Laib und Seele.

Ciabatta

Das hier, das ist nicht einfach ein Brot. Es ist der Beweis, dass ich dafür etwas zum Leben erweckt habe, das mein Leben überdauern könnte und danach womöglich an die nächste Generation übergeht: Mein eigener Lievito Madre.

Lievito Madre heisst übersetzt Mutterhefe. Ein Weizensauerteig nach italienischem Vorbild. Damit kann ich mit blossen Händen – wann immer ich es möchte – ein kleines Wunder vollbringen. Nämlich mit nichts als Wasser, Mehl und Salz richtig gutes Brot, Pizza oder Focaccia backen, die es in solcher Ursprünglichkeit und mit so einer komplexen, feinsäuerlicher Aromatik nirgendwo zu kaufen gibt.

Dinkelbrot

Und damit wir uns gleich richtig verstehen, wir sprechen hier von echtem Brot. Aus einem Teig, der es in sich hat. Nämlich dutzende Arbeitsschritte, geübte Handgriffe, Beobachtungsgabe, Erfahrung und Zeit. Sehr viel Zeit. Manchmal 48 Stunden. Dabei entwickelt er einen unvergleichlichen Geschmack, eine besondere Textur und eine bessere Verträglichkeit. Kein Vergleich zum flachen Geschmack von Brot, das husch-husch mit gekaufter Frischhefe gebacken wird. Von Industrie- und Supermarktbroten reden wir schon gar nicht. Mit all den haarsträubenden Zusätzen, ihrer schwammigen Konsistenz und ihrer geschmacklichen Leere.

Pizza bianca Teig

Meine Vorstellung von Brotbacken geht so: Ich will es verinnerlichen. Im Schlaf können. Etwa so wie man Rad fährt. Ohne gross zu überlegen, einfach aufsitzen, intuitiv die Balance halten und so lange in die Pedale treten wie es nötig ist, um ans Ziel zu kommen. Ich will keine komplizierten Rezepte abarbeiten. Keine Knetmaschinen anwerfen. Kein Chemiestudium absolvieren. Niemand, der aus der Tradition zu hause Brot bäckt tut das. Es ist wie mit der Herstellung von frischer Pasta. Eine italienische Nonna braucht keine Anleitung dazu. Sie tut es aus Erfahrung, aus dem Handgelenk. Und sie bekommt sie grandios hin. Immer.

Weizen Dinkel Brot

Zur Erinnerung: Das erste Mal habe ich vor neun Jahren in dieser Geschichte über Pinocchio von Lievito Madre geschrieben. Der Bäcker im Dorf meiner Eltern, Cesidio, der die beste Pizza bianca der Welt bäckt, hatte mir erzählt, dass seine Hefe von seinem Vater mit einer überreifen Birne angesetzt wurde. Damit war für mich eigentlich klar, dass ich nie im Leben etwas ähnliches zustande bringen könnte.

2011 erzählte mir eine Schwedin am Foodphoto Festival in Tarragona, dass jeder in ihrer Familie selber Brot bäckt. Und zwar mit dem eigenen Sauerteig, der an alle Familienmitglieder weitergegeben wird. Sie verriet mir weiter, dass in Schweden viele Hotels die mitgebrachten Sauerteige der Gäste gerne in dafür vorgesehene Kühlschranke einquartieren. «Haha! Ihr verreist mit einem Sauerteig im Gepäck?» spöttelte ich. «Natürlich, wenn man den nicht füttert, stirbt er!» Füttern? Ich verstand nur Bahnhof. Es fesselte mich zwar, aber es war zu weit weg. Ich hatte nichts mit schwedischer Brotkultur am Hut.

Ein paar Jahre später – es liess mich nicht los – setzte ich dann eine erste Mutterhefe an, deren Rezept in meinem Buch Italien vegetarisch von 2014 zu finden ist. Eine Pasta Madre eigentlich. Es gibt in Italien zwei Arten, den Sauerteig zu führen. Die Pasta Madre wird jeweils im Verhältnis 2:1 Mehl und Wasser aufgefrischt, was ihr die Konsistenz eines Teiges verleiht. Ein eindrückliches Exemplar dieser Art  zeigte mir Thomas Morazzini in Umbrien, der mir seine Eleonor vorstellte, eine Mutterhefe von 65 Jahren! Die Liebe, mit der er über das Backen und seine Eleonor sprach, beflügelten mich erneut.

Auch meine österreichische Nachbarin, Käthi, hat mir ein wunderschönes Brotbild eingebrannt. Sie erzählte mir, dass sie in ihrer Grossfamilie auf dem Bauernhof nur einmal im Monat Brot gemacht haben. Die Mutterhefe habe man zwei Tage wässern müssen, um sie wieder zu aktivieren. Sie wurde offen aufbewahrt und trocknete langsam ein, bis sie nach drei Wochen zum Leben erweckt wurde. Geformt wurden jeweils 12 Laibe. Ausgebacken wurden sie beim Bäcker. Und dann – jetzt kommts: Packte man das Brot in Leinensäcke und bewahrte sie im Keller auf. Käthi blickte mir tief in die Augen und meinte: «Du, ich sag dir, das letzte Brot aus dem Keller, das schon seit drei Wochen da hing, das war das beste Brot überhaupt! Ich habe nie wieder irgendwo ein so gutes Brot gegessen, ehrlich.»

Halbweissbrot

Nach ein paar Monaten hatte ich mit meiner bestehenden Mutterhefe etwas Mühe. Immer mehr empfand ich das Auffrischen als lästig. Die paar Minuten für die wenigen Handgriffe mit abwägen, mischen und kneten waren mir zuviel Aufwand, für die eher dürftigen Backresultate, die ich im Gegenzug zustande brachte. Ich wollte nochmals von vorne beginnen. Mit einer überreifen Birne, wie Cesidio’s Vater!

In dieser Zeit sah ich mir unzählige italienische Tutorials auf youtube an, las italienische Foodblogs mit brutal beeindruckenden Amateur-Bäckern und liess mich von der neuen Kalifornischen Welle der Artisanal Bakers wie Chad Robertson von der Tartine Bakery mitreissen. Dabei stiess ich auf die andere Art der italienischen Sauerteigführung: Li.co.li – lievito madre in coltura liquida. Der ist flüssig und einem Roggensauerteig ähnlich. Das Mischverhältnis zum Auffrischen ist 1:1 Mehl und Wasser und wesentlich pflegeleichter.

Den Ansatz mit der Birne hatte ich allerdings verworfen, nachdem ich irgendwo aufgeschnappt hatte, dass man als Starter (eine zuckerhaltige Lösung) am besten etwas aus der unmittelbaren Umgebung (zum Beispiel eine Frucht aus dem eigenen Garten) verwendet, weil dann die Hefen in der Luft aus derselben Umgebung besonders aktiv sind. Und so ging ich vorletzten Oktober fest entschlossen zu unserem Sauergrauech-Apfelbaum, pflückte ein besonders reifes Exemplar und beschloss, das Rezept (falls es denn gelingen würde) eines Tages hier mit euch zu teilen! Das ist es:

Rezept für Lievito Madre
Li.co.li – lievito madre in coltura liquida

  • Apfel in der Küche 1-2 Wochen reifen lassen, bis er süsslich duftet und die Haut etwas ledrig wird.
  • Apfel grob in Würfel schneiden, mit Wasser bedecken und 48h mit einem Netz abgedeckt fermentieren lassen.
  • Apfelwasser abgiessen und 100 g davon mit 100 g Vollkornmehl in einem Glas vermischen.
  • Mit perforierter Klarsichtfolie abdecken und bei 26 Grad reifen lassen, bis sich das Volumen verdoppelt hat (etwa 12h)
  • 1 Woche lang alle 12 Stunden wie folgt auffrischen: Jeweils 100 g entnehmen und mit 50 g Mehl und 50 g Wasser füttern.
  • Die Hefe sollte Aktivität in Form von Bläschen zeigen und angenehm riechen (leicht alkoholisch).
  • Ab da kann man mit ihr backen. Die benötigte Menge ist 20% vom Mehlgewicht.
  • In einem Weckglas im Kühlschrank lagern und mindestens 1x pro Woche mit 50 g Mehl und 50 g Wasser füttern.
    (Statt Vollkornmehl kann man ab dann auch helles Mehl verwenden)

Apfelwasser

Mein Apfelwasser roch angenehm süss nach Apfelsaft und leicht alkoholisch.

Lievito Madre

Schon nach den ersten 12 Stunden hatte sich das Volumen vom Ansatz verdreifacht! Mich durchströmte die höhere Spannung Glücksgefühl als der Blitz der Frankenstein zum Leben erweckte. «It’s alive!» verkündete ich mit geschwellter Brust. Ich roch daran. Es war noch nicht der Geruch von fein säuerlichen Hefe, sondern nach Erde, Mehl und ja – neugeborenem Leben.

Wichtig ist, dass man einen geeigneten Ort findet, der konstant 24 bis 26 Grad hat. Bei mir war das der Heizkörper mit einem dicken Brett drauf, das die Hitze etwas abschirmt. Ich musste etwas tüfteln und mit einem Thermometer messen, bis es passte. Temperaturen über 28 Grad lassen die Hefebakterien absterben. Ist es zu kühl, brauchen sie zu lange oder werden gar nie aktiv.

Falls sich Schimmel bildet, ist der Versuch misslungen. Verwerfen und nochmals beginnen. Tut sich nach 12 Stunden nichts, kann man versuchen, in kürzeren Abständen aufzufrischen.

Ich bewahre meinen Lievito Madre (etwa 250 g) in einem Weckglas auf und lagere ihn im Kühlschrank. Zur Kontrolle notiere ich das Datum der letzten Fütterung auf einer Etikette auf dem Deckel. Spätestens nach fünf Tagen frische ich ihn jeweils auf.  Diese Routine zwingt einen, mindestens einmal pro Woche etwas damit zu backen. Das Ritual, das sich dabei einstellt, ist befriedigend, erdend – und unbezahlbar.

Lievito Madre

Bei Raumtemperatur blubbert er schon bald los und nach etwa 2 Stunden quillt er förmlich aus dem fest verschlossenen Deckel.

lievito madre minibar

Ich muss schmunzeln, wenn ich an die Schwedin zurückdenke. Selbstverständlich kommt meine Hefe mit ins Gepäck wenn ich verreise. Sie übernachtet dann schon mal in der Minibar des Hotelzimmers und wird alle paar Tage aufgefrischt. Ich würde sie nie zuhause ihrem Schicksal überlassen und riskieren, dass sie eingeht, während dem wir faul am Strand liegen.

Doch der Weg zu einem wirklich guten Brot, das glücklich macht, knusprig ist, mit einer weichen, saftigen, grossporigen Krume, dabei geschmackvoll, ausgewogen und formvollendet – dieser Weg, ist der härteste und steinigste, den ich je gegangen bin.

Pfuenderli

Wirklich, ich habe in der Küche schon alles halbwegs so hinbekommen, wie ich es mir gewünscht hatte. Aber Brotbacken hat mich Demut gelehrt. Dieses so alltägliche, vermeintlich banale Lebensmittel ist das perfekte Beispiel dafür, wie man an etwas Einfachem kläglich scheitern kann – oder ein Meisterwerk daraus macht. Oh, ich habe viele Rohrkrepierer produziert. Fladen, die so hart und appetitlich waren wie eine verstaubte Asbestplatte. Übersäuerte Laibe mit einer klebrigen Krume oder kiloschwere Brocken ohne Seele. Einmal hatte ich einen Tausch vereinbart: Selbst gemachten Wein gegen selbst gemachtes Sauerteigbrot. Ausgerechnet mit einem befreundeten Food- und Wein-Journalist!  Ich hatte mich so darauf gefreut. Hatte den Teig sorgfältig 24 Stunden lang geführt. Er hatte eine tolle Konsistenz, die richtige Spannung, ein feines Aroma. Und kurz vor dem Backen ist er mir einfach zerronnen, sich buchstäblich in ein Nichts aufgelöst.

Das Ding ist ja: Ich weigere mich, Rezepte zu befolgen. Man sagt ja gemeinhin, kochen geht auch Pi mal Daumen. Aber backen ist eine ganz präsise Chose. Da muss man schampar penibel zur Sache gehen und jedes Mikrogramm genauestens abwägen und Temperaturen aufs Grad genau einhalten. Bullshit. Wenn dem so wäre, würden ja alle Bäcker nur 1a Spitzen-Brot produzieren. Wir wissen, dass das eine Illusion ist. Leider sind die, die ihr Handwerk wirklich noch beherrschen und ernst nehmen immer mehr in Unterzahl.

pane integrale

Natürlich habe ich Bücher über Brotbacken in die Hand genommen. Und meistens wutschnaubend in eine Ecke gepfeffert. Im Ernst jetzt? Ein Rezept für Pane Pugliese mit Sauerteig und dann zusätzlich Frischhefe dazugeben? Wollt ihr mich verscheissern? Dieses Brot (eines meiner liebsten!) ist weltweit das einzige mit geschützer Ursprungsbezeichnung. Nachweislich mit 100% Hartweizen und nichts als Lievito Madre gebacken. Und ihr gebt Frischhefe rein? Das ist ja wie Viagra einwerfen, ihr Schlappschwänze! Als würde mir jemand Stützräder für mein Velo empfehlen. Hier, damit du nicht umfällst, du Trottel. Das ist schlicht inakzeptabel.

Ich teile hier gerne das authentische apulische Rezept, das mir als Leitplanke dient. Was ich allerdings gelernt habe: Das Rezept alleine garantiert noch kein Erfolg. Erst durch viel Übung gelingen die einzelnen, entscheidenden Schritte, die zu einem befriedigenden Ergebnis führen.

Pane Pugliese
con Lievito Madre

Zutaten

  • 120 g aktiver Lievito Madre
  • 600 g italienisches Hartweizenmehl (Semola rimancinata)
  • 400 g Wasser (24 Grad)
  • 20 g feines Meersalz

Zubereitung
In einem Gusseisenbräter mit Deckel

  • Lievito Madre über 12 Stunden bei Raumtemperatur 3 mal auffrischen.
  • Lievito Madre, Mehl und 380 g Wasser in einer Schüssel grob von Hand mischen (3 Min.) Zudecken und bei 24 Grad 1 Stunde reifen lassen.
  • Teig flach drücken, Salz darüber streuen, restliche 20 g Wasser dazugeben und alles von Hand verkneten, bis der Teig geschmeidig und homogen ist (5 bis 10 Minuten).
  • Teig in der Schüssel dehnen und falten (Teig mit beiden Händen von jeder Seite hochziehen und wie eine Serviette zur Mitte hin falten).
  • Zugedeckt bei 24 Grad 30 Minuten gehen lassen. Weitere 3 Mal im Abstand von 30 Minuten mit nassen Händen dehnen und falten.
  • Nach dem 4. Mal dehnen und falten sollte der Teig sehr weich und voluminös sein Eine weitere Stunde zugedeckt gehen lassen.
  • Teig auf eine bemehlte Arbeitsfläche geben, Oberfläche bemehlen. Mit der Handfläche durch leichtes flachklopfen und zu einem rechteckigen Teigstück formen. Die kurzen Seiten dehnen und zur Mitte hin falten. Um 45 Grad drehen und nun vom kurzen Ende her dicht einrollen, damit der Teig eine kompakte längliche Form bekommt. Durch Rundwirken zu einer straffen Kugel formen.
  • Bemehlen, zudecken (z.B. mit der Teigschüssel) und 30 Minuten ruhen lassen.
  • Gusseisen-Bräter mit Deckel im Ofen auf 250 Grad vorheizen.
  • Teig nochmals kurz zu einer Kugel wirken, damit die Oberfläche wieder Spannung bekommt, mit einer Rasierklinge einschneiden, z.B. zwei längliche Schnitte nebeneinander oder 6 Schnitte über Kreuz wie ein Schachbrett.
  • Auf einem Backpapier oder einer Backschaufel absetzen und weitere 10 Minuten zugedeckt ruhen lassen.
  • Brot vorsichtig in den Gusseisen-Bräter legen, Deckel drauf und 30 Minuten auf der untersten Rille backen.
  • Deckel abnehmen und weitere 15 Minuten offen fertig backen. Brot auf einem Gitter auskühlen lassen Frühestens nach 2 Stunden aufschneiden.

Pane Pugliese

Ich habe weiterhin Rezepte quergelesen, mir aber meinen eigenen Weg gebahnt und einfach probiert. Es ist ein anderes Lernen, wenn man immer wieder auf die Schnauze fällt, den Fehler sucht und dann jeden Schritt noch einemal besser und sorgfältiger macht. Es ging nur langsam voran. Aber immerhin, von Brot zu Brot wuchs meine meine Zuversicht und die Anerkennung der Leute, die davon probierten.

Brotscheiben

Meine geliebte Pizza bianca hingegen wollte einfach nicht nach ihrem Vorbild aus dem Vecchio Forno in Pescasseroli gelingen. Mal schmeckte sie zu banal, mal zu sauer, mal war sie zu flach und zu hart, mal zu hoch und zu weich. Bis sie eines Tages so aussah:

pizza bianca

Aussen krachend knusprig und innen aromatisch und luftig. Und meine Familie und Freunde, die die Pizza aus Pescasseroli kennen, meinten, Mamma mia, Claudio! Was hast du getan? Diese Pizza ist wie keine zuvor und definitiv noch ein bisschen besser als die in Pescasseroli.

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Ist das crazy? Das man vor Glück den Tränen nahe ist, nur weil man etwas gebacken hat? Aber genau das ist es. Das ist genau der entscheidende Unterschied, nachdem wir alle suchen. Der aus einem einfachen Essen einen aussergewöhlichen Bissen macht, der die Leute so tief berührt, dass sie beinahe erschrecken.

Porno di forno. Wer hat die Grössten?
Es gibt auf Instragram tatsächlich den Hashtag #pornodiforno! Dabei geht es meistens um Superlative wie riesengrosse Poren, die durch extreme hohe Hydratation (Wasseranteil im Verhältnis zum Mehl) von 100% und mehr entstehen. „Und mehr“, muss man sich mal vorstellen. Da draussen gibt es backbesessene Typen, die es tatsächlich fertig bringen, aus 1 kg Mehl und 1,2 kg Wasser einen backfähigen Teig zu formen.

Pane casareccio

Oft geht es auch um die perfektesten Handgriffe beim Dehnen und Falten von sehr klebrigen Teigen. Um das Formen eines perfekten Laibes oder dessen ästhetisches Einschneiden. Ich schaue mir vor allem die Handbewegungen minutiös ab. Durchforste die Kommentare und befolge Tipps zu Mischverhältnissen.

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Brot backen, ist etwas Aufregendes. Wenn ich weiss, dass ich am nächsten Tag Brot backen werde, schlafe ich mit den Gedanken daran ein. Ich überprüfe mehrmals, ob der Wecker auf Mitten in der Nacht auch wirklich gestellt ist. Und bevor ich aufwache, gehe ich im Traum die verschiedenen Schritte durch. Es fühlt sich an, wie vor einer Prüfung. Ich weiss, dass ich es kann und ich freue mich auf das Ergebnis. Aber ich habe auch Angst zu scheitern, weil ich etwas vergesse oder falsch mache und das Brot dann nichts wird. Also nehme ich im Traum rechtzeitig die Hefe aus dem Kühlschrank und stelle beruhigt fest, dass sie schöne Bläschen an der Oberfläche hat und aktiv ist. Dann wäge ich Mehl und Wasser ab, mische, knete, dehne, falte und so fort. Das ganze Tralala. Ich gehe den ganzen Zyklus durch wie ein Sportler, der mit geschlossenen Augen sein Rennen im Geiste abruft. Dann wache ich auf und mache mich eifrig ans Werk.

Manchmal backe ich aber auch einfach so nebenher. Hole die Hefe wie zufällig aus dem Kühlschrank und frische sie so lange auf, bis mir die schaumige Konsistenz zusagt. Dann fange ich an einen Teig zu führen, ohne dass ich festgelegt habe, was draus werden soll. Immer im Vorbeischlendern prüfe ich die Konsistenz und den Duft vom Teig. Während der Zeit, in der ich abends etwas lese oder schaue, stelle ich den Timer und gehe alle 30 Minuten kurz in die Küche, dehne und falte den Teig eine Minute und gehe wieder meiner anderen Beschäftigung nach. Dann packe ich den Teig in den Kühlschrank und backe irgendwann ein Brot, eine Ciabatta oder eine Pizza damit. Vielleicht nach 12, 24 oder erst nach 72 Stunden. Alles kein Problem.

Focaccia Barese

Denn so habe ich mit Brotbacken vorgestellt: Ich will es verinnerlichen. Im Schlaf können. Etwa so wie man Rad fährt. Ohne gross zu überlegen, einfach aufsitzen, intuitiv die Balance halten und so lange in die Pedale treten wie es nötig ist, um ans Ziel zu kommen.

Es gibt keine alleinige Wahrheit beim Brotbacken. Nur einen eigenen Weg. Und den muss jeder selbst gehen. 2016 betrachte ich als mein erstes Bäcker-Lehrjahr. Ich habe einen Apfel aus unserem Garten gepflückt und daraus meinen Lievito Madre angesetzt. Damit habe ich jede Woche gebacken. Ein Brot, eine Pizza, eine Focaccia. Es gab niederschmetternde Tage. Viele. Und Tage der Euphorie. Einige. Es gab Tränen der Verzweiflung und der überwältigenden Freude. Die Reise hat gerade erst begonnen. Wer mag, kann mich begleiten.

Falls ihr euch auch auf den Weg macht: Viel Glück!

Ciabatta


High End Fast Food.

Entenbrust

Sieht vielleicht nicht so aus, ist aber Fast Food ohne gross Federlesen.

Ist ja nicht so, dass ich immer so viel Zeit zum Kochen habe, wie mir vorschwebt. Und manchmal überkommt mich ganz unvermittelt der Heisshunger auf etwas ganz Bestimmtes. Zum Beispiel wenn ich an einer Aranciata von Lurisia nuckle. Die gerade als hip geltende Getränkeherstellerin aus dem Piemont verwendet dafür IGP Orangen (Slow Food Presidium) aus dem Gargano in Apulien und schmeckt unverschämt gut. Canard à l’orange! denke ich.

Nun gut. Eine Entenbrust habe ich. Yay! Den Rest muss ich improvisieren. Zuerst opfere ich ein halbes Fläschchen Aranciata. Koche sie auf und reduziere sie auf Sirupkonsistenz. Im Tiefkühler habe ich zum Glück immer einen guten Vorrat an Fond und/oder Demiglace. Die Sauce steht also schon mal!

Die Haut der Entenbrust schneide ich mit meinem schärfsten Messer so sorgfältig (und so selbstverliebt) wie möglich rautenartig ein ohne das Fleisch darunter zu verletzen. Ist wichtig, damit das Fett gleichmässig austreten kann beim Braten und sich die Entenbrust nicht krümmt.

Die Entenbrust mit der Fettseite in eine kalte(!) Eisenpfanne geben und bei mittelhoher Hitze braten. Langsam aber sicher erhitzt sich das Fett, fängt an zu schäumen und gibt zwei verlockende Dinge von sich: 1. Ein Zischeln, das den Ohren schmeichelt und 2. Einen Duft der die Nase aufs Verführerischste betört!

Entenbrust braten

In der Zischenzeit, also Zwischenzeit, offne ich eine Dose Cannellinibohnen. Auch die habe ich immer vorrätig. Geht von der Qualität her völlig in Ordnung, auch wenn ich oft getrocknete Bohnen einweiche und langsam köchle. Aber dafür ist jetzt keine Zeit. Ich koche sie mit Olivenöl, Knoblauch und frischem Salbei und wenig Wasser ein bis sie etwas zerfallen. Einige ganzen Bohnen rette ich als Garnitur. Den Rest püriere ich und schmecke mit Salz und Pfeffer ab.

Wenn die Haut der Entenbrust schön karamellisiert ist, kann sie gewendet werden. Ich schalte den Herd aus und lasse sie in der Resthitze etwa 5 Minuten garen. Auf diese Weise entspannt sich das Fleisch und bleibt gleichzeitig schön rosa innen.

Anrichten, mit etwas Thymian garnieren und fertig ist das Gourmet-Fast Food!

Entenbrust


Fatty Fatty Boom Boom.

Schweineschmalz Guanciale

Bestes Bratfett: Schweineschmalz vom ausgelassenen Guanciale.

Als ob es noch irgendein Überzeugungsargument für Guanciale bräuchte – hier kommt trotzdem noch eins:

Das überschüssige Fett, das so grosszügig dahinschmilzt, wenn man Guanciale-Stifte für Carbonara, Amatriciana oder Gricia knusprig brät, siebt man ab, lässt es auskühlen und hält es im Kühlschrank bereit als Brat-Schmalz.

Zum Beispiel für superknusprige Bratkartoffeln. Die sehen dann so aus:

Bratkartoffeln

Sie schmecken aussen wie handfrittierte Pommes Chips und haben ein cremiges, butterweiches, kartoffeliges Herz.

Am besten nimmt man Gschwellti – also Pellkartoffeln – vom Vortag. Ich schneide sie nicht dünner als 5 Millimeter.

Es braucht auch keine handgeschmiedete Eisenpfanne, damit es gelingt. Eine beschichtete Bratpfanne tut es auch. 1–2 Kaffeelöffel Schmalz reichen. Wichtig ist, dass die Kartoffeln mit der ganzen Fläche aufliegen und sich nicht gegenseitig überlappen. Bei mittlerer Hitze gemütlich ausbacken und vor dem Servieren grosszügig mit Fleur de Sel würzen.

Das Erstaunliche ist: Die Kartoffeln saugen sich nicht mit dem Schmalz voll. Ganz im Gegensatz zu Bratkartoffeln, die ich manchmal Butterschmalz mache – obwohl die natürlich auch grossartig schmecken – aber wesentlich fettiger sind.


Zudecken und warm halten.

meat pie

Ob das Nachbilden einer Sonne die Seele wärmt?

Nun gut. Es wird also wieder widerlicher draussen. Drängt einen nach drinnen. Lässt einen die flauschigen Decken hervorholen. Ein warmes Nest auf dem Sofa einrichten. Um die drohende Depression zu dämpfen.

Man beginnt koaxial zu denken. Versucht, gute Dinge zu einer veritablen Achse des Guten zu kombinieren. Damit das Gute noch guter wird.

Ich hab mich mal an einer Meat Pie versucht. Die erste. Die Dinger sind so anglophil, das gibts gar nicht. Ziehen mich magisch an. Aber die, die ich in England hatte, waren meistens zu trocken. Und dann diese glibberige Gravy! Das ist doch keine Bratensauce, das ist eine Glutamat-Impertinenz.

Mir kam Meat Pie in den Sinn, weil ich wieder einmal viel zu viel Ochsenschwanz-Ragout gekocht habe. Was gelogen ist. Denn davon kann man nie zu viel kochen. Meistens gibt es daraus ein Pastagericht wie dieses.

Aber so ein Ragout, oder Reste davon, in einen Pastetenteig zu packen, ist auch eine sehr, sehr gute Idee. Ein valables Rezept für den Teig habe ich im grossen Larousse Gastronomique gefunden:

500 g Mehl auf die Arbeitsfläche sieben und in die Mitte eine Mulde drücken. 12 g Salz, 125 g Butter (kalt), 2 Eier und 250 ml kaltes Wasser hineingeben. Alles locker zusammenfügen und mit den Handballenzweimal walken. Zu einer Kugel formen und zugedeckt oder in Folie gewickelt mindestens 2 Stunden kühlstellen.

Keinr Hexerei oder?

Teig ausrollen, ein rundes Kuchenblech damit auslegen und mit einer Gabel einstechen. Ragout und viel Sauce darauf verteilen.

meat pie

Mit Teig bedecken. Ränder gut verschliessen, mit Teigzöpfchen verzieren und – ganz wichtig – einschneiden, damit der Dampf entweichen kann. Zum Schluss Mit Eistreiche bepinseln und ab ins Rohr.

Bei 200 Grad geht es etwa 30 Minuten bis die haube goldgelb schimmert.

meat pie

Unglaublich wie knusprig das wird. Und das schmeckt so „rich“ wie der Engländer sagt! Thank you very much für die Inspiration.

Fehlt nur noch das Kaminfeuer. Aber ein (paar) Malt Whisky nach dem Essen ist auch nicht schlecht.


Sommerlicher Ausklang.

Erbsen

Noch leuchtet der Sommer – und verdreht uns mit seiner reifen Pracht den Kopf.

Manchmal reicht schon der Anblick von knackig grünen Erbsen, um einen Schalter im Denkapparat umzulegen. Wandert der Blick dann noch über den Marktstand auf einen Bund Frühlingszwiebeln, habe ich bereits ein fertiges Gericht vor Augen und möchte umgehend loslegen mit kochen.

Frühlingszwiebeln

Als Küchenmusik setzte ich dann Sam Cooke auf, und höre meine liebste Version von Summertime im Loop. Zwischendurch unterbrochen von der umwerfend grossen Interpretation des gleichen Ohrwurms eines unscheinbaren Persönchens von der hoffentlich noch viel zu hören sein wird; ein zehnjäriger, norwegischer Engel namens Angelina Jordan!

Ich mache dazu Risi e Bisi – Reis mit Erbsen – wieder eines dieser schlichten Rezepte, das mit wenigen Zutaten auskommt. Es ist auch in meinem Buch Italien vegetarisch zu finden (aus Platzgründen bekam es allerdings kein Foto). Erbsen, Zwiebeln und strahlend weisser Risotto-Reis lassen uns den ausklingenden Sommer kulinarisch voll ausschöpfen. Sanft, cremig und makellos.

Wir brauchen für die Brühe:

  • 1 Zwiebel
  • 1 Karotte
  • 1 Stange Staudensellerie
  • 5 Stängel glatte Petersilie
  • 1,2 Liter Wasser

Für den Risotto:

  • 600 g Erbsen in der Schote
  • 50 g Parmesan
  • 1 Bund glatte Petersilie
  • 1 Frühlingszwiebel
  • 50 g Butter
  • 300 g Vialone Nano Reis

Gemüse für die Brühe rüsten. In einen Topf geben, kaltes Wasser dazugiessen und einmal kräftig aufkochen. Dann zugedeckt 1 Stunde leise köcheln. Gemüse entfernen und nach Wunsch anderweitig verwenden, Brühe warm halten.

Stiele der Erbsenschoten entfernen, die Erbsen auslösen und bereitstellen. Die leeren Schoten gründlich waschen und 1 Stunde in 300 ml Gemüsebrühe zugedeckt weichkochen. Anschließend pürieren, mit Salz abschmecken und durch ein feines Sieb passieren.

Frühlingszwiebel waschen, mit dem Grün fein schneiden und in einer weiten Pfanne mit der Hälfte der Butter weichschmoren.

Reis dazugeben und auf Temperatur bringen, bis er glasig wird. Hälfte der verbliebenen Gemüsebrühe dazugeben und bei mittlerer Temperatur köcheln.

Nach 5 Minuten Erbsen, Erbsenschotenpüree und Petersilie zum Reis geben.

Weitere Brühe dazugießen. Reis in ca. 20–25 Minuten bissfest kochen. Dabei darauf achten, dass der Reis schön flüssig bleibt – Risi e bisi liegt von der Konsistenz her zwischen einer Suppe und einem Risotto.

Restliche Butter und Parmesan einrühren und gleich servieren. Nach Wunsch mit weiterem frisch geriebenem Parmesan bestreuen.

Risi e bisi


Handwerk mit Biss.

Tonnarelli

Das kommt dabei heraus, wenn man liebt, was man tut und tut, was man liebt.

Dann möchte man nicht einfach Pasta machen. Man will perfekte Pasta machen. Jeden einzelnen Schritt meistern. Einen Handgriff nach dem anderen besser beherrschen als den davor. Sicher sein, was man tut und warum man es so macht und nicht anders. Das Handwerk lieben und ganz darin aufgehen.

Und immer besser darin werden. Zufriedener zumindest.

Heute nenne ich meine Spaghetti alla chitarra zur Abwechslung mal Tonnarelli. So nennt man sie in Rom. In den Marken und Molise nennt man sie auch Maccheroni oder Maccheroncini . Und in Apulien Troccoli.

Tonnarelli werden in Rom klassisch mit cacio e pepe serviert. Auch alla carbonara oder all amatriciana.

Tonnarelli haben Biss. Charakter. Sind kantig und rau. Aber wenn man sie zu zähmen weiss, mit der richtigen Sauce, werden sie sanft und geschmeidig. Aber im Kern, da haben sie immer noch diesen eigenwilligen, unverwechselbaren Biss!

Ich habe sie mit Aubergine kombiniert. Als Variante der ofengerösteten Aubergine, mit der ich die Cappellacci gefüllt habe.

Dazu Auberginen einstechen und bei 250 Grad im Ofen rösten. Sobald die Haut schwarz ist, wenden. Nach etwa 30 Minuten herausnehmen und auf dem Blech auskühlen lassen. Der Länge nach halbieren, das Fleisch mit einem Löffel abstreifen und dabei die braunen Stellen an der Schaleninnenseite auskratzen: Da steckt das rauchige Aroma drin! Mit Salz, Peperoncino und etwas fein geriebenem Knoblauch abschmecken.

Das Rezept für die Tonnarelli ist identisch mit dem der Spaghetti alla chitarra.

In einer Schwenkpfanne Butter schmelzen. Geriebenen pecorino romano und ein paar Löffel Pastawasser dazugeben. Bei mittlerer Hitze energisch zu einer cremigen Sauce verrühren.

Vom Herd ziehen, Auberginen und bissfest gegarte Pasta dazugeben, gut vermengen.

Tonnarelli Melanzane

Es ist der Blick auf das Wesentliche. Die Liebe zum Detail. Und die Fokussierung auf den Geschmack, die einen so glücklich macht.


Bonbons aus Sommer.

Cappellacci Aubergine Peperoni

Strahlen schöner als die Sonne: Auberginen-Cappellacci mit Peperonicreme.

Ich weiss, ich weiss. Das ist kein Zustand. Seit Wochen regnet es. Von Sommer keine Spur. Es ist zermürbend. Da gibt’s nur eins: In die Küche stehen und den geballten Geschmack des Sommers in Cappellacci packen.

Du liebst diese molligen, ofengeschmorten Peperoni, die dieses intensive, leicht rauchige, süssliche, Aroma preisgeben, nachdem du die fast verkohlte Haut abgezogen hast: Daraus machst du eine Creme, die dich in Wallung bringt.

Du liebst diese ofengeschmorten Auberginen, die cremige Konsistenz mit dem intensiv nussigen, rauchigen Geschmack, wenn du sie von der verschrumpelten Haut befreit hast.

Der Reihe nach: Pasta machen. Ich nehme auf 100 g italienisches Mehl tipo 00 zwei Eigelb. Für vier Personen reichen 300 g Mehl und 6 Eigelb.

Rote Peperoni bei 250 Grad im Ofen rösten. Sobald die Haut schwarz ist, wenden. Nach etwa 30 Minuten herausnehmen und auf dem Blech auskühlen lassen. Dann sacken sie zusammen und man kann sie einfach schälen. Mit einem Schuss Olivenöl pürieren, dann durch ein Sieb streichen. Salzen, pfeffern und mit einem Hauch Knoblauch aromatisieren: Eine halbe Zehe, die man mit dem Messer quetscht und mit Salz zu einer Paste zerreibt reicht aus.

Auberginen einstechen und bei 250 Grad im Ofen rösten. Sobald die Haut schwarz ist, wenden. Nach etwa 30 Minuten herausnehmen und auf dem Blech auskühlen lassen. Der Länge nach halbieren, das Fleisch mit einem Löffel abstreifen und dabei die braunen Stellen an der Schaleninnenseite auskratzen: Da steckt das rauchige Aroma drin! So viel geriebenen Parmesan zu dazugeben, bis eine kompakte Masse entsteht. Mit Salz und Peperoncino abschmecken.

Pasta ausrollen und mit einem Glas Rondellen ausstechen. Einen Kaffeelöffel Auberginenmasse auf jeden Taler platzieren. Um Cappellacci zu formen, Rondellen zum Halbmond verschliessen und die Ränder fest zudrücken. Den Rand wie eine Hutkrempe hochstellen, die Enden zur Mitte führen und mit Zeigefinger und Daumen zudrücken.

Cappellacci Aubergine

Pasta im Salzwasser gar ziehen lassen und abschöpfen. Butter in einer Schwenkpfanne schmelzen. Ein paar Löffel Pastawasser dazugeben und stark erhitzen, damit sich eine milchige Emulsion bildet. Cappellacci darin wenden, bis sie alle mit der Emulsion überzogen sind.

Peperonicreme erwärmen und in der Tellermitte verteilen. Cappellacci darauf verteilen. Geriebene Ricotta salata darüberstreuen und mit Basilikum garnieren.

Drei, zwei, eins: Sommer!


Cappelletti Spinaci Fave

Man sollte nie unterschätzen, was man alles drauf hat, wenn man sich selbst nicht im Weg steht. Und: Improvisationskunst beim Kochen ist sehr, sehr befriedigend.

Nehmen wir als Beispiel die kausale Verkettung der heutigen Küchenarbeiten.
Nachdem ich diese schöne Tarte aux myrtilles meringuée bewerkstelligt hatte,

Tarte aux myrtilles

(nach genau diesem Rezept, mit Ausnahme des Rhabarbers, den man einfach mit 500 g Blaubeeren ersetzt), ergab es sich, dass ich sieben Eigelb übrig hatte. Also tat ich, was man in Italien schon seit Generationen in so einem Fall tut: Man konserviert die Eigelbe in Form von frisch gemachter Pasta.

Ohne weitere Gedanken daran, was wann aus dieser Pasta werden sollte, habe ich sie geknetet, in Folie gewickelt und einfach mal als Vorrat im Kühlschrank geparkt.

Stunden später machte sich schüchterner Appetit bemerkbar. Auf die Frage, ob sich bei ihm auch schon ein gewisser Appetit gemeldet hätte, antwortete mein älterer Sohn, ja, gewissermassen schon. Er sei aber noch unschlüssig, ob er noch zuhause essen oder aufbrechen und das Wochenende mit Freunden entkorken wolle. Was es denn gäbe.

Nun, ich habe frische Pasta gemacht, sagte ich, aber noch keine Idee, für welches Gericht. Es hat jungen Spinat, aber keine Ricotta. Frische Favabohnen. Aber keine Salsiccia. Aber ich möchte eigentlich gefüllte Pasta. Hm. Aber womit gefüllt?

Es gibt noch Reste vom Kartoffelsalat. Aber das ist wohl keine gute Idee. Oh! Warf mein Sohn ein. Es hat doch noch Polpette vom Mittag, taugen die als Füllung? Und wie, lenkte ich begeistert ein: Wir essen in 15 Minuten!

Der Teig ist schnell ausgerollt und mit einem Glas in Rondellen gestochen.

Um hübsche Cappelletti (mittelalterliche Hütchen) zu formen, belegt man sie mit einem Stückchen einer Polpetta (von kalten, gebratene Frikadellen bricht man einfach ein Stückchen ab; sie schmeckt herrlich würzig und hat die perfekte Konsistenz), drückt sie zum Halbmond zusammen und verschliesst die Enden, wobei man den Rand wie eine Hutkrempe hochstellt.

Cappelletti

Die Fave werden gepult, 5 Minuten blanchiert, abgeschreckt und dann geschält.

Den Spinat gibt man in eine Pfanne, in der zuvor Schalotten in Butter angeschwitzt wurden. Man lässt die Blätter nur eben in sich zusammenfallen, salzt und wendet sie und wenn sie vom kräftigen Grün in dieses ozeanisch tiefe Grün welken sind sie auch schon fertig zum Anrichten.

Bis es soweit ist, hält man sie in der Pfanne warm. Zusammen mit den geschälten Fave. Nachdem die Capelletti in Salzwasser gargezogen sind schöpft man sie in eine Schwenkpfanne mit Butter, gibt ein paar Löffel Pastawasser dazu und schaut zufrieden zu, wie sich langsam eine buttrige Emulsion um sie schmiegt.

Wer, so wie ich, noch etwas notvorrätige Demiglace im Tiefkühlfach hat, wärmt davon zwei Esslöffel, weil das gibt dem Ganzen noch eine grotesk spitzengastronomische Dimension.

Spinat und Fave auf dem Teller verteilen, Capelletti darauf setzen, mit der Butteremulsion nappieren. Etwas Demiglace auf dem Teller verteilen und – das ist eine extrem reizvolle Ergänzung – ein paar Späne Pecorino Fiore Sardo.

Zu recht fragt mein Sohn: «Wenn ein Pastagericht wie dieses so schnell zubereitet ist und so unverschämt gut schmeckt, warum servieren sie dann im Restaurant immer so langweilige Pastagerichte?»

Zu recht.


Reines Gemuese einschenken.

Seit Neustem trinke ich lauwarmes, püriertes Gemüse – und bin total angefixt!

Ich mache ja schon lange eigene Brühen und Fonds. Könnte ich allesamt literweise austrinken, würde ich sie nicht so sehr als grundsolide Basis für Saucen, Suppen oder Risotto benötigen.

Ja, selbst für einen simplen Gemüse-Risotto koche ich eine Karotte, Stangensellerie, eine Zwiebel, ein paar Pfefferkörner, ein Lorbeerblatt und einen Löffel passierte Tomaten auf und verwende diesen natürlichen Sud hundert mal lieber als einen Bouillonwürfel.

Die New Yorker machen übrigens gerade einen Riesenzirkus um selbstgemachte Brühe und sehen schon den nächsten mega Health Trend. Weil es den meisten aber doch zu aufwendig ist, holen sie sich einen Pappbecher to go in Lokalen wie dem Brodo (italienisch für Brühe) …

Nun denn. Kürzlich nun hatte ich Magenbeschwerden. Mir war alles andere, als nach Essen. Ich wollte meinen Magen etwas besänftigen und die Sprints vom Sofa auf die Toilette etwas in Schach halten.

Das funktioniert bei mir immer hundertprozentig verlässlich mit gekochten, pürierten Karotten. Warum dieses altbewährte Hausmittel so gut wirkt ist, hat man untersucht und festgestellt, dass beim Kochen der Karotten kleinste Zuckermoleküle entstehen, so genannte Oligosaccharide. Sie sind den Darmrezeptoren zum Verwechseln ähnlich, so dass die Bakterien statt an der Darmwand an den Zuckermolekülen andocken und einfach ausgeschieden werden.

Nebst der lindernden Wirkung, hat mir die, lauwarm aus einem Trinkglas eingenommene, Karottensuppe auch ausgesprochen gut geschmeckt. Dabei waren es doch nur: Wasser, Salz und Karotten?

Auch beim Zucchini-Risotto, der hier kürzlich vorgestellt wurde, habe ich mich schlagartig in die intensiv-grüne Zucchinicreme verliebt.

Ein paar Punkte, durch die sich meine „neuen“ Suppen von herkömmlichen Gemüsesuppen (wie diese hier, die ich natürlich nach wie vor auch mag) unterscheiden:

  • Auf das Anschwitzen von Zwiebeln wird verzichtet
  • Genauso auf Butter, Rahm und Öl
  • Das Gemüse wird nur mit Wasser bedeckt und weichgekocht
  • Aromagebende Zutaten werden nicht mitpüriert

Das Wichtigste ist aber tatsächlich, dass man die Suppe aus einem Glas trinkt – und nicht etwa löffelt! Es ist ein ganz anderes Ess-Gefühl. Die Suppe ist samtig weich, luftig und extrem mundfüllend, die intensive Farbe, Frische und Geschmackstiefe machen richtig Freude beim Trinken. Weil das Gemüse gekocht ist, ist nicht nur die Konsistenz weich, auch der Geschmack ist weich und rund.

Ein weiterer simpler Clou, um den Genuss hoch zu katapultieren ist, ein paar Flocken Fleur de Sel auf die Suppe zu streuen, kurz  bevor man trinkt. Das erzeugt eine erstaunliche Spannung zwischen Salzigkeit und Süsse.

Nach ein paar Schlucken, will man automatisch weitere Salzflocken darüber streuen, weil es so gut schmeckt. So rein. Sogar Pfeffer oder ein paar Tropfen Öl sind schon zu viel. Sie würden die Sanftheit, die Ausgewogenheit stören. Man sollte dieser Versuchung wirklich widerstehen.

So ab und zu muss auch ich auf die Bremse treten, damit ich bei aller Liebe zum Essen nicht aufgehe wie ein Ofenküchlein. Mit solchen leichten, aber aromareichen Süppchen mach ich das noch so gerne.

Und von wegen gesund, vegan, clean und all den Etiketten, die mich so was von nicht interessieren: Es ist tatsächlich – vegan. Aber ohne die üblichen Verdächtigen wie Sojasahne, Kokosmilch, Mandelmilch und sonstigen zwanghaft eingesetzten Ersatz-und-must-have-Produkte, ohne die Veganer anscheinend aufgeschmissen sind. Gemüse, Wasser, Salz. Eat this!

Ich werde wohl noch einige Varianten ausprobieren, diese hier hat mir heute besonders geschmeckt:

Fünf Karotten, ein Stück Knollensellerie und eine Zucchini schälen, grob würfeln und in einen Topf geben. Das weisse vom Lauch, Persilienstängel und eine Zwiebel dazugeben. Für eine mysteriöse Note und sublime Frische ein Stück Ingwer, zwei Wacholderbeeren und ein Stück Zitronenschale dazugeben. Alles mit Wasser bedecken, einmal aufkochen und dann zugedeckt, ohne Salz, etwa 30 Minuten weichkochen.

Lauch, Petersilienstängel, Zwiebel, Ingwer, Zitronenschale und Wacholderbeeren entfernen. Gemüse im eigenen Sud mit dem Mixer pürieren. Mit Salz abschmecken. 5 Minuten auskühlen lassen.

In Trinkgläser abfüllen, nach Belieben mit einem Küchenkraut garnieren und vor jedem Schluck ein paar Flocken Fleur de Sel auf die Suppe streuen.

Wenn die New Yorker das lesen, ist der nächste Hype gebongt.


Sardinenfans hier? Hand hoch!

Sardinen gegrillt

Vergessen wir nicht die kleinen Fische für einen grossen Grillauftritt: Sardinen!

Sardinen sind so, wie soll man es sagen? Richtige Fische! Nicht so ein zierlicher Edelfang, von dem man nur glasig gedämpfte Filets isst. Nein, mehr so von der Sorte kleine, fette, sexy Biester, die auch mal Hitze, Rauch, Schärfe und Säure aushalten. Also best Barbecue Buddies irgendwie.

Ich mag sie gegrillt über Holzkohle. Und hört mir bloss auf mit Marinaden und Kräuterfüllung. Das fällt beim Wenden alles nur raus, tropft runter oder verbrennt. Garnitur kommt nach dem Grillen dazu. Und damit sie auf dem (heissen) Rost garantiert nicht kleben, brauchen wir sie nur zu salzen, fertig.

Die frischen oder aufgetauten Sardinen auf eine Arbeitsfläche legen. An der Schwanzflosse fassen und mit dem Messerrücken Richtung Kopf schuppen. Unter fliessendem Wasser reinigen.

Zum Ausnehmen zuerst den Kiemendeckel anheben, ein scharfes Messer ansetzen und dann im 45 Grad Winkel zum Körper hin runterschneiden. Mir den Fingern die Kiemen packen und entfernen. Nun sollte der Fisch einen sauberen V-Schnitt zwischen Kopf und Körper haben.

Messerspitze an der Brust ansetzen und den Bauch mit einem nicht zu tiefen Schnitt bis fast zur Schwanzflosse aufschlitzen. Jetzt kann man mit dem Messerrücken in einer einzigen Bewegung die Eingeweide von vorne nach hinten herausstreichen und abtrennen. Fertig.

Nochmals unter fliessendem Wasser reinigen und anschliessend mit Küchenkrepp sehr gut trocknen. Dann grosszügig beide Seiten einsalzen und sich um die Garnitur kümmern. Zum Beispiel:

Peperoncino kleinwürfeln, Petersilie hacken, Frühlingszwiebel in Scheiben schneiden, Kapern wässern und mit wenig Olivenöl mischen.

Bevor man die Sardinen auf den Rost legt, das Salz, das der Haut noch etwas Feuchtigkeit entzogen hat, abtupfen. Über mittelintensiver Glut braten. Sobald die Haut goldgelb schimmert, Fische wenden und fertig garen.

Auf Teller verteilen, mit der Garnitur bestreuen, mit bestem Olivenöl und nach Belieben mit gutem Weissweinessig oder Zitronensaft beträufeln.

Und ja, am liebsten esse ich Sardinen von Hand!



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