Unsere taeglich Pizza gib uns heute.
Nichts bringt Kinder schneller zum Schweigen als «pizza roscia», wie die Pizza mit Tomaten im Dialekt genannt wird. Sogar kalt – zum Frühstück.
Die beste Pizza der Welt macht der Sohn von Pinocchio.
Das ist jetzt nicht gelogen – ehrlich.
Eigentlich war die Bäckerei schlicht nach seinem Vornamen benannt: Forno da Nino. Aber in den Köpfen hat sich vor allem sein Spitzname eingebrannt: Pinocchio.
Und wer das erste Mal in seine Pizza bianca oder Pizza rossa beisst, dem wird sich auch der einzigartige Geschmack im Gaumen einbrennen. Er wird süchtig machen und die Gewissheit auslösen, dass man nie im Leben etwas Besseres mit dem Namen Pizza bekommen wird.
Der Mann mit dem puderweissen Gesicht, dem spitzen Näslein und den dunklen Knopfaugen eröffnete 1952 seine Backstube in Pescasseroli. Dort wohnt zwar nicht Schneewittchen, aber es liegt ebenfalls hinter sieben Bergen. Im Nationalpark der Abruzzen, wo sich Wolf und Bär noch heute «buonanotte» sagen.
Nun, Pinocchio existiert nur noch in den Erzählungen. Aber die Fabel geht glücklicherweise weiter: Sein Sohn Cesidio vollbringt in seinem «Il Vecchio Forno» jeden Tag das Wunder, diese zauberhaften Backerzeugnisse aus dem Ofen zu holen.
Heiligs Blechle, schmeckt so der Himmel?
Geheimnis? Es gibt kein Geheimnis.
Nach jahrelanger, ehrfürchtiger Huldigung und der totalen Hilflosigkeit mir den Geschmack dieser simplen Pizza erklären zu können, wollte ich dieses Jahr hinter das Geheimnis kommen.
Ich wollte endlich wissen, warum die hunderten von Focaccie, die ich über die Jahre in ganz Italien gegessen hatte, oder selbst zu backen versucht hatte einfach nur lächerlich wirkten im Vergleich zu seiner krossen, luftigen und brutal geschmacksintensiven Pizza bianca.
Ich wollte zu ihm gehen. Ihn fragen, Cesidio, warum ist deine Pizza besser als jede andere? Ihn ganz locker bitten, Cesidio, wir kennen uns zwar nicht, aber kannst du mir trotzdem dein Geheimnis verraten?
Ich brauchte eine ganze Woche bis ich mich endlich traute. Fast wäre ich wieder abgereist. Wie ein Schulbub, der es nicht wagt, sein Mädchen anzusprechen.
Sag mal, willst du mich verarschen? würde er bestimmt sagen. Vai, geh jemand anderem auf die Nüsse!
Aber das hat er zum Glück nicht gesagt. Er hat gesagt: «Aber sicher, ich zeig dir alles was du willst. Es gibt kein Geheimnis. Komm morgen früh um sieben!»
Und erfüllte mir so meinen innigsten Wunsch.
Eine Mutterhefe mit der Potenz von Hulk.
Das Wichtigste für unsere Arbeit, erklärt mir Cesidio, ist: wenig Zutaten, viel Zeit und viel Handarbeit.
Sein ungesalzter Vorteig besteht aus (wenig) Hefe, kaltem Wasser (45%) und Mehl vom Typ 00 W250. Dieses sehr helle Mehl, das wenig Wasser aufnimmt und sich turbomässig treiben lässt, ergibt zusammen mit der Mutterhefe (die, wie er sagt, schon zu Zeiten seines Vaters angesetz wurde) einen hochexplosiven Teig.
Das Aroma der Hefe ist sehr intensiv (und das eigentliche Geheimnis, ich könnte eigentlich hier aufhören zu schreiben). An manchen Tagen bäumt sie sich so mächtig auf, dass es ihm beim Betreten der Backstube fast die Stiefel auszieht vom beissenden Geruch. Dann fügt er etwas Zucker zu. Alles nach Erfahrung und Gefühl natürlich (jetzt wäre auch wieder ein guter Zeitpunkt, mit schreiben aufzuhören).
Pro Kilo Vorteig kommen dann 100 Gramm Mehl und 20 Gramm Salz hinzu.
E basta, finito. Keine weiteren Hilfs- oder Zusatzstoffe!
Die Fladen werden von Hand geformt
und bekommen die typischen Dellen mit den Fingern aufgedrückt.
Erst jetzt kommt grosszügig reines Olio d‘Oliva Extra Vergine mit dem Pinsel auf die Pizza.
Und dann noch etwas grobes Meersalz.
Das Six-Pack geht für 10 bis 15 Minuten in den 250 Grad heissen Ofen.
Was dabei herauskommt, ist die Nahrungsgrundlage für ein ganzes Dorf.
Pazzi per pizza – alle verrückt nach Pizza.
Gegen acht Uhr morgens kommen die ersten Pizze in den Verkauf. Die Leute stehen meistens schon an. Oder sie fragen sich unterwegs zum Bäcker gegenseitig: «Ciao, Carmela, ist die Pizza schon draussen?» «Nein, Anna, noch nicht.» «Ah, dann geh ich erst zum Metzger.» oder so ähnlich.
Alle holen sich Pizza: die Schüler (statt Pausenbrot!) die Arbeiter, die Mütter und Väter, die Hoteliers, die Barbetreiber, die Restaurateure, die Tankstellenbetreiber und die Pfarrer. Einfach tutti quanti.
Im Sommer oder um Weihnachten, wenn das Dorf vor Touristen überquillt, finden regelrechte Runs auf den «Vecchio Forno» statt. Riesige Menschentrauben kleben am Eingang und innert 10 Minuten ist der ganze Bestand jeweils leer gekauft.
Eine zweite Ladung gibts dann vor dem Mittag und nochmals nachmittags gegen vier. Für Cesidio und seine Crew heisst das backen rund um die Uhr. Nachts um elf den Teig ansetzen und dann von morgens früh bis abends die Durchkneten-reinschieben-rausholen-Nummer.
Cesidio und seine unbezahlbare Crew
Die rote Pizza hat einen Belag aus «normalen» Dosentomaten (die aber verdammt nochmal schmecken, als hätte Cesidio sie einzeln, liebevoll in seinem Garten gezogen, ich weiss auch nicht warum), diese werden zerkleinert und mit Olivenöl, Salz und wenig superfein gehackter Mozzarella kalt aufbereitet.
Die rote Pizza schmeckt natürlich am besten warm. Sie ist so knusprig, dass einem nach dem Genuss meistens der halbe Gaumen in Fetzen runterhängt – egal.
Aber erstaunlicherweise hat sie auch enorme Kalt-ess-Eigenschaften: Es gibt kein besseres Frühstück als rote Pizza!
Die weisse Pizza schmeckt am besten on its own. Aber auch aufgeschnitten und zum Beispiel mit Mortadella oder Frittata (einer Omelette) gefüllt, ist sie einfach nur göttlich.
So ganz nebenbei macht Cesidio natürlich auch vier, fünf Sorten unverschämt knuspriges, aromatisches Brot, darunter eines aus 100% Hartweizenmehl, das eine leicht vanillefarbige Krume hat. Und Brötchen und kleines Süssgebäck.
Und ich bin einfach nur glücklich und dankbar, dass es ihn gibt.
Seit ich als Junge von meiner Nonna mit 500 Lire zu seinem Vater geschickt wurde, oder als ich mir als frühreifer Bengel nachmittags rote Pizza mit einer Flasche Birra Peroni bei den alten Mannen auf der Bocciabahn reingepfiffen habe, träume ich von dieser Pizza und freue mich schon jetzt auf die nächsten Ferien, in denen ich wieder jeden Tag Unmengen davon verschlingen werde.
Cesidio, Agnese: Siete gli assoluti eroi per me. Vi mando un sacco di auguri per l’anno nuovo, salute e fortuna a tutta la famiglia.
Per l’amor di Dio, rimanete come siete. Perche siete grandi!
Un abbraccio, Claudio
Da bin ich jetzt neidisch. Auf die schöne Pizza und Euren Urlaub.
Ich wünsche Euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr, und freue mich auf viele tolle Geschichten in 2008.
Liebe Grüße
Mike
-Ei, der Schlächter von Uslar! Dir auch alles Gute mein Lieber und viel Schwein, äh, ich meine Glück fürs neue Jahr!
-danke, claudio. das ist der schönste, beste und (leider – so was gutes bekommt man in wien nämlich nicht) auch anregendste beitrag zum jahresende, den ich heute nach vier tagen ausser haus in meinem feedreader gefunden habe. welch ein glück, dass ich immer von hinten nach vorne respektive unten nach oben lese. so kam mir die wunderbare pizza-geschichte als allerletzter von rund 150 überwiegend unnötigen best-of-2007-beiträgen im heurigen jahr unter. perfekt!
-Ich weine schon wieder vor Glück.
-Du musst unbedingt auch zu unserem treffen im März kommen.
Buon anno.
Lieber Claudio,
zuallererst natürlich ein leckeres 2008 ;-). Der Beitrag war wieder mal vom Allerfeinsten, allerdings schlägt der filio neben deinem Kleinen alles – als sei die Zeit zu Beginn der 70er stehengeblieben; oder aber, wir haben hier das erste offizielle Foto von Magnums Sohn. Grossartig!
Viele liebe Grüsse
Boris
-Happy New Year allen!
-Katha: Ist mir eine grosse Freude!
Fressack: Ja, lass es raus, alles wird gut! Treffen im März?
Boris: Der Figlio mit der coolen Frisur ist ein Mädchen 😉
Sali Unggle Claudio! *LoL*
Men! Wie ich damals aussah….einfach schrecklich!! Wie konnte mich meine Mutter nur so aus dem Haus lassen?! xD Naja…die Zeiten(bzw. die Haare) haben sich geändert (zum Glück)…Dein Beitrag war super und ich muss einfach sagen: Es ist die beste Pizza die ich kenne (an zweiter Stelle kommt dann die meiner Mutter *grins*)
Ich wünsche euch allen ein tolles 2008!
-lg roemeli
grazie claudio! als ich deine reportage gelesen habe ist mir das wasser im mund zusammen gelaufen, einfach genial! ich kann es förmlich riechen, wirklich die beste pizza auf erden! das mit der «pizza rossa» zum frühstück kann ich nur bestätigen obwohl ich in Pescasseroli noch nie um 8 uhr im «Vecchio Forno» war. zia hat uns am morgen stets ein paar stücke auf dem fensterbrett deponiert – für das frühstück – versteht sich! als kleine ergänzung zu deinem artikel möchte ich noch erwähnen das die kalte «pizza rossa» und «pizza bianca» ihr unglaubliches aroma nach einer kurzen zeit auf der heissen «stufa» wieder entfaltet.
-grazie claudio!
Caro mio Claudio
-Erst ‚mal Happy 2008!
Es ist mit viel Stolz dass ich dich wissen lasse, dass ich auch zu den „Auserwaehlten“ gehoere, welche die Ehre hatten, diese super-Pizzas probieren und geniessen zu koennen! Ja, ja – da wunderst du dich jetzt, gell. Jetzt fuehle ich mich endlich wieder einmal, wie wenn ich auch „dazu“ gehoere. Ich muss sagen, dass das die einfachsten, aber so ziemlich die besten Pizzas waren, die ich je gegessen habe. (Die waren auch extrem gut gegen Martini hangover…)
Also, vielen Dank fuer den schoenen Bericht, und alles gute im neuen Jahr.
Rolf
PS: Falls ich wieder einmal in die Schweiz komme, will ich unbedingt auch eine Reise nach Pescaseroli machen. Kommst du mit?
Muss ich noch erwähnen, dass sich diese Pizza nicht aus dem Mikroklima von Pescasseroli exportieren lässt? Man kann sie zwar mit auf eine Wanderung nehmen (was heisst kann – muss!), aber sobald man von den 1167 Metern über Meer in die Ebene runter kommt ist die Knusprigkeit dahin. Und ein paar hundert Kilometer weiter nördlich auch das Aroma. Die Römer und Napoletaner, erzählte mir Cesidio, bunkern die Pizze dutzendweise, frieren sie in der Ferienwohnung ein und karren sie dann nach Hause, um sie bei Bedarf wieder aufzubacken. Rieche ich da ein aufkeimendes Export-Business?
-In Pescasseroli war ich noch nie – aber anbetungswürdige Pizza bianco kenne ich (leider) zu gut. Macht süchtig.
-Mille Grazie, Claudio, für diesen Beitrag! Nur, verdammt, wo bekomme ich jetzt mein Verlangen auf solch eine grandiose Pizza bianco gestillt?
-Hast du dir vielleicht ein wenig von der Hefe stibitzt? Dann bloss das Füttern nicht vergessen!
Ché: Wo bekommst du denn anbetungswürdige, süchtigmachende Pizza bianca her?
-Lars: Nee, hab zu wenig lange Finger. Aber in Deutschland habt ihr doch Sauerteigbrote. So Sauerteig-Hefe wär glaub schon mal eine gute Richtung. Frag mich jetzt nicht, woher du Weissmehl vom Typ 00 W250 herbekommst.
[…] dem Kochtopf eines der schönsten Blogs mit den besten Geschichten rund ums Essen, Kochen, Genießen, Leben entdeckt. Danke. geschrieben am 3. April 2008 um 12:04, […]
-[…] recht. Denn die bezaubernde Laura, die Schwester übrigens vom weltbesten Pizzabäcker Cesidio, bereitet traditionelle abruzzesische Gerichte in solider und nahezu kulturhistorischer […]
-[…] knusprigen Brötchen, den Prosciutto crudo und cotto und den Salami verzichten sollen? Oder auf die Pizza? Ach was, doch nicht in den […]
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-[…] dann habe ich kürzlich diesen Artikel von Claudio von den anonymen Köchen gelesen, und meine Augen wurden immer größer und mein Puls […]
-Mama mia, das habe ich mir erstmal abgespeichert. Was für ein Maestro!
-Herrlich, dieser Beitrag ist ja einfach nur genial geschrieben. „Pizzaherz was willst Du mehr“!
Ich lasse für eine gute Pizza auch alles stehen und liegen und die beste meines Lebens habe ich in Maiori (Süditalien Amalfiküste) gegessen. Oben in den Bergen hinter Tramonti, in einem typischen Ristorante, einen Meter lang und sowas von lecker.
Ja und mia Nonna, gibt es was schöneres, als seiner Oma beim kochen zuzuschauen, wie sie aus frischen, selbst angebautem Gemüse ein leckeres Essen zaubert? Da bekomme ich doch gleich wieder Sehnsucht nach Bella Italia.
Vielen Dank, Claudio, für diesen wundervollen Bericht, auch wenn ich ihn erst „leider“ heute entdeckt habe.
LG Anita
-Lieber Claudio, da Du die altehrwürdige Mutter Hefe nicht hast mitnehmen können, hätte ich eventuell einen Ersatz für Dich. Es wird sicher anders schmecken, aber eine Hefe für Weizenteige, die nicht aus der Packung kommt macht trotzdem einen großen Unterschied und ich war baff, wie gut Olivenbrote aus schnödem 405er Mehl schmecken können. Ich habe mir für meine letzte Dollarnote, die noch in meiner Brieftasche rumflog von den Freunden von Carl (http://carlsfriends.net/) ein bisschen von diesem explosiven Sauerteigstarter schicken lassen. Die Ergebnisse sind super, die Pflege unaufwendig und die Geschichte dahinter ist sympathisch.
-Interessant, danke, Johannes, und die Website ist – wow! sah das Internet wirklich mal so aus?
-Jaja, vor kurzem musste ich feststellen, dass ich älter bin als das Internet, aber ganz ehrlich solche Seiten fand ich schon komisch, als mein Modem noch gefiept hat um sich ins Netz zu kämpfen. Wenn Du es ausprobieren willst und keinen Dollar zur Hand hast, schick mir eine Email. Ich zweige beim nächsten Backen etwas von Carl’s wilder Hefe ab, schweiße es ein und schicke sie Dir.
-[…] Ihm war nicht nach selbst gemachter Pizza. Uns schon. Wir sehnen uns einmal pro Woche nach der guten Pizza vom […]
-Mich würde ja interessieren, ob Du den Sauerteigstarter von 1847 von Johannes bekommen hast.
Ansonsten: Wie züchtet man denn Hefe so, dass man die immer weiterbenutzen kann?
-Hallo, Sören. Nein, hab ich nicht. Ich wollt schon immer selbst einen Sauerteig oder eine Mutterhefe ansetzen, die dann für immer und ewig im Kühlschrank wohnt (man zwackt dann immer einen Teil ab für den Teig und füttert ihn/sie ab und zu – so hab ich gehört und gelesen). Aber in die Tat umgesetzt hab ichs leider noch nie.
-[…] weiss ich. Obwohl seine wirklich sehr gut […]
-[…] Erinnerung: Das erste Mal habe ich vor neun Jahren in dieser Geschichte über Pinocchio von Lievito Madre geschrieben. Der Bäcker im Dorf meiner Eltern, Cesidio, der die […]
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