Eine Lesung und ein weiteres Kapitel Anonyme Köche das noch geschrieben – oder besser, gedreht – werden will, haben mich nach Hamburg gelotst.

Das erste Mal übrigens: Hamburg. Die Stadt ist zum Verlieben. Genau wie die Menschen, die ich hier kennenlernen durfte.

Hier schreibt man Zentrum mit C. Centrum. Ungewohnt, aber passend. Irgendwie humanistisch. Die Stadt wirkt friedvoll und erstaunlich empfänglich für lateinische Lebensart. Der Papst könnte durchaus hier leben, statt in Rom. Entschuldigung, wo bitte gehts denn hier zum Pontifex? Immer Richtung Centrum! Danke. Ave!

Sympathischer Hamburger Habitus: bisschen retro, bisschen arty, bisschen Italianità kultivieren.

Sogar am Steindamm im Stadtviertel St. Georg, wo mein Hotel lag, war es beschaulich, wenn auch nicht die erste Adresse, um essen zu gehen.

Ein kariertes Sitzkissen macht noch keinen Appetit auf einen Frühlingsteller.

Dem Claim ist mutig!

Die meisten hatten mir abgeraten in. St. Georg abzusteigen. Mach das auf keinen Fall! Drogen! Prostitution! Albaner! Aber ja. Und um 1200 wurde hier ein Lepra-Hospital errichtet, 1564 ein Pestfriedhof und der Galgen von Hamburg stand ebenso hier. Alles Geschichte.

Eine andere ist die 25-jährige Geschichte von Universum Box Promotion, Hamburg. Das Erste, komischerweise, was ich mir bei der Ankunft im Hotelzimmer ansah, war dieser Clip

Gleich dahinter jedoch, an der Langen Reihe, liegt Entenhausen. Besser gesagt, das Restaurant X.O.K., wo ich die beste Pekingente gegessen habe, seit ich in Peking Pekingente gegessen habe. Mit einer ultrakrossen Haut.

Die Ambiance ist casual und einladend, es gibt Buffet oder à la carte. Alles wird frisch zubereitet, vieles selbst gemacht.

Dort war am Mittwochabend auch meine Lesung mit Essen. Das Hamburger Abendblatt hatte einen prominenten Veranstaltungshinweis veröffentlicht und das Restaurant war gut besetzt. Sogar aus Hannover sind extra welche angereist (liebe Grüsse!).

Die meisten waren wohl, wie ich, wegen Stevan Paul gekommen. Der hat wie immer mitreissend gelesen!

Nicht nur das Publikum hatte gut lachen an der ersten Lesung mit Essen im Restaurant X.O.K.

Die beste Currywurst auf diesem Planeten bekommt man nicht etwa in Berlin sondern bei Curry Queen in Eppendorf. Ich kann das zwar nicht wirklich beurteilen, denn es war meine erste Currywurst ever! Aber der Laden ist sehenswert, das Konzept überzeugt und die Würste erst recht.

Verschärftes Logo für scharfe Würste.

Auch hier wird alles frisch zubereitet und teilweise selbst hergestellt, von den Würsten über den Ketchup (kommt demnächst in den Verkauf) bis zu den ausgefallenen Currymischungen.

Aufgefallen ist mir das El Bulli-Bier.

Dachte erst, Bully Herbig hätte da was o’zapft, aber auf die Schnapsidee ist er noch nicht gekommen.

Wie El Bulli? Hopfensaft von Ferran Adria? Gleich probiert, die 0,75 l-Pulle für 11,90 Euro. Kommt als Weinflasche daher, das Bier soll aus Weissweingläsern getrunken werden und bis zum nächsten Schluck im Weinkühler stehen.

Du, das perlt aber! Schmeckt ganz angenehm. Und sehr nahe an meinem Lieblingsbier aus Basel, Ueli Bier. Geschmacklich zumindest, preislich ist Ueli dreimal günstiger. Und wir reden hier immerhin von Schweizer Preisen. Aber Marketing ist eben teuer.

Im Designhotel Side musste ich mir unbedingt noch den Reifeschrank der Meatery anschauen. Und was für ein Glück, Küchenchef Hendrick Maas himself nahm sich die Zeit, mir alles über Sinn und Zweck dieses Konzepts näher zu bringen.

Window-Shopping für Fleisch-Fetischisten

Mehr über ihn, dry aged Premium-Beef, das anscheinend sehr en vogue ist und 800 Grad heisse Öfen in denen die Fleischbrocken gegrillt werden gibt es übrigens in der aktuellen BEEF! am Kiosk.

Gewiss, die Einhaltung der Bestimmungen betreffend Lebensmittelhygiene ist eine besondere Herausforderung für Gastronomiebetriebe.

Aber sollten die Reinlichkeits-Lorbeeren wirklich in Form einer unappetitlichen Affiche der Stiftung Warentest die Fassade zieren?

Klar verlässt man sich bei der Wahl eines Restaurants nur ungern auf gut Glück.

Hamburg scheint jedoch in dieser Hinsicht unter einem guten Stern zu stehen.

Meine erste Adresse ist übrigens das Restaurant Trific. Mehr dazu jedoch im nächsten Post.


Lesung, die zweite

Die zweite Lesung und schon wieder eine Premiere!

Diesmal findet die Lesung in Hamburg statt. Mit Dreigang-Menü und mit dem hochverehrten Stevan Paul, der ebenfalls lesen wird.

Was für eine Freude, war ich doch noch nie in Hamburg! Alle Infos und Anmeldemöglichkeit finden sich hier.


Kulinarische Momentaufnahmen ist ein Projekt der angehenden Diplom-Designerin Ariane Bille.

Sie portraitiert 12 Foodblogs (darunter Anonyme Köche), interviewt die Autoren und kocht deren Rezepte nach. Alles sauber dokumentiert auf ihrem Blog. Am Schluss entsteht daraus ein Buch. Viel Erfolg und weiterhin guten Flug, Ariane!

(Foto: Ariane Bille)


Ups! Das ging aber schnell: Alles besetzt.

Samstag in einer Woche gibt es eine Lesung in der Birsig Buchhandlung, Binningen. Aber leider keine Plätze mehr. Das freut mich zum einen. Zum anderen tut es mir natürlich Leid, dass nicht alle dabei sein können.

Ich koche für 30 Personen einen Viergänger und serviere Zwischendurch Appetithäppchen aus meinem Buch. Ob das eine gute Idee ist, Koch, Kellner und Autor in Personalunion zu spielen, wird sich weisen.

Wer auf einer Wiederholung besteht, muss nun seinen Buchhändler, Kulturheini oder Eventmanager bestürmen, eine Lesung mit mir durchzuführen. Eine Mail an claudio@anonymekoeche.net reicht, dann sehen wir weiter.

Als kulturelles Alternativprogramm für den 17.4. empfehle ich die Ausstellung von Jean-Frédérick Schnyder in der Galerie Eva Presenhuber, Zürich oder mindestens seine Schnapsparade in Ruhe anzuschauen. Prost!


Heute vor einem Jahr bebte in den Abruzzen die Erde. In der stark zerstörten Stadt L‘Aquila ist von Wiederaufbau noch keine Spur. Doch Hoffnung, Wille und die Liebe zur Region sind in der Bevölkerung ungebrochen.

Das Leben in Trümmern ist alles andere als Zuckerschlecken. Aber noch lange kein Grund für die komplett lahmgelegte Traditionsfirma Sorelle Nurzia, aufzugeben.

Die betroffenen Bloggerinnen Artemisia und Lydia haben die Firma vor einem Monat angefragt, wie sie ihnen eventuell via Web helfen könnten. Die Marketingleiterin Mara hat ihnen daraufhin einen bewegenden Brief geschrieben.

Wer L‘Aquila sagt, sagt Torrone, sagt Nurzia. Der weisse Nougat oder der weiche mit Schokolade sind seit 1835 Synoym für die Region und eine extrem delikate Spezialität. Mich begleitet Torrone von Nurzia seit meiner Kindheit über Feste, Feiern und Geburtstage und macht aus schlechten schon mal gute Zeiten.

Der Firma ist durch das Erdbeben der wichtige lokale Markt sprichwörtlich weggebrochen. Also heisst es nach vorne schauen und die Produkte national und international so bekannt wie möglich zu machen. Genau das tun Artemisia und Lydia mit ihrem dafür kreierten Blog 99 colombe und über diese Facebook-Seite.

Aus Solidarität posten am heutigen 6. April zahlreiche Blogs einen Beitrag. Nurzia arbeitet an einer neuen Webpräsenz, damit bald auch Online-Bestellungen bearbeitet werden können.

Seit dem Start ging das Projekt 99 colombe (99 Friedenstauben – als Anlehnung an die in Aquila stark verankerte Zahl 99) durch die Medien und hat für einen ersten Schub neuer Bestellungen gesorgt. Küchenchefs in ganz Italien kreieren Desserts mit Nurzia-Produkten und einige nach dem Erdbeben entlassene Mitarbeiterinnen konnten wieder eingestellt werden.

Es ist wirklich beeindruckend, was so eine Blog-Community auslösen kann, wenn sie sich von der Schokoladenseite zeigt.

Traumhafter Torrone: Flockiges Schokoladennougat mit Haselnüssen von Sorelle Nurzia, L‘Aquila.


Wiedervereinigung in Leipzig.

Der reinste Genuss – «Lost in Leipzig» oder Stevan Paul an der Buchmesse: lesen!

Noch grösser ist der Genuss, ihn persönlich zu treffen. Es gibt ja den Begriff Leseinsel an solchen Messen. Well, Stevan ist eine Gesprächsinsel.

Mit ihm auf einen Kaffee oder ein Bier mitten im Rummel abzutauchen, ist elend schön. Er ist, ebenso wie ich, süchtig nach Essen und Kochen und danach darüber zu reden und zu schreiben, so dass man sich sofort und ausschliesslich im Austausch über den neusten Stoff verliert.

Und was der für Fotos von mir und Suter schiesst, danke Stevan!

Ein Schelm, wer da an Gemeinsamkeiten denkt.

Essen auf der Buchmesse: Manchmal würde ich tatsächlich lieber in einen sauren Apfel beissen, aber man will ja nicht den Miesepeter spielen. So ging ich mit meinen Kollegen eine Wurst essen. Dafür ass ich sie ganz despektierlich mit Messer und Gabel, weil ich als Hypochonder auf gar keinen Fall Nahrungsmittel mit «Messehänden» in den Mund führe.

Weiter treffe ich Carlo Bernasconi. Beizer, Autor, Journalist und Persona molto grata. Sein neustes Buch ist umwerfend schlicht. Und die Illustrationen von Larissa Bertonasco einmal mehr betörend. Carlo sagt, ich sei ein Multiplikator. Ich mag sein Buch, ehrlich. Aber ich mache auch deshalb Werbung dafür, weil ich dann bei ihm kochen und eine Lesung machen darf.

Freunde von Orell Füssli aus der Schweiz führen mich Novizen durch das Abendprogramm. Zuerst geht es hierhin wo wir ganz ordentlich essen und sehr nett bedient werden. Die geben sich ganz schön Mühe, eine schöne Stimmung im Restaurant aufkommen zu lassen. Jemand sollte ihnen aber vielleicht sagen, dass Duftkerzen nicht gerade dazu beitragen.

Überhaupt, diese Leipziger. Jede Taxifahrt beinhaltet ein kostenloses Nachdiplomstudium DDR. Ich mache mir kein Bild, wie es gewesen sein muss. Es ist zu surreal, was die Taxifahrer so erzählen. Dazu die vorbeifliegenden Eindrücke aus dem Taxifenster: Strotzende Neubauten neben völlig heruntergekommenen, leerstehenden Altbauten. Die wirken mit ihren fensterlosen Fassaden wie eine Visage mit eingeschlagenen Zähnen.

Und man hat das Gefühl, die Leipziger stehen irgendwie selbst noch völlig ratlos vor ihrer eigenen Vergangenheit und einer gemeinsamen Zukunft.

Aber sie scheinen das Herz am rechten Fleck zu haben. Im Kaffeehaus Riquet lässt es sich sein. Das Frühstück ist zwar noch nicht ganz so authentisch, aber der Wille, den Kunden als König zu behandeln, ist unverkennbar da.

The place to be war die Party in der Moritzbastei. Die Location im immensen Gewölbekeller ist der Renner. Zum Glück hatte mir ein Schutzengel meines Verlags geflüstert (und ein exklusives Ticket besorgt), dass das inkludierte Buffet zwar üppig aber nicht unbedingt appetitlich sei. Was war ich Hypochonder froh um diesen klugen Rat. Sehr froh sogar. Danke, Claudia!

Zu früher Stunde begleiten wir einen Freund heim, bevor wir in unser Heim gehen. Zwei Bilder sagen mehr als tausend Worte:

Der Gang heim ins Hotelzimmer vom Radisson

Der Gang ins Heim von Aparion Apartements

Wir wanken noch etwas vor dem Radisson rum. Unschlüssig, ob wir dem vollgetankten Abend noch einen Absacker zumuten sollen, oder ob wir das dann morgen bereuen werden. Da hören wir einen Betrunkenen nahen, der unentwegt «Hitler!» vor sich hinbellt, als ob er einen lästigen Schluckauf hätte. Er baut sich vor uns auf und kläfft abermals: «Hitler!»

Ich antworte trocken: «Der wohnt hier nicht mehr». Was natürlich zu einem minutenlangen Disput führt. Aber der lohnt sich. Wir raten ihm, einen kräftigen Schluck Wasser zu trinken, damit sich sein «Schluckauf» verzieht. Er jedoch versteht «Schnittlauch». Und dieses Wort gefällt ihm anscheinend so gut, dass er zufrieden weiterzieht und fortan: «Schnittlauch!» statt «Hitler!» vor sich hin bellt.

Tags darauf Besuch bei den wie immer gut gelaunten Jungs von erlesen.tv in ihrem gelben Schulbus vor den Messehallen. Gemeinsame Pläne für einen Auftritt in Hamburg wollen geschmiedet werden. Wir warten kurz vor dem Bus und reden, während drinnen eine Lesung aufgezeichnet wird. Plötzlich reisst der Typ, der gerade liest, das Fenster auf und brüllt: «Fresse halten!»

Ich schaue verwundert auf den Mann im Leopardenkostüm und denke, ein Cosplayer? In dem hohen Alter? Nein, klärt man mich später auf, das ist doch Claude-Oliver Rudolph. Aha, das erklärt natürlich auch, weshalb er nicht in diesem Film mitgespielt hat.

Herrn Gri haben wir übrigens auch entdeckt an der Messe. Auch er hat sich den Myriaden von Cosplayern angeschlossen.

Das Abendessen im Weinstock kann sich sehen lassen. Ebenso die Riemann, die aber, so scheint es, nicht zum Essen gekommen ist, sondern zum Rauchen. Dauernd pilgert sie mit ihrer Entourage hinaus und wieder hinein. Erkannt hat sie glaub ich jeder, aber hingesehen hat keiner.

In der Mephisto Bar machen wir uns dann eine letzte Vorstellung davon, wie Menschen aussehen, die irgendwomit Erfolg haben oder hatten und gleichzeitig irgendwie gestrandet sind.

In Leipzig vereint sich das alles auf Schritt und Tritt.


Winke, winke.

So, ab nach Leipzig. Mal sehen, wen ich da alles so treffe. Dieser Herr Gri da oben im Bild soll sich ja laut meinem Begleiter auch auf der Buchmesse rumtreiben.

Das heisst wieder einmal Zug fahren. Langweilig wird das nicht, weil ich, wie schon nach Frankfurt, mit Boris fahre.

Anders sind lange Autofahrten in die Ferien. Mit Kindern, das kennt man, muss man sich die Zeit etwas vertreiben. Wir stellen dann gerne Top Ten-Listen zu allerlei Themen zusammen.

In den letzten Ferien haben wir uns während der Fahrt überlegt, welche Dinge bisher noch von keinem Navigationsgerät zu hören waren. Dutzende haben wir uns gegenseitig mit der Stimmlage von «Lisa», die übrigens von ihr gesprochen wird, rezitiert. Damit haben wir Stunden, ja Tage verbracht!

Hier also unsere Top Ten Ansagen, die vermutlich noch kein Navi gesprochen hat:

Platz 10: «Der Weg ist das Ziel.»
Platz 09: «Diskutieren Sie das bitte draussen.»
Platz 08: «Ruhe bitte, ich muss mich konzentrieren!»
Platz 07: «Wenn möglich, bleiben Sie wach.»
Platz 06: «Biegen Sie rechts ab! – Gut, dann sag ich eben nichts mehr.»
Platz 05: «Bleiben Sie zuhause.»
Platz 04: «Überholen Sie. Dann, zeigen Sie den Vogel.»
Platz 03: «Ich glaube, da waren wir schon mal.»
Platz 02: «Drehen Sie bitte diese nervige Musik leiser.»
Platz 01: «Folgen Sie dem Wagen da vorne!»


Falsche Zeit, richtiger Ort

Genau, nichts rauswerfen. Schon gar nicht Geld für schlechtes Essen.

Vielleicht war es aus Vorfreude auf die bevorstehende Reise ins Piemont.

Eins nach dem anderen kullerten klassische Musikstücke aus dem iTunes Store auf meinen iPod, als wären es Pop-Songs. Was sie tatsächlich längst sind, dank Untermalung unzähliger Filme und Werbespots. Nun sekundieren sie die vorbeiziehende Landschaft aus dem Zugfenster in Richtung Süden.

Claire de Lune – Claude Debussy
Tarantella (Il Padrino) – Nino Rota
Waltz No. 2 – Dmitri Dmitriyevich Shostakovich
Duo des Fleurs (Lakmé) – Léo Delibes
Promenade Sentimentale – Théodore Dubois
Va, Pensiero (Nabucco) – Giuseppe Verdi
Preludio Atto 1 (La Traviata) – Giuseppe Verdi
Adagio in G Minore – Remo Giazotto
Adagio for Strings – Samuel Barber

Die Region Vercelli hat mich auf eine «Educational Tour» eingeladen. Das Konsortium Riso di Baraggia DOP, sowie diverse regionale Organisationen unternehmen gemeinsam grosse Anstrengungen, Land, Kultur und Produkte bekannt zu machen. Allem voran den erstklassigen Reis.

Einzigartig auch deshalb, weil Reis aus dieser Region, im Gegensatz zu anderen Reisanbaugebieten in Italien wie der Lombardei oder des Veneto, über die geschützte Ursprungsbezeichnung DOP verfügt, genauer die Sorten: Arborio, Baldo, Balilla, Carnaroli, S. Andrea, Loto und Gladio.

Wie naturbelassen, gesund und absolut wertvoll Reis im Ursprung ist, wird einem immer besonders bewusst, wenn man eine Magenverstimmung hat. Weisser Reis ist dann das Leichteste, Zarteste und doch Nahrhafteste, was du deinem Körper zuführen kannst. Und DOP heisst auch, einen Reis zu bevorzugen, der für eine garantiert kompromisslos hohe Qualität bürgt.

Wirklich aussergewöhnlich jedoch sind die Menschen dieser Region. Sie sind etwas karg. Wie ihre Böden. Schon der Name «Baraggia» steht für unkultiviertes, wenig fruchtbares Land. Dass die Bauern diesem sauren Boden den besten Reis abtrotzen und zudem den größten Umschlagsplatz für Reis in Europa betreiben, zeigt, wie zäh diese Zeitgenossen sein müssen.

Riso Amaro (Bitterer Reis), ein Klassiker des Italienischen Neorealismus wurde in diesem Gebiet gedreht. Schade, dass wir zwar pfundweise Prospektmaterial mit schönen Bildern in die Hand gedrückt bekamen, aber keinen Reisbetrieb oder die filmreife Kulisse mit den bepflanzten Feldern zu sehen bekamen.

Das lag natürlich auch an der Saison: «Ihr seid leider zur falschen Jahreszeit gekommen», wurde uns in typisch italienischer Unbekümmertheit beschieden. «Im Mai stehen hier alle Felder unter Wasser. Ein stahlblauer Himmel und der Monte Rosa spiegeln sich darin – es ist spektakulär – das muss man gesehen haben!»

Dass sie die Agenda für Besuche dieses Naturspektakels setzen, ist ihnen anscheinend zu wenig bewusst. «Na ja, ihr kommt dann einfach noch Mal im Mai, dann werdet ihr schon sehn.»

Sinn für Humor musste man auch bei der Unterkunft zeigen. Wer des Italienischen mächtig ist, geht mit gemischten Gefühlen in ein Hotel, das «Bettola» heisst: Spelunke. Das war es zum Glück überhaupt nicht, aber dafür ausserhalb einer vernünftigen Reichweite zum netten Zentrum von Vercelli. Immerhin gab es aber auch keinen Internetanschluss.

«Bedaure, wir haben kein Wireless», sagte die nette Receptionistin. «Ich kann Ihnen ein Telefonkabel geben, aber ich weiss nicht, ob sie es wissen: Das ist sehr, sehr langsam. Ansonsten können sie gerne unseren Computer benutzen. Allerdings erst nach 21 Uhr, wenn der Nachtportier die Reception übernimmt.»

Den Piemontesern haftet das Klischee der Kauzigkeit an. Ich weiss nicht, ob die das wissen, aber man macht sich sehr, sehr schnell einen Reim darauf. Ausserdem sagt man, sie seien «falsi cortesi», unaufrichtig höflich. Das finde ich gar maliziös und das geht wohl auf die Zeit zurück, als ihnen die Savoyer ein Minimum an höflichem Gebahren oktroyierten. Aber irgendwie tut sich der Italiener ja im Allgemeinen schwer, mit ungeschminkter Offenheit.

Ein Kenner und «Pate» der Reisregion zeigt mir, wie schön die Baraggia zur richtigen Jahreszeit wäre.

Irgendwie tun sie sich immer noch schwer damit. Als wir in Gattinara die Kellerei Nervi besuchten, kühlte man unser vitales Interesse über eine Stunde mit Theorie im Weinkeller runter anstatt es mit einer Degustation zu erwärmen. Der hat vielleicht Nerven dieser Nervi! Er weiss eben leider zu gut, wie gut sein Wein ist.

Und auch wenn nicht immer alles wie am Schnürchen oder nach unserer pingeligen Vorstellung abläuft, lieben wir Italien doch eben genau wegen solcher Anekdoten.

Im Keller von Nervi bleibt kein Auge trocken – dafür die Kehle.

Dem lustigen doch etwas gehetzten Küchenchef der Hotelfachschule, die im Anschluss an die nicht stattgefundene Weindegustation auf dem Programm stand, konnte ich dann immerhin ein paar Wahrheiten zum Thema Risotto abkaufen:

Besser Schalotten, als Zwiebeln verwenden, sie sind eleganter // Soffritto geht sowohl mit Schalotten als auch mit Knoblauch // Tendenziell Schalotten mit Butter, Knoblauch mit Olivenöl («Battu») kombinieren // Niemals Knoblauch und Schalotten mischen (tut das gut, ich predige das schon lange!) // Weisswein wird prinzipiell nur verwendet, um mit der Säure einer fettigen Zutat (z.B. Lardo) entgegenzuhalten // Ist der Soffritto fettarm (z.B. für weissen oder Gemüserisotto) oder wird gar Olivenöl statt Butter verwendet, kann Weisswein zu aufdringlich sein // Es braucht ohnehin nicht zwingend ein Soffritto, oder Fett, um einen Risotto zu starten, die «tostatura», das zwingende Erwärmen der Reiskörner kann sogar auf dem blanken Topfboden vorgenommen werden // Weitere Zutaten wie Gemüse, Fleisch- oder Fischsaucen können problemlos in einem zweiten Topf zubereitet werden und erst zum Schluss unter den Risotto gemischt werden – Risotto ist nicht gleich Eintopf! // Für Rotweinrisotto wird der Rotwein immer erst in einem separaten Topf reduziert, mindert Alkohol und Säure // Sahne ist verpönt, für die «mantecatura», das Einrühren der letzten Zutat vor dem Servieren wird meistens Grana oder anderer Käse verwendet, manchmal in Kombination mit kalter Butter // Ständig Rühren? Nein, volle Konzentration ja.

Zu Essen gab es reichlich, von erschreckender Simplizität und Güte, z.B. zehn Gänge und mehr, inklusive der obligaten Bagna cauda, carne battuta, Pasta, Risotto, Brasato al Barolo usw. Das Aufregendste war ein Reisgericht aus der Region Vercelli: Die «Panissa». Die klassischen Zutaten sind: Carnaroli-Reis, Schalotten, Borlottibohnen, Rotwein (z.B. Barbera), Lardo und/oder Schwarte, ein regionaler Salami namens «Salam d‘la duja» und Grana Padano.

Muss man gegessen haben, Panissa: Ist sie zu derb, bist du zu posh.

Carlo Zaccaria vom gleichnamigen Reisproduzenten aus dem benachbarten Biella bereitet in diesem Video eine zu. So einen Typen und seinen Betrieb hätte ich gerne besucht. Ach, ich glaube, ich muss im Mai doch noch einmal hierhin kommen.

Dann lohnt sich vielleicht auch der Rundflug über die Baraggia, den die Gastgeber als Programm-Highlight gesetzt hatten. Nur eben, wir sind zur falschen Zeit hier: «Jetzt seht ihr natürlich so gut wie nichts!».


Gelesen: Martin Suter, Der Koch

Wer schön sein will, muss leiden. Wobei einem Leid oft von aussen zugefügt wird.

Martin Suter bittet zu Tisch. Gesitzt wird allerdings auf Kissen und gegessen mit den Händen. Man darf gespannt sein: Es gibt aphrodisischen «Love Food» – molekularfrisiert.

Natürlich ist sein neuester Roman «Der Koch» (Diogenes) Pflicht. Keine Frage. Schliesslich träumt man als Werbetexter davon, dem ehemaligen Werbetexter Suter nachzueifern und eines Tages ebenfalls einen Roman zu veröffentlichen.

Und dann erst noch mit einem Koch als Titelfigur!

Dieser Koch, der tamilische Asylbewerber Maravan, arbeitet vorerst unter seinem Niveau als Tellerwäscher in einem Zürcher Sternelokal. Als er gechasst wird, bahnt sich Kraft seiner befreiten Begabung so etwas wie eine glanzvolle Tellerwäscherkarriere an.

Aber obwohl das Catering für Liebesmenüs, das seine ehemalige Arbeitskollegin Andrea mit ihm aufzieht, boomt, will so partout kein Glanz aufkommen.

Daran sind aber nicht Maravans verwegene wie geniale Rezepte Schuld, sondern äussere Umstände. Und genau dort setzt Suter seine stärksten Instrumente an: Seziert Statusdünkel, demaskiert Dekadenz und legt Befindlichkeiten bloss. Für diese Gabe muss man ihn lieben.

Kritiker monieren, Suter verzettle sich im Roman mit der Verstrickung von Finanzkrise, Waffenhandel und Bürgerkrieg in Sri Lanka oder der Anspielung auf allerlei Aktualitäten. Dem kann man entgegenhalten: Ja, wir verzetteln uns doch auch. Seit die Finanzmarktkrise, einem schwarzen Loch gleich, alles zu schlucken scheint, was nicht niet- und nagelfest ist.

Statt sich auf das eigene Leben zu konzentrieren, inhalieren wir, gelähmt wie der Hase vor der Schlange, die täglichen Hiobsbotschaften und verknüpfen sie mit dem eigenen Schicksal. Da eine Pandemie, hier ein Beben, dort Entlassungen, Skandal rechts, Blamage links. Wir kommen einfach nicht vom Fleck. Alle und alles ist immer gegen uns.

So sind auch die Romanfiguren auf unangenehmste Weise irgendwie voneinander abhängig. Und machtlos, die Dinge so zu beeinflussen, wie sie sie gerne hätten. Dieser nüchterne Blick auf den Lauf der Welt stellt Suter wie eine trübe Tasse hin und lässt uns Bitterkeit schlürfen.

Dafür nippen wir da und dort an seinem trockenen Humor und geniessen die präzisen (teils sehr helvetischen) Bilder, die Suter einmal mehr zeichnet (Kritiker sagen, Suter bediene Klischees, anstatt Figuren herauszuschälen. Sagen wir, Suter braucht dazu keine seitenlange Texte – ein treffender Satz reicht).

Aber was wird eigentlich gekocht? Suter liebt offensichtlich exotische Rezepte und ist fasziniert von der Molekularküche. So lässt er Maravan die Kochkunst Sri Lankas, in die ihn seine Grosstante eingeweiht hat, wirkungsvoll in die angesagte Präsentationsform übersetzen.

Durchaus leidenschaftlich und fundiert. Die Rezepte basieren unter anderem auf den Büchern von Heiko Antoniewicz und sind als Anhang zum Roman für Experimentierfreudige aufgelistet.

Maravan nimmt man Handwerk und Aufrichtigkeit ab. Auch wenn einem so manches aus der Molekularküche als ziemlich aufgeblasener Modegag vorkommt. Ungefähr so wie diese T-Shirts mit Schulterpolstern, die jetzt wieder in sind.

Und selbst Suter macht sich einen Spass daraus, die überkandidelten Kreationen Huwylers, dem ehemaligen Arbeitgeber Maravans, implodieren zu lassen:

[„Mariniertes Makrelenfilet auf seinem Fenchelherzbett mit Bärlauchsabayon“, verkündete sie. Keiner der beiden Herren blickte auf seinen Teller, beide hatten nur Augen für die Frau, die sie gebracht hatte. Nur Huwyler starrte auf die Bärlauchsabayon, die als grüner Schleim den ganzen Tellerboden bedeckte.]


Kassen-Aikido

Eigentlich bin ich davon ausgegangen, dass diese Zeiten endgültig vorbei wären. Jedenfalls, was mich angeht. Ich dachte, mir würde so etwas nicht mehr passieren. Auf keinen Fall. Dass ich praktisch ausgeklammert wäre. Kraft meines Fluidums, oder so, verschont bliebe.

Ich? Opfer einer asozialen Alltagsaggression? Einer kleinkarierten Karambolage? Eines schäbigen Scharmützels? Einer prolligen Provokation? Einer rentnerischen Reiberei?

Nun, die Sprache des fremden Einkaufswagens, dessen beharrlicher Schub sich an meinem Oberschenkel bemerkbar machte, liess leider wenig Spielraum zur Interpretation: Da versuchte doch tatsächlich ein Bulldozer von einem Mitmenschen, mich aus dem Kassenweg zu räumen, bevor ich überhaupt meine Einkäufe bezahlt, geschweige denn in voller Anzahl auf das Warenband gelegt hatte.

Wie ein Lufballon an einer Stecknadel platzte mein Urvertrauen in meine Unantastbarkeit und damit jegliche Contenance, die ich zu bewahren pflege.

An eine flapsige Bemerkung zur Deeskalation war nicht zu denken. Mein Esprit auf Energiesparmodus. Ich auf 200.

Doch bevor ich diesem gottverdammten Arschloch auch nur eine einzige verbale Granate entgegenschmettern konnte, kapitulierte ich. Denn ich blickte auf eine Kreatur, die sich sämtlichen Naturgesetzen zu wiedersetzen schien.

Eigentlich gehörte dieses Lebewesen, oder was davon noch übrig war, auf die Intensivstation. Angeschlossen an dutzende von Schläuchen, röchelnde Maschinen und piepsende Monitore.

Der alte Mann sah wirklich unglaublich alt aus. Ich meine alt im Sinne von fertig, nicht von gealtert. Eine grosse Erscheinung, geradezu geräumig. Sehr bleich, direkt käsig. Kalter Schweiss im Gesicht und graue, feuchte Fäden auf der Stirn. Schwer durch den offenhängenden Mund atmend, eine gelbe untere Zahnreihe bleckend. Matte Haifischaugen.

Aber das Fieseste: Er stützte sich mit beiden Armen auf Krücken ab! Zusätzlich wurde er noch durch seine zierliche Frau vorsichtig seitlich abgestützt. Ich brachte keinen Ton hervor. Eine heisskalte Welle des Mitleids übergoss sich über mir. Das war bestimmt nicht seine Absicht! dachte ich.

Auf der anderen Seite, wieso starrte der Kerl mich weiterhin so fordernd an? Nein! Hör auf! Sag nichts! hörte ich mich sagen. Du hast dich nicht unter Kontrolle. Du wirst grausam ausfällig. Das Ganze gibt eine ganz wüste Szene. Und die endet dann in einer grellen Schlagzeile auf der Titelseite eines Boulevardblatts: «RABIATER FAMILIENVATER BRÜLLT OPA TOT!»

Geärgert habe ich mich trotzdem. Über die fehlende Coolness. Meine und seine.

Aber die beste Story erzählt mir mein Schwager, als ich ihm die Geschichte auftische. Er ist gut trainiert – geistig, nicht unbedigt körperlich. Er fährt nämlich viel mit dem Zug und kauft oft am Bahnhof ein – die Königsklasse in Sachen Gedrängebewältigung und Kassenstressmeisterung.

Obwohl, an diesem ruhigen Samstag war er in einem beschaulichen Quartierladen. Das hinderte eine Oma hinter ihm freilich nicht, eine Rallye anzuzetteln.

Er wurde durch ihre Überholungsversuche innerhalb der Kassenschlange dermassen drangsaliert, dass er sich ab einem gewissen Punkt sagte, okay, ich bin Feng, mach du Shui! – Hebte seine Arme in die Luft, machte einen wirkungsvollen Schritt zur Seite und liess sie vor.

«Siebenundzwanzigneunzig!», sagte die Kassierin, als sie fertig war mit einscannen. Und schon ging das Zetermordio los: «Das ist nicht meine Ware! Das hab ich gar nicht gekauft, das sind nicht meine Sachen!».

«Ehm, gehören diese Artikel etwa Ihnen?», wollte die Kassiererin von ihm wissen. «Jaja.» «Aber was macht dann die Dame vor Ihnen?» «Das weiss ich auch nicht, aber Reisende soll man nicht aufhalten!»

Diese Aikido-Regel will ich mir einprägen! Nutze die Kraft deines Gegners.

(Illustration Patrick Widmer)



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