Reiseziele im Herbst.

Kalterersee
Die Kalterersee-Piraten Andrea Moser (Kellermeister) und Gerhard Sann (Oenologe) der Kellerei Kaltern und neben mir Johannes Gufler, Hotelier Ansitz Plantitscherhof, Meran.

Das Gute liegt ob dem Kalterersee – aber auch in Meran, Weggis, Lenk und Milano.

Doch der Reihe nach. Für Falstaff war ich kürzlich ein paar (traumhaft schöne) Tage im Südtirol. Was es in Meran und Umgebung alles zu entdecken und geniessen gibt (viel!), wird in der Märzausgabe zu lesen sein.

Was ich jetzt schon teilen möchte, ist eine Hoteladresse für Reisende, die sich vielleicht kurzentschlossen noch ein paar goldene Herbsttage gönnen möchten.

Im schönen Villenviertel Obermais oberhalb Merans gibt es den Ansitz Plantitscherhof. Ein Gourmet & SPA Hotel mit romantischem Garten, das sich vor allem durch die freundliche Atmosphäre der Hoteliersfamilie Gufler auszeichnet.

Johannes Gufler ist dazu ein begeisterter Oldtimer-Sammler und Weinkenner mit fantastisch bestückter Garage wie auch eindrücklichem Weinkeller aus dem 13. Jahrhundert. Ich selbst stehe auch sehr auf altes Blech und Weine mit Charakter. Daher war es mir eine besondere Freude, mit ihm eine Weintour in einer Mercedes Pagode an den Kalterersee zu unternehmen.

Hotelgäste können eine Tour mit ihm buchen oder gar eines seiner klassischen Fahrzeuge mieten und die Gegend selbst erkunden.

Besonders gefallen haben mir die Weine der Kellerei Kaltern, allen voran der Weissburgunder, der Sauvignon und natürlich der Vernatsch.

Schlicht ein Meisterwerk ist der Terlaner von der Kellerei Terlan. Die Grande Cuvée aus Weissburgunder, Sauvignon blanc und Chardonnay gilt als teuerster Weisswein Italiens.

Terlaner

Er präsentiert sich knackig frisch, intensiv mineralisch, komplex und elegant zugleich. Auch die weitaus preisgünstigeren Weine versprechen allerdings grossen Trinkgenuss!

Reise-Route für Romantiker
Wenn ich selbst noch einen Oldtimer hätte (damals ein 1978er Daimler Double Six), würde ich auch gerne eine Herbstfahrt auf der neuen Relais & Châteaux Genuss-Route unternehmen. Sie verbindet das Tessin, das Piemont und Mailand. (Ein paar heisse kulinarische Tipps für Milano verrate ich weiter unten!)

Anlässlich eines regenerierenden Aufenthaltes im Park Weggis (der Private SPA ist umwerfend!) habe ich mich mit dem Präsidenten Relais & Châteaux Schweiz, Peter Kämpfer, unterhalten.

Park Weggis

AK: Schaut man sich den neuen Katalog «Taste of Switzerland & Liechtestein» an, möchte man gleich in ein Vintage Cabrio springen und losbrausen. Wo fängt man am besten an?

Peter Kämpfer: «Neben unseren bestehenden Geniesser-Routen durch die schönsten Regionen der Schweiz, kann ich die neuste empfehlen: Dieses Jahr haben wir die fünfte «Route du Bonheur» lanciert. Sie führt von der Kunst- und Modemetropole Mailand ins Ticino und zurück ins Piemont. Vom «Château Monfort» in Milano geht es nach Lugano in die «Villa Principe Leopoldo», weiter zum Lago Maggiore ins «Castello del Sole» und zurück nach Italien ins Piemont zur «Villa Crespi» in der Nähe des Ortasees. Auf 194 Kilometern locken zauberhafte Ortschaften und das sonnige Naturpanorama rund um den Comer See, den Luganersee, den Lago Maggiore und den Ortasee. Und neben kulinarischen Trouvaillen mit regionalem Bezug bietet die Route auch viele Freizeitaktivitäten und Ausflüge.»

Welche Art Gäste entscheidet sich für Relais & Châteaux?
«Es sind Gäste, die lustvoll reisen und nicht Luxus um jeden Preis suchen. Es geht weniger um Bling Bling, als vielmehr um eine spezielle Aura, Detailpflege, Individualität und persönliche Gastfreundschaft. Wir sind ja keine Hotelkette, viele Häuser und Resorts sind eher klein, aber fein. Dementsprechend gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Bedürfnisse und Angebote. Es gibt Hotels wie der «Lenkerhof», der sich als jüngstes Fünfsternehotel positioniert und somit besonders jüngere Gäste und Familien anspricht. Auf der anderen Seite gibt es angeschlossene Spitzenrestaurants wie das «Le Pont de Brent», welches zwar keine Zimmer anbietet, dafür Gourmets von weit her anzieht. Unsere Gäste wollen sich vor allem rundum wohlfühlen und ohne Hemmungen geniessen können.»

Welche Ziele verfolgen Sie als Gruppe?
«Wir verfügen als Land mit überschaubarer Grösse über einige aussergewöhnlich schöne Häuser. Wir arbeiten jeden Tag daran, die Qualität hoch zu halten und bis ins letzte Detail zu perfektionieren. Getreu den „fünf C“ von Relais & Châteaux: Caractère, Courtoisie, Calme, Charme und Cuisine (Charakter, Freundlichkeit, Ruhe, Charme und Küche). In der Deutschschweiz gibt es noch einige weisse Spots, die wir gerne mit neuen Partnern abdecken möchten. Ausserdem sind wir bestrebt, eine jüngere Klientel ansprechen.»

Und wie kommt man zu jüngeren Gästen?
«Mit einem romantischen, charmanten Appeal. Durch ihre besondere Ausstrahlung sind die geschichtsträchtigen und traditionellen Relais und Châteaux prädestiniert für Romantik. Sie wirken anziehend auf Gäste, die es stimmungsvoll lieben. Darin sehen wir eine Chance, eine jüngere Klientel anzusprechen. Mit besonderen Erlebnissen für ein First Date, Hochzeit, Taufe oder Familienfest.»

Und welche Vorteile ergeben sich für Ihre Mitglieder?
«Mit Relais & Chataux profitiert ein Hotel oder ein Spitzenrestaurant von einem starken Brand – Gourmets und anspruchsvolle Reisende wissen dann ganz genau, was sie erwarten dürfen. Wir haben einen weltweiten Brandauftritt, eine einheitliche Buchungsplattform und die Länder-Guides in gedruckter Form. Ich erlebe immer wieder, dass treue Gäste unseren Guide immer im Auto mitführen. Sie reisen tatsächlich den Häusern nach.»

Wie geht es den angeschlossenen Betrieben eigentlich nach der Auflösung vom Euro-Mindestkurs 2015?
«Es gab schon einige Rückgänge letztes Jahr. Aber der Frankenschock ist nur das Eine. Der Fall vom Euro war schon davor massgebend. Bei uns machen die Schweizer Gäste knapp 55% der Buchungen aus, was sehr erfreulich ist. Danach kommen Gäste aus Deutschland und bis vor zwei Jahren standen russische Gäste an dritter Stelle. Von Ihrer Seite mussten wir leider einen grösseren Rückgang hinnehmen. Wir haben in der Schweiz einen immensen Kostendruck durch hohe Löhne, Einstandskosten, gesetzliche Auflagen und Unterhaltskosten. Wir müssen deshalb weiterhin die Produktivität und die Kostenkontrolle steigern, was über die letzten Jahre schon gut gelungen ist. Auf keinen Fall machen wir jedoch Abstriche bei der Qualität. Wir müssen auch kreativer werden und einzigartige Erlebnisse für unsere Gäste schaffen.»

Das Park Weggis unter Ihrer Führung hat eine privilegierte Lage an der «Riviera» Luzerns. Was, wenn der launische Schweizer Sommer mit Regen glänzt?
«Dann erfreuen sich unsere Gäste am überdachten Swimming-Pool und am umfassenden Wellness-Angebot. Die meisten suchen in erster Linie Ruhe und Entspannung – und die lässt sich unabhängig vom Wetter geniessen. Wir waren mitunter die Ersten, die grosszügige Private SPAs angeboten haben, so etwas schätzen unsere Gäste enorm. Und dann ist da ja noch die Aussicht auf unsere kulinarischen Highlights!»

Ist Spitzengastronomie ein Unterscheidungsmerkmal?
«Auf jeden Fall. Wir setzten bewusst unsere Küchenchefs in den Vordergrund. Einige der besten Köche der Schweiz sind mit ihren Hotels oder Restaurants Relais & Châteaux angeschlossen. Unsere Gäste sind sehr genussorientiert. Viele wählen ihre Reiseroute mit dem Ziel, in den besten Häusern zu speisen. Innerhalb der Gruppe setzen wir deshalb den Fokus verstärkt auf das kulinarische Angebot. Spitzenköche bieten vermehrt eine kreative Küche, die auf saisonale und lokale Produkte und eine leichte Zubereitung setzt. Dabei steht ein schonender Umgang mit der Natur, Nachhaltigkeit, eine enge Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern oder gar die Entwicklung eigener Produkte, wie unser Honig im Park Weggis, immer mehr im Zentrum.»

La Brasserie Park Weggis

Im «La Brasserie» vom Park Weggis, lässt sich mit herrlichem Blick auf den Vierwaldstättersee die leichte, kreative Saison-Küche von Chefkoch Florian Gilges geniessen.

Ein berauschender Sommer – auch ohne Meer.

Panorama Lenkerhof

Da wir gerade von Relais & Châteaux sprechen: Vom Lenkerhof muss ich auch noch erzählen.

Dort haben wir zwei wundervolle Tage verbracht, die sich wie zwei Wochen Erholung angefühlt haben!  Nachdem ich letztes Jahr gleich vier mal in Italien war für die Recherche zu meinem Buch «Ein Sommer wie damals», wollten wir diesen Sommer die Schweizer Berge geniessen.

Auch das Lenkerhof Gourmet SPA Resort, ein historisches Relais & Châteaux, mit gelungenem, modernen Ausbau zum „jugendlichsten Fünfsternehotel der Schweiz“, zeichnet sich vor allem durch die vorbildliche Gastfreundschaft der Hoteliers Jan Stiller und Heike Schmidt aus.

Chapeau auch Küchenchef Stefan Lünse und Team – grossartiges Menükonzept: Jeden Abend 15 Gänge beliebig kombinierbar. Und das Rohmilchkäse-Buffet allein ist eine Reise Wert.

Spettacolo Lenkerhof

Via, via, vieni via con me.
Danach war eine Eskapade nach Milano (ja, dann doch noch einmal Italien, alleine schon, um bei Eataly einkaufen zu gehen) angesagt und die Restaurant-Tipps dazu serviere ich wie versprochen hier:

Endlich habe ich es ins angesagte Trippa geschafft. So muss Trattoria heute! Der Tradition verpflichtet, aber aufgeschlossen, entstaubt und kompromisslos qualitätsgetrieben. Dringende Empfehlung!

trippa-milano

Ein Klassiker, zeitgemäss serviert: Das jetzt schon legendäre Vitello tonnato im Trippa. Kalbfleisch englisch gebraten, extrem cremiges Thunfisch-Espuma. Schlicht perfekt. Chefkoch Diego Rossi war in Sternerestaurants unterwegs. Heute kocht er im eigenen Lokal mit derselben Sorgfalt die Produkte derselben Erzeuger, serviert sie aber ohne Brimborium auf sehr lässige Art.

vitello-tonnato-trippa

Noch nie hatte ich in Italien (geschweige denn sonst wo) besseres Gelato. Il Massimo del Gelato ist intensiver Geschmack und perfekte Textur. Konsequent beste saisonale Zutaten (himmlisch: Pfirsich, Erdbeere, Kokos, Lakritze, Pistacchio di Bronte, Mandorla di Avola und diverse Schokoladensorten).

massimo-del-gelato

Un posto a Milano ist ein sehr charmanter Ort. Ein Gehöft aus dem 17. Jahrhundert – mitten in Milano!

un-posto-a-milano

Ein Hot Spot für sehr gut gemachte Terroirküche mit Bio-Zutaten von Kleinerzeugern – traditionell & simpel zubereitet in hinreissend lockerer Atmosphäre.

Oishii! Wenn ich etwas aus Milano mitnehmen dürfte, dann diese supercoole japanische Sakebar: Saketeca GO.

saketeca milano

Fünf Tische, 60+ Sakes, 20 saisonale Gerichte in bester Izakaya-Manier, mehrheitlich japanische Gäste, authentisch japanisch geführt sowieso. Und Diego, der Chefkoch vom Trippa, war an seinem freien Tag auch da essen. Bumm!

Sushi sucht man auf der kleinen, handgeschriebenen Karte vergeblich. Stattdessen gibt es sehr gut gemachte Hausmannskost wie Suppe mit Rindersehnen(!) oder in Miso marinierte, grillierte Kalbszunge.

saketeca_suppe

Etwas eleganter und sehr viel elaborierter geht es im Spazio zu.

Im Konzeptrestaurant von Dreisternekoch Niko Romito im neuen Mercato del Duomo (eh ein Must-see für Gourmets), gleich beim Dom in der Galleria Vittorio Emanuele, serviert Gerichte vom Spitzenkoch, zubereitet von den Köchen seiner Kochschule zu sehr populären Preisen.

Auf einen genussvollen Herbst – cari saluti e buon appetito!

Claudio Del Principe


Casadonna-notturna-2-by-Francesco-Scipioni_s

Casadonna mit dem Ristorante Reale in Castel di Sangro ©Francesco-Scipioni

Der Ort ist archaisch. Die Gegend dünn besiedelt. Mit Dörfern, die wie Schwalbennester an den Felsen kleben. Mitten im idyllischen Nationalpark von Abruzzo. Wo das Klima rau sein kann und das Leben nicht immer Sonnenschein. Und gerade deshalb so echt und so ungeschönt schön wirkt.

An diesem Ort, fernab von allem, was an Spitzengastronomie erinnern könnte, betreibt Niko Romito in einem Kloster – wie passend – eine geradlinige, schnörkellose Küche mit besten Zutaten aus der Region. Allerdings auf allerhöchstem Niveau.

Niko-Romito-By-BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS-per-Identita-Golose-2015_2_s

Niko-Romito ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

«Meine Gerichte werden oft als einfach bezeichnet. Das ist sehr richtig im Sinne von nicht kompliziert, bedeutet aber nicht, dass sie ohne Aufwand zubereitet sind. Beim Kochen kann Aufwand von Vorteil sein, Kompliziertheit hingegen nie. Genau diese spezielle Art der Einfachheit kann man nur durch unermüdliche Recherche erreichen – und durch Leidenschaft für die Balance.»

In sieben Jahren wurde das Restaurant mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet. Dieses Jahr rangiert sein «Ristorante Reale» zum ersten Mal unter den «World’s Best Restaurants».

Ich habe ihn an der Chef-Alps getroffen und mit ihm gesprochen.

Der Journalist Joe McGinnis schrieb «Das Wunder von Castel di Sangro». Ein Bestseller über einen regional unbedeutenden Fussballclub, der aus dem Nichts den mirakulösen Aufstieg in die prestigeträchtige Serie B schaffte. Das Märchen dauerte allerdings nicht lange. Du hingegen hast in Castel di Sangro wahrlich Geschichte geschrieben. Kannst du es eigentlich selber fassen?

Ich verstehe mich als den, der ich bin. Sehe, was ich die letzten Jahre erreicht habe und es überrascht mich nicht. Aber ich bemerke sehr wohl die Verblüffung der anderen.

Man fragt sich, war es ein Traum, Kalkül oder reiner Zufall? Wie schafft man ausgerechnet an einem Ort fernab jeglicher Spitzengastronomie den Aufstieg zu einem der höchst bewerteten Küchenchefs Italiens?

Ich hatte keine Ahnung. Mir war die Welt der Spitzengastronomie völlig unbekannt. Ich studierte in Rom Wirtschaft und wollte Finanzberater werden. Ich achtete nicht einmal besonders darauf, was ich ass. Mein Vater wandelte inzwischen seine Pasticceria in Rivisondoli in eine Trattoria um. Servierte einfaches Essen. Cucina abruzzese. Ein bisschen Pasta. Das obligate Lamm vom Grill. Dann erkrankte er und meine Schwester Cristiana, mit der ich alles aufgebaut habe und die heute das Restaurant leitet, bat mich in der Trattoria auszuhelfen, bis wir einen Käufer gefunden hätten. Ich liess mein Studium fallen und kehrte heim, um etwas zu entdecken, das meine Leidenschaft entfachte und mich Schritt für Schritt vorantrieb.

Niko-e-Cristiana-Romito-by-Francesco-Fioramonti_s

Niko und seine Schwester Cristiana ©Francesco-Fioramonti

Und die Einwohner von Rivisondoli freuten sich und sagten, endlich ein Gourmetlokal im Dorf!

Naja, am Anfang war es alles andere als einfach. Menschen geben ungern auf, was sie mögen und das trifft ganz besonders zu, wenn es um ihre Essgewohnheiten geht. Ich blieb zwar der kernigen Küche meiner Region treu, befreite sie aber von Folklore und Rustikalität. Wir verringerten die Anzahl der Gedecke und trieben die Suche nach qualitativ hochwertigen Zutaten und präziser Zubereitung voran. Bald wurde es in Rivisondoli zu eng. Ich machte mich auf die Suche nach etwas Grösserem und fand in Castel di Sangro Casadonna. Dieses monumentale Kloster aus dem 16. Jahrhundert. Ich habe es gekauft und gemeinsam mit meiner Schwester saniert und umstrukturiert. Gegenüber dem «Reale» in Rivisondoli mit einer Fläche von 130 m2 mussten wir nun eine Fläche von 2600 m2 bewirtschaften.

REALE-By-BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS_s

«Reale» Intérieur, gradlinig und schnörkellos ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Und finanzkräftige Investoren an Board holen?

Nein. Ich habe alles selbst über Banken finanziert. Ich will so unabhängig wie möglich arbeiten. Wir betreiben neben dem Restaurant auch ein Boutique-Hotel und das Ausbildungszentrum «Niko Romito Formazione» für junge Köche, die bei null anfangen. Ich selbst habe ja nie eine Kochschule besucht oder eine entsprechende Ausbildung gemacht. Es ist mir daher wichtig, dass Jungköche bei uns sehr schnell Praxis in allen Bereichen sammeln, experimentieren und Verantwortung übernehmen können. Mit meinem neuen Konzept «Spazio» betreibe ich vier Restaurant-Laboratorien in Rivosondoli, Rom und Mailand, in denen die Köche aus unserer Schule arbeiten. «Spazio» bietet authentische italienische Küche. Schlicht, schnörkellos und bezahlbar. Keine Hochgastronomie, keine Tischwäsche, keine Kellner. Dafür saubere Produkte und präzise Kochtechniken. Die Köche stehen in direktem Dialog mit den Gästen. Die Leute lieben es!

Warum haben die Leute dennoch akzeptiert was Niko macht?

Das geschah phasenweise. Wir haben zuerst die klassischen Gerichte der Region schlanker gemacht. Dann haben wir angefangen, eigene Rezepturen zu entwickeln und schliesslich haben wir angefangen, Grenzen zu überschreiten und neue, eigene Wege zu gehen – dabei wenden wir uns aber sehr intensiv den kulinarischen Wurzeln der Region zu. Das ist an einem Gericht wie verza e patate sehr gut ablesbar. Ein Profi erkennt, was hinter diesem vermeintlich einfachen Gericht steckt.

Ein Amateur erkennt die Simplizität. Er erkennt die Zutaten, ja, es ist Wirsing. Aber es schmeckt ungleich intensiv. Dies sind einzigartige Gerichte, die unverkennbar unserer Philosophie entspringen und als Signature Dish anerkannt sind.

Verza e Patate auf Vimeo.

Welchen Stellenwert hat das traditionelle Küchenhandwerk der Frauen in Italien?

Einen Enormen! Es ist die Besonderheit, die Stärke Italiens. Übermittelt von Generation zu Generation. Es ist die Basis der italienischen Gastronomie. Aus der häuslichen Zubereitung von Speisen entstanden zuerst die Osterie und Trattorie, in welchen Gäste verpflegt wurden. Erst viel später entstanden in Italien auch Restaurants. Die Restauration ist ein französisches Konzept.

Das Positive an der Tradition ist, dass man aus einer reichen Basis schöpfen kann. Auf der anderen Seite, kann es die Entwicklung für Neues limitieren. Ich versuche immer eine Balance zu finden.

Die Gäste, wir alle, suchen immer einen Anknüpfungspunkt, eine Erinnerung an die Gerichte unserer Kindheit, an das was uns unsere Mütter und Grossmütter serviert haben. Wenn ich es schaffe, mit einem modernen Gericht die Emotionen und Erinnerungen abzurufen, ist der Akt gelungen. Was mir aufgefallen ist: In Ländern, in denen die Tradition des Kochens zuhause weniger stark ausgeprägt ist, sind die Küchenchefs kreativer!

REALE-Assoluto-di-cipolle-parmigiano-e-zafferano-tostato-By-BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS-2_s

Assoluto di cipolle parmigiano e zafferano ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Wovon träumt ein Koch, der innerhalb von sieben Jahren mit drei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde?

All das zu konsolidieren, was er bisher erreicht hat. Und darüber hinaus: An künftigen Projekten zu arbeiten. Das nächste startet diesen Herbst. Gemeinsam mit der «Sapienza» Universität in Rom.

Wir müssen das gastronomische Angebot in italienischen Spitälern neu definieren und gestalten. Eine Formel, ein zeitgemässes Konzept finden. Eines, das eine hohe kulinarische Qualität garantiert. Ein System mit simplen, leicht umsetzbaren Kochtechniken, das es erlaubt, auch mit wenig geschultem Personal appetitliche und vollwertige Speisen zuzubereiten. Wir werden es erstmals im «Cristo Re» applizieren. Es geht auch um Nachhaltigkeit. Es kann nicht sein, dass du heute in einem italienischen Spital Essen bekommst, dass dich krank statt gesund macht. Das Problem ist, dass heute gemäss den EU-Richtlinien nur geprüft wird, welche Lebensmittel in den Wareneingang gelangen. Niemand kontrolliert, was schlussendlich auf den Teller kommt, wie die Speisen aussehen, schmecken und welchen Nährwert sie haben. Wir haben es analysiert und der Zustand ist desolat. Und das in einem Land wie Italien! Wo traditionelles, geschmackvolles Essen eine so grosse Rolle spielt.

REALE-Animelle-panna-limone-e-sale-2013-By-BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS-2_s

Kalbsbries, Rahm, Zitrone, Salz ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Wie arbeitet Niko Romito, welcher Ton, welche Hierarchie herrscht in deiner Küche?

Ich glaube, es ist eine sehr intensive, aber angenehme Atmosphäre. Still und konzentriert. Niemand schreit herum. Wir sind in horizontalen, nicht vertikalen Linien organisiert. Jede Station hat einen Verantwortlichen. Ich habe keinen Souschef, sondern vier Stationsverantwortliche. Wir verstehen uns als starkes Team, welches gemeinsam Ziele erreicht. Jedes Gericht, das wir entwickeln ist Teamwork. Diese Qualität spürt der Gast. Nicht nur im Restaurant. Die Stunden, die du in Casadonna verbringst – die nimmst du alle mit nach hause.

REALE-Gel-di-Vitello-porcini-secchi-mandorle-e-tartufo-nero-By-BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS-2_s

Kalbs-Gel, Steinpilze, Mandeln, Rosmarin, Trüffel ©BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Erzähl mir noch etwas über das fantastische Brot, das ihr in Abruzzo habt.

Ach, das Brot la bella pagnotta! Wir haben in Casadonna eine 70 m2 grosse Backstube mit zwei fulltime Bäckern. Weisst du, ich habe mich schon vor Jahren vom Körbchen mit den verschiedenen Brötchen verabschiedet. Wir verzichten auf die üblichen Brioches oder aromatisierten Focaccia-Brötchen. Ich will den Gästen ein Brot servieren, das einen Wert hat, eines, das sie nie mehr vergessen. Wir servieren es im Menü als eigenständigen Gang. Ohne Butter. Ohne Olivenöl. Nur ein Stück Brot. Damit man sich wieder bewusst wird, wie viel mehr Brot sein kann als einfach nur eine Sättigungsbeilage. Wir arbeiten mit lievito madre, einer natürlichen Mutterhefe und sehr langer, retardierter Teigführung bei kühlen Temperaturen. Die hohe Hydratation von 90% gibt uns eine sehr weiche, luftige Krume. Ausserdem verwenden wir alte Weizensorten, wie die autochtone «Solina», die ein Bauer für uns anbaut. Sie ist nicht so ertragsreich wie moderne Weizensorten, dafür ist sie resistenter und benötigt weniger Pestizide, ist reicher an Nährstoffen und ärmer an Gluten, was sich vorteilhaft auf die Verträglichkeit auswirkt.

Du lebst ja ganz in der Nähe von Pescasseroli, wo meine Eltern daheim sind. Ganz ehrlich, wie ist die Pizza bianca von «Pinocchio»?

Schau, ich habe wirklich in ganz Italien hervorragende Pizze bianche und Focaccie gekostet, vor allem in Sizilien und Apulien ist die Qualität hervorragend. Aber die Pizza und übrigens auch das Brot vom «Vecchio Forno» ist wirklich aussergewöhnlich gut!

Ristorante Reale

Casadonna

Niko Romito formazione

Restaurant-Labs Spazio

Video Enzyklopädie unforketable

Blog von Niko Rominto (auf Italienisch)


Le Summum: Chef-Alps 2016.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Franck Giovannini an der Chef-Alps. (Alle Fotos ©Nadine Kägi)

Bereits zum fünften Mal fand in Zürich die Chef-Alps statt.

Wer sich ernsthaft und vor allem leidenschaftlich mit Spitzengastronomie beschäftigt, möchte dieses internationale Kochsymposium auf keinen Fall verpassen. Während zwei Tagen präsentieren angesagte Sterneköche unterschiedlicher Länder auf der Bühne ihre Philosophie und sorgen dafür, dass einem die Augen aufgehen, und die Kinnlade zuweilen überraschend weit offen steht.

Wie letztes Jahr, habe ich am zweiten Tag live mitgeschrieben. Den Sonntag kann man bei meinem geschätzten Kollegen David Schnapp nachlesen.

 

Die Nachfolge: Franck Giovannini

Restaurant de l’Hôtel de Ville Benoît Violier, Crissier. 3 Michelin-Sterne, 19 GaultMillau-Punkte. Nr. 1 – Bestes Restaurant der Welt – La Liste 2015 (1000 herausragende Restaurants).

Franck Giovannini übernahm nach dem tragischen Tod von Benoît Violier anfangs Jahr die gastronomische Leitung des Restaurant de l’Hôtel de Ville, das nun von Brigitte Violier betrieben wird. Benoît Violier und Franck Giovannini waren langjährige Freunde. Bereits in der Zeit von Philippe Rochat haben sie zusammen in Crissier Höchstleistungen erbracht.

Er zeigt mit seinem Souschef drei Gerichte. Das erste ist ein blauer Hummer aus der Bretagne „nose-to-tail“ quasi. Aus dem Kopf wird die Sauce gezogen. Das Fleisch der Scheren als feines Ragout. Den Rumpf als Medaillons. Beides im Servierring angerichtet und zusammengehalten von einen dünnen Sellerieband. Gewürzt wir mit einem klassischen Gewürzöl, welches schon von Fredy Girardet eingesetzt wurde und getrockneten Hummereiern. Fertiggestellt wird der Teller mit der gezogenen Sauce Américaine, Gemüsestreifen und geriebenem Corail. Die beiden arbeiten still, sicher und schnell nebeneinander. Noch schneller wirds, wenn Giovannini auf Französisch kaskadenartig erklärt, was er macht. Nebenbei erwähnt er, dass ein Koch in Crissier auf seinem Posten von A bis Z für ein Gericht verantwortlich ist (nicht wie in anderen Küchen nur für gewisse Komponenten des Tellers) also von der Warenkontrolle bis zum fertigen Teller.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Das zweite Gericht ist: Ein Ei. Verarbeitet – oder vielmehr versteckt – im Blumenkohl. Dazu wird ein Blumenkohlpüree hergestellt. Ein typischer Trick von Giovannini ist, bei jedem Püree (oder auch bei Gemüsesuppen) kurz vor dem Mixen ein wenig rohes Gemüse dazuzugeben, für einen intensiveren, frischeren Geschmack. Nun werden Förmchen gebuttert und mit einer Hühner-Blumenkohl-Eiweiss-Farce gefüllt. In die Mitte wird das Eigelb platziert und mit weiterer Farce bedeckt. Dampfgaren: 5 Minuten. Angerichtet wird das „versteckte Ei“ auf verschiedenen Konsistenzen vom Blumenkohl: Crème, Schnee, knackig gegarte Röschen, Scheibchen und einem Löffel Caviar. Beim Anschneiden fliesst das Eigelb selbstverständlich aus und vermählt sich mit der Sauce.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

In Crissier konzentriert man sich auf maximal zwei Hauptkomponenten pro Gericht. Das Ziel sei, dass der Gast jederzeit erkenne, was er da isst. Aromatisch hochkonzentriert und in verspielten Texturen. Und gerade bei diesem Gericht ist beeindruckend zu sehen, wie auch mit einfachen Zutaten wie einem Ei und Blumenkohl gearbeitet wird. Ohne Avantgarde und Hui-Effekte, dafür mit der Beflissenheit und Präzision von Schweizer Uhrmachern.

Das dritte ist ein Muschelgericht mit gedämpften Venus- und Stabmuscheln. Der Muschelsud wird mit Butter und Rahm sowie Gemüsen und Kräutern verfeinert. Angerichtet wird wiederum im Servierring. Diesmal ist eine fein gehobelte Karottenscheibe das fixierende Band. Gefüllt wird die Form mit einem stark konzentrierten Erbsenpüree. Darüber die ausgelösten Muscheln und knackig gegarte Fava- und Buschbohnen, Zwiebelringe (ja, einfach nur rohe Zwiebelringe) und Kresse.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Warum heisst ein Spitzsieb auf Französisch Chinois? Fragt Franck den Moderator Waldemar Schön? Als Antwort hält er ihm das Sieb über den Kopf – et hopp – sieht er aus wie ein chinesischer Waldemar!

 

Die Erleuchtung: Fina Puigdevall

Restaurant Les Cols, Olot/Girona (E). 2 Michelin-Sterne. Les plus beaux restaurants du monde 2007 (Pyramyd Éditions). Best Restaurant 2005 (III FIRA TECNOTAST)

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Die katalanische Zwei-Sterne-Köchin Fina Puigdevall wirkt auf mich wie die Björk der Kochkunst. Sie betreibt ein Restaurant, das als eines der schönsten weltweit gilt. Manchmal, ach was, konsequent spricht sie mit Äpfeln. Ihrem Gemüse. Den Hühnern. Sie hat sich in ihrem paradiesischen, transzendenten Kleinod ganz der kompromisslosen „Null-Kilometer-Naturküche“ verschrieben.

Eine ihrer wichtigsten Zutaten, die im nordspanischen Vulkangebiet Garrotxa vor Finas Haustür zu finden sind, ist Buchweizen. Damit präsentiert sie mit ihren zwei Souschefs einige sehr reduzierte, sehr geerdete Gerichte.

Es geht los mit einem Snack aus Mais- und Buchweizenmehl, der typischerweise vor dem Hauptmenü im Garten zum Aperitif gereicht und zusammen mit Wurstwaren serviert wird. Die beiden Mehle werden gekocht und mit Stärke gebunden, dann gemixt und dünn ausgestrichen. Daraus entsteht ein im Ofen getrockneter, hauchdünner Chip, den sie „Crosta“ nennen. Ein Kruste, die an die Brotkruste und an Baumrinde erinnern soll.

Der zweite Snack besteht aus grob gemahlenem Vollkorn-Buchweizen und gekochten Bohnen. Mit Eiern werden daraus Blinis hergestellt. Auf die Blinis kommt „falscher“ Caviar aus Tapiokaperlen, die das Aroma der Bohnenconsommé aufgesogen haben.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Weiter geht es mit Buchweizen-Spaghetti. Wieder wird Buchweizenmehl zu einem dicken Brei eingekocht. Dann mit Olivenöl emulgiert. Abgefüllt in eine Spritzflache wird dann eine spiralförmige Nudel in eine geräucherte Speckbrühe gespritzt und serviert.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Als süsse Speise zeigen sie eine Art Milchreis aus Buchweizen. Gewürzt mit Zimt, Vanille und Zitrone. Wie bei einer Crema Catalana wird vor dem Servieren eine Zuckerschicht darüber karamellisiert.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Knusprige, traditionelle Farinettas werden für ein weiteres, beinahe schon archaisches Süssgebäck frittiert und mit Zucker bestreut.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Für eine weitere Abwandlung mit Buchweizen, wird der gekochte Brei gefriergetrocknet, in Stücke gebrochen und als Einlage in eine Speckbrühe gegeben.

 

Die Verknüpfung: Tohru Nakamura  

Restaurant Geisels Werneckhof, München (D). 1 Michelin-Stern, 18 GaultMillau-Punkte. „Koch des Jahres 2015“ und 4,5 F (DER FEINSCHMECKER). „Entdeckung des Jahres“ (GaultMillau, 2013). „Aufsteiger des Jahres“ (Rolling Pin, 2013).„Nachwuchs“ (Internationaler Eckart Witzigmann Preis, 2011)

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Während ich Backstage mit Niko Rominto spreche (das Interview folgt in einem späteren Blogbeitrag), präsentiert Tohru Nakamura (der anfangs Jahr schon in St. Moritz begeisterte) mit seinem jungen Küchenteam auf seine sehr lässige, unnachahmliche Art vier Gerichte, in denen er seine japanische und bayerische DNA vereint. Er zeigte: Japanisch marinierte Entenleber mit Nashibirne, Sancho (japanischer Bergpfeffer) und Pilzbrioche.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Saibling mit Linsen, Gurke und als Krokant geformte Miso-Äste.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Jakobsmuschel mit Abensberger Spargel der in Biertreber gegart wird, dazu wilder Spargel, Malz und einer Bier-Hollandaise (Bier, weil Bayerisch, verstehst?)

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Kirschblüte (Hanami), Kirschblüten-Chibouse (eine Mousse mit Eiweiss, Rahm und Gelatine), Blüten, Blätter, Sesam und Salzmadel-Eis.

Bereits mit 32 Jahren blickt Nakamura auf eine beindruckend erfolgreiche Karriere zurück. Im Münchner Traditionsrestaurant Geisels Werneckhof erkochte er sich innert eines halben Jahres als neuer Küchenchef einen Michelin-Stern. GaultMillau feierte ihn als „Entdeckung des Jahres 2013“ und zeichnet seine Kochkunst aktuell mit 18 Punkten aus.

 

Die Referenzierung: Jakob Mielcke

Restaurant Mielcke & Hurtigkarl, Frederiksberg/Kopenhagen (DK). 90 Punkte in der „International Masterclass“ (höchste Kategorie). White Guide Nordic 2016. Nr. 13 – Best Nordic Restaurants 2015. COCO – 10 World-Leading Masters choose 100 Contemporary Chefs (Phaidon Press). „Chef Profile of the Year“, Den Danske Spiseguide 2012

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Jakob Mielcke startet seinen Vortrag damit zu erklären, dass er eigentlich kein gelernter Koch sei: «Im Gegensatz zu meinem Küchenchef und meiner Pastry Chef da hinter mir.» Er selber sei ganz einfach süchtig nach Essen und Kochen. Deshalb kam er erst über Umwege zu seiner Berufung. Das Kochen erlernte er autodidaktisch, bevor er die Welt bereiste und bei grossen Meistern wie Pierre Gagnaire arbeitete. Heute zählt er zu den kreativsten Köchen der Welt und ist einer der führenden Vertreter der New Nordic Cuisine. Für seine saisonalen Kreationen lässt er sich von der Natur inspirieren und verbindet dabei skandinavische, französische und asiatische Elemente.

Als erster Snack zeigt er einen Salat, wie sie ihn selbst im Schlossgarten seines Restaurants ziehen. Mit einer eine Vinaigrette und gepressten Baumnüssen und getrocknetem Eigelb.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Es folgt eine Tom Yum, Thai Soup.

Ähnlich wie ein Green Curry präsentiert er ein exotisch angehauchtes Gericht mit Bärlauch, Spargeln und Yuzu. Dazu etwas Sauerrahm mit getrocknetem Shrimp-Pulver.

Fotograf: Nadine Kägi / Event: Chefalps 2016

Er spricht die Schwierigkeit an, in Dänemark (und vermutlich nicht nur dort), gutes Servicepersonal zu bekommen. Leider werde dieser oft als blosser Tellerträger eingesetzt. Er sehe seine Brigade lieber als Gesamt-Kreativteam, von dem auch individuelle Impulse und Ideen für Gerichte aufgenommen werden können. Wie beim folgenden Gericht mit Kombucha, in Tonic marinierter Gurke, Pomelo und Muscheln.

Ein Signature Dish, auf den er sich immer freue, wenn die Jahreszeit dafür beginnt, sind Kieferntriebe. Er serviert sie mit geraspelten Kartoffeln, Schnittlauch, Pistazien und einer geräucherten Karpfen-Emulsion.

CA16_Jakob_Mielcke_Q3A6042_s

«Ananas, die war die letzten 20 Jahre von den Speisekarten der Spitzengastronomie verschwunden. Wir setzen sie ein, um damit eine gegrillte Schweinebrust zu glasieren».

CA16_Jakob_Mielcke_Q3A6087_s

Zwischendurch lässt er uns wissen, dass er sehr gerne sammeln und jagen gehe. Es sei zwar illegal, aber er sei ja hier in der Schweiz, also könne er es uns verraten. Er liebe die Vorstellung, Essen hächstpersönlich auszusuchen und zu erlegen, bevor er es seinen Gästen im Restaurant serviert.

Desserts seien im Norden generell weniger süss. Er mag es auch nicht, wenn am Ende der fein abgestimmten Dramaturgie seines Menüs eine fette Zuckerbombe kommt. Deshalb serviert er so etwas Grasiges, Frisches wie Salat mit Cider, Graspulver, Blüten und mit Jasmin aromatisierter Schlagrahm.

CA16_Jakob_Mielcke_Q3A6074_s

Oder: Mais mit frittierten Algen und warmer Buchweizencreme.

Inspirationsquelle für Mielckes Kochkunst ist die märchenhafte Umgebung des Restaurants: Das Mielcke & Hurtigkarl befindet sich in einem Winterpavillon aus dem 18. Jahrhundert inmitten des Kopenhagener Frederiksberg Parks, dem Royal Danish Horticultural Society’s Garden, einer der ältesten und schönsten Parks der Welt. „Wir haben die klassische Gartenanlage in unser Restaurant geholt – die wundervolle Umgebung spiegelt sich in den Kunstwerken, dem Interieur, den Kräutern, dem freundlichen Design, den Düften und Klängen wider. Eine weitere Besonderheit ist unser eigener Blumen- und Kräutergarten, der nicht nur in unserer Küche, sondern auch im Restaurant selbst eine wichtige Rolle spielt“, erzählt er.

 

Die Kondensation: Niko Romito

Ristorante Reale, Castel di Sangro / L’Aquila (I). 3 Michelin-Sterne. 19,5 Punkte im Gastroführer Espresso Gourmet. 3 Gabeln im Gambero Rosso. Rang drei in Italien (Gambero Rosso und Espresso Gourmet). Lunch of the Year 2011. (L’Espresso). Best Chef 2012 (Identità Golose)

CA16_Niko_Romito_Q3A6431_s 

Den Abschluss an der diesjährigen Chef-Alps setzt ein weiterer Autodidakt der Beeindruckendes geschaffen hat. Die Küche des italienischen Avantgardisten Niko Romito wird seit 2013 mit drei Michelin-Sternen bewertet.

Ohne je eine Kochschule besucht zu haben, betreibt er heute selbst eine der Fortschrittlichsten des Landes. Dazu mehrere «Spazio»-Ateliers, die von Absolventen seiner Kochschule betrieben werden und als Hauptwirkungsstätte das Hotelrestaurant Casadonna in einem alten Kloster in den Abruzzen. Einer kargen Bergregion, fernab jeglicher Spitzengastronomie.

Er werde heute keine Gerichte zeigen, da diese in der Zubereitung bis zu zehn Tage beanspruchen. Auf dem Teller erscheinen diese in einer Schlichtheit, die an Nüchternheit kaum zu toppen ist. Es folgt eine intellektuelle Exkursion, die ebenso als Gesamtschau eines Konzeptkünstlers in einem Museum stattfinden könnte. Er verbildlicht in Slides seinen Werdegang anhand von ikonenhaften Signature Dishes, die seine Identität unverkennbar machen. Etwa:

Zwiebelbrühe, Safran und Parmesan

Salz-Extraktion der Zwiebel, getoastete Safranfäden, mit Parmesan gefüllte Ravioli.

REALE-Assoluto-di-cipolle-parmigiano-e-zafferano-tostato-By-BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Gebratene Artischocke

Lackiert und intensiviert mit reduzierter Artischocken-Glace.

Salat mit Gin und Mandeln

Gin, Salbeiextrakt und Mandelemulsion

Wassermelone und Tomate

Mit Hochdruck komprimierte Wassermelone, die beim Anschneiden keine Flüssigkeit austreten lässt. Tomate 24 Stunden mariniert mit Balsamessig, Thymian, Estragon und Zitrone.

Geräucherte Tortelli mit Capocollo

Perfektes Verhältnis zwischen Pastadicke und Füllmenge, ohne Sauce, nur lackiert.

Spaghetti und Tomaten

Der italienische Klassiker schlechthin mit einer neuen Herangehensweise. Kein Öl wird dafür verwendet, dafür vier verschiedene Tomatensorten die Säure und Frucht konzentrieren.

Kartoffel und Auster

Ein kalter Antipasto. Die Pasta wird in einem Kartoffeldestillat ohne Stärke gegart. Die daraus resultierende Säure harmoniert perfekt mit der Süsse der Auster.

Lamm, Knoblauch und rosa Grapefruit

Anstatt das Lamm, wie in den Abruzzen üblich über Holzkohle zu braten, wird das Fleisch in Schafsmilch gekocht und danach geräuchert. Daraus resultiert, wie er sagt, eine homogene Reinheit.

Kalbsbries, Rahm, Zitrone, Salz

Der Rahm wird mit Weisswein und Zitrone gesäuert, durch die Zugabe von Salz sticht die Süsse vom gegarten Kalbsbries durch die überproportionale Frische.

REALE-Animelle-panna-limone-e-sale-2013-By-BRAMBILLA-SERRANI-PHOTOGRAPHERS

Taube und Pistazien

Ganze Taube in Taubenbrühe mit Niederdruck gegart. Die Pistazien werden bei minus 20 Grad mit Wasser emulsioniert. Er nennt es die ethisch vertretbare Foie Gras.

Essenz

Nachspeise mit neuem Patisseriekonzept. Wichtig dabei, die Balance zwischen Salzigkeit und Süsse. Beim ersten Bissen wirkt es unbalanciert. Aber die Harmonie ergibt sich aus der Mischung aus bitter, salzig und süss, die linear von links nach rechts gegessen werden muss. Säure durch Passionsfrucht, Süsse durch Haselnuss und Mandeln und ganz rechts Bitterkeit aus Kaffee und Enzian. Erst nach dem dritten vierten Löffel stellt sich das Gefühl ein, eine Süssspeise zu essen.

Brot

Schon früh hat Romito den Brotkorb mit diversen Brötchen aromatisiert mit Tomaten, Kräutern oder Oliven aus dem Restaurant verbannt, um ein einziges, wahres Brot herzustellen. Es ist ein reines Sauerteigbrot mit Lievito Madre, das eine lange Teigführung erfährt und aus einer alten, autochtonen Weizensorte gebacken und als eigener Gang im Menü ohne etwas anderes dazu serviert wird.

Wirsing und Kartoffeln

Sein neustes Gericht. Der Wirsingkopf wird dazu direkt auf Holzkohle gegrillt. Danach wird er in Salz, Weisswein und Essig 7 Tagen fermentiert. Anschliessend wird er dampfgegart. Die äusseren Blätter werden ohne Fettzugabe geröstet. Anschliessend werden sie im Pacojet zu einer reinen Emulsion püriert. Aus Anis wird ein Destillat hergestellt. Zum Anrichten wird das Herzstück des Wirsings wie ein Steak geschnitten und erwärmt. Dann mit dem Püree und einer Kartoffelcreme bestrichen, mit Anisdestillat, Rosmarin- und Olivenöl beträufelt.

Für Niko Romito ist „Einfachheit“ der grundlegende Wert bei der Zubereitung seiner Speisen im Restaurant Reale: „Meine Gerichte werden oft als einfach bezeichnet. Das ist sehr richtig im Sinne von nicht kompliziert, bedeutet aber nicht, dass sie ohne Aufwand zubereitet sind. Beim Kochen kann Aufwand von Vorteil sein, Kompliziertheit hingegen nie. Genau diese spezielle Art der Einfachheit kann man nur durch unermüdliche Recherche erreichen – und durch Leidenschaft für die Balance.“

Er hinterfragt die banalsten Dinge, seziert und analysiert Produkte bis zum innersten Kern und stellt sie teilweise mit radikal neuen Kochtechniken auf den Kopf. Im Publikum macht sich spürbar eine Mischung aus Selbstzweifel und totaler Faszination breit. Die Wirkung wird bestimmt noch lange nachhallen. Und spätestens bei der nächsten Chef-Alps garantiert wieder von neuem befeuert werden.



Handcrafted by kubus media.