Dreamcatcher

Da Maria 1

Gefangen. Das Traumbild verheddert in einem spinnwebenartigen Geflecht aus Darmschnur. In einem dieser reifenförmigen, federbehangenen indianischen Traumfänger, die hier herumbaumeln.

Da Maria 13

Heilige Algengrütze, was hat dieser nordamerikanische Firlefanz eigentlich in einer italienischen Fisch-Trattoria verloren?

Da Maria 11

Ich war mir noch nie ganz sicher, was es mit diesen Dingern auf sich hat. Oder was sie genau fangen sollen – ausser Staub natürlich. Aber hier, neben bedrohlich esoterisch angehauchten Bildern, shintoistisch inspirierten Mini-Schreinen und viel Muranoglas, tragen sie einfach zur surrealen Gesamtstimmung bei. Vielleicht habe ich aber auch einfach eine Scheiss-Aura.

Da Maria 2

Letztes Jahr noch war mein Traum frei, ungebunden – und hoffnungsvoll. Und meine Sehnsucht gross, einmal hierher zu kommen, wo Fisch kompromisslos ehrlich zubereitet wird. Ich wollte unbedingt in diesem Slow Food-Mythos Namens «Da Maria» essen gehen.

Da Maria 4

Jetzt hat es sich ausgeträumt. Aufwachen ist immer etwas verwirrend. Manchmal tut es auch ein bisschen weh. Es ist nicht so, dass etwas Schlimmes passiert wäre. Das Essen – und deshalb sind wir ja hier – ist wirklich überdurchschnittlich gut.

Da Maria 3

Beeindruckend kompromisslos. Aber das Erlebnis entspricht trotzdem in keiner Weise der Vorstellung, die ich hatte.

Ich habe nichts gegen romantische Restaurant-Schilderungen. Gerade einfache italienische Lokale vertragen recht gut eine üppige Portion Schwärmerei. Über die Simplizität der Rezepte, der Einrichtung und der ansteckend familiären Stimmung. Aber man muss auch mal geradeaus sagen können, wenn ein Etablissement schräg rüberkommt. Nicht dramatisch. Aber auch nicht einfach nur kurios. Mehr so ein bisschen LSD.

Da Maria 10

Das fängt schon beim Reservieren an: «Zum Essen? Ah, ja? Bei uns? Ei-ei-ei! Aber wann? Schon morgen! Uuh, weiss nicht. Domenica, da will jemand zum Essen kommen. Ja, wirklich. Schon morgen! Wer sind Sie, haben Sie gesagt? Und wie viele Personen? Wie? Oh, Dio, nein. Puh, Mittwoch? Ginge das für Sie? Aber Sie müssen mich vorher anrufen. Ich halte Ihnen einen Tisch frei. Aber rufen Sie mich bitte am Mittwochmorgen an. Wir müssen das am Mittwoch klären, ja? Ich weiss ja nicht, was gefangen wird. Ob der Fisch dann für alle reicht. Also, wir hören uns!»

Die meinen das also tatsächlich ernst. Ich liebe das. Die Vorstellung, dass man nicht aus einer Speisekarte wählt. Sondern zu essen bekommt, was da ist. Als ob man bei jemandem zuhause eingeladen wäre. Was uns wohl erwartet? Eine Mischung aus Vorfreude und dem Gefühl, einen üblen Fehler zu begehen, macht sich breit.

Das Lokal zu finden war nicht leicht. Ich hätte eigentlich wissen müssen, dass der Eingang geradezu lächerlich unscheinbar ist, nach dieser Beschreibung. Aber unser Navy-System spinnt völlig und irrt mehrmals am Ziel vorbei. Vermutlich wird das TomTom-Chakra von den esoterischen Interferenzen fehlgeleitet, die aus der Trattoria strömen.

Dass uns Sekunden bevor wir (verspätet, aber telefonisch avisiert) eintreten, eine Gruppe unseren (den letzten) Tisch im Garten wegschnappt, erheitert die Stimmung auch nicht gerade. Maria und Domenica sind ausser sich.

Und vor allem ausser Stande, die Sache zu berichtigen. Wir hatten eine Reservierung, die nicht. Aber da kann man nichts machen – Schicksal! Das böse Werk einer höheren Macht. Murphy!

Dafür müssen wir bei der Hitze als einzige im Innern hocken und uns bei jedem Auftauchen von Maria oder Domenica anhören, wie untröstlich sie sind und wie ungerecht doch alles ist. Andererseits, der Innenhof ist optisch anstrengend: Die Leute, die Energiesparlampen, die Dekoration. Eigentlich haben wir es drinnen viel, viel besser!

Da Maria 5

Und auch die beiden Frauen, die übrigens wirklich göttlich kochen, haben ihren optischen Reiz. Tochter Domenica gibt sich den afrikanischen Turban und ein buntes We-are-the-world-Outfit. Ich wollte es ausblenden, aber ich glaube mich erinnern zu müssen, dass sie sogar MBT-Sandalen dazu trug.

MBT ist diese unglaublich behinderte Schuhmarke mit dem noch behinderteren  Claim „The Anti-Shoe“ – also besser hätt ich den auch nicht hinbekommen!

Den Vogel schiesst aber Mutter Maria ab: Sie kocht(!) und serviert mit einer dicken, fetten Ray Charles-Sonnenbrille auf der Nase. Sie sieht damit allerdings eher aus wie Iggy Pop nach einem schlauchenden Konzert. Sie sagt, sie halte sonst die Hitze vom grossen Holzofen in der Küche nicht aus – whatever.

Bevor aufgetragen wird, gibt es Bruschette mit Olivenöl und einen eiskalten Bianchello. Wunderbar. Dann die erste Platte: Steinbutt, Seezunge und Knurrhahn. Lediglich gedämpft mit Petersilie, Olivenöl und einem Hauch Knoblauch.

Alles üppig bemessen. Alles unglaublich frisch, zart und wohlschmeckend.

Da Maria 6

Wenn nur nicht diese Musik wäre! Ich komme mir vor wie auf einer Beerdigung bei Six Feet Under. Schwer erträgliche Orgelklänge. Ab und zu erweitert um eine quälende Dimension Panflötenklänge. Ich traue mich aber nicht, den beiden zarten Wesen zu sagen, sie mögen die „Musik“ doch bitte verstummen lassen. Ich käme mir vor wie ein seelenloser Heide.

Ein kleiner grüner Blattsalat wird aufgetragen. Reines Alibi. Dazu ausgezeichnete Alboretti (ähnlich Sardinen) in Essig und eine Platte voller Panocchie, Cannarocchie oder Moscatelli wie die Fangschreckenkrebse sonst noch in den verschiedenen Regionen Italiens heissen. Unbeschreiblich gut!

Da Maria 7

Es folgen Fische, Krusten- und Schalentiere im klassischen Brodetto im Tontopf, mit einem schwer aromatisierten Tomatensugo: Himmelsgucker, kleiner Katzenhai, Calamaretti, Seezunge, Drachenkopf, Sardinen, Makrelen, Muscheln, Garnelen und separat dazu eine Platte mit Krabben, ebenfalls an Tomatensugo.

Da Maria 12

Es ist zum Fingerlecken! Nicht zuletzt weil man die Krabbenteile am besten mit den Händen isst und mit auffälligen Nebengeräuschen leersaugt.

Da Maria 8

Ich habe mich noch nie mit Fisch so sattgegessen. Dazu von so Auserlesenem. Normalerweise wird Fisch ja eher in diskreten Portionen und mit Beilagen serviert. Das hier ist fast schon exzessiv. Aber unvergleichlich gut.

Da Maria 9

Für die Nachspeise, so ein komischer Kuchen wie Panettone, der aber nicht Panettone heisst, gibt es keinen Platz. Es reicht gerade noch für einen Ristretto.

Wir sind anscheinend nicht die Einzigen, denen das Ambiente etwas aufs Gemüt geschlagen hat. Der Hund von Domenica geht zu vorgerückter Stunde bellend von Tisch zu Tisch. «Hör auf unsere Gäste anzubetteln!», schimpft sie.

Für mich klingt das Bellen eher wie: «Hey, geht endlich nach Hause! Los, zischt ab! Mach endlich mal einer das Licht aus! Ich habe Kopfschmerzen. Ich muss mir diesen Eso-Sound jeden Tag anhören. Ich kann nicht mehr. Und wo bleibt mein Aspirin!?»

Wie zur Wiedergutmachung verabschieden uns die beiden Signore überschwänglich, smalltalken über dies und das (takes a fuckin‘ hour to say goodbye) und drücken uns noch eine ganze Flasche Limoncello in die Hand. Okay, den können mein Schwager und ich jetzt gebrauchen.

Wir setzen uns vor unser Ferienappartamento, starren den surreal grossen, gelben Mond über dem Meer an und kippen den süss-sauren Sirup hinunter – so warm er auch ist. Spielt eh keine Rolle mehr.


16 Kommentare zu Dreamcatcher

  1. tb am 1. August 2009 at 08:45:

    Das klingt jetzt wirklich anstrengend…
    War wohl gut, dass wir mittags – ohne Anmeldung – da waren, keine seltsame Musik, keine Energiesparlampen an, keine Sonnenbrille (wtf?), kein Turban, kein Lärm…
    Dann wirkt das anders. Aber wenigstens war der Fisch gut.
    Danke für die Schilderung, wieder runter gekommen vom Trip?

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  2. Schnick Schnack Schnuck am 1. August 2009 at 09:21:

    Haha, großartig! Da fällt mir dieser Titanic-Strip ein: http://photos-h.ak.fbcdn.net/hphotos-ak-snc1/hs173.snc1/6489_1182858644277_1012541335_587487_7562763_n.jpg

    Das Essen macht mir aber schon Appetit.

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  3. thunfischdurchbrater am 1. August 2009 at 11:35:

    Hört sich gut an, ab der 2. Flasche würd die Musik mir nix mehr ausmachen, was hat der Spaß gekostet?

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  4. Kaffeeklatsch am 1. August 2009 at 12:52:

    Wunderbare Lektüre, genau so stelle ich mir Food writing vor. Ich würde sagen, das ist das Beste, was ich in letzter Zeit in deutschsprachigen Foodblogs gelesen habe (völlig unabhängig von der Qualität des beschriebenen Restaurants).

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  5. gourmetpilot am 1. August 2009 at 23:59:

    man eäh, da wäre ich auch gern dabei gewesen. deine beschreibung bestätigt leider mal wieder, dass die meisten köche einen geschmack wie mein a….bei neonlicht haben. warum ist es nur so schwer, einfach zu bleiben??????? warum muss den schönen dingen unnötiges beiwerk zugefügt werden??? das von dir beschriebene menü verlangt nach keiner deco, eine weisse wand und zwei stühle: that´s it!! ich leide mit dir. diese sandalen sind ja grauselig schon in der vorstellung, brrrrrr…..

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  6. Claudio am 2. August 2009 at 00:54:

    Unverhofft scheint die Genussquote manchmal tatsächlich höher zu sein, tb. Essen war absolut klasse, Schnick Schnack Schnuck. 50 Euro pro Person, thunfischdurchbrater, angesichts der Unmengen an frischem Fisch lächerlich, aber vielleicht haben sie uns auch etwas Schmerzensgeld abgezogen 😉 Danke, Kaffeeklatsch, ich mache gerne in dieser Art und Weise weiter. Weisst du, gourmetpilot, deshalb habe ich auch immer mehr Mühe mit Sternerestaurants. Die zweifelhaften, aufoktroyierten Geschmacksauswucherungen der Restaurateure – das ist mir einfach viel zu anstrengend, wenn ich das Essen wirklich geniessen soll.

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  7. hanna am 2. August 2009 at 08:41:

    solange sich die geschmacklosigkeit nur aufs ambiente von mann, maus und haus bezieht, gehts ja gerade noch so.
    wenn das essen so superlecker ist.
    vielleicht solltet ihr es das nächstemal auch mit einer sonnenbrille probieren.

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  8. peppinella am 2. August 2009 at 15:43:

    ich glaub dir, dass das essen göttlich war. beim anblick des ambiente fällt mir allerings nur ein wort ein: AUGENKREBS

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  9. Eli am 2. August 2009 at 17:38:

    Kaffeklatsch bin völlig ihrer Meinung.
    Das Beste das ich vielleicht schon je gelesen habe.
    Bravo

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  10. Ellja am 3. August 2009 at 09:00:

    schade, dass du kein foto von den beiden Damen gemacht hast ,-)

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  11. Claudio am 3. August 2009 at 10:04:

    Gute Idee, hanna, und dazu noch Ohrstöpsel. Es ist wieder einmal die bekannte italienische Groteske, peppinella: Italien als Wiege und Hochburg von weltbewegendem Design bietet gleichzeitig die höchsten Gipfel der Geschmackslosigkeit. Ich werde es nie verstehen. Danke, Eli, werde mir mit den Lorbeeren was Schönes kochen und davon berichten. Meinst du eine Aurafotografie oder eine gewöhnliche, Ellja? Es gibt ein unspektakuläres Portrait der beiden im Slow Food-PDF, das ich im letztjährigen Post verlinkt habe: https://www.anonymekoeche.net/?p=543

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  12. Ellja am 3. August 2009 at 12:38:

    einfach ein foto, wie die beiden aussehen ;-), aber auch in deinem zweiten link konnte ich sie nicht entdecken, oh diese geheimnisse….

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  13. Eline am 3. August 2009 at 13:27:

    Ich bewundere eure Geduld. Trotz meiner unstillbaren Leidenschaft für Heuschreckenkrebse hätte ich spätestens nach der Tisch-Besetzung diesen Trödelladen wieder verlassen. Den bettelnde Hund und die Panflöten hätte ich nicht mehr erlitten.
    Aber zu Lesen war es göttlich – mehr davon!

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  14. Claudio am 3. August 2009 at 15:28:

    Bitte entschuldige, Ellja, ich finde den Original-Link mit dem Slow Food-PDF nicht mehr, sonst hätte ich ihn hier einkopiert. Aber geh noch einmal auf https://www.anonymekoeche.net/?p=543 dort findest du am Schluss das Dokument. Der Bericht ist eh lesenswert – du kannst doch sicher Italienisch, oder? Danke, Eline, unsere Geduld war schon recht solide, aber das war nichts im Vergleich zur Tapferkeit meiner 6- und 9-jährigen Söhne. Die haben den ganzen Abend ohne zu murren (und fast ohne zu essen!) ausgeharrt. Vielleicht dank dem grossen Unterhaltungswert (Quiz, Zeichnen, Knobeln, Geschichten erzählen, Witze machen, Spiele auf dem Mobiltelefon spielen lassen …) den wir Erwachsenen dennoch zu vermitteln im Stande waren.

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  15. Ellja am 4. August 2009 at 08:13:

    achso, ich Trottel, ja jetzt hab ich das pdf auch gefunden ,-)

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  16. Mike am 4. August 2009 at 23:18:

    Also, ich würde ja kommentierte ja etwas wahnsinnig Witziges dazu, aber zu Fisch fällt mir nicht so viel ein. Das Ambiente kenne ich aus einigen Wohnstätten mir bekannter Personen, deren Einstellunen ich tunlichst ignoriere. Irgendwo muss doch noch eine Salzkristalllampe aus dem Himalaya ihr schumriges Licht verbeiten?

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