Augen zu, Mund auf

Pongetti

Wieder einmal darf ich feststellen, dass es in den Restaurants Italiens ums Essen geht, nicht um die scheiss Inneneinrichtung.

Es ist sowieso ein Rästsel, wie dieses Land es schafft, weltweit erstklassiges Design zu exportieren (Autos, Möbel, Mode), selbst aber oft entweder im Kitsch ertrinkt oder aber in gleichgültiger Nachlässigkeit, die fast schon schmerzt, vor sich hin vegetiert.

Der Umkehrschluss bei der Suche nach einem passenden Ristorante ist also durchaus berechtigt: Aussen hui, Essen pfui.

Die wirklich guten Fresstempel sind meistens nicht auf Anhieb zu finden, oder sie sehen total unscheinbar aus.

Der beste Kompass, der den direkten Weg zu einer aussergewöhnlich ehrlichen und authentischen Küche weist, ist immer noch der Restaurantführer von Slow Food.

Einen treueren Begleiter für Italien kann ich mir nicht vorstellen. (Okay, den Gambero Rosso zur Not, aber auf gar keinen Fall den Michelin!).

Und noch etwas: Wenn ein Restaurant in Italien schreibt, dass es Essen von 12 bis 14 Uhr gibt, dann ist das ernst gemeint.

Jetzt, zum Beispiel, ist es 14 Uhr, und wir werden bedient, als wären wir Monica Bellucci in Begleitung von Robert De Niro.

Anderswo wird man schon um halb zwei vertrieben, als wäre man ein Strassenköter, der versucht an den Küchenabfall zu kommen.

Wir sind auf der Durchreise und finden an der Küste der Region Marken die Trattoria Pongetti, wo sich seit 1891 dieselbe Familie die Töpfe in die Hand gibt.

Eine Speisekarte gibts natürlich keine. Denn es gibt immer nur das, was das Meer oder die Laune der Köchin (83) gerade hergeben.

Dafür gibts einen freundlichen Kellner, der einen wie eine Sprechstundenhilfe empfängt, setzt und vorbereitet, bevor der Herr Doktor dann vorbeikommt.

Anschliessend kommt natürlich kein Dottore auf Visite, sondern die Hausherrin persönlich, um das Angebot der Küche mit der Nachfrage der Gäste abzustimmen.

Und sollte man gerade nur Appetit auf ein Radieschen und ein Glas Leitungswasser haben, ich wette, es würde mit derselben Selbstverständlichkeit serviert, wie ein Zwölfgänger.

Heute haben wir Lust auf ein paar überraschende Vorspeisen (Antipasto Degustazione) und etwas Pasta alla Marinara.

In der Folge kommen wir zu einem kalten Teller mit: Insalata di Mare (Polpo, Karotten, Sellerie), Canocchie-Krebsen, Scampi, sautierten Sardellen und gedämpften Lachs.

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Danach folgen kleine Schalen (warm) mit Venusmuscheln, Miesmuscheln und Raguse (Meerschnecken an einem kräftigen Tomatensugo).

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Die Spaghetti alle Vongole sind mit Zucchini und die hausgemachten Taglierini alla Marinara mit Polpo, Vongole, Crevetten und Scampi.

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Einen Tag später und gut 200 km weiter landen wir in der Trattoria Pennesi, ebenfalls am Meer, und bestellen fast dasselbe.

Auch hier lässt die Qualität der Einrichtung in keinster Weise (zum Glück) Rückschlüsse auf die Qualität der Speisen zu.

Im Speisesaal läuft – auch dies eine nicht nachvollziehbare italienische Unsitte – der Fernseher.

Wir ziehen deshalb einen Tisch im Wintergarten vor. Aber auch hier gibt es leider wenig, was das Auge erfreuen würde.

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Ausserdem plärrt aus einem einsamen Lautsprecher konstant der aktuelle Verkehrsfunk gefolgt von nicht mehr ganz so aktuellen Schlagern.

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Aber wiederum ist der Service warm und familiär. Das Essen ist der Renner und die Gäste machen die eigentliche Stimmung aus.

Hier wird herzhaft gespiesen. Es werden laufend Platten und Schüsseln aufgetragen, als ob sich die Gäste mit den Gängen überbieten müssten.

Dazu wird eifrig diskutiert, gestikuliert und gebechert. Das animiert: Keiner piekst affektiert oder gelangweilt an seinem Essen rum.

Wir machen mit und erfreuen uns zuerst an den kalten Antipasti: Scampi, Carpaccio vom Schwertfisch, Insalata di Mare, Sardellen in Essig.

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Gefolgt von den warmen Vorspeisen: Cannoricchio (lange, gratinierte Muschel), Parmiggiana del Mare, Tartina al Salmone, grillierte Sardellen und eine Schale mit Miesmuscheln an einem leichten Tomatensugo.

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Mit der Pasta – Pippe rigate an einem Sugo mit Seeteufel und Spaghetti alla Chitarra con Gamberi e Scampi – ist unser kleines Mittagshüngerchen bestens gestillt.

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Die anderen Gäste lassen sich derweil unbeirrt (es ist bereits 15 Uhr 15) gegrillte Seezungen, Fritti misti und haufenweise Desserts auftragen.

Schliesslich ist man ja hier, um zu essen, was denn sonst?


6 Kommentare zu Augen zu, Mund auf

  1. Jan Theofel am 14. Oktober 2007 at 10:03:

    Der Tipp mit dem Restaurantführer von Slow Food ist mir neu. Ich bin zwar auch Mitglied, kann mich aber nicht daran erinnern einen Restaurantführer erhalten zu haben. Muss man den extra bestellen?

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  2. Claudio am 14. Oktober 2007 at 11:43:

    Hi, Jan, gratuliere dir zum Jurypreis!

    Den Slow Food-Guide gibts sogar auf Deutsch bei Amazon.

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  3. Matthias Metze am 15. Oktober 2007 at 08:44:

    Der Zusammenhang zwischen Design und Qualität in Italien ist wirklich interessant. Vor zwei Wochen war es mit vergönnt, in einem Zwei-Sterne-Restaurant in der Nähe von Mantova (Ristorante Ambasciata in Quistelli, http://www.ristoranteambasciata.it/) zu speisen – so etwas hatte ich noch nicht gesehen!

    Von außen so unscheinbar, dass wir zweimal dran vorbei fuhren, innen nur üppig, geradezu barock, fast ein bisschen messy – hier gabe ich Fotos auf Flickr: http://www.flickr.com/photos/matthiasmetze/sets/72157602317643449/ Und das Essen? regional, deftig, und unvergleichlich!

    Wenn du also Zeit hast (und auch etwas Geld mitbringen kannst), und auf der Rückreise durch Mantova kommst: das ist mein Tipp (und unser Lunch dort dazerte denn auch von 12 – 17 Uhr…)!

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  4. Jürg am 15. Oktober 2007 at 15:47:

    Claudio, bitte bitte mehr vo de Ferie!! Bring die Peschg-Stories, sigg so guet!

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  5. Jan Theofel am 16. Oktober 2007 at 23:08:

    Danke für die Glückwünsche. Den Führer werde ich mir bestellen wenn ich mal wieder Urlaub habe. Schade, dass es den nur für Italien zu geben scheint. Zumindest Amazon listet ihn nur für Italien wenn man nach dem Autor sucht.

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  6. Anonyme Köche » Archiv » Vom Marken-Kult umschlossen am 18. November 2007 at 23:03:

    […] abends darf man dann von den lieblichen Hügeln hinab zum Meer pilgern und sich zum Beispiel bei Pongetti ob der unaufgeregten und höchst authentischen Küche […]

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