Museumsreif
Vom 16. Januar bis 14. Ma?rz zeigt das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt: AGIP — Die Tankstelle des Wirtschaftswunders
Ich habs ja schon immer gesagt – und sogar geschrieben – es gibt kein schöneres Logo für einen Kraftstoffkonzern!
Aber bevor ich nach Frankfurt gehe, darf ich wieder einmal nach München kommen. Am Montag bin ich auf der Gambero Rosso Roadshow – wer von euch geht auch?
Andere Laender, andere Sitten
Denn sie wussten, was zu tun war
Am Wochenende fand das «Porkcamp» auf Gut Hesterberg statt: Es sollte das allerbeste Wochenende aller Zeiten werden.
Foodblogger und Foodlover fanden sich gemeinsam ein, um Schweine von Kopf bis Fuss zu verarbeiten und zu essen.
Um zu wursten und zu braten, Metzgerfrühstücke einzunehmen und zu unseligen Zeiten unfiltriertes Landbier zu trinken. Um sich über Tierhaltung zu unterhalten, über alte Rezepte und neue Ideen.
Hier beginnt die einzigartige Sammlung von Texten und Bildern. Ich wollte, ich wäre dabei gewesen.
(Illustration Fräulein Schiller)
Herd, Chef, Comis
Mir war die Rechnung von Oliver Trific zu kompliziert. Im Kommentar des vorigen Beitrags liess er mich wissen, dass seine Crew aus 1/12 der Rochat-Brigade besteht.
Also bat ich ihn um einen detaillierten Belegungsplan, damit ich mir das besser vorstellen kann. Danke, Oliver!
Oliver wird einen Traum, den sicher viele unter uns insgeheim träumen, in die Tat umsetzen und schon bald sein eigenes kleines Restaurant eröffnen.
Wer mitfiebern möchte, kann dies über seine Facebook-Fanseite, seinen Blog oder der Restaurant-Website tun.
Viel Glück, Oliver! Freu mich, schon bald einmal bei dir sitzen zu dürfen.
24 personnes en cuisine
Fundstück der Woche: Belegungsplan der Küchenbrigade von Philippe Rochat, Restaurant de l’Hôtel de Ville, Crissier.
Essen wie bei Gott Zuhause
Es gibt zwar einen Küchengott. So wie es ja Küchengötter gibt. Aber zu glauben, es gäbe einen Koch, der gottgleich über allen anderen Köchen steht, ist unsinnig.
Genauso unsinnig wie die Frage: Wer ist die schönste Frau der Welt oder welches ist der beste Song aller Zeiten. Folglich kann auch niemand existieren, der – absolut gesehen – besser kochen kann als alle anderen.
Denn Gott, so hört man, sei allgegenwärtig und ganz allgemein überhaupt in Allem.
Göttlich, so liesse sich daraus schliessen, kann also gleichzeitig ein sündhaft gutes Brot von einem ehrlichen Bäcker sein, wie auch das Geschmacks-Oeuvre eines Sternekochs. Dies als Prämisse.
Trotzdem ist es ein little trip to heaven, wenn man zu Horst Petermann‘s Kunststuben fährt. Erst recht, wenn dies zum ersten Mal geschieht. Und einmal im Leben sollte man dies ja tun, wie kürzlich zu lesen war.
Über 20 Jahre auf 19 Punkte-Niveau zu kochen und mit zwei Sternen dekoriert zu sein ist selbst für ein «Membre de la Haute Cuisine de France» ohne jede Hemmung anbetungswürdig.
Auch wenn er Wichtigtuerei nicht mag. Oder Weisswein, wie er mutig bekennt.
Lieber mag ers geerdet. Wie mit seinem chinesischen Faltenhund Bob im Garten zu arbeiten. Ha! Da würde man doch gerne mit den gespitzten Ohren einer Feldmaus mitlauschen: «Bob, buddel mir doch büdde mal n Loch für die Wildrosen. Xièxie!»
Strahlen ist an diesem grauen Wintertag für das unscheinbare Häuschen nicht einfach. Ebensowenig wie für die Besucher, den Eingang im Schneematsch watend auf Anhieb zu finden. Aber schon schweben den verirrten Gästen zwei Engel in Gestalt von Köchen aus der Küche entgegen und bieten sicheres Geleit bis zur Tür.
Das Intérieur ist ein heftiger Kontrast zur äusseren Erscheinung. Nicht, dass ich mir Gedanken über ein Redesign machen würde. Die Eighties sollen ja wieder sehr en Vogue sein.
Irgendwie kann ich eine gewisse Gottgefälligkeit doch nicht ganz abschütteln und nörgeln kommt mir ganz schön unverschämt vor. Aber einige Elemente der Ausstaffierung erinnern doch stark an ein Set von Six Feet Under. Man kommt einfach nicht vom Thema los.
Dann jedoch beginnt ein wahrhaft kulinarisches Karussell. Von der ersten Sekunde weg ist die Stimmung von einer selten erlebten, ungezwungenen Freundlichkeit. Küche und Service ticken mit erschreckender Präzision. Ein Gefühl von wohliger Umsorgtheit begleitet uns mit jedem Gang.
Die Karte kann im ersten Moment überfordern, weil man alles – sprich das ganze Mittagsmenu – ordern möchte. Was sich als zu viel des Guten erweisen könnte.
Aber erstens: Man darf sich so viele Gänge daraus zusammenstellen wie man mag. Und zweitens ist es nicht: Entweder Gänseleber-Cigare mit schwarzen Trüffeln im Sauternes-Gelée oder Entenleber-Praline auf Apfel-Chutney oder Gebratene Gänseleber auf Linsen mit Minze sondern das alles miteinander ist der erste Gang.
Welch geniale Entscheidungshilfe! Und als Auftakt ein betörendes Amuse-Gueule:
Polenta mit Steinpilzen (ein schaumiger Shot im Glas), eine Entenbrust-Tranche auf Tabouleh, ein Mango-Cannoli und ein Cannellone gefüllt mit Crevettentatar.
Es folgen:
Gänseleber-Cigare mit schwarzen Trüffeln im Sauternes-Gelée (göttlich! man muss es schreiben), Entenleber-Praline auf Apfel-Chutney, Gebratene Gänseleber (ups, mehr karbonisiert denn karamellisiert) auf Linsen mit Minze.
Halber Hummer auf Bohnen (und was für grün-leuchtend-knackige!) mit Schalotten-Confit und Hummersüppchen (unseligerweise in zu knapper Portion).
Gebratene Jakobsmuscheln mit einem Lauchraviolo an einem Zitronen-Sabayon mit Orangenöl.
Gebratenes (na, sagen wir sautiertes) Kalbsfilet mit weissen Trüffeln aus Alba
auf einem Petersilienwurzel-Puree
Französischer Trüffelbrie
Schokoladen-Millefeuille mit Minze und Pfeffer, Kleines Schokoladen-Souflé und
Krokant mit Schokoladenschaum dazu Mandarinen-Buttermilch-Eis (intrigierend-weihnachtlich gewürzt!)
Alles von so hervorragender Qualität und in einer so schnörkellosen Leichtigkeit zubereitet, dass man am liebsten wieder von vorne begonnen hätte.
Etwas, das nicht unerwähnt bleiben darf (andere mäkeln am Brot herum – wer will schon Brot zu so einem Opus?): Warum ist der Espresso, hier wie auch in anderen Sternelokalen, so ein verwässertes Stiefkind?
Und dann die Tassen – Jesses Maria! Es fällt mir schwer zu glauben, das diese Goldflöten (ja, Gold, wir sind schon wieder beim Thema) nicht bei HSE 24 oder einem anderen Teleshopping erworben wurden.
Aber wer so göttlich speisen durfte ist milde, demütig – und verzeiht.
(Bildquelle: McCann, Paris für Nespresso)
Morgen ist wieder hier und jetzt
Die wohl schlichteste Mahlzeit im letzten Jahr: Ravioli al Tartufo bianco.
Die in hauchdünnen Teig verpackte Glückseligkeit wird von Patrizia Fontana in Zürich hergestellt.
Die Frau von Boris „Yello“ Blank betreibt an der Scheuchzerstrasse seit Jahren einen italienischen Feinkostladen und das Handwerk der hausgemachten Pasta.
Mehr als eine Weisswein-Schalottenreduktion, die mit einer Butter-Rahm-Mischung aufgeschäumt wird, braucht es dazu nicht – und man fliegt auf und davon.
Direkt in die Arme von Dieter „Yello“ Meier flog ich Ende Jahr – ebenfalls in Zürich. Meier, erfolgreicher Biozüchter von argentinischem Beef und Wein betreibt nebst dem schicken Restaurant Bärengasse ein schnuckeliges, kleines Kontor.
Eher unerwartet für ein Weinkontor, laden vier Bistrotische zur traulichen Einkehr. Eine Flasche seines vorzüglichen Malbecs ist schnell geordert.
Noch schneller geht die Bestellung des Essens. Denn es stehen genau zwei Dinge auf der Schiefertafel: Entrecôte double oder Tartar von seinen argentinischen Rindern. Nada más!
Ob solcher Reduktion aufs Wesentliche bleibt sogar mir die Spucke weg. Darauf muss man mit einer weiteren Flasche anstossen.
Im nächsten, glasigen, Augenblick der Weinseligkeit klingelt das Glöckchen der Ladentüre und Meier himself tritt ein. Also auf. Es kommt einem vor, wie ein Besuch des Heiligen Nikolaus an diesem Vorweihnachtsabend.
You Gotta Say Yes to Another Excess: Finkus, Monique & Dieter Meier, Claudio
Es war nicht der Hellseher, der mir mitteilte, dass ich dann zur Krönung des Jahres bei Gott zuhause speisen würde. Sondern die Schwester meiner Frau, die uns dorthin zum Essen einlud. Aber davon im nächsten Post.
Wer hat die grösste Aura im ganzen Land? Die zukünftige Schweizer Boxlegende Angelo Gallina, der helle Wahnsinn Mike Shiva oder der anonyme Koch?
Ich wünsche euch allen grandiose kleine und grosse Momente in Zwanzigzehn – der Genuss steckt im Detail!
Danke für die Lesetreue, die Kommentare und Anregungen und die vielen Komplimente zu meinem Buch. Es heisst, es sei ein wunderbares Geschenk. Und das ist das grösste Geschenk für mich.
Ich freue mich, das nächste Jahr mit euch zu teilen!
The Coke Side of Life
Man muss sich nun doch fragen, ob man mit kalorienarmen Getränken abnehmen kann. Ich fürchte, ja. Besonders beim Denkvermögen.
Auch nach minutenlanger Konzentration bin ich unfähig, aus dieser bizarren Gleichung etwas Substanzielles herauszulesen: 0,5 L = 2 von/de 250 ml.
Na, und? Wer will das wissen? Muss ich das wissen? Oh, und was kommt dann als Nächstes? Spaghettipackungen mit dem Aufruck 500 g = 2 von 250‘000 mg? Wow!
Was will mir die Herstellerin bloss damit sagen? Ich überlege – und auf wundersame Weise nimmt dadurch mein Denkvermögen zu!
Und ich denke: Will sie, dass ich das Trinkvergnügen auf zwei freudig erfrischende Etappen aufteile? Oder soll ich den Inhalt mit einer netten Person teilen, weil – wie sagt man so schön – Freude das einzige ist, das sich vermehrt, wenn man sie teilt?
Aber dann wären doch 4 von 125 ml noch besser? Oder wäre das in den Augen der netten drei auserwählten Personen schäbig und aus Freude würde Feindseligkeit?
Warum nur drucken die so etwas auf ihre Etiketten? Ich checke eine 1,5 L-Flasche. Tatsächlich: 1,5 L = 6 von/de 250 ml steht da!
Genug Denksport! Ich will Fakten, wähle die 0848 808000 und frage geradeaus:
Auf der Etikette der Halbliter-PET-Flasche Cola Zero steht 0,5 Liter gleich 2 von 250 Milliliter. Wie viele Deziliter sind 250 Milliliter?
0,25.
0,25 Deziliter?
Nein, stopp. 0,25 Liter … also, 250 Milliliter sind zweieinhalb Dezi!
Heisst das, ich muss den Inhalt auf zwei Gläser verteilen?
Nein, natürlich nicht! Das ist nur eine Einheit.
Ich darf also das ganze Fläschchen austrinken, oder ist das zu viel?
Ja, natürlich dürfen Sie, das ist nicht zu viel.
Was wäre denn zu viel?
Also es gibt da eigentlich kein Maximum. Aber eine gemässigte Einnahme ist nie falsch.
Warum steht das überhaupt auf der Etikette, ist das wichtig?
Das ist einfach eine Standard-Einheit.
Meine Trinkgläser fassen aber nur 1,5 dl. Wie viele davon kann ich füllen?
1,5 dl-Trinkgläser? Ja, 0,5 Liter durch 1,5 halt!
Ja …?
Das gibt …, das gibt … vier und einen Schluck! Nein, Moment: Dreimal 1,5, oder? Was gibt das? Dreimal 1,5 dl gibt 4,5 dl – plus einen halben.
Dann mache ich nichts falsch, wenn ich 1,5 dl-Trinkgläser verwende?
Nein, 250 ml ist nur eine Ernährungseinheit. Die bezieht sich auf die Nährwerttabelle die daneben steht. Sehen Sie die? Da steht doch drauf wie viele Kalorien da drin sind und so. Also gut, hat ja eh fast keine Kalorien drin. Aber alle Angaben beziehen sich auf diese Ernährungseinheit von 250 Millilitern. Wenn Sie wissen möchten, wie viel das dann für 0,5 Liter sind müssen Sie einfach mal zwei Rechnen.
Mal zwei also. Aha, ist ja ganz logisch, danke.
Ich nehme alles zurück. Coca-Cola Zero regt das Denkvermögen definitiv an.
Welcome to the Coke side of life!
Frankfurt, gemessenen Schrittes
So. Essen war für einmal tatsächlich nicht das Wichtigste für den anonymen Koch. Obwohl ich mir, kaum 10 Meter aus dem Bahnhof, schon gewisse Fragen stellte:
Aber als Buchmesse-Debütant war ich auch auf Anderes fokussiert. Überhaupt, fokussiert. Das heisst, dass man in erster Linie alles ausblendet und vorbeischwimmen lässt, was einen nicht interessiert. Sonst geht man unter.
Der Klagelieder hatte ich genug gehört. Es schien, alle hassen es, an die Buchmesse zu gehen. Meine Empfehlung: Dann überspringt halt dieses Kapitel. Wenn das nicht geht: Fokussiert euch. Ich hatte zum Glück schicke aber bequeme Schuhe eingepackt, einen klaren Kopf und viel Freiraum für spontane Begegnungen.
Sogar solche in der ersten Klasse des ICE Basel-Frankfurt. Ein Geschäftsmann mit Silberkranz am Kopf erteilt viertelstündlich Anweisungen per Handy. An seine Sekretärin, Frau, seinen Assistenten oder seinem Wellensittich. Ich weiss es nicht.
«Hast dus offen? Ja, super! Jetzt geh mal mit der Maus auf die Adresse und klick zweimal drauf. Jetzt ist alles blau? Ja, nein, alles blau ist nicht gut. Nur die Adresszeile anklicken. Mach noch Mal. Nein, nebendran, einmal klicken. Gut? Okay, dann auf der Zeile zweimal. Okay. Jetzt „kopieren“. Oben im Menu, jawoll-ja. Und jetzt gehst du ins Formular und machst – ja mit der Maus – und machst „einfügen“. Ja, super! Guet, gäll? Das ist ein Trick. Nicht schlecht, gäll? Das nennt sich „copy/paste“.»
Andere würden sich da grausig nerven. Ich habe dafür einen neuen Running Gag, um meine Freunde zu nerven: «Boris, nimm mal das hier und schütte es dann in deinen Kaffee.» «Was, den Zucker?» «Ja, schütt ihn da mal rein, hier in deinen Becher. Du hast doch gerne gesüssten Kaffee?» «Ja, klar, wieso?» «Jetzt ist er süss. Das ist EIN TRICK! Super, gäll?»
Am grossen GU-Stand angekommen befand ich mich sofort in bester Gesellschaft. Sky und Mirja du Mont waren da. Frankfurt, 13 Uhr, heiter, die Frisur hält. Auch sie haben ein Buch bei Gräfe und Unzer publiziert.
Ganz so stürmisch wie zu Veronas Blubb sind die Zeiten – zum Glück – nicht mehr.
Für einen gemeinsamen Lunch habe ich es vorgezogen, mit dem Retter des Mittagessens, Sebastian Dickhaut, zu speisen und darüber zu sprechen. Ein nettes kleines Etwas, das an den Stand gecatert wurde.
Küchengöttin Maike Damm, in einem ebenso netten kleinen Etwas, zauberte derweil mal mit, mal ohne Hilfe Sebastians, charmant Appetitliches in der GU-Showküche fürs Publikum.
Dann – endlich, endlich – eine Livebegegnung mit dem wahrhaftigen Stevan Paul, den ich bisher nur via Foodblog kannte und dessen Buch mich hingerissen hatte.
Was soll man sagen, ein wunderbarer Mensch. Ansteckend bis in die Koteletten: Kochen, Essen, Genuss, Musik, Kultur, Kunst, Literatur, das Leben selbst. Es gäbe eigentlich keinen Grund, mit Stevan nicht bis in die Morgenstunden all dies, und noch vieles mehr, zu diskurrieren. Wir verabreden uns für den Abend. Essen und dann zu seiner Lesung im Kunstverein.
Apropos Ansteckung. Ich als kleiner Hypochonder habe mich mit Vitamin C und Zink-Kombilutschtabletten vor der babylonischen Keimattacke geschützt. Wie es scheint, erfolgreich. Uff! Zur Not hätte vielleicht auch Pauls Likör geholfen, so aber kann ich den jetzt in Ruhe geniessen.
Zurück zum GU-Stand. Dort treffe ich mich mit Alex, einer weiteren, gern gelesenen Foodbloggerin. Wie bei Stevan, sehen wir uns zum ersten Mal im «Real Life». Und die weltweite Webwelt knistert für einen Moment auf einen halben Quadratmeter Standfläche zusammen.
Alex lebt in Deutschland, kommt aber ursprünglich aus derselben italienischen Region wie meine Eltern. Dafür lebt ihre Schwester in der Schweiz, so wie ich. Da wird sich unser Weg wohl noch Mal kreuzen, vero Alex?
Wir reden über die beiden Foodblogwelten Italien und Deutschland, die so komplett unterschiedlich ticken. Vernetzung und Rezepteaustausch hin oder her. Essen ist immer fest mit Kultur verbunden. Und das ist auch gut so. Lernen kann man trotzdem voneinander. Alex ist eine wunderbare Ambasciatrice beider Welten.
Da kommt auch schon Joerg Lehmann. Zu dem eigentlich besser Lebemann passen würde. Aber er nennt sich, oder besser seinen Blog, Gourmetpilot . Seine Bilder sprechen und füllen Bände. Seine Haltung umso mehr. Auch er ein Kosmopolit. Deutscher in Paris und vielgereister Japankenner. Hoffotograf der grossen französischen Chefs. Ganz ohne Starallüren. Très fokussiert.
Man sagt, eine der allerersten Sozialhandlungen, der erste Kultur-Akt sozusagen, sei die Zubereitung eines gemeinsamen Essens gewesen. Das Teilen der Aufgaben in der Gruppe: Feuer machen, Nahrungssuche, Zubereitung und gemeinsames Essen. So uralt und so banal.
Und doch entflammen an diesem Ritual jeden Tag aufs Neue brennende Leidenschaften, die faszinierende Menschen zusammenbringen, mächtige Wirtschaftszweige speisen oder reglerechte Glaubenskriege auslösen.
Auch wenn man als Foodblogger nur ein paar Pixel verbreitet. Man transportiert damit sehr wohl ganz klare Botschaften, Werte und Haltungen. Das spüren nicht nur die Foodblogger untereinander. Ein X für ein U vorzumachen ist langfristig unmöglich. Genauso empfindet die treue Leserschaft von Foodblogs. Weil, ehrlich nährt am längsten, wie ich einmal ein einfaches Rezept betitelt habe.
Oder mein Verleger, der sich nach Nicole Stichs Buch erneut auf das Experiment eingelassen hat, ein Foodblog zum Buch werden zu lassen. Der erkannt hat, dass Empfänger (Leser) auch Sender sind und umgekehrt. Und dass es durchaus Wege gibt, allseitige Interessen unter einen Hut zu bringen. Da geht noch mehr.
Vom Begriff «Blook», den ich anderswo auf der Messe aufgeschnappt habe, sollten wir jedoch so schnell wie möglich weg kommen. Denn es ist ein überholter Begriff für etwas, das so gar nicht mehr ist. Ausserdem klingt er wie ein Schluckauf den man schnell wieder loswerden möchte.
Auf der Freifläche zwischen den Hallen führt Gastland China Oper am geschäftig vorbeiziehenden Besucherstrom vor, als wärs eine Kirmes-Attraktion. Sieht komisch aus. Und klingt auch komisch für unsere ungeübten Ohren.
Seit meiner Chinareise anfangs 90er äffe ich manchmal aus Jux die überdrehten Gesänge nach: «Schiao schiee pu tschi, yiee bu yüü!».
Oder die unverkennbaren Klänge, wie das staksige: «Plöung! – Plöung! – Plöung!», das für mich persönlich klingt wie ein leerer Jogurtbecher mit einem darübergespannten Gummiband, das man schnippen lässt. Gefolgt von schnellem, wildem Gerassel: «Dschingdschingdschingdschingdsching!»
Eine Gruppe junger Männer, vermutlich Japaner, nähert sich dem Spektakel. Einer zeigt schon von weitem aufgeregt darauf und macht: «Schiao schiee pu tschi, yiee bu yüü!», und dann «Plöung! – Plöung! – Plöung!», und dann machen alle fünf zusammen: «Dschingdschingdschingdschingdsching!» und brechen in schallendes Gelächter aus.
Ist ja allerhand. Die machen sich tatsächlich über diese Künstler lustig!
Wenn das der Sinologe und Literaturpreisträger Stephan Thome hier liest, hält er uns bestimmt für die grössten Idioten. Aber man munkelt ohnehin, er leide an Humorlosigkeit.
Dann liest mein Freund und Reisebegleiter Boris Zatko aus seinem Roman Anna Fink. Boris wohnt praktisch bei mir ums Eck und ist ein Selfmademan wie er im Buche steht.
Der Knax-Zeichner arbeitet für diverse Schweizer Tageszeitungen als Comiczeichner und Illustrator. Oder mit einem anderen Selfmademan, Kaj, dessen Verlag einen wirklich passenden Namen hat. Auch er mit einem winzigen Stand, aber grossen Ideen am Start der Buchmesse.
Boris ist einer, der seine Ideen mit erschreckender Konsequent umsetzt. Als er für seinen Roman keinen Verlag gefunden hatte, liess er den ersten Teil seiner Anna Fink-Trilogie bei BoD produzieren. Dort gewann er damit den Autoren Award für das beste Buch und handelte sich ein Jahr danach beim Baumhaus-Verlag prompt einen Vertrag ein.
Abends koste ich mit Stevan und den sympathischen Mairisch-Leuten in der Weinstube im Römer die erste Grie Soss meines Lebens. Zu einem perfekten Tafelspitz. Wunderbar. Vorher allerdings, auch als Premiere, eine herzhafte Leberknödelsuppe. Sehr gut.
In der Karte entdecke ich wieder einmal Spitzfindig-Kurioses. Zum Beispiel «Saftiges Rippchen vom Schweinenacken». Ich frage mich, wie die arme Sau zu Lebzeiten mit ihrer massiven Skoliose zurecht kam.
Oder dann, zu einer akkuraten Illu von einem T-Bone-Steak, die Überschrift: «Fleisch gibt Lebenskraft». Und darunter «Tafelspitz», «Rumpsteak», «Lammkotelett». T-Bone? Fehlanzeige, träum weiter.
An der Lesung treffen wir auf den grotesken Bündner Gion Matthias Cavelty, der aus seinem neuen Roman liest. Sein Verlag sitzt ebenfalls in Basel und gehört zwei typografischen Wunderkindern und einem Journalisten.
Das Buch der Kaltenbach, als Beispiel, ist umwerfend schön. Wenn die Verleger nur nicht so helvetisch schüchtern wären! Es schmerzt direkt, so beklemmt und unsicher tun die. Andere missverstehen das dann als Arroganz.
Dann folgt eine Autorin (den Namen habe ich schnell wieder vergessen), die gar nicht da ist, sondern krank. Deshalb wird eine Aufnahme von ihr abgespielt. Ich leide. Der Tafelspitz. Das Bier. Die Hitze. Die Müdigkeit. Jandl-artige Textcollagen. Rhytmisch. Ich nicke ein. Als ob mich die Autorin sehen könnte (und sich ärgert), streut sie Wörter wie «Wichsen!» in die Textpassagen. «He? Was? Wo?», schrecke ich jedes Mal auf. Ich leide noch mehr.
Stevan, der Arme, muss mit Handmikro lesen. In einem Sessel, der seine Ellbogen auf Schulterhöhe hochdrückt. Es ist jetzt so heiss, schwül und heimelig wie auf der Gangbangmatte eines schmuddeligen Swingerclubs.
Damit wir uns recht verstehen, ich war noch nie in so einem Club, aber so stelle ich mir das vor, weil man kennt ja die Bilder von RTL-Reportagen und so. Ich möchte natürlich keinem exklusiven Etablissement zu nahe treten.
Aber die Stimmung ist jetzt geradezu perfekt für Finn-Ole Heinrichs Lesung. Er liest diesen Text – und wie das klingt, was er liest, wenn er das liest! – ich bin sehr, sehr beeindruckt von diesem jungen Autor. Grossartig.
Diesen Akt möchte ich mir dann nicht mit Herumstehen und Bierflaschennuckeln vermiesen und gehe zeitig ins Hotel. Eines übrigens, das in halber Distanz zu Messe und Bahnhof liegt und zahlbar und nett ist. Deshalb kann ich den Namen leider nicht verraten. Weil, wenn ich so Sachen höre, dass ein 49-Euro ibis-Hotelzimmer zur Buchmesse 249 Euro kostet, dann hörts einfach auf. Ich hoffe, ihr versteht das.
Am nächsten Tag, Samstag, gehe ich alles gepflegt an, obwohl Massenandrang herrscht. Ich verziehe mich zum Beispiel in die Antiquariatsmesse und atme diesen Duft alter Bücher ein. Und spitze die Ohren, um eventuell da und dort das Geflüster zwischen weissbehandschuhten Herren und Besuchern einzufangen. Und geniesse dann doch lieber die Ruhe.
Nehme für den Lunch im Restaurant des Tre Torri-Verlags Platz und entschleunige inmitten schönster Genuss-Bücher. Das Boeuf Stroganoff mit den Spätzle ist tadellos. Der Service allerdings lässt einen lange dafür schmoren. Zu lange. Aber mein nächster Termin ist erst um 15.30 Uhr. Boris liest bei erlesen.tv
Für den Sonntagmorgen (das wird sich noch als hart erweisen!) ergattere ich ebenfalls eine Lesung mit Interview. Die Hamburger Filmer sind jedoch extrem entspannt und wir lachen uns den Buckel voll bei der Aufzeichnung.
Ausgestrahlt wird irgendwann im November. Und zum Abschied schenken sie mir dann auch noch einen Dieter „Yello“ Meier-Wein, unglaublich. Danke, Jungs! Freu mich auf HH.
Dazwischen signiere ich noch rasch mein Buch für Johann Lafer.
Nein, moment, ich komm nochmal rein: Ich. Signiere. Mein. Buch. Und. Drücke. Es. Johann. Lafer. Persönlich. In. Die. Hand! Dieses Kunststück bringt die Pressechefin von GU fertig. Sie winkt mich nach einem Gespräch mit ihm heran und stellt mich und mein Buch vor.
Ich begrüsse ihn und entschuldige mich sogleich, dass ich an seinem Gövec-Rezept herumgenörgelt habe. Er versteht nicht wirklich. Aber zum Buch sagt er: «Supa, des gefällt mir. Das bekomme ich mit einer Signatur, bitte!»
Also signiere ich und schreib ihm die Entschuldigung nochmals ins Buch. Nach einem netten Smalltalk verabschiedet er sich mit den Worten: «Kollege, ich danke Ihnen, wir werden uns wieder sehen!»
Abends möchte ich mich verdrücken und einen passenden Text für die morgige Lesung büffeln. Aber Boris zerrt mich zu Baumhaus und wir stimmen uns mit temperiertem Prosecco auf den Abend ein. Na, was wird das wohl für ein Abend, wenn das so anfängt, Claudio, hör ich mich flöten.
Aber die Stimmung der sich leerenden Messehalle um uns herum und das Abhängen mit den einnehmenden Autoren Jens Jeddeloh und Klaus Baumgart mit ihrem ansteckenden Esprit machen mich gefügiger als das Bisschen Alkohol.
Natürlich bestehen sie darauf, dass ich mit ihnen essen gehe. Wir müssen jedoch warten, Ben Becker ist soeben mit wichtigen Leuten im Verlagskabäuschen verschwunden. Ich stell mir vor, über was die reden und frotzle den anderen zu:
«Ben, wir müssen dir was sagen. Setz dich doch. Möchtest du einen Whisky? Ehm, Ben, es ist so, ehm, es gibt da ein Problem. Bitte reg dich nicht auf: Es gibt keine Fortsetzung der Bibel!» Ich glaube einer von uns ist danach vom Barhocker gefallen.
Dann gehen wir zum Italiener und lassen es uns mit einer saisongerechten, mit frischen Trüffeln gespickten Karte gut gehen: Carpaccio vom Kalb, Jacobsmuscheln, Fagottini – alles mit reichlich Trüffel sind perfekt. Ebenso eine Entenbrust mit Balsamico-Honig-Reduktion.
Wein und Grappa ergeben zusätzliche Felicità. Vor allem, weil ich an diesem Abend eine seltene Stilblüte pflücken darf. Die Kellnerin hat einen schwungvollen Schriftzug als Unterarmtattoo. Wir fragen, was es heisst und sie so: «Das heisst Carpe Diem auf Lateinisch!»
Darauf brauchten wir natürlich einen Absacker im Frankfurter Hof.
Der Sonntag verläuft dann – nach der Lesung um 9! – eher in Slo-Mo, aber recht gut. Die letzten Kontakte und Programmpunkte in der (mageren) Gourmet-Gallery abhaken, die letzten Unterlagen und Bücher ramassieren, Verabschiedungen, Signierungen. Schee wars, wie der Hesse sagt. Ich weiss das, ich habe einen Iwwersedser.
Als wir auf den Zug warten, sage ich zu Boris: «Du, weisst du, dass Stevan und Oliver meinen Doppelgänger gefunden haben?» «Und?» «Weiss nicht, kenne ihn nicht, hab ihn noch nie gesehen. Er heisst Roy Paci und ist ein sizilianischer, ehm, Ska-Musiker.»
Er holt sein iPhone hervor und gibt eine Bildersuche ein: «Bereit? So sieht er aus: 3, 2, 1 – los!»
Geht doch. Nicht.
Teuer essen kann jeder. Dazu braucht es nicht mal guten Geschmack, ein dickes Portemonnaie reicht. Knifflig wird es, wenn es nicht teuer, nicht kompliziert und erst noch schnell gehen soll. Oder anders gesagt, wenn man über Mittag mit Kind und Kegel in einer fremden Stadt was Anständiges essen will.
In Pisa war einmal mehr Verlass auf den Slow Food Guide. Mitten in der Fussgängerzone, an der etwas abseitigen, arkadenumsäumten Piazza delle Vettovaglie, gibt es die Trattoria «Vineria di Piazza».
Die Tische unter den Arkaden sind verlockend – leider auch für Horden von Strassenverkäufern, die sogar resoluten Toskanerinnen die Contenance abringen: «Nein, ich will deine verdammten Halsketten nicht! Ich will in Ruhe essen, hau ab! H-a-u e-i-n-f-a-c-h ab!!!»
Im Innern alles sehr unkompliziert, alle sehr freundlich. Die Bedienung deckt auf (Coperto, Wasser und frisches Brot sind umsonst) und rezitiert die Tagesaktualitäten von der Schiefertafel: 1 Suppe, 2 Pastagerichte, 2 Fleisch, 1 Fisch, 2 Desserts – basta.
Das Menu wechselt täglich, nur der Preis ist seit Jahren unverändert günstig. Mit rekordverdächtigen 12 bis 15 Euro kann man sich einen veritablen Dreigänger zusammenstellen.
Weine gibt es genau zwei. Einen roten und einen weissen vom Haus.
Die schlichte Pasta lohnt sich zum Nachkochen: Strozzapreti con Moscardini, Radicchio e Noci.
Pastawasser aufkochen. Gutes Olivenöl erhitzen und mit etwas Knoblauch und Peperoncino aromatisieren. Pro Person gute 100 Gramm geputzte Moscardini (kleine Tintenfische) kurz anbraten, mit Weisswein ablöschen. Salzen, pfeffern. So lange offen köcheln bis die Pasta bissfest gekocht ist.
Eine Handvoll Chiffonade (feine Streifen) von Radicchio oder Trevisano für 2 Minuten zu den Moscardini geben, halbierte Baumnüsse und fein geschnittene, glatte Petersilie dazu und alles mit den Strozzapreti und einem Schuss Olivenöl vermengen. Parmesan? Hochgradig verboten!
Der Seeteufel hätte von mir aus nicht paniert sein müssen. Aber er war trotzdem von aussergewöhlicher Qualität (und vor allem nicht zu Tode gegart) für so ein einfaches Etablissement.
Auch wenn wir im Innern von Strassenverkäufern verschont wurden, ein Strassenmusiker schaffte es dennoch ins Fenster zu schnacken und durch dieses auch noch die hohle Hand hinzuhalten. Ein Test? Wollten die Toskanerinnen sehen, ob ich auch meine Contenance verliere?
Ein diskretes Abwinken ignorierte der Profi. Ein zweites ebenso. Sein verbales Tackling konnte ich ebenfalls mit souveränem Kopfschütteln parieren. Das las der alte Antagonist wohl als fehlende Italienischkenntnisse und warf mir ein derbes «Faccia di merda!» (Scheissfresse) vor die Füsse.
Da musste ich ihn selbstverständlich zur Räson bringen. Mit einem gut 85 Dezibel starken «A-oooh! Fammi vedere un pò di rispetto!» (Zeig mir mal ein bisschen Respekt!) rüttelte ich seine Demut wach, worauf er bücklings tausend Entschuldigungen anbrachte.
Was ihn allerdings nicht vor genervten Beschimpfungen der anderen Gäste verschonte und schon gar nicht vor der nun herbeigeeilten, resoluten toskanischen Bedienung, die ihn mit einer Tirade, länger als eine Menukarte, davonjagte.
Wer wenig Geschmack, noch weniger Zeit und erst noch ein ausgedörrtes Portemonnaie hat, kann auch hier essen gehen:
Ein Raum, nicht grösser als eine Garagenbox, eingerichtet wie ein verdammter Waschsalon, mit dem Unterschied, dass anstelle der Waschmaschinen Essmaschinen dastehen. Geld rein – Pasta oder Pizza raus.
Ich hielt es für besser, meinen Kindern – wie ein bigotter Katholik vor einem Sex-Shop – die Augen zuzuhalten und sie schnell davon zu zerren. Geht doch nicht!
In Pisa kann man sich natürlich den schiefen Turm ansehen. Oder ein noch schieferes Hochzeitsszenario: Asiatische Trauungen. Einzeln oder im Doppelpack und vor allem im Akkord, mit Filmteam und Statisten und dem ganzen Trallala.
Oder aber sich die wirklich schrägen Postkarten vom Turn, äh, Turm kaufen (also die ungewollt schrägen, nicht die doofen mit einem furzenden Bart Simpson, der dadurch den Turm in Schieflage bringt, als Beispiel).
Was ich wohl Schräges während der Buchmesse in Frankfurt zu essen bekomme?
Slow Food-Tipps anyone?
Ich bin von Freitag bis Sonntag dort. Ab und zu werde ich am Stand von GU anzutreffen sein: Halle 3, D 104.
See you around!



















