Das gute Essen liegt so nah.

Wollschwein

Ja, es gibt jede Menge Lebensmittel, deren Produktion und Konsum problematisch sind. Jeden Tag lesen und hören wir, wie ungesund, unverträglich, unmoralisch und unfair einzelne Lebensmittel sind. Dabei ist es vor allem der Ton, der die Diskussion darüber mehr und mehr vergiftet. Wollten wir beim Essen keine Fehler mehr machen, müssten wir uns vermutlich nur noch von Luft und Liebe ernähren.

Kürzlich bat meine hochgeschätzte, österreichische Kollegin und Kochbuchautorin Katharina Seiser auf Facebook um etwas weniger Hysterie beim Thema Essen. Sie hat sich einen Namen gemacht in Sachen Saisonalität und ist eine verlässliche Instanz, wenn es um Bio, vernünftige Ernährung und nachhaltige Erzeugung von Lebensmittel geht.

Sie schrieb: «Könnte man bitte die Avocado im Dorf lassen? Jede Wurstsemmel, jedes Schnitzel, jede Topfengolatsche, jede Schoki ist bedenklicher in ökologischer, sozialer, Tierhaltungs-Hinsicht als eine spanische Bio-Avocado dann und wann zur Saison. Aber dafür müsste man eben differenzieren.»

Mein ironischer Kommentar dazu war: «Ist die mediale Halbwertzeit von Avocados nicht eh schon durch? Jetzt müssen wir dringend über plastikverseuchtes Fleur de Sel reden, weil sehr bös.» Natürlich macht es eine problematische Sache (was die Avocado vielfach ist) nicht weniger problematisch, weil andere Dinge noch problematischer sind. Aber Frau Seiser hat im Grunde recht. Die Orientierungslosigkeit ist gross und das Verteufeln von Produkten gerade sehr im Trend.

Hauptsache, eine Sau wird durchs mediale Dorf getrieben

Denn so ist es doch: Gefühlt jede Woche wird wieder eine Sau durchs mediale Dorf getrieben. Das Muster ist immer schwarz-weiss. Da hochproblematisch, hier supergesund. Und die Diskussionen darüber sehr anstrengend, weil hoch emotional, gering faktenbasiert und oft geführt von Fanatikern mit religiösem Eifer. Die einen sind verklärt und meinen, mit einem Foodtrend die Welt und sich selbst zu retten, die anderen hacken auf einzeln herausgepickten Lebensmitteln oder Konsumverhalten herum, als würde die Welt untergehen. Die Wahrheit und vor allem die Umsetzbarkeit in unserem Alltag liegt vermutlich irgendwo dazwischen. Wir sind alle gut beraten, einen Schritt zurückzutreten, das grosse Ganze zu anzuschauen und versuchen, im Kleinen Dinge zu verbessern.

Die eigene kleine Welt ein klein wenig besser machen

Wenig später rief mich eine weitere Kollegin und liebe Freundin an. Doris, die beste aller Foodstylistinnen. Marcel, der Kleinbauer neben ihr, hatte gerade wieder Wullsäuli geschlachtet. Ob ich jetzt nicht mal von dem aussergewöhnlichen Fleisch wolle? Den Tieren ging es prächtig, weil sie so viel Auslauf und bestes Futter hatten. Natürlich wollte ich. Denn so geht meine Vorstellung einer idealen Food-Welt: Jeder holt sich alles, was er braucht, direkt beim Erzeuger im nahen Umfeld. So strampelte ich sonntags eineinhalb Stunden mit dem Rennvelo zu seinem Schänzlihof in Himmelried hoch.

 Bottecchia Duello

Wir nahmen uns Zeit für einen Rundgang und sagten den Tieren hallo. Den acht zufriedenen Angus-Rindern, die das ganze Jahr auf der Weide verbringen und den ultra schönen und unheimlich wunderfitzigen Appenzeller Geissen mit ihrem listigen GT-Streifen im Gesicht.

Die Edelstücke vom Wullsäuli hatte er längst verkauft. Aus Bäggli und Bauch macht er Speck. Für mich blieben noch wenige Koteletts und Schulterbraten. Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich noch nie besseres Schweinefleisch hatte. Und es hat etwas in mir ausgelöst: Wenn Fleisch, möchte ich eigentlich kein anderes mehr, als solches, direkt vom Erzeuger.

Daraus mache ich keine Religion, aber wenn wir alle ein wenig mehr in diese Richtung denken und handeln würden, wären schon ganz viele Probleme zum Thema gelöst.

Und jetzt: Schulterscherzel vom Wollschwein zum Niederknien.

Wollschwein Schulterscherzel

Das Fleisch von freigehaltenen Wollschweinen ist tiefrot und intensiv geschmackvoll. Das Schulterscherzel ist mittig durchzogen mit einer gelatinösen Sehne. Langsam bei geringer Hitze geschmort wird es so schmelzig und zart, dass man es mit einer Gabel zerteilen kann.

Zutaten
1 kg Schulter vom Wollschwein, grob zerteilt
Olivenöl extra vergine
1 Stück Knollensellerie, geschält, grob geschnitten
2 Karotten, geschält, grob geschnitten
2 Schalotten, grob geschnitten
1 Knoblauchzehe
1 Lorbeerblatt
1 Esslöffel Tomatenmark
1 Teelöffel Puderzucker
100 ml Commandaria-Wein (oder Portwein
)
1 Flasche Rotwein
feines Meersalz
schwarzer Pfeffer aus der Mühle
1 kleines Bund glatte Petersilie, fein gehackt

Zubereitung
Fleisch in einem Schmortopf in wenig Olivenöl gut bräunen, salzen und pfeffern.
Fleisch herausnehmen, Sellerie, Karotten, Schalotten, Knoblauchzehe und Lorbeerblatt anrösten.
Tomatenmark dazugeben und mitrösten.
Mit Puderzucker bestäuben und karamellisieren.
Schluckweise mit dem Commandaria ablöschen und sirupartig einkochen. Dieser zypriotische Süsswein ist eine Entdeckung. Seine Wucht haut mich um. Alternativ kann man auch guten Portwein verwenden.
Rotwein angießen, Fleisch wieder in den Schmortopf geben, zugedeckt auf niedrigster Stufe drei Stunden schmoren.
Fleisch herausnehmen und warm stellen. Sauce durch ein Sieb passieren.
Schluckweise in ein Saucenpfännchen schöpfen und bei hoher Hitze sirupartig einkochen.
Mit Salz und Pfeffer abschmecken. Fleisch darin erwärmen.
Dazu passt Kartoffelstock oder ein feines Selleriepüree.
Und ein grosses Danke, dass man so etwas Edles verspeisen darf.

Wollschwein Schulterscherzel



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