Essen wahr nehmen.

Rebecca Clopath

Endlich habe ich es geschafft, bei Rebecca Clopath essen zu gehen. Zwar hatte ich sie bereits im März besucht. Für meine Titelgeschichte in der Weltwoche Spezialausgabe Wein und Genuss. Entstanden ist dabei ein Portrait über eine der kreativsten Spitzenköchinnen der Schweiz.

Aber zu essen gab es nichts, denn: Rebecca serviert nur das, was gerade in ihrer alpinen Umgebung verfügbar ist. Sie kocht nur an ausgesuchten Tagen. Und nur zweimal im Jahr. Jeweils im Frühjahr und im Herbst. An ihren, wie sie es nennt, «Esswahrnehmungen» serviert sie jeweils 12 Gästen ein einzigartiges Menü, das man so schnell nicht wieder vergisst.

«Kochen fängt für mich nicht erst in der Küche an. Ich betrachte die Zubereitung von Essen als einen ganzheitlichen Kreislauf.» Dieser beginne bereits beim Anbau von Gemüse und bei der Aufzucht von Tieren. «Ich möchte die Alpine Natur in meinen Gerichten miteinbeziehen. Darum verwende ich nur Zutaten, die auf einem gesunden Boden wachsen oder die ich auf Wiesen und in Wäldern finde.»

Nach der Kochlehre bei «Chrüter­ Oski» Marti in der«Moospinte», Münchenbuchsee, arbeitete sie beim «Hexer» Stefan Wiesner im Gasthof «Rössli» in Escholzmatt. Seine avantgardistische Naturküche war wegweisend für Clopath. Wiesners Herangehensweise steht in keinem Schulbuch. Sein Wissen und seine Fähigkeit, Zutaten wie Wurzeln, Rinde, Erde, Moos oder Schnee in ein Gourmetmenü auf Sterne­ Niveau einzubauen, sind einzigartig. Von seiner Neugier, Unerschrockenheit und Krea­tivität fühlt sich Clopath, die sich selbst auch als Naturköchin bezeichnet, noch immer be­flügelt.

Inzwischen hat sie sich zur Bäuerin ausbilden lassen und sich entschlossen, den elterlichen Bio-Hof im Bündnerischen Lohn zu übernehmen. Dort, im kleinen Café Fortuna, können Gäste in den kulinarischen Clopath-Kosmos eintauchen.

Wir waren im Juni da und sehr beeindruckt. Rebecca hat eine natür­liche Ausstrahlung. Kraftvoll. Einnehmend. Und null Allüren. Ihre Begeisterung ist ansteckend und sie kocht mit Herz und Verstand. Oft archaisch, über offenem Feuer oder direkt in der Kohle, manchmal auch sehr präzise mit modernen Küchentechniken. Aber immer ganzheitlich. Von Nose-to-Tail, von Leaf-to-Root.

Zu den Esswahrnehmungen erhalten Gäste statt einer Menükarte eine kleines Heft, das Zutaten mit Ge­schichten, Herkunft und Mythen verknüpft. Die schlanken Rezept­sammlungen kann man auch online bestellen. Clopath gibt jedes Jahr zwei Ausgaben heraus. Schmale, geradezu bibli­ophile Bändchen mit erhellenden Texten, gepflegter Typografie und reduzierten Illust­rationen.

Den Apéritif gibts im Garten. Die Gäste versammeln sich um den grossen Feuerring wo bereits wilder Lauch gebraten wird.

Die wuchtige Feuerschale aus handgeschmiedetem Stahl passt gut zu ihrem Stil. Sie verbindet Essen immer mit Kunst. Auch ihr Geschirr und das schwere Besteck aus Schmiedeeisen sind handwerklich hergestellt.

Zwischen den Gängen erzählt Rebecca jeweils Spannendes über die Herkunft der Zutaten, über Kultur und Bräuche im Schamsertal, Zubereitungsarten und Zusammenhänge zur Nachhaltigkeit. Hier ein paar Bilder der neun Gänge. Alles in hervorragender Qualität, pointierten Texturen, intensivem Geschmack und kreativen Kombinationen.

Winterrettich mit Dillsprossen und Dinkel-Granola.

Wilder Lauch mit wildem Thymian vom Feuerring mit eigenem Rahmquark.

Abartig gutes Ziegentrockenfleisch!

Frische Ziegenbutter (sehr delikat und fettarm) mit hausgemachtem Sauerteigbrot.

Lieblingsgang: Zarteste pochierte Regenbogenforelle, Sauerrahm, süss-sauer eingemachte Zwiebeln, Meerrettich, Holunderblüten.

Hanf-Ravioli (nussiger Geschmack), Eigelb, Spinat aus Brennnesselblättern, gebackener Salbei, geröstete Hanfnüsse.

Weisse Spargeln direkt in der glühenden Kohle geschmort (bin eh ein grosser Fan von Gemüse direkt in der Kohle, wie ich hier schon mal beschrieben habe).

Haferwurzel auf dem Feuerring gebraten.

Hafermilchsuppe, in Essig eingemachter Haferwurz, gepoppter Hafer, Haferkresse, Mohnmousse – eine Zutat, so viele Deklinationen, unglaubliche Geschmacksvielfalt! Wer vermisst hier tierische Zutaten oder gar Luxusprodukte?

Achtung! Löwenzahn. Ja, Pusteblume und so. Clopath macht daraus: Kandierte Löwenzahnwurzel, Pesto aus den Blättern, Gelee von den Blüten, in Öl eigelegte Knospen und sautierte Stängel. Danke, Rebecca. Grosse Horizonterweiterung!

Konfiertes Rinds-Hohrücken-Steak, auf dem Feuerring gebraten …

dazu Spargeln aus dem Feuerring im Heu, weisse Polenta mit geriebenem Alpkäse, Baiser aus Farina Bona (Mehl aus geröstetem Mais) mit grobem Salz, Senf aus der Heublumenasche. Wow.

Es geht in die Spagyrik: Arvenkohle-Eis mit Crumble aus Arvennüssli, Meringue mit Hydrolat, Arvenholzmehl-Hüppen, das Destillat wird auf die Hand gesprüht, um daran zu schnuppern.

Rhabarber-Chutney, (Schweizer) Pecorino, Buchweizen-Knäckebrot.

Berberitzen-Fruchtleder mit Blüten, kandierte Blüten und Wildgemüse, Honigwaben.

Was man zu dieser kulinarischen Reise mitbringen sollte: Offenheit, Geduld und Neugier. Unsere Esswahrnehmung dauerte sechs Stunden. Dafür wird man mit kulinarischer Horizonterweiterung, die lange nachwirkt, reich belohnt.

Diesen Herbst gibt es wieder Termine für ihre Esswahrnehmungen, buchen kann man online. Ich kann nur empfehlen: Keine Sekunde zögern!


Die Wende zum Guten

Jeder muss sein Bestes geben, damit etwas wirklich Gutes auf den Teller kommt.

Neben der Sonnenseite des Geniessens, schreibe ich seit ein paar Jahren beruflich auch über die Sonnenseite der Energiegewinnung.

Dabei habe ich festgestellt, dass beides unheimlich nahe beieinander liegt: Um zu Leben, braucht der Mensch Energie. Um Energie aufzunehmen, braucht der Mensch Lebensmittel. Und um diese Lebensmittel zu produzieren, benötigt der Mensch Energie. Ein stetiger Kreislauf.

Einer, der aus den Fugen geraten ist, sich aber wieder einrenken lässt, wenn wir denn endlich einlenken.

Hier meine simple Erkenntnis: Je weiter die Lebensmittelproduktion und die Energiegewinnung vom Mensch entfernt sind, desto schwieriger ist es, die Umwelt zu respektieren, die Ressourcen zu schonen und an qualitativ hochwertige Lebensmittel zu kommen.

Bestes Beispiel, wie man alles clever unter einen Hut bekommt: Ein Mensch hat ein Fleckchen Erde, auf welchem er sein Gemüse pflanzt und seine Tiere grosszieht. Die Sonne, die auf dieses Fleckchen Erde scheint, sorgt dafür, dass das Gemüse prächtig wächst und dank der Fotovoltaikanlage auf  seinem Dach prächtig Energie liefert.

So macht das zum Beispiel der Landwirt auf seinem «Paradieshof» in meiner Nähe, der seit 40 Jahren(!) Biolandbau betreibt und mit seinem Solarstrom das dreihundertfache(!) seines Energiebedarfs generiert.

Wenn ich also direkt per Velo bei ihm einkaufen gehe (was ich viel zu selten mache, ich gebe es zu), dann ist der Kreislauf, die Welt und die Lebensmittelqualität so etwas von schwer in Ordnung.

Bei den Lebensmitteln lautet die Zauberformel für nachhaltige Herstellung und gute Qualität: «Regional, saisonal und handwerklich hergestellt». Bei der Energiegewinnung können wir einen ähnlichen Weg gehen: «Dezentral, erneuerbar und umweltfreundlich erzeugt.»

Zum Glück sind immer mehr Menschen überzeugt, dass nachhaltig produzierte Lebensmittel und Energie unser aller Leben und unsere Welt lebenswerter macht. Und sie reden nicht nur, sie tun auch was dafür.

Neulich haben mich solche Leute angefragt, ob ich nicht auch für sie schreiben möchte. Mach ich natürlich gerne!

Deshalb findet sich das Rezept dieser zarten Kürbisgnocchi in einem Beitrag auf dem neuen Blog von Entega.



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