Reine Geschmacksfragen

Illustration

Ich würde nicht behaupten, der Geschmack von Co-Autor Patrick sei über jeden Zweifel erhaben, aber ohne jeden Zweifel ist er ein Mann des guten Geschmacks. Wie viele können das schon von sich behaupten?

Nun ist er ins Schwabenländle gezogen. Des isch a glois bissle draurig. Ich freu mich aber für ihn. Noch mehr Freude kommt auf, wenn er dann jeweils Koteletts aus der Macelleria Italiana Caprano in Stuttgart mitbringt.

Beim Ausmisten seiner Wohnung hat er etwas Kurioses gefunden. Später hat er mir die Pappschachtel, garniert mit einer seiner stilvollen Illus (links), und den Worten: «Ich weiss nicht, ob es etwas ist» überlassen. Im Innern fand sich eine weitere, für meine Begriffe geschmacklose, Illustration (rechts) auf dem Packpapier. Natürlich nicht von Patrick.

Darunter enthüllte sich das Werk «Le Nez du Vin», das Coop Schweiz 1989 als besonders edles Geschenk unter Kunden und Lieferanten brachte.

le nez du vin

Garniert war das Präsent ausserdem mit weiteren Abdrucken der mediokren Illustration auf Papier und einer weissen Leinenserviette (für was auch immer, Einstecktuch? Flaschenmanschette? Telefonkommodendeckchen?).

coop

«Oh!», dachte ich spontan, «endlich kann ich in der hohen Schule der Weinkunde schnuppern und fortan hochnäsige Sommeliers oder unkundiges Weingeplapper mit burgunderschwerem Fachwissen ertränken!»

Oder besser noch, wie Sean Connery, in Diamantenfieber, zwei üble Schurken entlarven: «Der Wein, Sir! ‹Mouton Rothschild›, 55er.» «Dürfen wir beginnen?» «Ich bitte darum.» «Ein vorzüglicher Tropfen!» «Das werd ich erst probieren … riecht ziemlich kräftig … nicht der Korken … ihr After Shave! Zu süss und zu schwul! Mmh, aber der Wein ist exzellent. Obgleich ich für so ein opulentes Mal eigentlich einen ‹Claret› erwartet hätte.» „Freilich … bedauerlicherweise verfügte unser Keller nicht mehr über einen ‹Claret›…!» «‹Mouton Rothschild› ist ein ‹Claret›, Verehrtester! Ihr After Shave habe ich schon mal irgendwo gerochen und beide Male sah ich eine Ratte!»

Leider ist das mit dem Schnuppern im Nez du Vin wörtlich gemeint: Es ist sogar das Geheimkonzept, das diese Buchattrappe in sich birgt – so etwas konnte ich ja nicht riechen!

Flacon

Leider auch, dass die Geruchsessenzen schon über den Jordan sind. Was nicht heisst, dass sie sich einfach verflüchtigt haben, sondern, im Gegenteil, einem ganz gemein beissende Ausdünstungen in die Nasenhöhle jagen.

Eine kurze Internet-Recherche ergibt, dass die einzig lobenden Worte für diese Flakonbatterie ausschliesslich auf (nicht wenigen!) Seiten zu finden sind, die diesen Geruchskasten zum Verkauf anbieten.

Ich frage mich daher (aber nicht ernsthaft), ob dieses Ding eine ernst zu nehmende Hilfe ist. (Weinblogger, ihr seid gefragt!)

Vermutlich ist es wie vieles andere auch, reine Geschmacksache, so wie viele weitere unbeantwortete Geschmacksfragen:

War es das Antibiotikum Ciproxin, das mir für über ein Jahr komplett den Geruchs- und Geschmacksinn raubte, oder waren es doch Viren, die meine Geschmacksnerven abtöteten?

Ist der grösste Feind des guten Geschmacks wirklich zuviel Geld?

Warum sind die verbittertsten Geschmacksverteidiger Menschen mit abgrundtief schlechtem Geschmack?

Schmeckt teurer wirklich besser?

Ist guter Geschmack eine Frage der Herkunft? der Kultur? der Erziehung?

Lohnt es sich wirklich nicht, über Geschmack zu disputieren? Und falls nein, wer soll nachgeben?

Warnung


8 Kommentare zu Reine Geschmacksfragen

  1. Mike Seeger am 25. Januar 2008 at 10:37:

    In Wädenswil kann man eine Sensoriklizens für Olivenöl erwerben. Während dieser „Ausbildung“ wird ebenfalls mit diversen Essenzen gearbeitet, um Gerüche wie weinig, schlammig, metallisch etc. im Gehirn als Fehlaromen abzuspeichern. Vom logischen Standpunkt aus betrachtet, finde ich es eine gute Methode. Wie sich die in der Praxis bewährt, kann ich nicht sagen. Die beim jährlichen Olive Oil Award in Wädenswil ausgezeichneten Öle würden teilweise an anderer Stelle nicht mal als Extra Nativ durchgehen. Alles also eher subjektiv. Eine kleine „Geruchshilfe/schule“ sind solche Essenzen aber wohl.

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  2. fressack am 25. Januar 2008 at 11:42:

    Dieser Kasten hat mir vor einigen Jahren in Zusammenarbeit mit einem Sommelier sehr geholfen. das war allerdings der grosse, mit ca. 100 Essenzen. Ich nehme an, die in Deinem sind einfach zu alt uns haben sich zersetzt oder verändert.
    Da hilft nur fleissig weitertrinken und Schnuppern an echten Weinen.

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  3. Claudio am 25. Januar 2008 at 12:34:

    Die Frage ist doch vielmehr: Verbessert Geschmackstraining automatisch den Sinn für Geschmack. Oder sind das dann einfach gut traniertere, aber immer noch geschmacklose Menschen. Ihr wisst, was ich meine.

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  4. Mike Seeger am 25. Januar 2008 at 14:37:

    Nein, Geschmackstraining verbessert nicht den Sinn für den Geschmack, aber den Geschmackssinn. Der Geschmackssinn wird sensibilisiert für verschiedene Geschmacksvarianten/-nuancen oder Geschmäcker. Einen guten Geschmack bekommt man nur in Maßen (wobei ja in der Schweiz Maßen und Massen gleich geschrieben werden aber trotzdem unterschiedliche Bedeutungen haben; woher wisst Ihr, was gemeint ist?). Also letztlich gut trainierte Geschmacklose. Wobei dann die meisten „Lose“ Nieten sind, wie Du vermutest.
    Die könnten dann Kork in einem Claret schmecken, tränken den aber am liebsten mit Cola.

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  5. Boris Zatko am 25. Januar 2008 at 17:18:

    Wie peinlich ist es einem, zuzugeben, man hat keinen Geschmack, wie mir zum Beispiel bei Konfektion oder Velos. Das ist doch in unseren Breitengraden, wo nur noch ausschließlich der Kommerz herrscht, das große Tabu. „Hast du gespendet?“, „Nö!“, „Hast du für den Weltfrieden eine Kerze angezündet?“, „Nö!“, „Hast du dem armen Rentner geholfen, der gerade verprügelt worden ist?“, „Nö!“. Allesamt selbstbewusste Verneinungen. Fragt man aber, ob man sich mit Wein, Speise und Couture auskennt, dann kommt das „Nö!“ eher selten vor, denn man kann sich sicher sein, dass dann hinter vorgehaltener Hand über einen gelästert wird. Lieber gibt man an mit dem Wenigen, das man von solchen Kistchen wie der obigen mitbekommt. Habe ich leider schon viel zu oft beobachtet.

    Viele liebe Grüße

    Boris

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  6. Claudio am 25. Januar 2008 at 21:00:

    *** Breaking News ***

    München (AP) Für den beleibten Kabarettisten und TV-Star Ottfried Fischer ist «lecker» das «größte Unwort der letzten fünf Jahre», wie er in einem Interview der Münchner «Abendzeitung» sagte.

    Seht ihr, das hätte ich dem Dicken jetzt nicht zugetraut: Der hat doch Geschmack!
    Auch für die anonymen Köche ist dieses Wort widerwärtig.
    Es gibt 100 geschmackvollere Worte.

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  7. tom am 31. Januar 2008 at 23:47:

    Der Geniesser hält sich doch an den richtigen Wein. Ob er ihn nun mit 723 Aromen beschreiben kann (viel davon ohnedies höchst subjektiv, man vergleiche verscheidene Weinbeschriebe „hochangesehener“ Quellen) oder nur geniesst – jeder nach seinem Geschmack; hauptsache es macht Spass.

    Diese Weingeruchssets riechen für mich alle durchgängig höchst künstlich. So riecht keine Zitrone, wie sie im Set riechen soll, dass sind Plastik-Kunstzitronen 😉

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  8. Schreiberswein | Weinrallye #8 Warm-up! am 21. April 2009 at 10:32:

    […] eine Frage des guten Geschmacks? Diese Frage wird auch bei den Anonymen Köchen momentan umfassend diskutiert. Mein Lieblingszitat zum Thema stammt von Stanislas Jean de Boufflers […]

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