Carmen sibi intus canit.

Ein Römischer Klassiker in Altrosa: Tonnarelli al vino rosso.

Als Abruzzeser schlägt mein Herz für Spaghetti alla chitarra. Ich habe darüber schon manches Lied gespielt. Hier zum Beispiel. Die nahen Verwandten aus der Region Lazio heissen Tonnarelli, ist im Grunde aber die gleiche Pasta.

Der Teig wird nur mit Wasser und Hartweizengriess hergestellt. Moment, Wasser? Was, wenn man das Wasser mit Rotwein ersetzen würde? Dann werden es besonders aromatische Tonnarelli in einem leicht antik anmutenden Farbton.

Und welche Sauce passt am besten dazu? Ich habe mich für das Flaggschiff aller römischen Pastasaucen entschieden: Cacio e Pepe. Italiener morden für eine gute Cacio e Pepe. Sie morden übrigens auch, wenn jemand diese Sauce verbockt oder verschlimmbessert. Zu Recht!

Eine Küchenweisheit, die alle grossen Küchenchefs und guten Köche kennen: Je weniger Zutaten verwendet werden, desto wichtiger ist deren Qualität. Ich würde noch gerne hinzufügen: Und umso wichtiger ist es, sie gekonnt zu vereinen.

Cacio e pepe ist ein Klassiker der römischen Küche. Erstaunlich wenig Zutaten – zwei um genau zu sein – enorm kraftvoller Geschmack. Es ist eigentlich Pasta all’amatriciana minus Tomatensauce und Guanciale, Carbonara minus Eier und Guanciale oder Gricia minus Guanciale. Diese vier Gerichte der römischen Tradition sind eng miteinander verwandt.

Essenziell sind die wenigen Handgriffe, die wirklich sitzen müssen, sonst ruiniert man das Gericht. 1. Die Pasta muss handgemacht sein und Biss haben. 2. Erst die Zugabe der richtigen Menge Pastawasser überzieht die Pasta mit dem seidigen Schmelz, es ist nicht wirklich eine Sauce, nur geschmolzener Käse, gemischt mit Pastawasser. 3. Der Käse darf nicht erhitzt werden, wenn man die Pasta in der Pfanne daruntermischt, sonst verklumpt er, und das Pastawasser scheidet.

Zutaten
400 g bestes Hartweizengriess (das von der Altbachmühle finde ich sensationell)
180 g kräftiger Rotwein
Bester Pecorino Romano
Bester schwarzer Pfeffer, von Hand gemörsert

Mehl und Rotwein zu einem homogenen, seidig-glatten Teig kneten. 15 Minuten ruhen lassen.
4 mm dick ausrollen. Mit der Chitarra zu Tonnarelli schneiden.
Im siedenden Salzwasser 1 bis 2 Minuten bissfest kochen.
1 Tasse vom Pastawasser in eine kalte Schwekpfanne geben, 4 EL Pecorino darin schmelzen.
Tonnarelli dazugeben und bei mittlerer Hitze durchschwenken, bis die Sauce daran haften bleibt.
Je nachdem mehr Pastawasser oder mehr Pecorino dazugeben.
Kräftig pfeffern.

Zum Anrichten, Pecorino und Pfeffer in Teller streuen. Pasta in Teller verteilen. Weiteren Pecorino und Pfeffer dazu reichen.

So simpel. So monumental.
Buon appetito!

Der Ausspruch von Cicero, carmen sibi intus canit, bedeutet übrigens so viel wie Er singt sich sein Loblied selber vor.
Ich bin sicher, meine süssen Klänge treffen auf manche offene Ohren und ich freue mich auf das Loblieb weiterer Epikureer.


Meine Carbonara macht Schule.

Rigatoni Carbonara

Mein Sohn lernt in der Schule viele wertvolle Dinge. Zum Beispiel: Wie gut die Carbonara von seinem Papa schmeckt.

Das Schulfach Hauswirtschaft – bis gestern war es mit meinen Vorurteilen behaftet. Ich dachte, Lehrstoff und Lehrpersonen wären ebenso vorgestrig wie spassbefreit. Aber ich wurde eines Besseren belehrt.

Die Lehrerin von meinem Sohn ist äusserst aufgeschlossen. Sie hat sich das Rezept für Carbonara aus meinem Buch Ein Sommer wie damals rausgesucht und es die Schüler zubereiten lassen.

Grazie mille! Jetzt isst mein Sohn endlich meine Carbonara! Daheim hatte er sie verschmäht. Dieses Phänomen dürfte vielen Eltern bekannt sein: Es gibt Gerichte, die finden die eigenen Kinder zuhause bäh, auswärts yeah!

Ich fordere: Hauswirtschaft muss ein Pflichtfach werden! Es führt im besten Fall zu Horizonterweiterung, kulinarischer Kompetenz, Geschmacksbildung und in meinem Fall sogar zu – Abbau von Vorurteilen.

200 Gramm Guanciale in 1 cm breite, 2 cm lange Streifen schneiden und bei mittlerer Hitze in einer Bratpfanne ohne Fettzugabe langsam knusprig braten.

Das Fett wird zuerst glasig, dann verflüssigt es sich nach und nach. Darauf achten, dass noch genügend Fett am Fleisch bleibt, dann stimmt die Balance zwischen knusprig und saftig-weich.

Knoblauchzehe andrücken und mitrösten. Danach entfernen.

1 ganzes Ei und 3 Eigelb in einer kleinen Schüssel verquirlen. 50 Gramm geriebenen Pecorino romano (wers lieber mag, Parmesan) daruntermischen. Mit viel schwarzem Pfeffer würzen, zur Seite stellen.

Pasta in siedendem Salzwasser bissfest kochen. Spaghetti oder Rigatoni sind die beiden legitimen Klassiker für dieses Gericht.

Die knusprig gebratenen Guanciale-Streifen aus der Pfanne nehmen und beiseite stellen. Das Fett durch ein Sieb auffangen, auskühlen lassen und dann das hier damit machen.

Pasta abgiessen, dabei 100 ml Pastawasser auffangen. Röststoffe im Pfannenboden damit lösen, abgetropfte Pasta mit in die Pfanne geben und bei starker Hitze kurz durchschwenken, damit die Stärke bindet.

Pfanne vom Herd ziehen. Die Hälfte der Guanciale-Streifen und die Eier-Käse-Mischung darüber giessen. Energisch mischen (die Eier sollen cremig bleiben und nicht stocken). Der entscheidende Tipp dabei: Ist die Sauce zu dünn, Pfanne wieder auf den Herd setzen und bei niedriger Hitzen geduldig weiter rühren. Ist sie zu dick, einfach mit einem Schluck Wasser strecken.

Pasta in Teller verteilen und mit den restlichen Guanciale-Streifen garnieren. Käse zum Bestreuen dazu reichen.

Rigatoni Carbonara


Cappelletti Spinaci Fave

Man sollte nie unterschätzen, was man alles drauf hat, wenn man sich selbst nicht im Weg steht. Und: Improvisationskunst beim Kochen ist sehr, sehr befriedigend.

Nehmen wir als Beispiel die kausale Verkettung der heutigen Küchenarbeiten.
Nachdem ich diese schöne Tarte aux myrtilles meringuée bewerkstelligt hatte,

Tarte aux myrtilles

(nach genau diesem Rezept, mit Ausnahme des Rhabarbers, den man einfach mit 500 g Blaubeeren ersetzt), ergab es sich, dass ich sieben Eigelb übrig hatte. Also tat ich, was man in Italien schon seit Generationen in so einem Fall tut: Man konserviert die Eigelbe in Form von frisch gemachter Pasta.

Ohne weitere Gedanken daran, was wann aus dieser Pasta werden sollte, habe ich sie geknetet, in Folie gewickelt und einfach mal als Vorrat im Kühlschrank geparkt.

Stunden später machte sich schüchterner Appetit bemerkbar. Auf die Frage, ob sich bei ihm auch schon ein gewisser Appetit gemeldet hätte, antwortete mein älterer Sohn, ja, gewissermassen schon. Er sei aber noch unschlüssig, ob er noch zuhause essen oder aufbrechen und das Wochenende mit Freunden entkorken wolle. Was es denn gäbe.

Nun, ich habe frische Pasta gemacht, sagte ich, aber noch keine Idee, für welches Gericht. Es hat jungen Spinat, aber keine Ricotta. Frische Favabohnen. Aber keine Salsiccia. Aber ich möchte eigentlich gefüllte Pasta. Hm. Aber womit gefüllt?

Es gibt noch Reste vom Kartoffelsalat. Aber das ist wohl keine gute Idee. Oh! Warf mein Sohn ein. Es hat doch noch Polpette vom Mittag, taugen die als Füllung? Und wie, lenkte ich begeistert ein: Wir essen in 15 Minuten!

Der Teig ist schnell ausgerollt und mit einem Glas in Rondellen gestochen.

Um hübsche Cappelletti (mittelalterliche Hütchen) zu formen, belegt man sie mit einem Stückchen einer Polpetta (von kalten, gebratene Frikadellen bricht man einfach ein Stückchen ab; sie schmeckt herrlich würzig und hat die perfekte Konsistenz), drückt sie zum Halbmond zusammen und verschliesst die Enden, wobei man den Rand wie eine Hutkrempe hochstellt.

Cappelletti

Die Fave werden gepult, 5 Minuten blanchiert, abgeschreckt und dann geschält.

Den Spinat gibt man in eine Pfanne, in der zuvor Schalotten in Butter angeschwitzt wurden. Man lässt die Blätter nur eben in sich zusammenfallen, salzt und wendet sie und wenn sie vom kräftigen Grün in dieses ozeanisch tiefe Grün welken sind sie auch schon fertig zum Anrichten.

Bis es soweit ist, hält man sie in der Pfanne warm. Zusammen mit den geschälten Fave. Nachdem die Capelletti in Salzwasser gargezogen sind schöpft man sie in eine Schwenkpfanne mit Butter, gibt ein paar Löffel Pastawasser dazu und schaut zufrieden zu, wie sich langsam eine buttrige Emulsion um sie schmiegt.

Wer, so wie ich, noch etwas notvorrätige Demiglace im Tiefkühlfach hat, wärmt davon zwei Esslöffel, weil das gibt dem Ganzen noch eine grotesk spitzengastronomische Dimension.

Spinat und Fave auf dem Teller verteilen, Capelletti darauf setzen, mit der Butteremulsion nappieren. Etwas Demiglace auf dem Teller verteilen und – das ist eine extrem reizvolle Ergänzung – ein paar Späne Pecorino Fiore Sardo.

Zu recht fragt mein Sohn: «Wenn ein Pastagericht wie dieses so schnell zubereitet ist und so unverschämt gut schmeckt, warum servieren sie dann im Restaurant immer so langweilige Pastagerichte?»

Zu recht.


Das Brot ist voll

Endlich wieder einmal altes Brot: Ein Grund zur Freude!

Wer sein altes Brot verschämt und (zu Recht) mit schlechtem Gewissen schmeissen will – bitte. Ich ziehe es vor, damit etwas brachial Einfaches und gleichzeitig brutal Ergötzliches daraus zu machen.

Pane cotto oder dialektisch Pan‘ cott‘ – gekochtes Brot – gibt es in Italien in vielen regional unterschiedlichen Varianten. Gemeinsam ist ihnen, altbackenes Brot einzuweichen oder aufzukochen und als rustikale Mahlzeit zu servieren.

Die Toskaner zum Beispiel machen daraus eine Pappa, einen bestimmt wohlschmeckenden, leider aber auch etwas unansehnlichen Brei.

Bei uns in den Abruzzen ziehen wir es vor, dass sich das harte Brot in einem Gemüsesud volllaufen lässt, aber die Form trotzdem noch behält.

Einmal mehr erstaunt, wie viel Geschmack (und Glück) mit so wenig Zutaten herauszuholen sind. Es braucht nebst altem, harten Brot (kann weiss oder dunkel sein, aber gut muss es sein) nur vier Zutaten: Olivenöl, Knoblauch, Peproncino und Broccoletti auch bekannt als Cime di Rapa.

Ich habe ja bereits über die Askese italienischer Abendbrote geschrieben. Das hier reiht sich bestens in diese Nische.

Brot grob stückeln. Cima di rapa waschen und grob zerkleinern. In einer Pfanne Olivenöl erwärmen und einzig mit Knoblauch und Peperoncino bei sanfter Hitze aromatisieren.

Beim Peperoncino habe ich übrigens auf eine Probe von Josefina Petrus’ Chili zurückgegriffen. Diese Verrückte hat es sich zum Ziel gemacht, den bestmöglichen Chili aufzuspüren und zu vertreiben. Passt mir.

Cime di rapa dazugeben. Knapp mit Wasser bedecken und zugedeckt gute 15 Minuten köcheln. Salzen, pfeffern.

Brotbrocken in die Pfanne legen und leicht andrücken, damit sie sich vollsaugen. Alles in einen Teller kippen und reichlich Olivenöl darüber träufeln.

Wer mag, kann das einfache Glück noch mit einem würzigen Pecorino ausbauen.

Den süditalienischen Rotwein bechert man am besten aus Zahnputzgläsern, die man bis zum Rand füllt (mit einem Zitronenschnitz garniert) und in jeweils einem Zug leert. Das ist sehr gesund und wärmt die Seele.

Salute!


Rauchzeichen am Pastahimmel

Sonny boy Cemal Cattaneo hat mir wieder einmal eine köstliche Probe seines flammenden Pastaschaffens zukommen lassen.

Eine Auferstehung apulischer Tradition gar: Pasta aus feuergeröstetem Weizen von PPURA.

Beim ersten Schnuppern über dem brodelnden Pastatopf macht sich der Duft von Borlottibohnen breit. Sofort denke ich an Past’ e Fagioli  und an die Kombination Knoblauch, Sellerie und Salbei.

Bei der ersten Verkostung schmecke ich sodann rauchige Noten (hallo torfigen Malt Whiskey-Trinker, aufhorchen!), Kakao-, Nuss- und Röstaromen.

Der Biss ist angenehm – eine reiche Pasta. Und auch reichhaltig. Es wird schwierig, nicht an Vollkornpasta zu denken beim kauen. Aber: Es ist keine Vollkornpasta. Die dunkle Farbe ist ebenfalls gewöhnungsbedürftig und eine echte Herausforderung an den Koch, optisch etwas Einladendes daraus zu machen.

Freudig mache ich mich daran, für die drei Sorten Ballerine, Elichette und Fettuccine passende Rezepte auszutüfteln:

1. Ballerine all Aglio e Pecorino

Für die schönen Ballerine (Tänzerinnen) – also ihre verdrehten Beinchen, bleibe ich bei der ersten Assoziation. Deshalb wandert eine ganze Knoblauchknolle (pro Person!) in den Backofen, bis sie eine schöne Farbe hat und innen cremig weich und süsslich mild wird.

Für die Sauce eine Kartoffel und ein Stück Knollensellerie weich kochen und pürieren. In einer Kasserolle Olivenöl erhitzen, mit Peperoncino und Salbei aromatisieren. Unter das Püree ziehen.

Pasta al dente kochen und abseihen. Mit dem Püree mischen. Knoblauchzehen vorsichtig aus der im Ofen geschmorten Knolle lösen, Teller damit ausgarnieren. Grosszügig Salbeiblätter, würzigen Pecorino und Olivenöl darüber geben.

Ich verspreche euch: So eine Pasta habt ihr noch nie gegessen!

2. Elichette alla crudaiola con ricotta

Die Elichette habe ich mit einer Criudaiola begleitet. Alla crudaiola werden Pastasaucen genannt, die kalt mit rohen Zutaten (vorwiegend Gemüse) zubereitet werden.

Um den rauchigen Geschmack der Pasta aufzufangen eignet sich Ricotta übrigens hervorragend (und vermutlich auch andere Käsesaucen).

Zuerst Peperoni, getrocknete Tomaten, frische Datterinitomaten, Oliven und Kapern kleinwürfeln. Weitere Gemüsekombinationen nach eigenem Gusto sind durchaus denkbar.

Dazu ein paar zerdrückte Knoblauchzehen, viel frische Minze (wie sie in Apulien, wo die Pasta herkommt, gerne verwendet wird) und mit reichlich gutem Olivenöl vermengen.

Die frische Ricotta locker aufschlagen und mit Peperoncino würzen. Die abgeseihte Pasta mit der Ricotta vermengen, bis jede der Elichette schön damit überzogen ist.

Auf einem Teller anrichten und die Crudaiola darüber geben.

Rauchig-cremig und knackig-frisch – auch diese Pasta ein gänzlich neuer Genuss.

3. Fettuccine all ragù bianco di Castrato

Fettuccine schreien für mich nach Ragù, also einer Fleischsauce. Wegen der Farbe der Pasta habe ich aber auf Tomaten verzichtet und mich für die weisse Variante ragù bianco entschieden.

Lamm hat einen festen Platz auf der Speisekarte Apuliens. Wers kräftiger mag, greift zu Castrato, also Hammelfleisch.

Dieses, zum Beispiel aus der Schulter, mit dem Messer fein schneiden. Durch den Wolf würde ich es nicht drehen, weil wir dem Ragù noch eine schöne Salsiccia beimischen. Und die soll sich im Biss und optisch vom Lamm unterscheiden.

In einer Kasserolle Olivenöl erhitzen und klassisches Röstgemüse aus Karotten, Stangensellerie und Zwiebeln rösten. Beiseite stellen. In derselben Pfanne zuerst die aus dem Darm befreite Salsiccia rösten, dann das kleingeschnittene Lammfleisch.

Mit einem guten Schluck Weisswein deglacieren. Röstgemüse dazugeben und alles mit einem hausgemachten Fond bedecken. Leise etwa eine Stunde köcheln lassen. Vor dem Servieren abschmecken und viel frische Minze dazugeben. Wem das zu exotisch ist, kann auch auf Petersilie ausweichen.

Alles mit den bissfest gekochten Fettuccine vermengen und ausnahmsweise einmal ohne Käse darüber geniessen. Wow, dieses Ragù ist einfach eine Wucht!

Die feuergeröstete Pasta ist ein spannende Sache und die Wiederbelebung einer apulischen Tradition eine feiner Zug. Ich muss jedoch gestehen, dass dies keine Pasta für jeden Tag oder jedermann ist. Meiner Frau zum Beispiel muss ich damit nicht mehr kommen!

Also eher etwas für qualmende, whiskeytrinkende Männer? Probiert es selbst.

Übrigens: Wer mehr über Apuliens Seiten, Sitten und Speisen erfahren möchte, dem sei dieses schöne Buch von Kollege und Apulienhistoriker Stephan Winkler empfohlen.



Handcrafted by kubus media.