie soll man es sagen? Richtige Fische! Nicht so ein zierlicher Edelfang, von dem man nur glasig gedämpfte Filets isst. Nein, mehr so von der Sorte kleine, fette, sexy Biester, die auch mal Hitze, Rauch, Schärfe und Säure aushalten. Also best Barbecue Buddies irgendwie.

Ich mag sie gegrillt über Holzkohle. Und hört mir bloss auf mit Marinaden und Kräuterfüllung. Das fällt beim Wenden alles nur raus, tropft runter oder verbrennt. Garnitur kommt nach dem Grillen dazu. Und damit sie auf dem (heissen) Rost garantiert nicht kleben, brauchen wir sie nur zu salzen, fertig.

Die frischen oder aufgetauten Sardinen auf eine Arbeitsfläche legen. An der Schwanzflosse fassen und mit dem Messerrücken Richtung Kopf schuppen. Unter fliessendem Wasser reinigen.

Zum Ausnehmen zuerst den Kiemendeckel anheben, ein scharfes Messer ansetzen und dann im 45 Grad Winkel zum Körper hin runterschneiden. Mir den Fingern die Kiemen packen und entfernen. Nun sollte der Fisch einen sauberen V-Schnitt zwischen Kopf und Körper haben.

Messerspitze an der Brust ansetzen und den Bauch mit einem nicht zu tiefen Schnitt bis fast zur Schwanzflosse aufschlitzen. Jetzt kann man mit dem Messerrücken in einer einzigen Bewegung die Eingeweide von vorne nach hinten herausstreichen und abtrennen. Fertig.

Nochmals unter fliessendem Wasser reinigen und anschliessend mit Küchenkrepp sehr gut trocknen. Dann grosszügig beide Seiten einsalzen und sich um die Garnitur kümmern. Zum Beispiel:

Peperoncino kleinwürfeln, Petersilie hacken, Frühlingszwiebel in Scheiben schneiden, Kapern wässern und mit wenig Olivenöl mischen.

Bevor man die Sardinen auf den Rost legt, das Salz, das der Haut noch etwas Feuchtigkeit entzogen hat, abtupfen. Über mittelintensiver Glut braten. Sobald die Haut goldgelb schimmert, Fische wenden und fertig garen.

Auf Teller verteilen, mit der Garnitur bestreuen, mit bestem Olivenöl und nach Belieben mit gutem Weissweinessig oder Zitronensaft beträufeln.

Und ja, am liebsten esse ich Sardinen von Hand!


Geschmackvolles Salzwerk.

Dorade in Salzkruste

Wer immer auf die Idee gekommen ist, Essen unter einem Haufen Salz zu backen: Danke – Geniestreich!

Für ganze Fische gibt es keine schonendere und simplere Art der Zubereitung. Der eingeschlossene Eigengeschmack unter der Salzkruste ist überwältigend. Die Textur zart und dennoch fest – und sehr saftig. Und die Würze? Perfekt dosiert. Besser als jede von Hand gesalzene Speise.

Muss man sich mal überlegen: Eine Prise zu wenig oder zu viel Salz verändert den Geschmack eines Gerichts merklich. Da ist es geradezu verwunderlich, dass eine Speise, die zentimeterdick in Salz gepackt wird, ganz von selbst so ausbalanciert gesalzen ist.

Das Aufklopfen der Salzkruste ist super sinnlich und spannend wie das Auspacken eines Geschenks. Und der Duft, der durch die Risse dampft weckt freudige (und berechtigte) Erwartungen.

Nachdem die Fischfilets ausgelöst und verspeist sind, bleibt ein archaisches Stilleben auf dem Backblech zurück. Man möchte es am liebsten, so wie es ist, als Kunstwerk an die Wand dübeln.

Goldbrasse Salzkruste

Die Zubereitung ist ziemlich einfach. Für einen Fisch von etwa 600 g braucht man 1 kg grobes Meersalz. Ich gebe gerne noch ein fein gehackten Rosmarin dazu. Dann mischt man das Salz und 2 Eiweiss zu einem dickflüssigen Mörtel.

Wer Horror vor verkrusteten Backblechen und deren Reinigung hat, legt es mit Backpapier aus. Sieht einfach weniger cool aus. Die Salzmasse 1 cm dick in der Form vom Fisch ausstreichen, dann den Fisch komplett bedecken. Geht am besten mit einem Spachtel, in dem man von unten nach oben arbeitet. Gebacken wird der Fisch 15 Minuten im vorgeheizten Ofen bei 220 Grad.

Der Fisch sollte übrigens ungeschuppt sein. Sehr gut eignen sich Wolfsbarsch, Gold- oder Zahnbrasse. Den Fisch ausnehmen und nach Belieben würzen. Ich nehme 1 Knoblauchzehe, 1 Zitronenschnitz und ein paar Zweige glatte Petersilie.

Aber das Beste: Auch Gemüse wie rote Beete lässt sich im Salzmantel backen.

Randen in Salzkruste

Die Knollen brauchen allerdings etwas länger. Ich habe sie bei 180 Grad 1 Stunde gebacken. Das Aroma ist unvergleichlich intensiv und der Salzgehalt wiederum sehr präsent und ausgewogen. Man kann sie fein aufschneiden oder am Stück servieren.

Ich habe sie mit Zander kombiniert. Auf der Haut in Butter gebraten. Innen gerade noch etwas glasig. Dazu knackige Rosenkohlblätter. Ebenfalls in Butter geschwenkt, aber nur kurz – die Blätter behalten ihren Biss und bekommen ein nussiges Aroma von der braunen Butter.

Ein Klacks Naturjoghurt mit leichter Säure passt wunderbar dazu. Wer mag, kann auch einen Faden bestes Olivenöl darüber träufeln.

Rande mit Zander


Ausgezeichnete Kitchenparty.

Farbpalette

Gehört für meinen Freund Boris zu einem guten Essen: Malbesteck.

Zeichnen am Tisch! Das habe ich schon als Kind geliebt. Und das machen wir heute noch. Erst grad am Wochenende hat mein 12-Jähriger im Restaurant sein Zeichnungsheft kursieren lassen.

Das geht so: Er fängt mit irgendeiner Form an und dann müssen, rotierend, jeweils Mamma, Papa und der ältere Bruder weiter zeichnen. Sehr spassig – und eine gute Strategie gegen exzessiven Smartphone-Gebrauch.

Wachsamkeit ist allerdings gefordert, wenn das Personal naht. Denn wie das so ist, bei Pubertierenden, ziert früher oder später ein Pimmel oder ein Busen (oder auch der Plural davon) die expressive Grafik.

Kürzlich sass jedoch ein ganz anderes Kaliber an meinem Küchentisch. Zeichnerische Oberliga! Mein guter Freund und begnadeter Illustrator (und Buchautor) Boris Zatko.

Zu seinem Geburtstag hatte ich ihn zu einer «Kitchenparty» eingeladen. Kitchenparty? meinte er sofort begeistert, was ist das? Weiss nicht genau, entgegnete ich. Aber ich stelle mir vor, ich decke den Küchentisch für uns zwei. Nur für uns zwei. Und dann trinken wir guten Wein und reden über die Dinge, die nur uns interessieren und ich bekoche dich, bis du nicht mehr kannst. Oder ich.

Super! Entflammte er sogleich. Und ich aquarelliere alles – bis ich nicht mehr kann! Er wolle nämlich, so erklärte er, seine Technik im Schnell-Aquarellieren verbessern. Das wird geil! versprachen wir uns und klatschten gegenseitig ab.

Aber du darfst nichts vorbereiten, meinte er noch. Ich möchte die Produkte auch im Rohzustand zeichnen, bevor du sie in die Pfanne schmeisst. So weit die Herausforderung!

Es war ein Fest. Und was Boris nonstop produziert hat, ist beeindruckend. Ich meine, er ist schnell. Sehr, sehr schnell. Einige Teller hat er schneller skizziert als ich sie fotografieren konnte. Kein Scherz. Es geht ihm dabei weniger um Details oder Präzision (sagt er) als um das schnelle Erfassen der Stimmung. Der Betrachter komplettiert dann quasi das Bild im Kopf.

Ich zeige hier Fotos vom Abend. Schaut euch bitte seine Aquarelle bei ihm an.

Skizzieren

Zur Vorspeise gab es extrem scharf angebratene, aussen knusprige, innen cremige Foie Gras auf Crostini. Dazu eine Marmellade aus Tropeazwiebeln.

Foie Gras

Das vielleicht beste Bild des Abends, haben wir beide nicht festgehalten: Während ich stillhalten musste, damit Boris das Töpfchen mit Zwiebelmarmellade in meinen Händen abzeichnen konnte, brannten die Crostini unter der Grillschlange an. Wörtlich. Als ich es roch, war es bereits zu spät. Boris! Die Crostini!!! Wie ich das Blech aus dem Ofen holte, stand die Brotscheibe bereits in Flammen! Cool.

Zur Entspannung rollte ich gemütlich ein paar Gnocchetti …

Gnocchi

… während Boris geduldig seine Skizzen kolorierte.

Kolorieren

Es folgte eine lauwarme insalata di polpo.

Insalata di Polpo

Malen nach Schalen.

Polposalat malen

Diese Krabben machen sich auf den Weg ein sughetto für die Gnocchi zu werden.

Gamberetti

Aber davor gab es erst Miesmuscheln im Weissweinsud.

Miesmuscheln

Und einen Risottino mit Oktopusfond, Jakobsmuschel und Sepiatinte.

Risotto Jakobsmuschel

Gefolgt von einem Zander, auf der Haut gebraten. Dazu Mangold-Wirsing-Gemüse – einmal als Crème und einmal in Tomatensauce gedämpft.

Zander

Und schliesslich die gnocchetti ai gamberetti mit einem gebratenem scampo.

Scampo Gnocchetti

Als Hauptgang gab es eine glasierte Kalbshaxe. Die musste ich natürlich schon am Vortag zubereiten. Sonst wird das nix, mit dem guten Stück.

Kalbshaxe

Butterzart. Und die Sauce so intensiv, dass die Augenlieder von alleine zuklappen.

Kalbshaxe von oben

Crema Catalana gabs auch noch. Die ist leider nicht der Rede wert. Ich hatte sie so luftig geschlagen und zart nach Orangen duftend hinbekommen, aber ich hatte nicht bedacht, dass sie nach dem Befüllen der Förmchen im Ofen in sich zusammenfallen würde. Es war nurmehr ein kümmerlicher Bodensatz unter einer viel zu dicken, karamellisierten Zuckerschicht. Seis drum.

Dem wunderbaren Ausklang eines grandiosen Abends tat dies keinen Abbruch.

Fertig

Weitere „schnelle“ Aquarelle/Skizzen/Illustrationen finden sich auf der von Boris mitgegründeten Website Urban Sketchers Switzerland.

 


Fish fight ahoi

Ein eindrücklicher Film zum Thema Überfischung. Wir zappeln da alle im Netz. Umdenken und bewusstes Einkaufen z.B. nach MSC sollte selbstverständlich sein. Wer mehr tun möchte, unterstützt diese Kampagne:

Fish Fight ist ein preisgekrönter englischer Dokumentarfilm sowie eine europaweite Online-Kampagne, die gegen die Verschwendung von Fisch im Fischereigewerbe kämpft.

Jedes Jahr werden allein in der Nordsee etwa 1,3 Millionen Tonnen Fisch tot zurück in die See geworfen. Die Fischer wollen das nicht, aber die EU Gesetzgebung zwingt Sie dazu. Mehr als 3/4 unserer Fischbestände sind bereits überfischt, davon werden sich 30% nicht mehr erholen.

Die Fish Fight Initiative will die Einführung eines Rückwurfverbots und ein Ende der Überfischung im Rahmen der Reform der EU-Fischereipolitik erwirken.

Die Gesetze werden nur aller 10 Jahre verändert – im Oktober ist es wieder soweit. Jetzt ist die Zeit zu handeln.

Ich unterstütze die Kampagne und habe mich auf der Online-Petition registriert. Ihr könnt das auch auf www.fishfight.de



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